Modern Work heißt jetzt Hybrid Work – und sonst ändert sich nix? Im Gegenteil: Experten sehen einen Übergang zur neuen Normalität und fordern mehr Initiativen aus dem Management. [...]
Verfechter des klassischen Büros hatten es nicht leicht in den vergangenen zwei Jahren. Während sie in der ersten Coronawelle noch vorsichtig hoffen konnten, dass die Beschwörungen der „neuen Normalität“ genauso schnell wieder verschwinden würden wie der Geruch von Bananenbrot aus der heimischen Lockdown-Küche, konkretisierte sich mit jeder weiteren Welle der Eindruck, dass die Mitarbeiter die neu gewonnene Flexibilität wohl nicht mehr so ohne Weiteres aufgeben werden.
Doch genauso schnell dürften auch die Apologeten der neuen, universellen Freiheit, die das Büro schon als Relikt vergangener Zeiten sahen, von der Realität eingeholt worden sein: Denn nach der ersten Welle folgte schnell die Gegenbewegung, in der sich die Schreibtische wieder füllten, weil die Mitarbeiter genug von den eigenen vier Wänden hatten.
Die strikte Trennung der beiden Sphären Büro und Home-Office nahm in der Folge allerdings immer weiter ab, die Positionen wurden versöhnlicher und es setzte auch in der Diskussion eine „Hybridisierung“ ein. Das wiederum liefert einen willkommenen Anlass, darüber zu reden, wie wir als Gesellschaft Arbeit gestalten wollen, und zwar in Zeiten, in denen wir nicht müssen.
Einig darüber, wohin die Reise geht
Doch trotz dieser Dynamik sollte nicht der Eindruck entstehen, dass es keine klare Vorstellung in der Branche gibt, wie die Zukunft auszusehen hat. Im Gegenteil konkretisiert sich gerade eine Philosophie, hinter der sich Technologie-Provider genauso versammeln wie Berater, Softwareentwickler oder MSPs.
Diese heißt: Der Arbeitsort ist sekundär, es kommt künftig auf ganz andere Werte an, allen voran Freiheit und Flexibilität. Doch nur in Verbindung mit dem nötigen Vertrauen kann daraus der nötige „Sinn“ entstehen, der an die Stelle von Kontrolle tritt, wie Jens Reichardt vom IT-Dienstleister Spirit/21 im Rahmen des IDG Round Table „Hybrid Work“ feststellt:
„Es geht künftig nicht darum, Arbeitsmodelle anzuordnen, sondern über Sinn Anreize zu schaffen. Der Idealzustand wäre, dass der Mitarbeiter zu ausgewählten Zeiten gerne ins Büro geht. Das gelingt zum Beispiel mit Meetingräumen, in denen man sich wirklich wohlfühlt, oder mit Phoneboxen, die auch in belebten Offices Privatsphäre ermöglichen – und das alles braucht Platz, der auch durch Flexibilisierung entsteht.“
Für Mark-Oliver Schuller von CGI Deutschland hat Hybrid Work vor allem zwei Komponenten: eine organisatorische und eine psychologische. Schließlich sei es „natürlich erst mal befreiend, weltweit unabhängig voneinander an der Lösung eines Problems zu arbeiten. Doch nur wenn ich ein Identitäts- und Zugehörigkeitsgefühl vermittle, kann auch remote ein Team entstehen, anstatt eines Verbunds von Freelancern.“
Technik noch immer Thema
Die klassische Modern-Work-Frage „Technik oder Organisation?“ kann also mit einem klaren „Ja“ beantwortet werden. Alle Roundtable-Teilnehmer teilen dabei die Ansicht, dass funktionierende Technik eine Grundvoraussetzung für die optimale Employee Experience bildet. Denn nur weil die technischen Voraussetzungen in der Theorie gegeben sind, ist deren richtiger Einsatz noch lange keine Selbstverständlichkeit. Christian Malzacher von Bechtle betont, dass es nach wie vor die technischen Fragen sind, die bei den Systemhäusern ankommen. Insbesondere die Durchführung hybrider Meetings scheitert häufig noch immer an der richtigen Integration von Remote-Teilnehmern:
„Die richtige Infrastruktur ist eine Grundvoraussetzung für gelungene Meetings und Workshops“, so Malzacher. „Kameras, Mikrofone, Bildschirme und Whiteboards sollten so platziert und miteinander koordiniert sein, dass auch die remote arbeitenden Mitarbeiter richtig teilnehmen können. Nur so gelingt es, die Vorteile aus beiden Welten zu nutzen und langfristig hybride Konzepte zu etablieren.“
Und Martin Bauer von Cluster Reply ergänzt: „Produktive Meetings sind das A und O, unabhängig vom Arbeitsmodell. Ihre Durchführung ist definitiv ein Skill-Thema. Ein Workshop fühlt sich nicht unproduktiv an, wenn er hybrid ist, sondern wenn er schlecht organisiert ist.“
Studie „Hybrid Work 2022“: Sie können sich noch beteiligen! |
Zum Thema Hybrid Work führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multi-Client-Studie unter IT-Entscheidern durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, hilft Ihnen Frau Regina Hermann (rhermann@idgbusiness.de, Telefon: 089 36086 384) gerne weiter. Informationen zur Hybrid-Work-Studie finden Sie auch hier zum Download (PDF).Profil von Regina Hermann im CIO-Netzwerk |
Was ist mit Co-Working-Spaces?
