Wir haben Huaweis «Herbst-Flagship» getestet, welches wohl eines der Letzten, wenn nicht DAS Letze Phone mit eigenem Prozessor sein dürfte. Trotz Google-Ärger erwarteten wir das Gerät mit Spannung – ob unsere Erwartungen erfüllt wurden, lesen Sie in unserem Test. [...]
Am 22. Oktober – etwas später als gewöhnlich – stellte Huawei sein neues Vorzeige-Smartphone, das Mate 40 vor. Generell besteht die Mate Serie aus 3 Geräten, dem Mate 40, Mate 40 Pro und dem Mate 40 Pro+, wobei Letzteres dem asiatischen Markt vorbehalten ist und meiner Einschätzung zufolge auch bleiben wird. Das Gerät, welches in den Farben Schwarz und «Mystic Silver» gehalten ist, wird in den kommenden Tagen erscheinen – es ist allerdings bereits vorbestellbar zum Preis von 1199 Euro. Unser Testgerät ist in Mystic Silver gehalten. Kurz zu den technischen Details: Huawei spendiert dem Mate 40 seinen neusten – und aufgrund der derzeitigen Handelsstreitigkeiten mit den USA wohl auch letzten – Prozessor, dem Kirin 9000. Es ist die erste 5G-CPU, die im 5-Nanometer-Verfahren gebaut wurde. Zudem kommt ein Arbeitsspeicher von 8 GB RAM und 256 GB Nutzspeicher. Das sind gute Werte, die einem Spitzenphone gerecht werden – dennoch scheint es, als seien die Zeiten des Gigantismus etwas vorbei bei Huawei.
Optik / Haptik
Charakteristisch für die Mate-Serie ist das an den Seiten stark gebogene Display. Das Mate 40 Pro bildet hier keine Ausnahme, im Gegenteil. «Horizon» nennt sich dieses Display-Format, dass links und rechts des Displays durch ein Gefälle von 88 Grad auffällt. Clever: dadurch sieht es so aus, als hätte Huawei auch die letzten Millimeter an Display-Rand weggekriegt. Dem ist nicht ganz so, einen minimalen Übergang von Display zu Body gibt es noch – nur sieht man diesen dann logischerweise nicht, da die Biegung des Displays so stark ist. Man muss das Gerät zur Seite drehen und genau schauen, wenn man den halben Millimeter schwarzen Glases finden will. Ansonsten wird das Display nur durch ein doppeltes, freistehendes «Punch Hole» ergänzt, welches die Front-Kameras beherbergt. Rückseitig ist das Kamera-Array wie schon beim Mate 30 Pro rund und mit 4 Linsen bestückt. Aufgrund des optischen Zooms steht das Array leicht aus dem Gehäuse heraus, allerdings nicht so wie etwa bei einem S20 Ultra. Zudem liefert Huawei im Lieferumfang noch eine transparente Schutzhülle mit, welche dies kompensiert.
Diese Hülle mochte ich im Test allerdings gar nicht anbringen. Aus zwei Gründen: das Gerät ist ziemlich groß. Dank den abgerundeten Kanten ist es zwar leichter zu bedienen als wenn es ein gerades, flaches Display wäre – dennoch kommt man an seine Grenzen. Die Hülle macht dies noch schwieriger. Der zweite Grund ist die Rückseite. Huawei verwendet auch hier ein weiches, gebürstetes Alu-Material, welches einfach angenehm in der Hand liegt. Da stört eine speckige Plastikhülle nur. Last but not least findet sich auf der rechten Seite noch einen kleinen Power-Button und eine etwas größere Lautstärke-Steuerungstaste. Kleiner Tipp am Rande: mit einem sanften klopfen auf den rechten Bildschirmrand öffnet sich das Lautstärkemenü ebenfalls.
