Intelligente Landwirtschaft ist alternativlos

Klimawandel und Krisen wie der Krieg in der Ukraine setzen die Landwirtschaft zunehmend unter Druck. Daher ist auch dieser Bereich gefordert, seine Digitalisierungsmaßnahmen zu beschleunigen. [...]

Mit hochauflösenden RBG-Sensoren kann der Gesamtzustand des Feldes, sowie Löcher in der Bepflanzung beurteilt und ein "Green Leaf Index" erstellt werden. (c) Huawei – Marvin Strauss
Mit hochauflösenden RBG-Sensoren kann der Gesamtzustand des Feldes, sowie Löcher in der Bepflanzung beurteilt und ein "Green Leaf Index" erstellt werden. (c) Huawei – Marvin Strauss

Auf dem oberösterreichischen Nussböckgut beobachten in einem Pilotprojekt Drohnen die Rebstöcke und erkennen dank Künstlicher Intelligenz, wann und wo der Einsatz von Wasser oder Pestiziden notwendig ist (siehe Bild oben). Mittels 5G übermitteln sie ihre Erkenntnisse in Echtzeit an die Winzer und Winzerinnen. „In der heutigen Zeit sind wir in der Landwirtschaft mit vielen Herausforderungen konfrontiert. Sie ist sehr arbeitsintensiv, Fachpersonal ist schwer zu bekommen und es ist wichtig, die Pflanzen so umweltfreundlich wie möglich zu behandeln“, sagt Beatrix Velechovsky, Weinbäuerin des Nussböckguts in Leonding. Andreas Reichhardt, Leiter der Sektion IV – Telekommunikation, Post & Bergbau des Bundesministeriums für Finanzen, ergänzt: „Das Projekt von Huawei und Dronetech mit Drohneneinsatz im Spargel- und Weinbau ist das erste in Österreich. Wir wollen mit einer Echtzeit-Bilderkennung den Pflanzenwuchs analysieren und damit die Ernte, den Output und die Qualität der Produkte verbessern.“

Mit hochauflösenden RBG-Sensoren kann der Gesamtzustand des Feldes, sowie Löcher in der Bepflanzung beurteilt und ein „Green Leaf Index“ erstellt werden. Ein Multispektralsensor hilft bei der Erstellung des „Normalised Difference Vegetation Index“, der Rückschlüsse darauf zulässt, wie gesund eine Pflanze ist.

In der zweiten Phase, genannt „Digital Sky“, steht die Entwicklung eines Shared-Economy-Konzepts für Drohnendienste im Fokus. Nutzer aus verschiedenen Sektoren, darunter Landwirte, Gemeinden, Unternehmen oder Privatpersonen, könnten die Drohnen und ihre KI-Lösungen für eine breite Palette von Anwendungen mieten: beispielsweise für die Inspektion von Solarpanelen, das Verkehrsmanagement oder die Abnutzungserkennung von Stromleitungen.

Die größte Herausforderung für 5G-Drohnen ist aktuell noch die Netzversorgung. Momentan sind 5G-Netze primär für den Endnutzer ausgelegt, der sich am Boden oder in Gebäuden befindet. Die Versorgung für die Drohnen, die teilweise in 50 Meter Höhe über den Feldern fliegen, müsse noch optimiert werden, so eine Aussendung von Huawei.

Das skizzierte Pilotprojekt zeigt einige jener Aspekte, die bei Smart Farming eine wesentliche Rolle spielen. So sehen etwa 68 Prozent der Landwirtinnen und Landwirte die Digitalisierung als große Chance für eine nachhaltigere Landwirtschaft, wie der deutsche Digitalverband Bitkom vor kurzem herausgefunden hat. „Die Dürre in diesem Sommer hat gezeigt: Der fortschreitende Klimawandel stellt die Landwirtinnen und Landwirte vor große Herausforderungen. In Zukunft werden noch mehr Betriebe direkt betroffen sein. Digitale Anwendungen können dabei helfen, wertvolle Ressourcen wie Wasser oder Dünger effizient und umweltschonend auszubringen“, erklärt Andreas Schweikert, Bereichsleiter Landwirtschaft beim Bitkom. „Die Digitalisierung ist ein wichtiger Hebel, um für mehr Klimaschutz in der Landwirtschaft zu sorgen.“

