„Bin überzeugt, dass eine Person sowohl CIO, als auch CDO leben kann“  

DI Hermann Kaineder, MBA, ist CIO/CDO der Hammerer Aluminium Industries Holding GmbH. ITWelt.at sprach mit ihm über die Herausforderungen und Chancen, ein produzierendes Unternehmen zu digitalisieren. [...]

Hermann Kaineder, CIO der Hammerer Aluminium Industries Holding GmbH. (c) HAI
Hermann Kaineder, CIO der Hammerer Aluminium Industries Holding GmbH. (c) HAI

Was waren die Meilensteine auf dem Weg zu Ihrer aktuellen Position?

Bevor ich mit dem Informatik-Studium begann, hatte ich eine  kaufmännische Ausbildung absolviert. Informatik war damals sehr technisch, es gab dazu keine Alternative. Parallel zum Studium übte ich ab den späten 1980er-Jahren Support-Tätigkeiten bei Management Data aus, einem führenden Systemhaus in Österreich. 1997 wurde ich Geschäftsführer dieses Unternehmens. 2004 wechselte ich auf die Kundenseite und war zuerst bei der Voestalpine, dann bei der AMAG Austria Metall AG und schließlich bei der HAI Gruppe, wo ich die Rolle des CFO ausübte. Es folgten 12 Jahre als Geschäftsführer bei der Siemens Industry Software GmbH, einem tollen Unternehmen, das phantastische Technologie entwickelt. Ich wäre von dort nicht weggegangen, wenn mich nicht der Gedanke gereizt hätte, zum Abschluss meiner Karriere dorthin zu wechseln, wo ich unmittelbaren Einfluss auf den Standort habe, an dem ich lebe. Das ist bei HAI in Ranshofen der Fall, wo mich die Dynamik, mit der das Unternehmen weiterentwickelt wird, fasziniert

Was hat Sie am Anfang der Karriere an der IT fasziniert? 

Die PC-Welt stand gerade am Anfang. Ich war schon immer davon fasziniert, wie die Technik Probleme in der realen Welt lösen kann. Es geht etwa um die Frage, mit welchen Modellen ich ein produzierendes Unternehmen digitalisiere. Die Idee ist nicht neu, Stichwort CIM – Computer Integrated Manufacturing. Doch in den 1980er-Jahren hatte man weder die Rechnerleistung, noch die Speicherkapazität, um etwa einen digitalen Zwilling zu bauen. Mit den heutigen technischen Möglichkeiten ist das möglich. 

Heute sind wir in der Lage, Produkte und ganze Fabriken zu digitalisieren, indem ich ein digitales Abbild schaffe und damit all das simuliere, was ich in der Realität tun möchte. Man kann etwa Automobile oder Flugzeuge mit allen möglichen Materialeigenschaften mit allen grafischen Möglichkeiten in einem System dokumentieren. Es ist heute möglich, Crash-Tests virtuell durchzuführen. Ich kann zudem Produktionsabläufe, Durchlaufzeiten oder Änderungen in der Produktion simulieren. Welche Auswirkungen hat etwa der Einsatz einer leistungsstärkeren Maschine? Was bedeutet das für den gesamten Durchsatz meiner Anlagen? 

Was sind heute die größten Herausforderungen in der Produktion?  

Ich war im Laufe meiner Karriere bei vielen Firmen unterwegs und würde zwei Vorgehensweisen unterscheiden. Es gibt Firmen, die das beste Tool für den jeweiligen Bereich nutzen, aber keine Strategie dahinter haben. Das ist nicht gut, weil man damit viele Inseln schafft. Es gibt weiters Unternehmen, die verstanden haben, dass es notwendig ist, vertikal zu integrieren. Sie sorgen dafür, dass die richtige Information zur richtigen Zeit am richtigen Arbeitsplatz ist. Die horizontale Integration ist die Königsklasse. Die grundlegende Frage ist: Wie komme ich von einer Kundenanforderung zu einem Produktionsauftrag, der sicherstellt, dass die richtige Norm, das richtige Programm zur richtigen Zeit dort ist, wo das Teil produziert wird? Hier gilt es zu überlegen, welche Business-Objekte im Unternehmen vorhanden und wie diese zu managen sind, damit diese im gesamten Unternehmen nur jeweils einmal existieren und alle Mitarbeiter zugreifen können. Die horizontale Integration ist die schwierigste, weil sie nicht nur eine Abteilung betrifft, sondern in der Regel das gesamte Unternehmen. Firmen müssen bereit sein, in dieses Thema zu investieren, da es oft mit dem Wechsel von Systemen verbunden ist. 

