Im Interview: Martin Giesswein

Martin Giesswein machte eine Blitz-Karriere bei Nokia bis hin zum General Manager, verkaufte dann erfolgreich Immobilien.net an die Scout24 Group und ist heute in mehreren Projekten als Ein-Personen-Unternehmen (EPU) tätig. Er verrät im Interview, wie sich der Führungsstil der Corporate World gerade verändert, wie man erfolgreich verteilte Mitarbeiter führt und wie man als EPU erfolgreich ist. [...]

Nach einer Blitzkarriere bei Nokia ist der heute 42 jährige als EPU in Österreichs Startup Szene unterwegs.

Computerwelt: Martin, du hast über rund 10 Jahre eine Blitz-Karriere bei Nokia hingelegt. Warum hast du in der Corporate World nicht weiter gemacht, sondern dich für den Schritt in die Selbständigkeit entschieden?

Martin Giesswein: Schon während meiner Tätigkeit in der Corporate World habe ich versucht nebenbei unternehmerisch tätig zu sein. Nokia hat mir das sogar ganz offiziell in geringem Ausmaß erlaubt. Ich habe eine kleine Vereinigung gegründet, das Society Institute, wo es darum gegangen ist mit Experten zu besprechen was die Zukunft bringt und wie wir uns auf die Digitalisierung einstellen müssen. Oder wie sich das Führungsverhalten in großen Unternehmen ändern muss, damit man mit dislozierten Mitarbeitern, mit der Generation Y, und unterschiedlichen Gliedern der Gesellschaft zusammenarbeiten kann. Konzerne stehen vor der Herausforderung, in der internationalen Wirtschaft immer agiler reagieren zu müssen, aber die Strukturen dafür noch nicht zu haben.

Was tut sich denn deiner Erfahrung nach derzeit in den großen Firmen. Gibt es bereits Best Practices sich an die neue Arbeitswelt anzupassen und dislozierte Mitarbeiter einzubinden?

Meine Erfahrung ist dass sich Unternehmen im Bereich des neuen Arbeitens mehr und mehr anpassen. In den zwei Jahren in denen ich für Nokia in Deutschland gearbeitet habe, kam der Begriff der „Vertrauens-Arbeitszeit“ auf. Man stellt also Personen ein von denen man annimmt, dass sie eine gute intrinsische Motivation haben diesen Job in einem Konzern zu machen. Und dann ist es nicht mehr die Aufgabe, diese Personen zeit- oder ortsmässig zu kontrollieren, sondern nur mehr aufgrund der Leistung die sie erbringen. Da ist es so, dass man mit alt hergebrachten Mitteln wie dem variablen Gehalt und der Erfolgsbeteiligung bis hin zum Abgeben von Aktien an führende Mitarbeiter eine Situation schafft wo ein unternehmerischer Geist geweckt wird – und das funktioniert sehr gut. Traditionelle Führungs-Persönlichkeiten die noch in der „Command- and Control“ Welt der Achtziger und Neunziger-Jahre aufgewachsen sind haben es tendenziell eher schwer sich umzustellen und neuen Mitarbeitern diese Freiheit zu geben die sie sich wünschen. Das Führungsverhalten in der neuen Welt verändert sich zu einem Ermöglichen, bis hin zu einem Coachen der Mitarbeiter. Die Strategie des Unternehmens wird übersetzt in die Ziele der einzelnen Abteilung, so dass man das Gefühl vermittelt, dass alle zu einem Größeren beitragen. Das ist glaube ich sehr wichtig. Und die neuen Technologien als Grundlage dafür sind jetzt vorhanden, von Telefonkonferenzen bis hin zu mobilem Zugriff auf alle Daten des Unternehmens. 

Die zweite Entwicklung ist, dass sich auch das Marketing und der Umgang mit Kunden sehr verändert haben. Viele Marketiers mussten umlernen, um vom „Push“ wie gut das Unternehmen ist zu einem echten Dialog mit Kunden und Partnern zu kommen und eher darzustellen was der Nutzen für den Einzelnen ist. Diese Entwicklung ist sicher noch nicht abgeschlossen, wird aber durch mündige Kunden via Social Media sehr gepusht. Das ist eine sehr wohltuende Entwicklung weil es die Hoffnung in sich trägt, dass Unternehmen auf Augenhöhe mit Kunden und Partnern kommunizieren und das zu einem langfristigen und nachhaltigen Erfolg führt.

