Inklusion messbar machen

Unternehmen, die Vielfalt und Inklusion vorleben, genießen zahlreiche Vorteile. Sie gewinnen etwa junge Fachkräfte leichter als andere. Der soziale Aspekt wird auch im ESG-Reporting immer wichtiger. Ein aktuelles Whitepaper von myAbility und PwC gibt Empfehlungen, wie man Inklusion mit Daten stützen kann. [...]

Rund ein Viertel der Österreicher und Österreicherinnen zwischen 15 und 89 Jahren ist laut Sozialministerium im Alltag durch gesundheitliche Probleme eingeschränkt. (c) Pexels
Rund ein Viertel der Österreicher und Österreicherinnen zwischen 15 und 89 Jahren ist laut Sozialministerium im Alltag durch gesundheitliche Probleme eingeschränkt. (c) Pexels

Wer als Arbeitgeber oder Arbeitgeberin neue Talente gewinnen will, sollte Vielfalt anerkennen und Inklusion ermöglichen. Das belegt eine Studie der IU Internationalen Hochschule (IU), die deutschlandweit über 1.200 Auszubildende und Studierende befragt hat. Die Ergebnisse zeigen deutlich: 75 Prozent der angehenden Arbeitnehmenden ist es sehr oder eher wichtig, dass Unternehmen Maßnahmen zur Förderung von Diversity und Inklusion umsetzen. Das spricht dafür, dass Unternehmen, die diese Maßnahmen offen und transparent kommunizieren, einen klaren Wettbewerbsvorteil bei der Suche nach Bewerbenden haben.

Nur knapp ein Viertel der Befragten nehmen immer beziehungsweise meistens Informationen zu Diversity und Inklusion in Stellenanzeigen oder auf Unternehmenswebsites wahr. „Eine verpasste Chance für die Unternehmen, die ihre Aktivitäten dort nicht darstellen“, sagt Sonja Würtemberger, Professorin für Human Resource Management an der IU Internationalen Hochschule. Denn die Fachkräfte von morgen informieren sich am häufigsten auf Online-Jobportalen (52 Prozent) sowie Unternehmenswebsites (38 Prozent) über potenzielle Arbeitgebende – also über digitale Quellen, die Unternehmen direkt beeinflussen können.

„Unternehmen, die Diversity und Inklusion nicht nur kommunizieren, sondern auch leben, steigern ihre Anziehungskraft. Ein wesentlicher Faktor insbesondere im Wettbewerb um die Fachkräfte von morgen“, sagt Katharina-Maria Rehfeld, Professorin für Personalwesen an der IU Internationalen Hochschule. „Diversity ist ein Fakt, Inklusion das Ziel“, so Rehfeld weiter. „Nur wer nicht diskriminiert oder ausgegrenzt wird, kann sein volles Potenzial entfalten.“

Diversity macht den Unterschied

Für die Befragten zählen bei der Job-Wahl die klassischen Must-haves wie faire Vergütung, Arbeitsplatzsicherheit, Entwicklungsmöglichkeiten und flexible Arbeitszeitmodelle. Bei den Motivatoren liegen Chancengleichheit, Vereinbarkeit von Arbeit und Familie, Offenheit und Akzeptanz von Vielfalt sowie Sinnhaftigkeit der Arbeit vorn. Basierend auf dem Zwei-Faktoren-Modell des amerikanischen Psychologen Frederick Herzberg sind die sogenannten „Hygienefaktoren“ wichtig, um Unzufriedenheit zu vermeiden, während die „Motivatoren“ essentiell sind, um die Zufriedenheit zu steigern.