HAI wurde 2007 gegründet. Konnte man gleichsam auf der grünen Wiese planen?

Die HAI wurde nicht auf der grünen Wiese gegründet, sondern war eine Herauslösung aus der AMAG. Der Walzteil ging an die Constantia, ein Teil ist bei der Familie Hammerer geblieben, woraus die HAI entstanden ist. Das heißt, dass man auch die IT-Systeme von dort übernommen hat. Die AMAG war bereits SAP-Kunde zu einem Zeitpunkt, als die SAP noch nicht in Österreich vertreten war. Wir haben eine lange gemeinsame Geschichte, die man auch am IT-System sieht. Dieses wurde immer wieder technisch migriert, aber nie richtig neu aufgesetzt. 

Wir machen jetzt eine SAP S/4HANA-Neueinführung. Ein Ziel ist es, nach Jahrzehnten des Customizings zum Standard zurückzugehen. Das Customizing war notwendig, weil das Standardsystem in der Vergangenheit von Haus aus nicht die Fähigkeiten hatte, die es heute besitzt. 

Bedeutet das, dass Sie ein umfassende Standardisierungsprojekt fahren?  

Wir haben ein Programm gestartet namens „Digital HAIway“. Dieses ist ein Prozess- und ein IT-Standardisierungsprojekt. Wir haben bereits ein CRM-System neu eingeführt, um die Kettezum Kunden zu schließen. Der erste GoLive ist bereits passiert. Ein weiteres Projekt, das kurz vor dem Go-Live ist, ist die Einführung eines Dokumentenmanagementsystems. Wir haben zudem ein Projektmanagement-Tool eingeführt und wir bilden jetzt alle unsere Prozesse in SAP Signavio ab. Wir gehen ganz generell weg von Dokumenten hin zu Daten. Excel produziert auch Dokumente, die IT-technisch nicht wirklich gut verarbeitbar sind. Wir haben außerdem Workday live genommen, ein Mitarbeiterdatenmanagement-System. 

Bildet das Dokumentenmanagementsystem die gesamte Lieferkette ab? 

Sobald ein Dokument in unser Unternehmen gelangt, wird es darin gemanagt – von der aktuellen Version bis hin zur Revisionierung. Das Besondere ist, dass wir die Dokumente zu Akten zusammenführen. Wir nutzen beispielsweise Kunden- und Lieferantenakte. Egal, wo man sich im Unternehmen befindet, egal von wo man hineinschaut, von SAP, vom CRM-System oder von der Produktion aus – man findet zu einem Kunden alle Informationen im Dokumentenmanagementsystem. 

Lieferanten können ebenfalls zugreifen? 

So weit sind wir noch nicht. Im ersten Schritt geht es darum, alles, was mit den Kundenanforderungen zu tun hat und sich innerhalb des Unternehmens abspielt, entsprechend durchgängig zu organisieren. Was Sie angesprochen haben, eine Plattform zu schaffen, auf die Lieferanten oder Weiterverarbeiter zugreifen können, ist der nächste Schritt.  

Wo befinden Sie sich auf Ihrer digitalen Reise? Was ist das Fernziel?

Wir stehen vor einer Wachstumsherausforderung. Das heißt, dass wir teilweise den Bedarf, den es auf dem Markt gibt, nicht restlos bedienen können. Gerade durch das Thema Elektromobilität sind die Anforderungen an Aluminium sehr stark gestiegen. Das Unternehmen hat massiv in Assets investiert, also Maschinen und Anlagen, um dadurch zu wachsen. Gleichzeitig sind wir mit dem Problem konfrontiert, dass wir nicht die Mitarbeiter bekommen, die notwendig sind, um das Wachstum zu bewältigen. Das heißt, dass wir anders arbeiten müssen. Wir sind gezwungen, unter anderem Suchzeiten zu verringern und die Daten automatisiert durchs Unternehmen zu führen. 

