HTC Vive Pro im Test: die teuerste VR-Brille

80 Prozent mehr Pixel in der virtuellen Realität oder doch lieber Ferien auf den Malediven? Die neue VR-Brille im Test. [...]

Die neue HTC Vive Pro Zoom. (c) sgr / nmgz

Die HTC Vive Pro ist technisch die beste, aber auch teuerste VR-Brille auf dem Markt. So viel, nämlich rund 1000 Franken, hat man vor ziemlich genau zwei Jahren als Vorbesteller für die erste HTC Vive von seiner Kreditkarte abbuchen können. Jedoch gibt es für diesen Preis im aktuellen Paket nur die Upgrade-Brille mit mehr Pixeln, nur eben ohne die beiden Controller und die essenziellen Lighthouse-Basisstationen, die man für die Bewegungsverfolgung braucht. Ganz schön teuer! Dafür hat es nun beim Vorgängermodell inzwischen gerumpelt beim Preis. Obwohl ein Strassenpreis von 600 Euro immer noch beachtlich viel ist für eine virtuelle Langzeitreise, ist das doch eine ordentliche Preisreduktion. So viel kostet bei uns nach wie vor die importierte Oculus Rift mit Touch Controllern.

Teure Pixel

Die Bildqualität der OLED-Displays wurde nachgeschärft auf 1440 × 1600 Bildpunkte (pro Auge). Das sind doch fast 80 Prozent mehr Bildpunkte. Zum Vergleich: Die Oculus Rift und die Standard-Vive brachten es nur auf auf je 1080 × 1200 Pixel pro Augen-Display (PlayStation VR auf 960 × 1080 Pixel). Zwar beherrschen auch die Windows-Mixed-Reality-Brillen fast dieselbe Schärfenoptik (meist 1440 × 1440 Bildpunkte) aber die günstigeren Ausführungen von Acer, HP, Medion & Co. basieren nur auf LCD und nicht auf OLED, was sich an den deutlich schlechteren Kontrasten bemerkbar macht.

Die Menüs und Schriften werden dank der besseren Auflösung der Displays einiges schärfer dargestellt. Auch der typische Gitternetz-Effekt ist aufgrund der höheren Pixelzahl etwas weniger präsent. Weit entfernte Texturen werden davon nicht klarer. Wer sich als Vielspieler die Standard-Vive gewöhnt ist, wird die schärferen Konturen vor allem aus naher und mittlerer Distanz wahrnehmen. Jemand, der die alte Vive nur ein paar Mal getestet hat und nicht ständig im Einsatz hatte, wird diesen Unterschied kaum feststellen. Wer zudem keine Bildruckler riskieren möchte, wird in Spielen wie „Fallout 4 VR“ oder bei Texturmods für „Skyrim VR“ nicht um ein Grafikkarten-Upgrade herumkommen. Zwar liefen neue Spiele auch testhalber zunächst auf einer GeForce GTX 980 Ti noch sehr geschmeidig, aber man hat dann in den In-Game-Settings einiger Titel wie „Heart of The Emberstone“ nicht mehr viel Performance-Spielraum für höher auflösende Texturen, die speziell von den Spielmachern für die Vive Pro nachgereicht wurden.

Mehr Schärfe nur aus der Nähe erkennbar

Ganz allgemein fällt die Bilanz bei der Optiknachschärfung ernüchternd aus. Wir haben sehr viele SteamVR-Titel mit der alten und neuen Vive verglichen. Bei schnellen und grafisch nüchtern gehaltenen Arcade-Spielen wie dem Drohnenshooter «Space Pirate Trainer» oder der rhythmischen Farbtupfer-Abwehr «Audioshield» wird man nicht gleich weggeblasen von einer neuen Deluxe-Grafik. Diesen reinen Schärfeunterschied hat man auch auf einer LCD-basierten Windows-Mixed-Reality-Brille. Hingegen stechen bei Shootern wie «Serious Sam: The Last Hope» dank des guten OLEDs der HTC Vive Pro viel klarere Farben bei Explosionen hervor – aber eben auch nur aus unmittelbarer Nähe.