Am häufigsten liegt den zukünftigen Fachkräften dabei die Chancengleichheit (38 Prozent), unabhängig von Geschlecht, Familienstand, sexueller Orientierung, Herkunft oder Behinderung am Herzen. Interessant ist, dass die Barrierefreiheit mit sieben Prozent am seltensten genannt wird. Katharina-Maria Rehfeld: „Barrierefreiheit wird immer noch als etwas gesehen, das nur für wenige Menschen relevant ist. Der demografische Wandel und die alternde Gesellschaft zeigt uns aber etwas anderes: Barrierefreiheit wird für uns alle in Zukunft relevant sein. Eine Entwicklung, die wir im Moment noch ignorieren.“

Situation in Österreich

Rund ein Viertel der Österreicher und Österreicherinnen zwischen 15 und 89 Jahren ist laut Sozialministerium im Alltag durch gesundheitliche Probleme eingeschränkt – das entspricht etwa 1,9 Millionen Menschen, die nicht gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben. Auch der Zugang zum Arbeitsmarkt wird für diese Gruppe aufgrund einer Vielzahl an Barrieren eingeschränkt.

Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) mit den darin enthaltenen European Sustainability Reporting Standards (ESRS) schafft Transparenz, Messbarkeit und Vergleichbarkeit in puncto sozialer Nachhaltigkeit – und damit auch hinsichtlich Inklusion von Menschen mit Behinderungen. „ESG-Reporting im Bereich Inklusion bietet riesige Chancen: Verantwortliche können datenbasiert zeigen, welchen großen Impact sie durch ihre tägliche Arbeit erzeugen und finden mehr Gehör auf Entscheidungsebene“, so Wolfgang Kowatsch, Co-Geschäftsführer von myAbility, einer im Jahr 2009 von ihm und Gregor Demblin gegründeten Jobplattform für Menschen mit Behinderungen. „Die strategisch ausgerichtete Messung von Inklusion ermöglicht es, Veränderungen sichtbar zu machen und erleichtert die Planung und Steuerung von Projekten – ein großer Gewinn sowohl für die eigene Organisation als auch für alle Wirkungsbetroffenen.“

Eines ist klar: Trotz der wachsenden Aufmerksamkeit für ESG-Kriterien bleibt der soziale Aspekt (S) oft unbeachtet, während Umwelt (E) und Governance (G) im Mittelpunkt stehen. Hier macht die strengere Berichtspflicht sozialer Kennzahlen ab 2025 Druck. Unternehmen ab 500 Mitarbeitenden müssen dann ein umfassendes Reporting zu ihren Vielfalts-, Diversitäts- und Inklusionsmaßnahmen verfassen. PwC und myAbility veröffentlichten zu diesem Thema ein Whitepaper, in dem sie die Bedeutung der Inklusion von Menschen mit Behinderungen als entscheidenden Beitrag für ein erfolgreiches ESG-Reporting zeigen.

Großes Potenzial in ESG Reporting

Mit der Standardisierung der Nachhaltigkeitsberichterstattung werden erstmals Zahlen zur Inklusion von Menschen mit Behinderung verpflichtend. myAbility und PwC sind sich einig: Für Unternehmen bedeutet die Offenlegung entsprechender Kennzahlen Vorteile auf unterschiedlichen Ebenen. „Großunternehmen, die Menschen mit Behinderungen aktiv einbeziehen, tragen zur Schaffung einer inklusiven Gesellschaft bei“, sagt Barbara Redlein, Partnerin und DE&I Leader bei PwC Österreich. „Die Einführung von Inklusion in Unternehmensberichte ist notwendig, um Transparenz zu schaffen. Das hilft Unternehmen, klare Ziele zu setzen und den Erfolg ihrer Diversitätsmaßnahmen zu messen.“

