Huawei bringt ein eigenes Klapp-Smartphone und verdoppelt damit das Angebot auf dem Markt. Das ist auch gut so, denn das Konzept ergibt Sinn. Bei der Ausführung geht noch mehr. [...]
Die Smartphones haben sich eingependelt. Schaut man auf das Design und die Datenblätter moderner Geräte, findet man neben dem Namen nur noch wenige Unterschiede zwischen den einzelnen Modellen. Anders sieht das bei den Foldables aus, also den faltbaren Smartphones. Hier experimentieren die Hersteller noch nach Lust und Laune und versuchen, das ideale Format zu finden.
Bisher sind zwei große Archetypen aus dieser Experimentierfreude herausgegangen: Das Smartphone, das sich zu einem Tablet aufklappen lässt, und das Smartphone, das sich zusammenklappen lässt. Beim Huawei P50 Pocket handelt es sich um die letztere Variante.
Ein großzügiges 6,9-Zoll-Display wird in der Mitte zusammengefaltet und somit quasi-quadratisch. In dieser Form ist das P50 Pocket natürlich dicker als ein reguläres Smartphone, hat aber eine deutlich kleinere Fläche, was vielen Hosentaschen zugutekommen sollte. Dazu kommt, dass klappbare Handys schlicht einen gewissen Coolnessfaktor haben, spätestens seit dem legendären Motorola Razr.
Den Coolnessfaktor versucht Huawei mit ausgefallenen, aber vergleichsweise dezenten Designs zu verstärken. Neben zwei relativ unauffälligen Modellen in Schwarz und Weiß/Silber (jeweils leicht mit Relief-Mustern verziert) gibt es noch die deutlich extrovertiertere Variante in Gold. Auch diese ist mit einem Relief verziert, das mit seiner Form an Federn oder Flügel erinnern soll. Klar ist: Die Geschmäcker werden sich daran scheiden. Für mich persönlich sieht das Pocket in Gold aus der Distanz hübsch aus, wirkt aber in der Hand weniger wertig als man aus der Ferne vermuten würde.
Im Vergleich zu den klassischen Klapphandys geht das Auf- und Zuklappen beim Pocket etwas weniger geschmeidig, da deutlich grösser. Auch der sichtbare Falz in der Mitte ist durchaus noch vorhanden und manchmal fühlt es sich so an, als würde das Pocket nicht ganz auf 180 Grad aufklappen. Dafür beeindruckt das hervorkommende Riesendisplay umso mehr.
Displays
Ebendieses Display überzeugt größtenteils. Mit 6,9 Zoll ist es an der oberen Grenze des Praktischen und für Nutzer mit kleinen Händen wohl etwas zu viel des Guten. Qualitativ gibt es hingegen nichts zu bemängeln. Die Farben sind satt, Helligkeit gibt es genug, und mit einer Bildwiederholrate von 120 Hz dürfen auch Fans von supergeschmeidigen Übergängen sich freuen.
Ebendiese Bildwiederholrate lässt sich zudem anpassen. In drei Modi kann man zwischen 60 Hz zum Energiesparen, 120 Hz für maximale Power oder einem Automatik-Modus wählen, der standardmäßig auf 120 Hz läuft und bei kurzer Inaktivität drosselt.
So oder so gedrosselt wird das Display bei starker Erhitzung, was gerade bei Games mühsam sein kann. Bei der Auflösung wählt Huawei mit den ungewöhnlichen 1188 × 2790 Pixeln ein Seitenverhältnis von 9:21, was dem Kinostandard entspricht und bei Smartphones derzeit nicht unüblich ist.
Einen direkten Vergleich in Sachen Formfaktor gibt es für das Pocket nur einen: Das Galaxy Z Flip 3 von Samsung. Und in Sachen Display kann Huawei gegenüber Samsung besonders punkten. Das P50 Pocket lässt sich nämlich komplett flach zusammenfalten, ganz ohne Spalt am Scharnier. Zwar wird das Pocket damit nicht wirklich dünner als das Flip, aber es sieht massiv besser aus.
Bestimmt haben Sie bemerkt, dass der Titel dieses Abschnittes «Displays» im Plural ist. Denn genau genommen hat das P50 Pocket ein zweites Display auf der Außenseite. Allerdings handelt es sich hier nicht um ein vollwertiges Display, sondern mehr um ein Assistenzsystem. Funktional gesehen ist das Zusatzdisplay im Prinzip eine kleine Smartwatch, die in das Gehäuse eingelassen ist. Im zugeklappten Zustand zeigt es die Uhrzeit, Benachrichtigungen und diverse Widgets, die nach Geschmack angepasst werden können.