Bekanntlich steigt die Produktivität mit der Größe linear, die Komplexität aber exponentiell. Diese Komplexität gilt es zu managen. Und das geht nur mit Automatisierung und mit Digitalisierung als Basis. Das war der Treiber dafür, den Digital HAIway zu starten. Wir müssen smarter arbeiten, um mit den Anforderungen mitzuwachsen. 

Bedeutet das, dass die IT eine zentrale Säule der Wachstumsstrategie ist? 

Ja, wobei wir die IT folgendermaßen definiert haben: Die IT ist ein Teil der Business-Strategie. Bevor ich gekommen bin, gab es vier Themen auf der Strategie-Agenda der HAI. Nun ist ein fünfter Punkt hinzugekommen: Digitalisierung mit dem Anspruch, jene Systeme zu finden, die uns erlauben, das Wachstum zu bewältigen, ohne überproportional in Mitarbeiter zu investieren, die wir ohnehin nicht bekommen. 

Das Business hat den Anspruch an die IT gestellt, dass wir fähig werden, mitzuwachsen. Die IT definiert keine Projekte, das sind alles Business-Projekte. Daher gibt es für jedes Projekt einen Business-Projektleiter, den wir aus der IT heraus mit einem IT-Projektleiter unterstützen. Dieser nimmt dem Business-Projektleiter gewisse Themen vor allem auf der technischen Seite ab. 

Hilft dabei Ihre Ausbildung auf kaufmännischer als auch IT-technischer Seite? 

Absolut, das betrifft allein schon das Mindset. Projekte werden bei uns folgendermaßen geplant: Wir haben ein Coordination Board, in dem alle Projektanforderungen vorgestellt und Prioritäten vergeben werden. Hier finden sich Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus allen Bereichen, insgesamt rund 20 Personen. Es gibt einmal im Monat ein Meeting, wo alle Aspekte diskutiert werden: die Idee hinter dem Projekt, was es bringt und die Kosten. Die Ergebnisse des Coordination Boards gehen an das Steering Committee mit den Vorständen und mir, das über die Mittel entscheidet. Hier wird am Ende des Tages entschieden, ob ein Projekt umgesetzt wird oder nicht und welche Mittel zur Verfügung gestellt werden. 

Welche Bedeutung haben Themen wie Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft? Und welche Rolle spielt die IT? 

Die Kreislaufwirtschaft wird in der Aluminiumindustrie schon seit Jahrzehnten gelebt. Da es sich bei Aluminium um einen sehr wertvollen Stoff handelt, ist es üblich, Aluminiumprodukte zu ca. 80 Prozent aus recyceltem Aluminiumschrott zu erzeugen. Das ist Kreislaufwirtschaft pur. Die Herausforderung besteht unter anderem darin, ein Lieferantennetzwerk aufzubauen. Wir haben Mitarbeiter, die auf der Suche nach „gutem Schrott“ viel unterwegs sind. Die Aufnahme der Daten beginnt schon bei der Ankündigung einer Anlieferung. 

Aus meiner Sicht sind die Themen Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft und auch KI für die Digitalisierung noch einmal ein Katalysator. Je besser ich bei den Daten end-to-end bin, um so besser bin ich bei der weiteren Verarbeitung. Das geht nur, wenn ich digitalisiert bin. Auch bei der KI ist es nicht anders. Die erste Frage betrifft immer die Daten. KI ist daher ein Boost für Digitalisierung. Das ist genau der Grund, warum der Eigentümer dahinter ist, Daten besser – das heißt zum Beispiel durchgängiger – in den Griff zu bekommen. Es ist auch der Grund, warum wir den Digital HAIway gestartet haben. 

Inwieweit sind Digital Twins ein Thema? 

Wir haben eine genaue Übersicht, welche Business-Objekte in welchem System gemanagt werden, was der höchsten Abstraktionsebene des digitalen Zwillings entspricht. Wir haben für jeden Bereich eine Strategie festgelegt und ein Business-Konzept entwickelt. 

Sie werden des öfteren als CIO und CDO bezeichnet. Wie trennen Sie die beiden Funktionen?