Es bräuchte wohl noch immer mindestens 8K-fähge VR-Headsets, bis vieles aus nah und fern so scharf daherkommt wie auf einem hochauflösenden Bildschirm. Teilweise gibt es schon Ansätze, um den gewaltigen Ressourcenverbrauch einer solchen Rechenleistung umgehen zu können, indem berechnet wird, auf welchen Bereich die Pupillen gerade ausgerichtet sind, weil im Prinzip die beiden Displays nicht ständig die ganzen Inhalte in einer so hohen Auflösung berechnen müssten.

Was macht man nun mit der alten HTC Vive?

So viel High-End hat allerdings, wir betonen es gerne noch einmal, auch einen stolzen Preis. Rund 1000 Franken kostet der Nachfolger. Das heisst 1000 Franken werden alleine für das Headset fällig. Da verschmerzt man auch mit ein paar schönen Stickern und dem beiliegenden Microfasertuch den hohen Kaufpreis nicht so rasch. Erst beim Blick auf die Rückseite der Schachtel wird klar, dass das Paket sich eigentlich gar nicht an den Consumer richtet. Gedacht ist die Profi-Brille nämlich primär für Arcade-Hallen und Business-Anwender, also Entwickler. Denn ohne die beiden obligaten Lighthouse Basestations und Spielecontroller hat man es auch als Vorbesitzer der alten Vive schwer, die Vorgängerbrille loszuwerden.

Neue Link Box mit Ausschalttaste

Weiter im Lieferumfang enthalten ist das erneuerte Anschlussböxchen, um den virtuellen Reisebegleiter mit dem PC zu verbinden. Schön auch: Die Link Box hat diesmal einen Schalter, damit das Headset nicht ununterbrochen mit Strom versorgt wird. Das rote Lämpchen an der Vive Pro leuchtet dann nicht, wenn die Kabelbrücke ausgeschaltet ist. Aufgepasst: Die Link Box zwischen VR-Brille und PC wird nicht mehr via HDMI, sondern neu mittels DisplayPort am Rechner angeschlossen. Das ist nötig wegen der höheren Auflösung. Gut also, wenn man eine Grafikkarte mit zwei DisplayPorts hat, falls bereits ein 4K-Monitor am PC hängt. Ein Mini-DisplayPort-auf-DisplayPort-Kabel für Notebooks liefern die Taiwenesen ebenfalls mit. Zudem wird die HTC Vive Pro nun über ein einziges Kabel, das in einen proprietären Stecker mündet, an das Signalböxchen angeschlossen. Dieser Schritt ist löblich, da der Brillenstecker gut in die Linkbox einrastet und man nun nicht mehr über drei Kabelstränge stolpert.

Mehr Komfort

Das Herzstück, das Head Mounted Display (HMD), ist schnell aus der Verpackung gehoben. Massiger, aber doch gleich schwer, wirkt die Vive Pro zunächst nur wegen des neuen rückseitigen Haltebügels samt Polsterung und Stellschraube. Musste man sich die Standard-Vive bislang wie eine Skibrille umbinden, lastet nun von dem Brillenhelm nicht mehr das ganze Gewicht auf dem Geruchsorgan. Und man hat es sogar etwas leichter, einen guten Fokuspunkt (sogenannten «Sweetspot») für die Augen zu finden, weil es diesmal nichts ausmacht, ob die Vive Pro etwas mehr nach unten oder nach oben neigt. Wirklich toll gelöst. Allerdings haben dieses Tragekonzept inzwischen einige VR-Brillenmacher von Sonys PlayStation VR nachgebaut. Der Komfort ist nun praktisch identisch.

Zur Arretierung dient die Drehschraube an der Rückseite. Verbessert wurden zudem der Augenabstandsregler (IPD) und eine Mechanik, um das Hauptteil weiter nach vorne zu versetzen. Es gibt nun unterhalb der linken Seite einen neuen Schalter, um die Linsen und die ganze HMD-Einheit nach vorne zu verschieben, was vor allem Brillenträgern mehr Platz verschafft. Top! Darüber hinaus lässt das Drehrad den Augenabstand noch feiner, in 0,1er- statt 0,4er-Schritten, regulieren. HTC hat jedoch wieder denselben Günstig-Schaumstoff für das HMD mitgeliefert und davon nicht einmal ein Ersatzpölsterchen.

