Im Rahmen des Roundtable zum Thema Innovationen und neue Technologien in ERP und CRM sprach die ITWelt.at mit Johannes Neumüller, Director Sales Cloud ERP bei All for One, welche Bereiche im ERP- und CRM-Umfeld mittels KI optimiert werden können, ob mit KI der Fachkräftemangel abgefedert werden kann und über die Rolle des Menschen im Zusammenspiel mit KI. [...]
Wo stehen wir heute beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz in ERP- und CRM-Systemen? Ist KI schon echter Mehrwert oder noch ein Hype?
KI ist längst Realität – wir sind mittendrin. Es geht nicht mehr um das Ob, sondern um das Wie. Allerdings besteht zwischen den technologischen Möglichkeiten und der tatsächlichen Nutzung – dem sogenannten Consumption Gap – noch eine Lücke.
In vielen produzierenden Unternehmen stehen nach wie vor Maschinen und Systeme, die 30 Jahre alt sind. Nicht selten sind noch monolithische Systeme im Einsatz, die seit der Einführung vor zehn Jahren nicht mehr angegriffen wurden – und an diesen hängt das zukünftige Wachstum des Unternehmens. Bevor KI echten Nutzen bringt, müssen zunächst die Grundlagen geschaffen und Altsysteme modernisiert werden. Die Cloud ist dabei ein entscheidender Schritt, um Datensilos aufzubrechen und Systeme zu vernetzen.
Erst wenn diese Basis steht, kann KI ihr Potenzial entfalten – etwa bei Chatbots, der Automatisierung im Finanzwesen, Fraud Detection oder in der Prozessoptimierung. Es ist eine Zeit des Übergangs: Es gibt viele Möglichkeiten und unzählige Use Cases sind bereits im Einsatz. Aber für viele Unternehmen geht es jetzt darum, die Voraussetzungen zu schaffen, um KI überhaupt wirksam in der Breite einsetzen zu können.
KI braucht Daten – und die liegen in ERP- und CRM-Systemen. Was sind die größten Herausforderungen, diese Daten nutzbar zu machen?
Viele Entscheider sehen KI noch als Buzzword beziehungsweise als Schlagwort. Dabei wird oft übersehen, dass wir es meist mit Large-Language-Models zu tun haben, die im Kern lediglich Wahrscheinlichkeiten berechnen – also das nächste logische Wort vorhersagen. Das führt zu einer gewissen Unschärfe.
Das Ergebnis wirkt aber oft so überzeugend formuliert, dass man dazu neigt, es ungeprüft zu übernehmen. Ein Kollege hat es treffend formuliert: „Stell dir KI wie einen pfiffigen Zehnjährigen vor – er kann vieles schon selbst, aber du musst trotzdem ein Auge auf ihn haben.“
Häufig wird erst nach der Einführung erkannt, wie wichtig es ist, die Antworten systematisch zu prüfen und zu validieren. Genau diese Qualitätssicherung sollte aber schon während der Implementierung stattfinden, damit man später nicht unter Zeitdruck nachjustieren muss.
Gibt es Unterschiede zwischen KI im ERP- und im CRM-Bereich?
Ich glaube, diese Unterscheidung wird künftig immer unwichtiger. Ob ERP, CRM oder HR – es sind alles Systeme, die Daten verarbeiten und Entscheidungen unterstützen. Die traditionellen Silos stammen aus einer Zeit, als Software noch monolithisch gedacht wurde.
Heute verschwimmen die Grenzen: Predictive Maintenance, OCR-Erkennung oder automatisierte Finanzprozesse greifen ineinander. Moderne KI kann heute sogar handschriftlich kommentierte oder per Fax gesendete Dokumente erkennen und interpretieren – das wäre vor wenigen Jahren undenkbar gewesen.
Entscheidend ist also weniger, wo eine Anwendung zu Hause ist, sondern was sie leistet und wie sie sich in den Gesamtkontext integriert. So gesehen werden Silos meiner Meinung nach zunehmend irrelevanter.
Im ERP-Bereich gibt es klare Standards, bei KI hingegen kaum. Könnte Regulierung – etwa durch den EU AI Act – diese Lücke schließen, oder bremst sie die Unternehmen aus?
Regulierung ist wichtig, aber sie darf Innovation nicht blockieren. Wenn man sich ansieht, was derzeit global passiert, etwa bei den großen KI-Playern in den USA oder China, wird klar: Dort wird massiv in Infrastruktur und Entwicklung investiert – in Europa leider deutlich weniger.
Ich war kürzlich beim Big Bang KI-Festival in Berlin, Europas größter KI-Veranstaltung. Dort wurde deutlich, wie weit die anderen Regionen bereits sind. Wir Europäer neigen dazu, Risiken überzubewerten und Chancen zu übersehen. Diese Zurückhaltung ist einer der Gründe, warum uns andere Regionen überholen.
Natürlich braucht es Regeln, so geht die Geschwindigkeit in den USA und China auf Kosten anderer Themen – aber Regulierung sollte ermöglichen, nicht verhindern.
Wie steht es um digitale Souveränität und Datensicherheit – Themen, die gerade in Europa besonders diskutiert werden?
