HarmonyOS: alles Wichtige zur Huawei-Software

Huawei hat auf seiner Entwicklermesse HDC 2019 im chinesischen Dongguan sein neues, geräteübergreifendes Betriebssystem vorgestellt. [...]

Der Honor Vision ist als Smart-TV das erste Produkt mit HarmonyOS. (c) Huawei

Was genau ist HarmonyOS?

HarmonyOS ist ein geräteübergreifendes Huawei-Betriebssystem. Das Betriebssystem (designtechnisch angepasst an den Formfaktor des Endgeräts) kann dank seines modularen Aufbaus auf verschiedene Endgeräte aufgespielt werden. Den Tempovorteil bezieht das OS aufgrund seiner Aufgabenpriorisierungsfunktion und immer dann, wenn es zu einer Interaktion mit anderen HarmonyOS-Geräten kommt. Zweiter wichtiger Pfeiler: HarmonyOS ist Open-Source-basierend, so wie auch das «nackte», nicht angepasste Google-Android-Betriebssystem. Gerade deshalb ist es für App-Entwickler interessant, die für das Betriebssystem entsprechende Mini-Software (sprich: Apps) entwickeln können.

Auf welchen Geräten wird HarmonyOS als Betriebssystem laufen?


HarmonyOS kann auf verschiedensten «smarten» IT-Geräten/-Segmenten zum Einsatz kommen. Zu den wichtigsten Gerätetypen zählen Wearables, Smartphones, die komplette Autosensorik, Smart-TVs, Smartwatches oder auch Netzwerkkameras.

Ab wann werden erste HuaweiGeräte mit HarmonyOS auf dem Markt erscheinen?

Beim ersten HarmonyOS-Produkt wird es sich um einen Mittelklasse-Smart-TV handeln, den Honor Vision (Strassenpreis ca. 500 bis 600 Franken). Den 55 Zoll grossen LCD-Bildschirm (ca. 140 cm Bilddiagonale) wird es zusätzlich in einer Pro-Version mit einer Full-HD-Kamera und doppeltem Speicherausbau (32 GB statt 16 GB) geben. Zur weiteren Ausstattung beider Modelle gehören ein USB-3.0-Port, drei HDMI-2.0-Schnittstellen, WLAN-n/-ac und eine integrierte Gestensteuerung. Angetrieben wird das Modell vom Chip Honghu 818, einem Achtkernprozessor. Mit grösster Wahrscheinlichkeit wird der HarmonyOS-Fernseher allerdings nur in China respektive im asiatischen Raum auf dem Markt erscheinen. Geplant ist der Verkaufsstart noch diesen August. Für das nächste Jahr sind erste Smartwatches und Wearables mit dem Betriebssystem geplant.

Was passiert, wenn die US-Regierung am 19. August ihr Vorhaben in die Tat umsetzt und den Google-Support für Huawei-Produkte (Smartphones) untersagt?

Erst einmal gar nichts. Laut unserem Erkenntnisstand ist der Google-Support für IT-Produkte für ein Jahr sichergestellt. Allerdings nur für diejenigen Geräte, die aktuell auf dem Markt sind und dadurch wie bisher mit Android-Betriebssystem-Updates wie auch App-Updates versorgt werden. Danach läuft der Support aus. Huawei hat für diesen Notfall angekündigt, dass man danach in der Lage sei, das eigene Betriebssystem HarmonyOS auf die entsprechenden Endgeräte aufzuspielen. Huawei selbst rechnet dabei zwar mit Einbussen, allerdings sieht sich der Hersteller nach etwa ein bis zwei schwierigen Jahren wieder in einem sehr gut erholten Zustand, aus dem man stärker hervorgehen werde.

Ausserdem hat Huawei zumindest in Aussicht gestellt, dass bereits angekündigte, aber noch nicht (bis zum 19. August) auf dem Markt befindliche Smartphones sofort (Software-Rollout ca. zwei bis drei Tage, Anmerk. der Redaktion) mit HarmonyOS ausgestattet werden könnten, um eine reibungslose Produktlancierung pünktlich zu gewährleisten. Dann könnte das neue Spitzenmodell Mate 30 Pro, das für das dritte Quartal 2019 lanciert werden soll, theoretisch mit HarmonyOS ausgestattet sein.

