Hyperautomation und Prozessorchestrierung im Griff

Veraltete Technologien erschweren die Prozessautomatisierung. Der richtige Technologie-Stack enthält Tools für Process Mining, Prozessmodellierung, Automatisierung sowie Echtzeitanalysen. [...]

Foto: GerdAltmann/Pixabay

Prozessautomatisierung spielt eine Schlüsselrolle für die Digitalisierung. Viele Unternehmen haben jedoch Schwierigkeiten bei der Umsetzung, nicht selten aufgrund veralteter Technologien. Lokale Automatisierungslösungen wie RPA oder iPaaS schaffen oft Abhilfe, allerdings können damit nur einzelne Aufgaben automatisiert werden.

Schwieriger wird es, End-to-End-Prozesse zu automatisieren und so die entstandenen Automatisierungsinseln zu verbinden. Dazu müssen verschiedene Systeme integriert und Abläufe abgebildet werden, die nicht nur aus einer einfachen Abfolge von Schritten bestehen.

Prozessorchestrierung und Hyperautomation

Hier kommt Prozessorchestrierung ins Spiel. Eine Orchestrierungsplattform ist ein digitaler Dirigent, der den Akteuren in Prozessen den Takt angibt, und dabei auch komplexere Muster wie parallele Abläufe, Abbrüche oder Time-outs beherrscht. Die Akteure sind die verschiedenen Endpunkte eines Prozesses, die einzelne Aufgaben ausführen. Dies können Menschen sein, aber es können auch ganz unterschiedliche Technologien integriert werden.

Anstatt nur kleine Teile eines Prozesses zu bearbeiten (z. B. die Bezahlung oder die Verbuchung einer Bestellung), automatisieren Unternehmen also den gesamten Prozess End-to-End. Auf dieser Grundlage können auch die Ist-Prozesse analysiert werden, um Schwachstellen und Engpässe zu identifizieren und zu beheben.

Das ganzheitliche Zusammenspiel verschiedener Automatisierungslösungen wird auch Hyperautomation (zu Deutsch: Hyperautomatisierung) genannt. Dieser Begriff ist Ende 2019 von der IT-Beratung Gartner entwickelt worden.

Sie versteht darunter einen geschäftsorientierten, strukturierten Ansatz, mit dem Unternehmen Geschäfts- und IT-Prozesse erkennen, analysieren und automatisieren. Die Beratung betont, dass für erfolgreiche Hyperautomation der orchestrierte Einsatz verschiedener Technologien, Tools oder Plattformen notwendig ist.

Der Technologie-Stack für Prozessautomation

Ein universeller Prozessorchestrator ist schon mal ein wichtiger Bestandteil eines Technologie-Stacks für die Prozessautomatisierung. Aber er ist nicht der einzige. Je nach den Anforderungen des Unternehmens gehören dazu auch Low-Code-Entwicklungsplattformen, KI- und Machine-Learning-Tools sowie Frontend-Technologien.

Insgesamt steht der Technologie-Stack für die Hyperautomation auf vier Säulen: Erkennen (Discovery), Gestalten (Design), Automatisieren (Automation) und Verbessern (Improvement) (Siehe Abb.). Für jede Säule gibt es eine Reihe unterschiedlicher Anwendungen.

Quelle: Camunda

Discovery: Die Prozesse erkennen

Die erste Säule ist Process Mining. Process Mining hilft zu verstehen, wie bislang nicht dokumentierte Prozesse eigentlich in der Realität ablaufen.

Tools wie Celonis oder Minit erfassen Informationen aus den IT-Systemen eines Unternehmens und liefern damit präzise, datengestützte Einblicke in die Prozessleistung.

Design: Neue, digitale Prozesse entwickeln

Die Modellierung von Geschäftsprozessen bildet die zweite Säule einer umfassenden Prozessautomatisierung. Nach dem Process Mining werden die ermittelten Prozesse abstrahiert, grafisch dargestellt und in einem formalen Modell beschrieben.

Dazu werden visuelle und intuitive Modellierungssprachen wie BPMN (Business Process Management and Notation) oder DMN (Decision Model and Notation) genutzt.

Beide sind standardisierte Ansätze zur Modellierung ausführbarer Prozessmodelle, Geschäftsregeln oder Entscheidungen. Der Vorteil dieser standardbasierten Sprachen ist, dass sie keine Anbieterbindung mit sich bringen, denn diese werden von der unabhängigen Object Management Group (OMG) verwaltet.

Beide Sprachen sind seit vielen Jahren im Gebrauch und erste Wahl bei der Transformation komplexer Geschäftsprozesse. Sie sind von allen an der Prozessautomatisierung beteiligten Personen leicht zu erlernen und können trotz ihrer Einfachheit komplexe Geschäftsprozesse End-to-End abbilden.

So werden auch Missverständnisse zwischen Fachabteilungen und IT-Teams verhindert, denn alle verstehen das Prozessmodell und können es aktiv mitgestalten. Hilfreich ist es deshalb, wenn das Modellierungstool eine Kollaborationsfunktion hat.