An den ausklappbaren Stereoheadsets am Tragegürtel sorgt zunächst das neue Komfortgefühl, den ganzen VR-Helm samt der Lauscher aufzusetzen, für Glücksgefühle, die jedoch beim Sound schnell wieder abflachen.

Zwar sind Noise Cancelling und Stereoqualität der beiden On-Ear-Hörer auf hohem Niveau, aber die Bassdurchdringung ist zu schwach, wenn man vorher mit etwas besseren Günstig-On-Ear-Kopfhörern den virtuellen Klängen gelauscht hat. Sogar ein 100-Franken-Kopfhörer wie Turtlebeach 350VR für 100 Franken liefert da deutlich mehr Bass. Der grösste Frust jedoch: Es gibt keinen Klinkenanschluss mehr bei der Vive Pro! Heisst: Es gibt nur drahtlose Audio-Alternativen. Und das ist angesichts des hohen Preises doch ein gewaltiger Frust, unabhängig davon, ob man die neue Vive nun als Enthusiast oder als Entwickler kaufen möchte. Die eingebauten Hörer lassen sich über zwei innere Torx-Schrauben entfernen.

Anzunehmen ist, dass HTC zusammen mit den neuen SteamVR-Tracking-2.0-Sensoren Ende Jahr noch ein komplettes Set herausbringt. Setzten die bisherigen Lighthouse-Tracker noch auf zwei Basisstationen, kann das neue System für die raumfüllende Spielerfahrung auf bis zu vier Einheiten erweitert werden. Wer also zufällig eine grosse Loft mit einer Spielfläche von 10 × 10 Metern, also 100 Quadratmetern, sein Eigen nennt, kann sich freuen. Möglich scheint, dass die neuen Laserboxen weniger von Ausfällen betroffen sein könnten, weil auch die inneren Drehmotore überarbeitet werden. Noch wird nichts davon im Shop zur Vorbestellung aufgeführt.

Einen kompatiblen Wireless-Funkadapter wie TPCast gibt es übrigens ebenfalls noch nicht, aber HTC hat schon im Januar bekannt gegeben, mit Intels WiGig-Technologie im dritten Quartel 2018 eine neue Lösung auf den Markt zu bringen. Also ist auch hier noch etwas Geduld gefragt.

Neue Controller geplant

Gut zu wissen: Valve arbeitet seit 2016 an einer eigenen Controllerlösung, lässt sich dafür aber wie immer sehr viel Zeit. Dabei handelt es sich um eine Gestensteuerung, die über den Handrücken befestigt wird und deren Steuerungselemente (Trackpad, Buttons) sich auf der Hand-Innenseite befinden. Durch das genaue Vive-Tracking lassen sich sämtliche Fingerbewegungen erfassen. Doch genug der Vorfreude auf Dinge, die es noch nicht gibt.

Kurz: Wer zum ersten Mal eine HTC Vive will, wartet eventuell sogar besser auf die neuen Controller und die verbesserten Tracking-Stationen. Beim Schreibenden hat sich schon nach drei Monaten eine Lighthouse Base Station verabschiedet, die HTC aber schnell über den technischen Support in den Niederlanden ersetzt hat.

Die HTC Vive Pro in der reinen Brillen-Ausgabe ist nicht die HTC Vive für den Enduser, der nur gelegentlich in die VR abtaucht. Wer täglich mit der HTC Vive spielt und sowieso schon das ganze Setup hat (und keinen Ferienausflug plant), wird mit der Vive Pro einen tollen Ferrari als Ersatzwagen in der VR-Garage haben. Einsteiger, die gerne eine HTC Vive hätten, sollten sich einige Monate gedulden, bis HTC die weiteren Hardware-Upgrades auf den Markt bringt. Ansonsten wird spätestens dann das alte Zubehör deutlich günstiger zu haben sein.


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