Mehr als sechs von zehn Landwirtinnen und Landwirten sehen eine große Verantwortung im Kampf gegen den Klimawandel bei sich selbst. Viele Betriebe setzen bereits auf digitale Technologien. Besonders umweltschonend ist beispielweise die teilflächenspezifische Ausbringung bestimmter Betriebsmittel. So setzen 23 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe solche Anwendungen zur zielgenauen Ausbringung von Pflanzenschutzmittel ein, bei Dünger sind es sogar 30 Prozent. Damit noch mehr Landwirtinnen und Landwirte digitale Anwendungen zur nachhaltigeren Bewirtschaftung einsetzen, brauche es unter anderem Investitionen in die Technik. Allerdings sehen 83 Prozent die hohen Investitionskosten als größte Hürde in der Umsetzung. Schweikert: „Landwirtinnen und Landwirte benötigen mehr Unterstützung bei der Inbetriebnahme digitaler Lösungen. Einerseits wirtschaftlich durch Investitionsförderung, andererseits technisch durch fachliche Beratung und Schulungen.“

Geballtes Knowhow & Forschung

Um das Wissen im Bereich Smart Farming zu vergrößern und die Forschung indirekt voranzutreiben, veranstaltet etwa die Universität für Bodenkultur (BOKU Wien) mit der Fakultät für Naturwissenschaften und Technik der Freien Universität Bozen (unibz) einen gemeinsamen Universitätslehrgang namens „Advanced Technologies in Smart Crop Farming“. Der Lehrgang, der Ende Oktober beginnt, soll eine multidisziplinäre Aus- und Weiterbildung durch eine Kombination von naturwissenschaftlichem, ingenieurwissenschaftlichem und praxisorientiertem Wissen bieten. Behandelt werden Themen wie Geographische Informationssysteme (GIS) und Fernerkundung, Sensortechnik, automatisierte Lenksysteme, landwirtschaftliche Software und Datenverarbeitung/Datenmanagement sowie insbesondere teilflächenspezifische Anwendungen (Feldbearbeitung und Ausbringung).

Professor Fabrizio Mazzetto, Kooperationspartner des Lehrgangs: „Wir organisieren als Forschungsgruppe Landtechnik und Smart Agriculture verschiedene Online-Seminare und vor allem praktische Übungen, die im Dezember 2022 als Blockseminar in unserem Agroforestry Innovation Lab am NOI Techpark in Bozen stattfinden werden.“ Die Seminare in Bozen beinhalten praktische Aspekte der Zertifizierungsverfahren, Stabilitätsprüfungen (für Traktor bzw. Traktor/Gerätekombination), Einblicke in die Optimierung von Sprühern im Obstanbau hinsichtlich der sogenannten Abdrifts sowie Einsatz von Robotern in Landwirtschaftsbetrieben.

Das Forschungsprojekt „AgriRegio“ unter Leitung der Technischen Universität Darmstadt widmet sich wiederum der widerstandsfähigen digitalisierten Datenerfassung und -nutzung in landwirtschaftlichen Betrieben sowie dem Schutz sicherheitskritischer Infrastruktur. Beim Smart Farming werden bekanntlich verschiedenste Sensoren, Geräte und Systeme eines landwirtschaftlichen Betriebs miteinander vernetzt. Dabei nutzen die Systeme Daten, die entweder von amtlichen Stellen abgerufen oder selbst erzeugt werden. Auf diese Weise können beispielsweise Bodeneigenschaften, Landschaftsstrukturen oder Verkehrswege in die Planung einbezogen werden. Smart Farming macht also ein ressourcenschonendes und wirtschaftlicheres Arbeiten möglich. Zudem können die Daten beim überbetrieblichen Logistik- und Bewirtschaftungsmanagement neue Handlungsoptionen zum Boden-, Pflanzen- und Klimaschutz liefern.
Dieser datenlastige Ansatz hat aber laut der TU Darmstadt auch Nachteile. Das gilt insbesondere, falls zur Datenspeicherung nur wenige oder ein einzelner Anbieter genutzt werden. Ausfälle oder Attacken auf die digitalen Lösungen könnten dann im Extremfall zu Produktionsausfällen und Versorgungsengpässen führen.