Wird HarmonyOS auch mit jetzigen auf dem Markt befindlichen aktuellen Smartphones und entsprechend anderen HuaweiGeräten, die Android als Betriebssystem einsetzen, kompatibel sein?

Ja. Geräte werden zu 100 Prozent damit laufen, so die Antwort auf eine direkte Anfrage. Auch bestehende Apps sind übrigens mit HarmonyOS kompatibel. Allerdings wird den HuaweiGeräten der Zugang zum Play Store von Google verwehrt werden. Das bedeutet, Benutzer müssen sich eigenständig darum kümmern, bereits installierte Software auf einem aktuellen Stand zu halten und sie etwa bei Drittanbietern herunterladen. Das ist insofern wichtig, da mit neuen Updates in der Regel immer auch Sicherheitslücken geschlossen werden.

Wie könnte die softwareseitige Versorgung von Huawei-Smartphones, nach einem garantierten Jahr Google-Support, dann aussehen?

Da weder Apps noch das Betriebssystem (und damit auch das Schliessen von Sicherheitslücken) danach noch in den Genuss von Updates kommen, wird Huawei für die dann aktuelle Smartphone-Linie nebst dem HarmonyOS-Betriebssystem auch wichtige Apps zur Installation anbieten. 

Dann läuft alles also wie bisher weiter?

Bestandteil von HarmonyOS wird wohl, wie bereits erwähnt, eine App-Sammlung sein (wie bei Google Android, Maps, Gmail, YouTube Play Musik, Drive etc.). Hier muss man aber genau hinsehen, da sich Huawei-Handys im asiatischen und europäischen Raum deutlich voneinander unterscheiden. Nur ein Beispiel dazu: Wird in HarmonyOS etwas eine Map-App (Navigations-App, analog zu Google Maps) Bestandteil sein, stellt sich die Frage, woher Huawei die dahinterliegenden Verkehrsdaten/Live-Informationen bezieht. Huawei-Handys auf dem chinesischen Markt benutzen solche Google-Dienste wie etwa Google Maps nicht, sondern eigene, lokale Strassen-Apps. Für europäische Nutzer hingegen ist Google Maps ein zentraler, unverzichtbarer Bestandteil ihres Handys.

Was bezweckt Huawei mit HarmonyOS?

Huawei hat gerade auf seiner Entwicklermesser HDC 2019 mehrfach bekräftigt, dass man am Google-Betriebssystem Android für seine Smartphones unbedingt festhalten, aber auch, im Fall der Fälle, für einen «Plan B» gewappnet sein will. HarmonyOS (für Handys) ist dabei der zentrale Bestandteil. Die systemübergreifende Software ist aber weitaus mehr und durchaus auch als Kampfansage zu betrachten. Denn damit wagt sich der chinesische Technologie-Gigant in Regionen von Apple und eben auch Google vor. Beide amerikanischen Unternehmen treten weltweit als Multi-Device-Anbieter (für Hardware-Produkte, Betriebssystem und App-Dienste) auf und beherrschen diesen Markt. Apropos: Die Frage, ob HarmonyOS kommen muss, hat sich natürlich mit der Ankündigung des Smart-TVs (siehe Frage 3) erübrigt. Dabei könnte der Handelskonflikt zwischen der US-Regierung und China auch zur Beschleunigung beigetragen haben. Konkurrenz könnte dabei das Zünglein an der Waage sein und durchaus das Geschäft neu beleben.

Wie zukunftssicher ist HarmonyOS?

