Andreas E. Thyen, Präsident des Verwaltungsrats der LizenzDirekt AG, lässt im Gespräch mit der COMPUTERWELT das Jahr 2020 Revue passieren, erklärt, was wir aus der Corona-Krise lernen können und skizziert die wichtigsten IT-Trends für das kommende Jahr. [...]
Inwiefern hat die Corona-Krise den Geschäftsverlauf 2020 Ihres Unternehmens beeinflusst?
Die erste Welle war vor allem von einem Gefühl der Unsicherheit geprägt: Wie wird es weitergehen? Glücklicherweise sind wir räumlich in einer komfortablen Lage, da unsere Büros nicht direkt in den Großstädten liegen. Das bedeutet, dass unsere Mitarbeiter ohnehin mit dem eigenen Auto oder in manchen Fällen sogar zu Fuß zur Arbeit kommen und nicht auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind. Zudem gehörte es auch schon vor der Krise zu unserer Philosophie, den Mitarbeitern wann immer notwendig Rückzugsmöglichkeiten und Einzelarbeitsplätze zur Verfügung zu stellen. Natürlich war der ein oder andere Kollege(in) während den Schul- und Kita-Schließungen nur eingeschränkt verfügbar, da die Sicherung der Kinderbetreuung natürlich erstmal Vorrang hatte. Auf Geschäftsseite haben wir – wie zu erwarten war – vor allem eine gestiegene Nachfrage nach sogenannten Home-Office-Produkten verzeichnet. Jetzt gegen Jahresende haben vor allem Behörden noch einmal angezogen und die Chance genutzt, in den Ausbau ihrer IT-Infrastruktur zu investieren.
Wie wird sich die Corona-Krise Ihrer Meinung nach im kommenden Jahr auf die IT-Branche bzw. auf Unternehmen auswirken?
Solche Extremsituationen wie in diesem Jahr, haben natürlich immer starke und langfristige Auswirkungen. Diejenigen, die es sich trotz wirtschaftlicher Einbußen leisten können und vorausschauend planen, werden in die digitale Widerstandsfähigkeit ihres Unternehmens investieren. Der IT-Markt wird weiterwachsen. Diejenigen, die unvorbereitet aus der Not heraus auf US-Cloud-Lösungen gesetzt haben, werden unter Umständen ein böses Erwachen haben. In Bezug auf unser Kerngeschäft, den Handel mit Gebrauchtsoftware, sehen wir die Entwicklungen in der Krise mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Unternehmen, die Mitarbeiter entlassen, schaffen sich natürlich keine weiteren Lizenzen an. Andererseits erleben wir gerade, dass die Kostensensibilität bei den verantwortlichen Entscheidern stetig steigt. Wer sich bisher vielleicht leichtfertig immer für eine neue Microsoft-Office-Version entschieden hätte, zieht jetzt auch Gebrauchtsoftware, aktuelle wie ältere Versionen, als kostengünstige Alternative in Betracht. Vor allem auch große Konzerne beschäftigen sich zudem vermehrt mit der Möglichkeit, nicht mehr benötigte Lizenzen zu verkaufen, um das Budget aufzubessern.
Welche Lehren lassen sich aus dem Jahr 2020 im Allgemeinen und aus der Corona-Krise im Speziellen für die Zukunft mitnehmen?
Allgemein kann man wohl sagen, dass uns das Jahr 2020 eindrucksvoll gezeigt hat, was es bedeutet in einer derart vernetzten Welt zu leben: Herausforderungen unserer internationalen beziehungsweise globalen Gesellschaft wie Krankheiten, Klima, Hungersnöte etc. machen nicht an Ländergrenzen halt, sondern lassen sich nur gemeinsam – global – lösen. Umgekehrt zeigt sich, dass auch regionale Interessen in einem gesunden Maße beachtet werden müssen, was sich als neuer gesellschaftlicher Trend zeigen könnte. Als diplomierter Volkswirt mit Schwerpunkt in internationalen Beziehungen kann ich beide Zielrichtungen nachvollziehen und sehe diese komplementär. Andererseits muss aber klar kritisiert werden, dass die sogenannte Globalisierung meist auf dem Rücken der Fauna und Flora ausgetragen wurde.
Die Corona-Pandemie im Speziellen hat vielerorts wohl wie ein Augenöffner gewirkt. Wir haben uns in den letzten Jahren in falscher Sicherheit gewogen und elementare Werte wie Demut und Zufriedenheit mit dem was man hat, vernachlässigt. Stetiges Wachstum ist sicherlich nicht unbegrenzt möglich und Krisen lassen sich nicht immer verhindern. Es gilt vielmehr, sich so gut wie möglich zu wappnen – finanziell, aber auch sozialpolitisch. Gleiches gilt aber auch für unsere digitalen Kompetenzen auf allen Ebenen. Es hat sich etwa gezeigt, dass es nahezu keine konkurrierenden Cloud-Produkte aus Europa gab, als die Krise diese für Unternehmen erforderlich machten. Damit musste eine Vielzahl an Unternehmen trotz offener Datenschutzfragen reflexartig zu US-Angeboten greifen – zur Freude der Anbieter. Die europäischen Versäumnisse über Jahrzehnte können indessen kaum kurzfristig nachgeholt werden. Dennoch gilt es hier, sowohl auf Infrastrukturebene anzusetzen als auch durch wirtschaftliche Förderung Anreize für europäische Lösungen und Kompetenzen zu schaffen.
Wie gehen Sie persönlich bzw. im Job mit Lockdown, Home Office, Home Schooling und Social Distancing um? Mit welchen Strategien und Verhaltensweisen sorgen Sie für Ausgleich?