Praktisch: Mit dem Zusatzdisplay können Sie Selfies mit der Hauptkamera schießen und das kleine Display als Hilfe benutzen.
Ausstattung und Leistung
Technisch gesehen ist das P50 Pocket mit dem regulären P50 und somit den meisten anderen Android-Spitzengeräten vergleichbar. Das Foldable wird mit dem Snapdragon-888-Chipsatz ausgeliefert und bietet entsprechend etwa die gleiche Leistung wie andere Modelle mit dem gleichen Chipsatz. Speichervarianten gibt es nur drei:
- 256 GB Nutzspeicher mit 8 GB RAM
- 256 GB Nutzspeicher mit 12 GB RAM
- 512 GB Nutzspeicher mit 12 GB RAM
Wobei wir aktuell nur die Varianten 512/12 und 256/8 auf dem Schweizer Markt finden konnten. Interessant ist dabei, dass sich der Speicher des P50 Pocket erweitern lässt, was bei aktuellen Smartphones nicht mehr so üblich ist. Leider unterstützt das Pocket nur Nano-Memory-Karten und nicht die weitaus verbreiteteren microSD-Karten, was den Nutzen etwas schmälert. Allerdings kann man mit dem 512-GB-Modell und einer großen Speicherkarte sein P50 Pocket problemlos mit Speicherkapazitäten auf PC-Niveau aufrüsten, sofern man das braucht.
Bei der sonstigen Ausstattung gibt es keine großen Überraschungen. Auffallend ist besonders das fehlende 5G-Modul, das aufgrund der Handelsstreitigkeiten zwischen den USA und China nicht verwendet werden kann.
Der Akku ist mit 4000 mAh eher knapp gehalten für so ein großes Gerät. Das macht sich dann auch im Alltag bemerkbar: Das P50 Pocket ist nach einem Tag durchschnittlicher Nutzung ziemlich am Ende. Bei wenig Nutzung hält es dafür die Ladung sehr gut. Huawei setzt mit einem schnellen 40-W-Ladegerät eher auf schnelles Laden statt lange Laufzeit und ist damit bei weitem nicht alleine.
Der Fast-Charger lädt das Pocket dann auch in unter einer Stunde voll auf. Dabei bleibt zu hoffen, dass die Batterie das auch langfristig mitmacht, auch wenn man bedenkt, dass das P50 Pocket im Hochbetrieb vergleichsweise schnell heiß läuft.
Software
Auch die Software des P50 Pocket ist durch die handelspolitische Lage geprägt.
Huawei darf weiterhin nicht auf Google-Dienste zugreifen und muss dadurch eigene Systeme verwenden. Im Heimmarkt China verwendet Huawei dafür HarmonyOS, in Europa hingegen EMUI 12. Bei EMUI handelt es sich um ein Quasi-Android, das mit eigenen Features und einer eigenen Oberfläche (daher stammt auch der Name EMUI) ausgestattet ist. Die Oberfläche selbst ist etwa Android-Standard und verwendet die gleiche Steuerung, wie praktisch alle modernen Smartphones. Huawei orientiert sich noch etwas stärker an Apple, aber auch hier hat sich der Markt größtenteils homogenisiert.
Hinter die Oberfläche hat Huawei eigene Mobile-Services parkiert, welche die Dienste von Google ersetzen. Apps gibt es aus dem eigenen Store «AppGallery» und typische Google-Dienste wie Maps oder Suche sind durch eigene Apps (Petal Maps, Petal Search) ersetzt worden. Wer will, kann auch Apps aus alternativen App-Stores wie Amazon oder APK-Börsen installieren. Das ist jedoch mit weiterem Aufwand, und in gewissen Fällen mit Risiken verbunden.
Es ist auch nicht ganz einfach, komplett auf Google-Dienste zu verzichten, da diese in vielen Fällen einfach besser sind als die Konkurrenzprodukte. Weder Huaweis Suchfunktion (mit vielen Microsoft-Inhalten), noch der Kartendienst können den Google-Alternativen das Wasser reichen.
Daran beißen sich auch schon andere Tech-Giganten wie Apple und Microsoft die Zähne aus. Was Huawei liefert, ist okay, aber halt nicht spitze.
Noch störender als die Qualität ist die Sammelwut der Huawei-Apps und des Betriebssystems. Bei keinem anderen Smartphone muss man sich bei der Einrichtung durch so viele Datenschutzfenster durchtippen wie beim P50 Pocket. Nach einer regelrechten Sintflut von Datenschutzerklärungen und Sammelanfragen hat man genug oft auf «Später» getippt, dass das Wort sämtliche Bedeutung verloren hat.