Ich möchte noch einmal auf die dislozierte Arbeitsweise zurückkommen. In wie vielen Unternehmen ist das tatsächlich schon ein ernsthaftes Thema, und wie weit geht das?

Ich glaube dass viele börsennotierte Unternehmen, vor allem jene mit Headquarter in Amerika diesbezüglich am Weitesten sind. Ich selber habe es so erlebt, als ich als Marketing Direktor CEE für ca 25 Mitarbeiter in 17 Ländern zuständig war. Es war gar nicht mehr möglich physisch zu führen, sondern wir mussten einen sinnvollen Mix etablieren aus E-Mail Kommunikation, Instant Messaging/Chatten und Management by SMS. Man musste es Mitarbeitern ermöglichen, Entscheidungen zu treffen die über ihren Bereich hinausgingen. Das hat viel mit Vertrauen zu tun, auch mit schnellem Reagieren und Immer-erreichbar-sein. Das ist die Voraussetzung damit disloziertes Arbeiten funktioniert. Das bedeutet aber nicht, dass man völlig enthoben ist von Reisen. Ganz wichtig bleiben teambildende Elemente, wie das monatliche Zusammentreffen und das persönliche Reden.

Das Tollste was einem Manager in so einer Organisation passieren kann, ist dass der Mitarbeiter auch ein wenig nach oben hin führt. ZB dass er sagt: Du kennst Dich in meinem Markt nicht so gut aus, ich verstehe aber die Unternehmens-Strategie die Du mir erklärt hast, und jetzt versuche ich sie eigenverantwortlich umzusetzen. Und wenn es etwas gibt wo ich anstehe oder wo ich etwas von dir brauche, habe ich die Möglichkeit das über Landesgrenzen hinweg auszudiskutieren und zu klären.

Du sprichst in erster Linie vom Management Bereich – glaubst Du dass sich diese Arbeitsweise auch in weniger verantwortungsvollen Positionen durchsetzen wird?

Ich spreche natürlich immer von einem Ausschnitt wo man von „White collar“ Arbeit spricht, also Personen die einen längeren Bildungsweg gehabt haben und intrinsisch motiviert sind Karriere zu machen oder einen guten Job zu machen. Die Grundaufgabe der Führungskraft ist es, solche Mitarbeiter zu finden die dann so zum Unternehmenserfolg beitragen. Das sind dann oft Personen die selber keine Führungs-Verantwortung haben, aber die ihre Aufgabe gut machen wollen. Diese Personen führen ja auch z.B. als Experte oder über Projekte – deshalb ist es ganz wichtig, in diesen virtuellen Organisationen den Leuten Aufstiegsmöglichkeiten oder neue Betätigungsfelder zu geben, ohne dass es um Management geht – eher im Sinne von Mastery: „Ich bin der beste Produkt-Manager in meinem Gebiet und werde deshalb von Kollegen gefragt und bekomme so Reputation und Sinnerfüllung“. Oder einfach, und das muss sehr propagiert werden in solchen dislozierten Organisationen, abgeschlossene einzelne Projekte im Gegensatz zu einer Prozess-Organisation. Und plötzlich steigt die Agilität des ganzen Unternehmens, auch wenn die Menschen nicht zusammensitzen.

Natürlich gibt hier auch Schattenseiten wo die Leute gar nicht Verantwortung übernehmen wollen, nicht genug ausgebildet sind oder nicht genug Unterstützung bekommen. Und dann gibt es auch Situationen wo Menschen stundenlang in Konferenzen hängen und sich nicht eingebunden fühlen und auch nichts beitragen können und dann via Social Media schreiben: „Herrlich, wieder so eine Telefon-Konferenz mit 2 Stunden intensivem Schlaf für mich“. Da ist es dann wichtig mit den Personen zu reden. Wir sind dann draufgekommen dass es viel besser wäre, diese Person die eine Experten-Rolle inne hatte, nur zu bestimmten Punkten kurz einzubinden. Da muss man sich permanent selbst adaptieren. Der Trend geht hin zu einem Beachten und Erlauben von Individualität.


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