Im Interview spricht Steffen Lang von Hirschmann Car Communication über die Entwicklung der Car-to-X-Kommunikation aus Sicht eines Automobilzulieferers. [...]
Herr Lang, in der Automobilbranche zeichnet sich deutlich ein Trend zum vernetzten Auto ab. Wann begegnen wir dem ersten „Connected Car“ auf der Straße?
Die ersten vernetzten Autos sind schon auf der Straße unterwegs, jedoch mit herstellereigenen Lösungen. Flottenfahrzeuge von z.B. Mercedes-Benz sind bereits vernetzt, kommunizieren über das Mobilfunknetz und melden sich gegenseitig Situationen im Straßenverkehr. Diese Kommunikations-Technologie bringt aber erst dann einen vollen Nutzen, wenn möglichst viele Fahrzeuge von allen Herstellern daran teilnehmen. Ich vermute, dass frühestens Anfang 2020 die ersten Serien-Autos herstellerübergreifend mit Car-to-X-Kommunikation ausgestattet sein werden. Die Einführung in der breiten Masse wird sich dann zwischen 2020-2025 abspielen. Wenn etwa 10-20 Prozent des gesamten Fahrzeugbestandes ausgerüstet sind, können wir von einer technisch sinnvollen Marktdurchdringung sprechen. Dann haben wir ein funktionierendes System auf unseren Straßen.
Zumeist ist von den zahlreichen Vorteilen des vernetzten Fahrzeugs die Rede. Doch wo sehen Sie Bedenken?
Die meisten Bedenken werden aktuell von den Datenschützern geäußert. Was ich persönlich auch verstehen kann. Durch die Vernetzung kann man theoretisch alle Bewegungen des Autos protokollieren und später nachvollziehen. Ein ebenso schreckliches wie technisch machbares Szenario ist, dass bei Geschwindigkeitsüberschreitung der Strafzettel automatisch erzeugt wird und in meinem Email-Eingang landet. Deshalb wird Wert auf die Anonymität bei der Car-to-X Kommunikation gelegt. Die Transparenz kann aber auch Vorteile bieten: Ein sehr defensiver Fahrer kann damit sein Fahrverhalten belegen und muss weniger Versicherungsprämie bezahlen. Auch muss gewährleistet sein, dass nur berechtigte Geräte Nachrichten verschicken. Das System braucht einen Authentifizierungs-Mechanismus. Stellen Sie Sich vor, man könnte gefälschte Nachrichten simulieren und dann in der Stadt verteilen. Ein Verkehrschaos wäre die Folge.
Welche wesentlichen Vorteile bietet das vernetzte Auto?
Das vernetzte Auto der Zukunft – wir sprechen hier noch nicht vom autonomen Fahren – bringt zwei Vorteile mit sich. Der erste Vorteil liegt im Sicherheitsaspekt: Es gibt heute schon zahlreiche Fahrerassistenzsysteme, die hauptsächlich auf Sensorik beruhen und uns im Alltag durch mehr Sicherheit unterstützen. Allerdings hat jede Art von Sensortechnologie ihre physikalische Grenze, innerhalb derer sie genutzt wird. So können diese Assistenzsysteme nicht „um die Ecke sehen“ und z.B. auf Gefahren hinter einer Kurve hinweisen. Mit der Car-to-X-Vernetzung ist mehr möglich. Durch die direkte Kommunikation zu anderen Fahrzeugen in unmittelbarer Nähe können sicherheitsrelevante Informationen zeitnah untereinander geteilt werden. Ein anschauliches Beispiel vermittelt hier der Begriff „virtuelles Warndreieck“. Dieses „sieht“ man dank Car-to-X deutlich früher als ein normales Warndreieck.
Der zweite Vorteil von Car-to-X liegt in der Möglichkeit der Effizienzsteigerung beim Autofahren. Der kontinuierliche Informationsaustausch zwischen allen Verkehrsteilnehmern ermöglicht eine intelligente Verkehrssteuerung, die sowohl zu einem geringeren Spritverbrauch als auch zu Zeitersparnissen führt. Hierdurch können z.B. Ampelschaltungen beeinflusst und Staus vermieden werden. Aktuell arbeitet unser Navigationssystem „autark“, d.h. es leitet alle Verkehrsteilnehmer auf die gleichen Ausweichstrecken um, so dass ein erneuter Stau entsteht. Ein intelligentes, vernetztes System kann Autos im Falle eines Staus auf verschiedene Strecken umleiten.
In Forschungsprojekten erprobt die Automobilbranche bereits die Car-to-X-Kommunikation. Damit lassen sich die beiden genannten Vorteile erproben und mit den real gewonnen Daten untermauern.
Welche Standards sind für eine Car-to-X-Kommunikation geeignet?
Der Standard IEEE 802.11p wurde speziell für die Kommunikation von Fahrzeugen untereinander und auch von Fahrzeugen mit ihrer Umgebung entwickelt. Die teilweise hohen Geschwindigkeiten im Straßenverkehr verlangen nach einem System mit minimalsten Verzögerungszeiten. Millisekunden können darüber entscheiden, ob ein Unfall verhindert werden kann oder nicht. Kurze Netzzugangszeiten und eine hohe Verfügbarkeit stehen ganz oben auf der Liste der Anforderungen. Zudem ist eine Authentifizierung notwendig, damit nur berechtigte Geräte Nachrichten senden. Und schließlich muss aus datenschutzrechtlichen Gründen die Anonymität der Straßenteilnehmer gewährleistet sein. IEEE 802.11p und die zugehörigen Protokolle wurden daraufhin ausgelegt. Wie vorher schon erwähnt, wird momentan von manchen Automobilherstellern das Mobilfunknetz für die Car-to-X-Kommunikation innerhalb der eigenen Flotte genutzt. Über Backend Server erfolgt die Übermittlung der Nachrichten an die betroffenen Fahrzeuge. Das alles kostet Zeit. Für zeitkritische Anwendungen sind diese Systeme nicht geeignet.