Natürlich kann man es auch positiv sehen, dass Huawei so genau nachfragt, allerdings dürften die ganzen Dialogfenster für viele Nutzer eher verunsichernd wirken. Vor allem wenn dann Apps wie die Huawei-Cloud trotzdem Zugriff auf den Standort erhält, weil sie sonst gar nicht funktioniert.
Ebenfalls grenzwertig ist die schiere Masse an beworbenen Apps. Zwar sind viele davon nicht direkt als Bloatware vorinstalliert, werden aber während der Einrichtung des OS und der AppGallery relativ aggressiv beworben. So muss man beim Einrichten des Systems sämtliche vorgeschlagenen Apps manuell abwählen, damit sie nicht mitinstalliert werden. In der AppGallery muss man dann erneut gut aufpassen, damit man nicht plötzlich ein Dutzend neue Apps heruntergeladen hat.
Kameras
In Sachen Fotografie hat Huawei ein interessantes Feature parat. Das Kameramodul des P50 Pocket verfügt über einen UV-Strahler, der schwaches UV-Licht aussenden kann. Das wird für zwei Dinge verwendet: Erstens kann der Strahler im Dunkeln für interessante Effekte verwendet werden. Zweitens ist ein Sonnencreme-Prüfer eingebaut. Damit können Sie testen, wie gut Sie Ihre Sonnencreme verteilt haben. Das ist so eine Funktion, die anfangs lustig klingt, aber eigentlich genial ist.
Neben dem UV-Strahler bekommt man mit dem P50 Pocket relativ übliche Kamerakost. Verbaut ist eine Dreifach-Kamera mit einem 40-Mpx-Weitwinkel, und einem 13-Mpx-Ultraweitwinkel für reguläre Fotos. Der zusätzliche 32-Mpx-Weitwinkel wird für den UV-Trick gebraucht. Im vierten Kreis des Kameramoduls ist das Blitzlicht verbaut.
Als Selfiekamera gibt es 10,7 Mpx mit brauchbarer Qualität und dem typisch asiatischen Beauty-Filter (ausschaltbar). Wirklich wichtig ist diese Frontkamera aber nur selten, denn dank dem Zweitdisplay im Deckel kann man problemlos Selfies mit der viel besseren Hauptkamera machen.
Überzeugen kann vor allem die Hauptkamera, welche sehr solide Bilder liefert, die auf dem großen Display des P50 Pocket sehr schön zur Geltung kommen. Für meinen Geschmack sind die Bilder etwas überschärft.
Der Ultraweitwinkel leidet unter den gleichen Problemen wie die meisten anderen Ultraweitwinkel: Starke Verzerrungen und schwächere Details als die Hauptkamera. In Richtung Telebereich bietet das Pocket nur digitalen Zoom an. Dieser sieht bei zweifacher Vergrößerung noch sehr gut aus, danach geht es schnell bergab mit der Qualität.
Spezialmodi für Nachtfotografie, Tiefenunschärfe und Co. sind vorhanden und funktionieren größtenteils gut. Bei der Tiefenunschärfe griff der Algorithmus jedoch einige Male daneben, machte aber insgesamt einen soliden Job.
Videos nimmt das Pocket mit bis zu 4K/60p in sehr guter Qualität auf. Weltbewegendes ist nicht zu erwarten, aber auch keine größeren Schwächen. Für ein Smartphone, dessen Fokus klar woanders liegt, ist das auch in Ordnung.
Fazit
Während die Welt noch rätselt, ob wirklich jemand ein Smartphone braucht, das sich zu einem Tablet aufklappen lässt, ist das wirklich sinnvolle Foldable-Format eigentlich schon da. Wie schon beim Samsung Z Fold ist auch beim Huawei P50 Pocket das Konzept überzeugend.
Die Klappfunktion ist sinnvoll, cool und gut ausgeführt. Durchzogener sieht es bei der Ausstattung aus, die nicht immer überzeugen kann.
Allem voran hat Huawei nach wie vor ein Softwareproblem, das auch nach einigen Jahren ohne Google nicht wirklich kompensiert werden konnte. Das auch, weil diverse Probleme nicht wirklich ein Google-Problem, sondern auf Huawei selbst zurückzuführen sind.
Aber: Die Grundlage für ein starkes Produkt ist absolut gegeben.
*Luca Diggelmann ist Autor bei PCtipp.ch
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