Automation: Der Kern des Ganzen

Die dritte Säule der Hyperautomation ist eine Automatisierung, die sich nicht auf isolierte Aufgaben beschränkt, sondern Workflows über mehrere Endpunkte hinweg behandelt. Ein ausgereifter Hyperautomation-Stack enthält eine Vielzahl unterschiedlicher Technologien, die grundlegende Aufgaben erfüllen:

  • Data-Streaming-Plattformen wie Apache Kafka verarbeiten Echtzeitdaten und leiten sie in das richtige System.
  • Front-End-Lösungen für verschiedene Aufgaben und Benutzergruppen vereinfachen die Zusammenarbeit und erleichtern die Dateneingabe in die entsprechenden Prozesse.
  • Robotic Process Automation (RPA) mit Tools wie UiPath oder Automation Anywhere automatisiert Aufgaben durch die Simulation von Benutzerinteraktionen. RPA eignet sich besonders für die schnelle Digitalisierung manueller Aufgaben, insbesondere wenn Systeme keine echte API bereitstellen.
  • Integrationsplattformen (Integration Platform as a Service, iPaaS) wie Zapier oder Power Automate verknüpfen Anwendungen mit ihren APIs (Application Programming Interfaces). Damit werden sehr einfache Workflows entwickelt, die beispielsweise Dateien synchronisieren, Daten sammeln oder Benachrichtigungen senden.
  • Low-Code-Plattformen wie Appian oder Pegasystems erleichtern die Entwicklung von Workflow-gesteuerten Anwendungen für die Prozessautomatisierung. Diese Technologie ist oft Bestandteil von iPaaS oder wird gemeinsam mit einer solchen Plattform genutzt.
  • Machine Learning (ML) ist eine Form der künstlichen Intelligenz (KI). Diese Technologie ermöglicht es Unternehmen, aus historischen Status- und Prozessdaten Prognosen und Entscheidungen abzuleiten. Allerdings erfordert ML ein großes Datenvolumen in hoher Qualität. Weitere Technologien, die einbezogen werden können, sind Computer Vision, Natural Language Processing (NLP) und Optical Character Recognition (OCR).
  • Wie im ersten Teil bereits beschrieben, ist eine entscheidende Komponente auch eine Prozessorchestrierungsplattform. Diese kann die verschiedenen Endpunkte in der Prozesskette verbinden. Unternehmen automatisieren damit nicht nur einen Teilprozess (z. B. Bezahlung oder die Verbuchung einer Bestellung), sondern auch komplexe Prozesse End-to-End.

Improvement: Überwachen und Optimieren

Hyperautomation ist eine fortlaufende Aufgabe. Selbst wenn ein Geschäftsprozess End-to-End modelliert, orchestriert und automatisiert ist, gibt es immer noch Raum für weitere Optimierungen. Änderungen der Marktdynamik oder Kundenerwartungen erfordern häufig Anpassungen der Prozesse.

Deshalb sollten Unternehmen eine Analyse-Lösung nutzen, die Einblicke in die tatsächliche Leistung der Prozesse bietet. Die meisten Tools verknüpfen BPMN-Diagramme mit Echtzeit-Analysen, um diese Einblicke zu ermöglichen.

Hyperautomation mit Prozessorchestrierung ist die Grundvoraussetzung für digitale, automatisierte Geschäftsprozesse im ganzen Unternehmen.

Jedes Unternehmen sollte einen Werkzeugkasten aufbauen, der die für seine Prozesse passenden Tools enthält. So erreicht es seine Ziele bei der Prozessautomatisierung und steigert die Effizienz der eigenen Geschäfte.

*Bernd Rücker ist Mitgründer und Chief Technologist von Camunda, einem Anbieter von Software zur Prozessorchestrierung. Als passionierter Softwareentwickler hat er die Prozessautomatisierung von Unternehmen wie Allianz, Deutsche Bahn oder Deutsche Telekom unterstützt.

powered by www.it-daily.net


Mehr Artikel

Gregor Schmid, Projektcenterleiter bei Kumavision, über die Digitalisierung im Mittelstand und die Chancen durch Künstliche Intelligenz. (c) timeline/Rudi Handl
Interview

„Die Zukunft ist modular, flexibel und KI-gestützt“

Im Gespräch mit der ITWELT.at verdeutlicht Gregor Schmid, Projektcenterleiter bei Kumavision, wie sehr sich die Anforderungen an ERP-Systeme und die digitale Transformation in den letzten Jahren verändert haben und verweist dabei auf den Trend zu modularen Lösungen, die Bedeutung der Cloud und die Rolle von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Unternehmenspraxis. […]

News

Richtlinien für sichere KI-Entwicklung

Die „Guidelines for Secure Development and Deployment of AI Systems“ von Kaspersky behandeln zentrale Aspekte der Entwicklung, Bereitstellung und des Betriebs von KI-Systemen, einschließlich Design, bewährter Sicherheitspraktiken und Integration, ohne sich auf die Entwicklung grundlegender Modelle zu fokussieren. […]

News

Datensilos blockieren Abwehrkräfte von generativer KI

Damit KI eine Rolle in der Cyberabwehr spielen kann, ist sie auf leicht zugängliche Echtzeitdaten angewiesen. Das heißt, die zunehmende Leistungsfähigkeit von GenAI kann nur dann wirksam werden, wenn die KI Zugriff auf einwandfreie, validierte, standardisierte und vor allem hochverfügbare Daten in allen Anwendungen und Systemen sowie für alle Nutzer hat. Dies setzt allerdings voraus, dass Unternehmen in der Lage sind, ihre Datensilos aufzulösen. […]

Be the first to comment

Leave a Reply

Your email address will not be published.


*