Vor dem Lockdown war ich sehr häufig unterwegs – auf Kundenbesuch oder in unseren Standorten in Österreich und der Schweiz. Das hat sich jetzt größtenteils auf Video-Konferenzen verlagert. Das finde ich sehr schade, da Online-Treffen den persönlichen zwischenmenschlichen Kontakt einfach nicht ersetzten können. Dabei bin ich während der Krise aber ein Verfechter des Social Distancing. Je weniger Kontakt desto besser in dieser Situation! Das Thema Home Office ist indes ein zweischneidiges Schwert. Natürlich gibt es partiell und zeitweise Vorteile, insbesondere für Eltern. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass Arbeit nicht in den privaten Raum gehört. Denn so besteht die Gefahr, dass Menschen nicht mehr abschalten können und Probleme aus der Arbeitswelt in den familiären Bereich schwappen – wo sie überhaupt nicht hingehören und viel mehr Schaden anrichten können, als das Home Office an sich vielleicht an Nutzen stiftet. Verwerflich finde ich es insbesondere, wenn Unternehmen auf diese Weise versuchen, Verantwortung und Kosten auf ihre Mitarbeiter abzuwälzen. Verschiedene Forderungen auf ein Recht auf Home Office finde ich völlig absurd.
Beim Thema Home Schooling bin ich schockiert, wie schlecht hier nach wie vor bildungspolitisch reagiert wird. Die erste Welle kam überraschend, keine Frage. Warum liegen nun, mehrere Monate später, aber immer noch keine belastbaren Konzepte vor? Es geht doch aktuell primär darum, den Schülern Inhalte durch eine gute Organisation und Prozesse mittels eigentlich alltäglicher Technologien zu vermitteln. Diese Probleme lassen sich alleine mit der Anschaffung von Hardware oder Standardsoftware aber kaum lösen. Es bedarf endlich digitaler Konzepte und vor allem entsprechender Kompetenzen, damit Schüler nicht nur die Software von Monopolisten anstelle von Open Source kennenlernen, sondern selbst die Software von morgen schreiben.
Was waren Ihre beruflichen bzw. persönlichen Highlights im Jahr 2020?
Ein Highlight im negativen Sinne war für mich die Erkenntnis, dass einige Software-Konzerne die Pandemie ausnutzen, um eigene Interesse durchzusetzen – sich einfach Freiheiten nehmen, weil gerade niemand so genau hinschaut. Ein Beispiel ist hier etwa der vollkommen unerwartete Vorstoß von Microsoft beim Thema Cloud-Lizenzen – bekannt unter „from SA“. Hier wird einigen Kunden, die in bestimmte Abonnement-Modelle wechseln, plötzlich das Recht genommen, ihre gekauften und nun nicht mehr benötigten on-premises Software-Lizenzen weiterzuverkaufen. Oder denken Sie auch an die kostenfreie Zurverfügungstellung beziehungsweise Zwangsinstallation von Microsoft Teams.
Welche Themen sollten Ihrer Meinung nach im kommenden Jahr auf der Agenda von IT-Managern ganz oben stehen und warum bzw. welche IT-Themen werden 2021 eine besonders wichtige Rolle spielen?
Wie gesagt werden vor allem Kosten-/Nutzenabwägungen im kommenden Jahr wieder eine größere Rolle spielen. IT-Verantwortliche werden Anschaffungen stärker hinterfragen und dediziert prüfen, welche Lösungen wirklich notwendig und welche vielleicht sogar überflüssig sind. Wurde vorher oftmals das Gießkannen-Prinzip praktiziert, werden Entscheider jetzt mit einem größeren Effizienz-Gedanken bei der Auswahl von Lösungen ans Werk gehen.
Darüber hinaus sollte in der IT von Unternehmen wie Behörden ein valides, weil quantifizierbares und somit echtes Risikomanagement an Bedeutung gewinnen. Während zum Beispiel die Bewertung von sogenannten Klumpenrisiken sonst zum Standard gehört, wird dieser Maßstab bei der Auswahl von IT, seinen Anbietern, Vertragsformen etc. nur selten und rudimentär angewandt. Dabei stecken sehr wahrscheinlich genau hier die eigentlich größten Risiken für ein Unternehmen – wenn man sich traut, hinzuschauen. Was bedeutet es, sich mit Cloud-Produkten in ein Abhängigkeitsverhältnis von großen Herstellern zu begeben? Stichwort Lock-in-Effekt. Will ich das wirklich und was sind die Alternativen? Unternehmen und insbesondere öffentliche Institutionen müssen sich weitgehend unabhängig von amerikanischen Software-Giganten wie Microsoft aufstellen und zu einer digitalen Souveränität finden. Es kann nicht sein, dass Behörden und Ämter von einem Tag auf den nächsten handlungsunfähig wären, wenn zum Beispiel ein Anbieter aus den USA den Zugriff auf die gebuchten Cloud-Services verwehrt, massiv Preise erhöht oder Informationen verlangt, die nach europäischen Gesetzen streng geschützt sind. Hier müssen Entscheider persönliche Verantwortung übernehmen und nicht einfach den Weg des geringsten Widerstands gehen. Es gilt, Alternativen zu suchen, zu evaluieren und umzusetzen!
Dieser Artikel ist Teil einer Interviewserie, für den die COMPUTERWELT rund 50 Top-Manager aus der IT-Branche befragt hat. Weitere Interviews lesen Sie in den nächsten Wochen auf itwelt.at.
Be the first to comment