An dieser Stelle setzt AgriRegio an: Mithilfe standardisierter Open-Source-Technologien werden neue Anwendungen entwickelt, die Daten vor Ort erfassen und verarbeiten. Dabei kommen unter anderem Sensornetze zum Einsatz, die auch überbetrieblich miteinander kommunizieren. Die Datenübertragung erfolgt dabei per Funk und unabhängig vom Internet. Als Speicherort dient ein kostengünstiger Mini-Server namens „HofBox“, der auch Betriebs- und Geodaten sowie Fachinformationen vorhält. Durch die dezentrale Datenspeicherung soll eine widerstandsfähige digitale Infrastruktur entstehen, die auch bei Internetausfällen funktionstüchtig bleibt, so eine Aussendung der TU Darmstadt. „Ziel des Projekts AgriRegio ist es zu zeigen, dass sich auf regionaler Ebene ein flächendeckendes und vom Internet unabhängiges Sensornetz mithilfe von aktuellen, standardisierten Technologien des Edge Computings etablieren lässt“, sagt Professor Christian Reuter, der Koordinator des Projekts.

Neue Vetriebskanäle

Die Digitalisierung beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Feldarbeit. Auch in Marketing und Vertrieb sind smarte Tools gefragt. So ist knapp jeder fünfte Landwirtschaftshof in sozialen Netzwerken aktiv und kommuniziert dort mit den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Weitere 34 Prozent planen entsprechende Profile einzurichten oder diskutieren darüber. Das zeigt eine repräsentative Umfrage ebenfalls von Bitkom. „Vlogs, Fotos und Stories geben einzigartige Einblicke in die landwirtschaftliche Arbeit und helfen dadurch, die Wertschätzung für das Berufsfeld zu steigern. Gleichzeitig können Landwirtinnen und Landwirte ihre Produktionsbedingungen transparent darstellen und mehr Nähe zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern aufbauen“, erklärt Andreas Schweikert.

Der Einsatz digitaler Technologien fördert auch unmittelbar den Verkauf von Produkten. 56 Prozent der Landwirtinnen und Landwirte sagen, dass durch digitale Technologien neue Vertriebs- und Absatzmöglichkeiten entstehen. Das ist etwa im Bereich der Direktvermarktung der Fall. So gehen 70 Prozent davon aus, dass Direktvermarktung über soziale Medien in Zukunft weit verbreitet sein wird. Aktuell vermarkten sieben Prozent ihre Produkte bereits direkt über einen eigenen digitalen Hofladen oder eine Plattform, weitere 29 Prozent planen dies oder diskutieren darüber. „Verbraucherinnen und Verbraucher suchen beim Lebensmittelkauf zunehmend nach regionalen Produkten. Diesen Trend zur Regionalität können Landwirtschaftsbetriebe durch die Online-Direktvermarktung nutzen“, sagt der Bitkom-Experte. „Der neue Vertriebskanal kann eine gute, zusätzliche Einnahmequelle sein.“

Der Artikel erschien in der Ausgabe 03/2022 des Magazins transform!


Mehr Artikel

News

Bad Bots werden immer menschenähnlicher

Bei Bad Bots handelt es sich um automatisierte Softwareprogramme, die für die Durchführung von Online-Aktivitäten im großen Maßstab entwickelt werden. Bad Bots sind für entsprechend schädliche Online-Aktivitäten konzipiert und können gegen viele verschiedene Ziele eingesetzt werden, darunter Websites, Server, APIs und andere Endpunkte. […]

Frauen berichten vielfach, dass ihre Schmerzen manchmal jahrelang nicht ernst genommen oder belächelt wurden. Künftig sollen Schmerzen gendersensibel in 3D visualisiert werden (c) mit KI generiert/DALL-E
News

Schmerzforschung und Gendermedizin

Im Projekt „Embodied Perceptions“ unter Leitung des AIT Center for Technology Experience wird das Thema Schmerzen ganzheitlich und gendersensibel betrachtet: Das Projektteam forscht zu Möglichkeiten, subjektives Schmerzempfinden über 3D-Avatare zu visualisieren. […]

Be the first to comment

Leave a Reply

Your email address will not be published.


*