Diese Diskussion wird oft zu einseitig geführt. Ja, es gibt sensible personenbezogene Daten – aber wir können technisch sehr viel tun, um Sicherheit und Souveränität zu gewährleisten.
Als Implementierungspartner können wir beispielsweise Daten anonymisieren oder sicherstellen, dass bestimmte Informationen das Land nicht verlassen. Man darf also nicht einfach sagen: „Das geht nicht wegen der Regularien.“ Man kann es umsetzen – man muss es nur wollen und technisch richtig anlegen.
Viele befürchten, KI könnte Arbeitsplätze ersetzen. Teilen Sie diese Sorge?
Nein, im Gegenteil. Wir stehen vor einem massiven Fachkräftemangel. In Österreich werden der Industrie in den nächsten zehn Jahren rund zehn Prozent weniger Menschen zur Verfügung stehen, um dieselbe Wertschöpfung zu erbringen.
Wenn wir nicht alle länger arbeiten wollen, dann ist Automatisierung durch KI und Robotik die logische Antwort. Sie hilft uns, den Wohlstand zu sichern und gleichzeitig Arbeitskräfte zu entlasten. Das ist kein Risiko, sondern eine Chance.
Wie wird sich die Rolle von KI künftig entwickeln – besonders im Zusammenspiel mit ERP und Cloud?
Ich vergleiche die Entwicklung von KI gerne mit der Dampfmaschine – sie hat uns körperliche Arbeit abgenommen, KI nimmt uns nun ein Stück weit das Denken ab. Es gibt Studien, die schätzen, dass der Punkt, an dem KI intelligenter sein wird als wir in fünf bis zehn Jahren erreicht ist. Ich weiß nicht, ob das so sein wird. Das kann wahrscheinlich keiner vorhersagen.
Momentan denken wir noch in Systemen: hier ERP, dort CRM. Ich glaube, das wird sich auflösen. Künftig wird KI der zentrale Ausgangspunkt sein – und ERP oder CRM sind dann nur noch Werkzeuge, die sie mit Daten versorgt. Diese Systeme werden zunehmend verschmelzen.
Ergibt die Trennung zwischen ERP, CRM und BI dann überhaupt noch Sinn?
Ich sehe das wie bei einem Smartphone: Das Gerät selbst ist die Hardware – vergleichbar mit dem Maschinenpark eines Unternehmens. Darauf läuft ein Betriebssystem wie iOS oder Android – im Business-Kontext etwa die SAP Business Technology Platform oder die Microsoft Power Platform.
Darüber liegen die „Apps“: Lösungen für Finance, HR oder Supply Chain. Diese modulare Architektur ermöglicht Flexibilität – man kann Komponenten austauschen und erweitern. Das ist der Unterbau für sämtliche KI-Anwendungen, der dem Unternehmen eine stetige, flexible und zukunftsfähige Weiterentwickelung der IT-Landschaft ermöglicht.
Wie lässt sich der Nutzen von KI – also der ROI – konkret messen?
Das ist schwierig. Bei einzelnen Use Cases kann man Effekte messen, aber bei komplexen ERP- oder CRM-Projekten wird das sehr anspruchsvoll.
Ich halte wenig davon, sich zu Beginn zu stark an Kennzahlen festzuklammern, die oft gar nicht exakt messbar sind. Viel wichtiger ist, während der Transformation flexibel zu bleiben.
Zudem verändern externe Faktoren – wie Krisen oder Marktumbrüche – die Rahmenbedingungen ständig. Das führt wiederum dazu, dass ein ROI, der heute berechnet wird, schon morgen irrelevant sein kann. Natürlich braucht es Leitplanken, aber diese so starr festzuzurren, um feste Zielgrößen zu erhalten, das ist zu schwierig, weil es einfach zu viele verschiedene Facetten gibt. Leitplanken ja – starre Zielgrößen nein.
Zum Abschluss: Was raten Sie Unternehmen, die jetzt mit KI-Projekten starten wollen?
Der beste Zeitpunkt, um mit KI zu beginnen, war gestern. Der zweitbeste ist heute.
Und eines ist mir wichtig: KI ist kein reines IT-Thema. Sie betrifft alle Bereiche eines Unternehmens. Damit KI-Projekte erfolgreich sind, müssen alle Stakeholder – von der IT über die Fachabteilungen bis zum Management – gemeinsam an einem Strang ziehen. Nur so gelingt die digitale Transformation wirklich.
Über All for one
All for One beschäftigt rund 3.000 Mitarbeitende und erzielte im vergangenen Jahr einen Umsatz von 511 Millionen Euro. Der Schwerpunkt liegt auf der Digitalisierung von Geschäftsprozessen, insbesondere in der mittelständischen Fertigungsindustrie.
All for One arbeitet auf Basis des SAP-Portfolios und deckt dabei nicht nur ERP, sondern auch CRM- und HR-Lösungen ab. Diese Systeme erzeugen eine enorme Datenmenge, die All for One im Analytics-Bereich auswertet – die logische Weiterentwicklung führt hier direkt zur Künstlichen Intelligenz.
All for One ist an 37 Standorten vertreten – unter anderem in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Polen, der Türkei und Ägypten.

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