Dass diese „beiden Welten“ durchaus dehnbare Begriffe sind und sein dürfen, darauf liegt ebenfalls ein Schwerpunkt der Diskussion. Denn für die Experten ist „Hybrid Work“ keineswegs nur die Verbindung von Home-Office und Büro. Es geht vielmehr um einen Meta-Zustand, der den ständigen Wechsel zwischen beiden Orten genauso einschließt wie Mischformen und Graubereiche. Gehören zum Beispiel Co-Working-Spaces eher zum „Home“ oder zum „Office“?
Auch Gregor Knipper vom Hardware-Hersteller Jabra findet, dass der Begriff „hybrides Arbeiten“ reflexartig häufig falsch verwendet wird: „Hybrid ist im Grunde schon die individuell beste Mischung aus Arbeit im Büro und von wo auch immer. Allzu oft haben Firmen hier nur ‚Home-Office‚ im Blick. Wir sehen vor allem Co-Working-Spaces als tolle Alternative. Diese inspirieren aufgrund ihrer oft außergewöhnlichen Architektur, wirken durch die bunte Mischung ihrer ‚Co-Worker‘ als Impulsgeber und ermöglichen neue Kontakte zu anderen Unternehmen.“
Das Büro steht laut Roundtable-Teilnehmern insgesamt vor einer Redefinition, zumindest wenn es langfristig überleben will. Nachdem die Zusammenarbeit aus der Ferne in Zukunft noch selbstverständlicher sein wird, sind die Unternehmen gefragt, Büros in Orte zu verwandeln, in denen das Zugehörigkeitsgefühl gefördert wird. Das geht nur mit Investitionen in die eigenen Räumlichkeiten. Unternehmen sollten Remote und Hybrid Work nicht dazu nutzen, nur ihren „Real Estate Footprint“ zu reduzieren, sondern auch Gemeinschaftsflächen aufbauen, die wirklich der Festigung der Firmenidentität dienen.
Am Ende bleibt der Mensch schließlich ein soziales Wesen und der Faktor Zufall, der aus einer Begegnung an der Espressomaschine schon mal eine zündende Idee hervorgebracht hat, muss weiterhin ermöglicht werden. Arbeitgeber sollten eingesparte Kosten in „Moments that matter“ investieren, also zum Beispiel Events und Teamtage oder auch bei der Unterstützung in wichtigen Lebenssituationen.
Unternehmen sollten in Employee Experience investieren
Für Martin Kraus von ServiceNow sollte daher auch die Employee Experience an erster Stelle stehen. „Wenn ich nicht wegen jedem Thema ins Personalbüro gehen muss, ist das schon eine große Verbesserung. Mitarbeiter sind es gewohnt, viele Dinge ohne direkte Interaktion und damit viel schneller zu erledigen.“
Kraus schlägt dafür die Bereitstellung eigener Arbeitnehmer-Apps vor, die mehr sind als einfache Desk-Buchungssysteme, sondern auch Intranet, soziales Netzwerk oder Informations-Hub. „Durch eine bessere Employee Experience entsteht überhaupt erst ein hybrides Arbeitserlebnis. Und wenn es wirklich notwendig ist, muss trotzdem immer noch auch die physische Besprechung möglich sein.“
Neben dem Büro als Sozialraum sprechen außerdem noch ganz andere, viel konkretere Gründe dafür, es mit der „Immer-und-überall-Kultur“ nicht zu übertreiben.
„Die neu entdeckte Freiheit sollte jetzt arbeitgeberseitig nicht dazu genutzt werden, schleichend das 24/7-Modell einzuführen“, betont Jens Reichhardt. Und Markus Grüneberg vom Identitäts- und Zugriffsmanagement-Spezialisten Okta betont:
„Routinen sind wichtig und deshalb bin ich kein Freund dieser absoluten Flexibilisierung, wie sie gerade stattfindet – auch gesetzgeberisch: Mühsam – und teils über Jahrhunderte – erkämpfte Arbeitnehmerrechte drohen dadurch wieder marginalisiert zu werden. Das beginnt bei der Arbeitsplatzergonomie und betrifft natürlich auch die Arbeitszeit. Das Aufsplitten der Arbeitszeit darf nicht gegen den ausdrücklichen Willen des Arbeitnehmers geschehen.“
Festzuhalten bleibt am Ende: Arbeit braucht manchmal auch örtliche Routine und jede Form von Flexibilisierung ist willkommen, solange sie nicht dogmatisch ist oder davon ausgeht, dass jeder Mitarbeiter gleichermaßen frei sein will. Stattdessen sind die Arbeitgeber gefragt, Identifikation und Sinnstiftung an die Stelle von Kontrolle zu setzen. Auf diese Weise nutzen sie die Vorteile beider Welten – auch wenn man nicht immer weiß, wo die eine beginnt und die andere endet.
*Florian Stocker ist Inhaber der Kommunikationsagentur „Medienstürmer“.
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