Vor welchen Herausforderungen stehen Fahrzeughersteller und Zulieferer bei der Zusammenarbeit?
Die größten Herausforderungen sind momentan a) die Frage nach dem Standard, der sich langfristig durchsetzen wird und b) dem damit verbundenen Stückzahlszenario. Hier schaut man auch auf die Gesetzgeber, die in beiden Fällen Klarheit schaffen können. Car-to-X Kommunikation kostet zunächst Geld und der Autokäufer wird dafür aufkommen müssen. Die Automobilhersteller können das Feature optional anbieten, aber wie viele werden es bestellen? Dementsprechend schwer ist es, ein Geschäftsmodell sowohl auf Seiten der Automobilhersteller als auch auf Seiten der Automobilzulieferer für Car-to-X zu vertreten. Dies erschwert gemeinsame Gespräche über die Zukunft der Car-to-X-Technologie. Hinzu kommt, dass die ersten Autos es nicht leicht haben, denn das Feature ist nicht erlebbar, wenn es keine anderen Autos oder Infrastrukturelemente gibt, die diese Technologie unterstützen. Car-to-X lebt massiv von der Applikationsrate. Das ist auch der Unterschied zum eCall System. eCall ist voll einsetzbar, ohne dass auch nur ein anderes Auto ein solches System hat.
Wie sehen Sie die Entwicklung hin zum Autonomen Fahren? Welche Hürden sind noch zu bewältigen?
Autonomes Fahren ist ein wunderbares Beispiel aus der typischen Datenverarbeitung, dem Eingabe-Verarbeitung-Ausgabe Prinzip. Am Ende steht die Ausgabe in Form von Aktionen wie Beschleunigen, Bremsen oder Lenken. Wir als Kommunikationsexperten sind vor allem in der Lage, die erste Aufgabe, also die Eingabe von Informationen in das System, zu unterstützen. Genauso wie der Mensch mit allen Sinnen beim Autofahren gefordert ist, muss auch ein automatisiertes System „aufmerksam“ sein. Die korrekte und vollständige Erfassung der Umwelt ist der Schlüssel zum Autonomen Fahren. Nur dann kann entschieden werden, welche Aktionen die richtigen sind.
Die Sensorik ist heute schon sehr fortgeschritten. Zumeist optische Systeme helfen uns bereits. Aber es gibt Situationen, in denen Grenzen erreicht werden. Für einfache Umgebungen, z.B. eine wenig befahrene Autobahn, reicht die reine Sensorik vermutlich aus, um Autonomes Fahren zu realisieren. Mit Car-to-X wird der Spieß herumgedreht: Anstatt zu versuchen die Umwelt zu erkennen, teilt die Umwelt aktiv mit, wie sie aussieht und was gerade passiert. Man bekommt die Informationen aus erster Hand. Für das Autonome Fahren sehe ich langfristig beide Informationsquellen parallel im Einsatz: Sensorik und Car-to-X.
Ich denke, dass das Autonome Fahren aus wirtschaftlichen Gründen zuerst bei Nutzfahrzeugen Realität wird. Unternehmen können sowohl Geld sparen, da sie weniger Treibstoff benötigen, als auch mit einer Zeitersparnis durch Vermeidung von Staus rechnen. Für die Nutzfahrzeugindustrie sind diese Argumente wichtiger als im privaten PKW Bereich.
Welche Auswirkungen haben die Entwicklungen hin zum vernetzten Auto für Ihr Unternehmen?
Das ganze Thema „Internet of Things“ gewinnt an Bedeutung, die Digitalisierung hält Einzug in alle Bereiche unseres Alltags, auch in die Vernetzung von Fahrzeugen, sei es innerhalb der Fahrzeuge, in der Kommunikation untereinander oder zur Erfassung des Fahrverhaltens. Die Frage ist, ob sich die Automobilindustrie dem größeren „Ding“ IoT unterstellen wird oder nicht. Bisher bestimmt die Branche noch selbst, welche Technologien zur Vernetzung eingesetzt werden. Aber wenn IoT alles umschließt, auch die Fahrzeuge, dann werden wir weniger selbst bestimmen können. Für uns als Automobilzulieferer und Spezialist für Kommunikationstechnologien eröffnen sich hier dennoch ganz neue Potenziale, da sich der digitale Austausch von Informationen gerade im Straßenverkehr stets weiterentwickelt und Innovationen benötigt werden.
ZUR PERSON:
Seit Anfang 2014 leitet Steffen Lang das Produkt Management bei der Hirschmann Car Communication GmbH im deutschen Neckartenzlingen. Aufgabe dieser neu geschaffenen Abteilung ist es, neue Geschäftsfelder zu untersuchen und das bestehende Produktportfolio weiterzuentwickeln.
Nach dem Studium der Nachrichtentechnik an der Hochschule Esslingen arbeitete Steffen Lang fast sieben Jahre bei Bose an Audio Systemen für die Automobilindustrie: Angefangen vom Software-Ingenieur bis zu seiner letzten Position als Product Development Manager, war er sowohl in Deutschland als auch am Hauptsitz in USA tätig. Anschließend begann Steffen Lang sein MBA Studium am Babson College in Massachusetts, welches er 2012 mit summa cum laude abschloss. Danach war er zwei Jahre lang als Produkt Manager für die Festo AG & Co. KG tätig.
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