Im ersten Schritt wird Huawei, wie bereits hier in diesem Artikel gezeigt, mit HarmonyOS 1.0 im Smart-TV-Produkt Honor Vision bereits in diesem Monat eingesetzt. Ein Jahr später, also 2020, werden, nach Wunsch von Huawei, weitere smarte Geräte wie Wearables, Sicherheitskameras, IoT-Geräte («Internet of Things») und Head Units (Sensoren und Navigationselemente) in Autos unterstützt. Die terminliche Planung der Open-Source-Software bewegt sich dabei insgesamt über einen Zeitraum von drei Jahren. Detaillierte Infos dazu finden Sie im oberen Bild.

Wem nützt eigentlich HarmonyOS?

Auf den ersten Blick klingt die Frage komisch, hat aber auch ihre Berechtigung. Endanwendern, die ein aktuelles Huawei-Handy benutzen, bietet das neue (zukünftige) Betriebssystem Sicherheit. Und zwar genau dann, wenn Google nach einem Jahr Support «die Leinen kappt». Nutzer, die sich hingegen neu ein HuaweiGerät kaufen, sofern es mit HarmonyOS ausgestattet ist, dürften vom gesamten HarmonyOS-Ökosystem profitieren, sofern die Ankündigungen zutreffen: verbessertes Tempo, optimierte Resourcenzuweisung und Energieeffizienz (das wird die PCtipp-Redaktion selbstverständlich testen!). Je mehr Geräte dabei mit HarmonyOS ausgestattet sind, desto stärker könnten sich die erwähnten drei Faktoren auf die gesamte Infrastruktur im Haushalt auswirken.

Auch Huawei kann bei der Betrachtung nicht aussen vor gelassen werden. Die Ankündigung von HarmonyOS seitens des chinesischen Unternehmens dürfte gleichermassen wie ein Befreiungsschlag und Säbelrasseln wirken. Man zeigt, dass man im Fall eines Ausschlusses bereit ist, mit seiner eigenen System-Software die entstandene Lücke schnell zu schliessen. Dennoch gibt es, gerade für den europäischen wie auch Teile des interkontinentalen Bereichs eine nicht von der Hand zu weisende Unsicherheit. Geklärt werden muss die Qualität der von Huawei angebotenen Apps sowie auch des Betriebssystems und der Sicherheits-Updates. An diesen Qualitätsstandards wird Huawei künftig gemessen werden.

Nach wie vor problematisch dürfte aus Sicht von Huawei der Komponenten-Support für Bauteile von Handys, Wearables, Smartwatches oder Fernsehern sein. Smartphone-CPU-Designer ARM hat, und das ist der aktuelle Stand heute, die Zusammenarbeit mit Huawei aufgekündigt und ihnen die Lizenz entzogen. Übrigens müssen auch Chiphersteller wie Intel (Notebook-Prozessoren) sowie auch Qualcomm und Broadcom (Hersteller für 4G/5G-Chips) auf Geheiss der US-Regierung die Geschäfte mit Huawei beenden. Hier muss Huawei schnellstmöglich neue Geschäftspartner finden, die ein Austrocknen der Chipbestände verhindern.

Des einen Leid dürfte aber diesmal auch das Leid des anderen sein. Denn wenn Huawei keine Chips und Lizenzen mehr benutzen kann, fehlt auch den amerikanischen Firmen der Umsatz. Zumal auch fraglich ist, ob die US-Unternehmen andere Geschäftspartner in dieser Volumengrösse finden werden.

Und zuletzt: Multi-Device-Anbieter wie Apple und vor allem Google bekommen nun mit Huawei, über kurz oder lang, einen ernst zu nehmenden Mitbewerber an die Seite gestellt. Das ist aus Sicht des Endanwenders positiv, da ja bekanntlich Konkurrenz das Geschäft belebt. Aber auch hier muss man unterm Strich abwarten, inwieweit die HarmonyOS-Software Hardware und Dienste miteinander effizient koppeln kann.

Wie wir die Frage beantworten? Unterm Strich ist das Szenario, sofern keine Lösung gefunden wird, schwer vorherzusagen. Sicher dürfte bei Inkrafttreten nur eines sein: Gewinner gibt es vorerst keine.


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