Messkennzahlen verständlich erklärt

Laut den ESRS müssen Unternehmen ab 500 Mitarbeitenden über Aktivitäten im Bereich der sozialen Nachhaltigkeit bei vier Interessengruppen berichten: (1) eigene Belegschaft, (2) Arbeitskräfte in der Lieferkette, (3) betroffene Gemeinschaften und (4) Verbraucher und Verbraucherinnen. Die ersten beiden Gruppen beinhalten Informationen zu Arbeitsbedingungen, Arbeitsrechten, Gleichbehandlung und Chancengerechtigkeit sowie zur Beschäftigung und Inklusion von Menschen mit Behinderungen. Unternehmen müssen den Anteil von Menschen mit Behinderungen offenlegen und ihre Strategien zur Förderung von Vielfalt und Inklusion sowie zur Diskriminierungsbekämpfung darlegen. Die Repräsentanz von Menschen mit Behinderungen in der Belegschaft alleine zeigt aber noch nicht, wie inklusiv ein Unternehmen ist. „Um ein ganzheitliches Bild von Inklusion im Unternehmen zeichnen zu können, empfehlen wir von myAbility die Erhebung weiterer Kennzahlen in unterschiedlichen Unternehmensbereichen“, so Kowatsch.

Vier Bereiche

Die Experten und Expertinnen von myAbility und PwC legen im Whitepaper namens Fortschritt messbar machen: Inklusion von Menschen mit Behinderungen in Unternehmen Organisationen die Erhebung der Kennzahlen in den Bereichen Barrierefreiheit, Bewusstsein & Kompetenz, Human Resources & Recruiting sowie Netzwerke nahe.

Eine der Herausforderungen bei der Barrierefreiheit ist, dass sie in vielen Unternehmenssegementen relevant ist und somit oftmals keinem konkreten Bereich zugeordnet werden kann. Während Aspekte der baulichen Barrierefreiheit in den meisten Fällen im Facility Management angesiedelt sind, verantworten die Bereiche Kommunikation und/oder IT in der Regel die digitale Barrierefreiheit.

„Bewusstsein und Kompetenz ist insbesondere dann ein relevanter Themenbereich für die Erhebung von Kennzahlen, wenn es um eine inklusive Unternehmenskultur sowie die Offenheit für Menschen mit Behinderungen bei den Mitarbeitenden geht“, so das Whitepaper. „Hier zeigt sich, ob Wissen zu den Themen Inklusion, Behinderungen und Barrierefreiheit in der Belegschaft vorhanden ist oder ob potenziell Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderungen bestehen. Außerdem wird deutlich, inwiefern Mitarbeitende Bewusstsein für unternehmensinterne Maßnahmen zur Förderung von Inklusion und Barrierefreiheit entwickelt haben und diese vielleicht sogar vorantreiben bzw. mittragen.“ Hier sollte etwa angegeben werden, ob Trainings verpflichtend oder freiwillig durchzuführen sind, wie viele Personen der Zielgruppe tatsächlich daran teilgenommen haben und – sofern zutreffend – wie viele Personen eine Schulungsmaßnahme auch abgeschlossen haben.

Langfristige Ausrichtung

Dass es Sinn macht, Kennzahlen zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen in den Bereichen Human Resources und Recruiting zu erheben, liege laut myAbility- und PwC-Experten auf der Hand. Hier werden all jene Themen bearbeitet, die Mitarbeitende im Laufe eines Employee Lifecycles beschäftigen: der gesamte Bewerbungsprozess, die Onboarding-Phase, Weiterentwicklungsmaßnahmen wie Schulungen, die langfristige Bindung an das Unternehmen aber auch Angebote im Bereich des Gesundheitsmanagements.

Last but not least soll der Themenbereich Netzwerk mithilfe entsprechender Kennzahlen im Reporting ein Bild davon zeichnen, wie sehr die Inklusion von Menschen mit Behinderungen durch spezifische Ansprechpartner und Initiativen auf Mitarbeitenden-Ebene vorangetrieben wird. Wichtig sei es zu klären, inwiefern die Interaktion und Zusammenarbeit der verantwortlichen Personen auch formalisiert ist.

„Auch wenn die genaue Berichterstattung von sozialen Kennzahlen zunächst herausfordernd wirkt, lohnt sich dieser Schritt langfristig. Denn nur durch Offenheit, Transparenz und Ehrlichkeit können wir Inklusionsmaßnahmen vorantreiben und zur Chancengerechtigkeit in Unternehmen beitragen“, so Barbara Redlein von PwC abschließend.

Dieser Artikel ist in der Ausgabe transform! 02/2024 erschienen.


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