Gar nicht. Als CDO arbeitet man auf drei Ebenen: Business-,  Anwendungs- und Technologie-Ebene. Auf der Business-Ebene spricht man typischerweise über Themen wie Geschäftsfähigkeiten. Wir wollen wachsen, wir wollen Profile flexibel in Ranshofen oder in Deutschland oder in Rumänien produzieren. Das sind Fähigkeiten, die vom Kunden getrieben sind. Um diese Fähigkeiten umzusetzen, braucht es Prozesse, die in einem Business-Process-System wie etwa SAP Signavio abgebildet sind. Hier sind die Prozesse dokumentiert und können genauso simuliert werden. 

Im Zentrum stehen Business-Objekte wie etwa Kunden, Produkte und Materialien. Was braucht man alles an Materialien, um dem Kunden etwa eine Crash-Anwendung liefern zu können? Es geht auch um die Zusammenarbeit mit einem Sublieferanten. Es braucht Verträge, Qualitätsstandards, Rückmeldungen zum Status quo der Produktion. Das ist die Business-Ebene. 

Alle Businessobjekte bildet man in einem Technologie-Layer als Informationen und Daten, die man dem Mitarbeiter auf dem sogenannten Application-Layer, wo die Programme wie CRM oder SAP lokalisiert sind, präsentiert und zur Bearbeitung zur Verfügung stellt. 

Als CIO arbeitet man eher im technologischen Bereich, als CDO im business-getriebenen Bereich. Meine Aufgabe ist es, die Business-Anforderungen richtig zu managen, die Prioritäten optimal zu setzen, und dann mit Leuten zu arbeiten, die das auf der technischen Ebene umsetzen können. 

Das heißt, dass CIO und CDO Teile eines Spektrums sind?  

Es ist ein Kontinuum. Die Frage ist immer: Sollen die Funktionen zwei Personen ausüben? Ich bin überzeugt, dass eine Person beides leben kann. Man muss sich bewusst sein, wo die Schnittstelle zwischen den beiden Bereichen ist. Wann ist der CDO gefragt? Wann der CIO? Es ist nicht selbstverständlich, Mitarbeiter zu finden, die beide Bereiche abdecken können. Ich selbst bin kein Technologie-Spezialist, der eine Firewall konfiguriert. Ich bin weit davon weit entfernt. Ich weiß aber, mit wem ich reden muss, damit etwas funktioniert. Das ist meine Stärke. 

Wie schwer ist es für Sie, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu finden?

Es ist generell schwierig. Wir haben uns in der IT in den letzten Jahren verdoppelt und verfügen derzeit über rund 40 Mitarbeiter. Man hat also Bereitschaft gezeigt, zu investieren. Ohne dem wären die aktuellen Projekte gar nicht möglich. 

Was sind Ihre mittelfristigen Pläne?  

Die genannten Projekte sind mittelfristig, sie laufen bis 2027. Gleichzeitig gilt es, auf aktuelle Entwicklungen smart zu reagieren. Etwas, woran ich gerade intensiv arbeite: Ich versuche intern zu vermitteln, welchen Einfluss aktuelle Entwicklungen wie KI auf die Business-Seite ausüben. Ich bin froh, dass die Einstellung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hervorragend ist. Sie kommen oft mit Ideen, was man verbessern kann. Es ist eine tolle Zusammenarbeit mit dem Business. 

Ist die Smart Factory ein Ziel?  

Die volle Ausbaustufe der Smart Factory ist es, dass auch das Produkt cyber-physisch ist. Das ist bei uns noch nicht der Fall. Wir produzieren technologisch sehr anspruchsvolle Komponenten, aber noch keine, die selbst Intelligenz besitzen etwa Sensorik. Dies wird einmal in der Autoindustrie wichtig, ist aber aktuell kein Thema.

Ich glaube, dass die Smart Factory mit vielen Herausforderungen verbunden ist. Damit sich etwa ein Produkt durch die Produktion bewegt, braucht es alle relevanten Daten. Das bedeutet sehr viel Organisationsaufwand.  Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass sich die technischen Grundlagen mit den heutigen Mitteln realistisch bewältigen lassen. 


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