Display und Akku
Das Display kommt mit einem gewaltigen 6,76 Zoll OLED-Display daher und löst mit 2772×1344 Pixeln und 456 ppi auf. Die maximale Helligkeit beläuft sich auf 781 Nits, was ein beeindruckender Wert ist. Somit ist man auch vor einer gewissen Sonneneinstrahlung geschützt, respektive vor einem aufgrund der Sonneneinstrahlung unlesbaren Display. Dafür geht Huawei bei der Bildwiederholfrequenz auf Kompromisskurs. 90 statt bei den Flaggschiff-Geräten zunehmen verbreiteten 120 Hertz treffen wir hier an. Ein Kompromiss zwischen User Experience und Akkulaufzeit, meint Huawei. Vor allem der Modus «Dynamisch», der selbständig die Frequenzrate anpasst, passt gut in diesen Kompromiss. Stellt man nämlich auf Ultra erhöht sich der Akkuverbrauch merklich. Darauf wird man schon im Menü aufmerksam gemacht – im Test quittierte das Mate 40 Pro bei intensiver Nutzung auf «Ultra» nach rund 8,5 Stunden den Dienst. Rund 10 waren es im «dynamischen» Modus. Das ist dann absolut akzeptabel, wenn man bedenkt, dass die Intensität des täglichen Gebrauchs wohl weniger hoch ist als in diesem Test. Ein guter Ansatz, um Energie zu sparen ist übrigens die neue Eyes-on-Display-Technologie. Dazu lesen Sie später mehr – im Kapitel «Kamera».
Das Hauptaugenmerk gilt dann auch eher dem Ladevorgang. 66 Watt am Kabel, 50 Watt über den Qi-Standard. Manch ein Besitzer eines fruchtigen Mitbewerbers macht da große Augen. 30 Minuten sind nötig, um von 0 auf rund 80 Prozent Ladestand zu kommen – mit spürbarer, aber nicht unangenehmer Erwärmung des Geräts.
Kamera – der Fokus liegt auf dem Fokus
Das Signature-Feature eines Huawei Edel-Phones ist aber seit jeher die Kamera (oder zumindest seitdem endgültigen Kamera-Durchbruch beim P20 Pro). Nebst einer starken Performance soll es auch neue Features geben. Hier setzt Huawei schon auf der Front an. Wie bereits erwähnt, sind auf der Vorderseite zwei Linsen anzutreffen. Ein 13 MP Weitwinkel und eine mit Tiefensensor. Nebst der Gesichtserkennung setzt Huawei auf die Eyes-on-Display-Technologie. Neu schaltet sich das Display automatisch ein, wenn der Sensor die sich nähernden Augen erkennt. «Always-on» und der damit einhergehende Batterie-Verschleiss braucht es also nicht mehr.Auf der Rückseite gibts einen 50 Megapixel Weitwinkel, einen 20 MP Superwide und eine 12 MP Telefoto-Kamera mit fünffach optischem Zoom. Ein leicht vergrößerter Sensor sorgt vor allem bei schlechtem Licht für Abhilfe.
Mir stachen beim Testen der Kamera vor Allem drei Features ins Auge: Da ist zum einen der «wandernde Fokus» beim Filmen, genannt «Motivverfolgung». Filmt man beispielsweise sein Haustier, dann kann man der Kamera-Software den kleinen Fifi als Objekt, dass es stets und ständig zu fokussieren gilt. Das ist in der Tat cool. Der Fokus folgt dem sich bewegenden Objekt automatisch und passt sich selbst und die Schärfe bei jeder Aufnahme an. Natürlich lässt sich hier noch ein gewisser «Nachzugsmoment» feststellen, speziell bei schnellen Richtungswechseln, aber insgesamt doch sehr zuverlässig.
Ein zweites Feature ist die automatische Winkelanpassung. Die Software registriert bei der Personenfotografie selbständig, wenn sich eine weitere Person ins Bild quetscht und zoomt automatisch raus, sodass die zu fotografierenden Personen schön eingemittet werden.
Ebenfalls ist mir die ausgebaute Zeitlupen-Funktion aufgefallen. Vierfache bis 128-fache Geschwindigkeit ist hier möglich – inklusive automatischer Bewegungserkennung. Kein Bewegungsdetail eines Usain Bolt Sprints bleibt so unbemerkt.
Sound
Bei einem Smartphone-Test geht heutzutage eine zentrale Funktion fast vergessen – so selbstverständlich und uninteressant ist sie. Die Rede ist vom Telefonieren. Wie Richard Yu an der Präsentation vor einigen Wochen gesagt hat, hat Huawei sowohl in der oberen Displaykante wie auch unten Lautsprecher verbaut – Stichwort Stereosound. Nun: Es hört sich schon ziemlich gut an. Der Stereosound kann mit Bluetooth-Speaker der unteren Preisklasse absolut mithalten. Der Bass ist ziemlich «punchy» und ist überschlägt auch bei höherer Lautstärke nicht. Dennoch ist das wohl eher nicht primär zum Musikgenuss da. Die Lautsprecherfunktion beim Telefonieren profitiert aber ungemein davon – und verhindert blecherne Klänge.
Petal Maps braucht noch Zeit
In diesem Test soll es primär um das Huawei Mate 40 Pro gehen – was es ja wohl auch tut. Dennoch juckte es mich in den Fingern, was die an der Keynote angekündigten Maps-Lösung anging. Denn das ist nach wie vor ein Manko bei den Huawei Phones – die App-Vielfalt. Wobei man differenzieren muss: die Vielfalt an bereits unter Android bekannten Apps. Zwar wurden Apps bereits in großer Zahl in Huaweis App Gallery transferiert, oder sind als APK mittels Petal Search zu haben. Aber noch nicht ganz alle – vor allem bei Petal Search finden sich zwar viele Apps, die sich dann herunterladen lassen, nach dem ersten Start auf einem Huawei Phone aber auf die fehlenden Google Play Dienste verweisen. Oftmals funktionieren sie zwar trotzdem – manchmal aber nur buggy oder eben halt nicht. So konnten wir etwa bei der App unserer Kollegen von 20 Minuten feststellen, dass die App beim Antippen einzelner Artikel manchmal nicht oder nur träge reagiert. Auch mit dem direkten Teilen von Bildern mit dem Story-Mode von Instagram hatten wir unsere Probleme (Feed ging problemlos) – und Google Fotos fehlt uns. Dennoch sei gesagt, dass Facebook, WhatsApp, Spotify, SBB und viele andere bei Schweizern beliebte Apps ihren Dienst klaglos tun.
Eine wichtige App aus dem Hause Google (wohl sogar DIE wichtigste App aus dem Hause Google) wollte Huawei so schnell wie möglich aus den Köpfen der Kunden kriegen – Google Maps. Deshalb hat man sich die GPS-Legenden von Tomtom zur Seite geholt, um eine eigene Kartenlösung zu entwickeln – Petal Maps. In einem kurzen Test lässt sich feststellen: die Gestensteuerung ist schon ziemlich cool. Man braucht nicht mehr auf dem Display «herumzupatschen» um Einstellungen vorzunehmen – vor Allem, wenn die Aufmerksamkeit dem Verkehr gelten sollte. Allerdings ist klar, dass sich die App in Details noch entwickeln muss. Vor Allem die Integration der ÖPNV-Fahrpläne fehlt mir noch – aktuell ist es doch eher etwas für Autofahrer. Allerdings hat die App schon so kurz nach Release sehr viele Daten gespeichert und das Straßennetz der Stadt Winterthur (wo die App getestet wurde) ist korrekt abgebildet. Daher wäre es aktuell etwas unfair, Petal Maps mit Google Maps zu vergleichen – Petal Apps hat Potenzial, braucht aber noch Zeit.
Ein weiteres Feature rundet das neue Smartphone von Huawei ab – nämlich Huawei Share. Besitzt man ein Huawei Mate X Pro Laptop (2019 oder neuer), lassen sich über NFC sämtliche Daten vom Handy ohne zusätzliche Software auf den Laptop übertragen – drag & drop. Es öffnet sich ein kleines Fenster auf dem Notebook-Bildschirm, in welchem der Smartphone-Bildschirm 1:1 dargestellt und live über die Notebooktastatur gesteuert werden kann. Praktisch und cool.
Fazit und Bewertung
Das Mate 40 Pro als Smartphone ist nicht nur über jeden Zweifel erhaben, es ist ein richtig gutes Phone. Die Kamera, die Speaker, auch optisch gefällt das neuste Baby der Chinesen. Klar ist aber, dass es aktuell noch eine kleine Umgewöhnungsphase braucht, auch wenn der Kompatibilitätsgrad bereits viel höher ist als noch beim Mate 30. Vor allem für Hardcore-YouTuber oder sonstige Google Apps.
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