Der FTX-Betrug und die Zukunft der Krypto-Branche

Die betrügerischen Aktionen des FTX-Gründers Sam Bankman-Fried hatten weitreichende Auswirkungen auf die Krypto-Branche. Krypto-Entwickler Igor Pauer sieht in der Affäre eher ein Problem des „alten Geldes“ und skizziert im Interview die Veränderungen im Krypto-Markt. [...]

Igor Pauer, Krypto-Wegbereiter und CTO von SuperFrank. (c) SuperFrank
Igor Pauer, Krypto-Wegbereiter und CTO von SuperFrank. (c) SuperFrank

Nach einem Betrugsfall und dem Niedergang der Kryptobörse FTX steigt der Kurs des zugehörigen Krypto-Tokens FTT plötzlich wieder. Spekulationen um eine mögliche Rettung des insolventen Unternehmens durch potenzielle Käufer treiben die Kursentwicklung an.

Der Betrug bei FTX ist Ihrer Meinung nach ein Merkmal von zentral organisierten Krypto-Dienstleistern. Können Sie erklären, warum diese zentralisierten Strukturen anfälliger für Betrug sind im Vergleich zu dezentralisierten Blockchain-Systemen?

In diesem Fall ist die Antwort ganz einfach und beruht auf der mathematischen Logik: Dezentrale Systeme sind in der Regel quelloffene Systeme, die nur das tun können, wozu sie programmiert wurden – was jeder durch ihren Code überprüfen kann. Für dubiose Geschäftsleute wie jener von FTX gilt das nicht. Um ein Beispiel zu geben: Wenn Sie in einem Taschenrechner 2 und 2 zusammenrechnen, wird das Ergebnis immer 4 sein. Wenn Sie hingegen einen Betrüger nach dem Ergebnis dieser Rechnung fragen, kann es eine beliebige Zahl sein.

Proof of Reserves (POR) ist ein Modell, das von zentralisierten Kryptobörsen angenommen wird, um das Vertrauen der Nutzer zu gewinnen. Können Sie die Herausforderungen und die bisherigen Defizite dieser Methode erläutern?

Das ist eine ziemlich komplexe Frage und eine vollständige Beantwortung würde den Rahmen dieses Gesprächs sprengen, vor allem im Hinblick auf die kryptografischen Grundsätze, denn dafür müssten Begriffe wie Merkle-Baum, Hash, On-Chain-Analyse usw. behandelt werden. Ich werde daher nur ganz kurz einige vereinfachte Beispiele anführen: Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass der Nachweis von Reserven noch nicht die Solvenz des Projekts impliziert. Als Idealfall können wir uns eine einfache Formel vorstellen: „Nachweis der Reserven > Nachweis der Verbindlichkeiten => Solvenz“

Dieser Nachweis der Reserven kann jedoch sehr leicht manipuliert werden, unter anderem durch den Transfer von Geldern auf der Blockchain und die Manipulation der Liquidität (das ist recht einfach möglich durch den Transfer von Kundengeldern an andere/neue Adressen, die Aufnahme vorübergehender Kredite, ob klassisch oder DeFi, usw.). Dasselbe gilt für den Nachweis von Verbindlichkeiten.

„Proof of Reserves“ ist also ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, aber keineswegs ein ausreichender. Die Lösung liegt auch in diesem Fall in der Dezentralisierung, in Smart Contracts, im Verzicht auf eine dritte Partei und in einem zuverlässigen System von Oracles.

Inwiefern glauben Sie, dass die aktuellen Probleme, insbesondere im Zusammenhang mit Betrugsfällen wie bei FTX, die Entscheidungen und das Verhalten von potenziellen Investoren in Krypto-Assets beeinflussen könnten?

In diesem Fall würde ich zwischen den sogenannten institutionellen Anlegern und den Kleinanlegern im Allgemeinen unterscheiden. Institutionelle Anleger werden Skandale vom Typ FTX für ihre Versuche nutzen, Krypto zu regulieren und Produkte (Derivate) zu schaffen, mit denen Kryptoassets so nah wie möglich an normale Anlageprodukte angegelichen werden sollen. Dies wird wahrscheinlich in Form von ETFs bzw. ETNs (wohl Futures, Spot als auch spätere Derivate) geschehen. Mit Blick auf den FTX-Fall werden sie sich um einen möglichst präzisen Rechtsrahmen und eine strenge Regulierung bemühen, um vergleichbare Konkurrenzprojekte von dezentralen Plattformen und Protokollen vom Markt auszuschließen. Obwohl es sich dabei eindeutig um unfaire Methoden handeln würde, kommen diese in der Wirtschaft leider häufig zur Anwendungen. Solche Bemühungen werden in der Absicht unternommen, „krypto-typische“ Renditen (im Bereich von Tausenden von Prozent) mit der Sicherheit klassischer Anlageprodukte zu kombinieren. Was natürlich aus logischer Sicht Unsinn ist.

Für die breite Masse an Retail-Anlegern hingegen scheint diese Art von Skandal grundsätzlich keine Rolle zu spielen, denn auf der Suche nach schnellem Reichtum werden viele von ihnen in jedes Krypto-Projekt investieren, das eine Bereicherung verspricht, unabhängig von einer vernünftigen Bewertung der Projektparameter (Tokenomics). Solches Verhalten wird in der Kryptoindustrie durch das Klischee der sogenannten „Degens“ (von degenerate, also „degeneriert) veranschaulicht, die sogar noch stolz auf ihren Namen sind.

Glauben Sie, dass Regierungsbehörden und Banken eine größere Rolle bei der Verhinderung von Betrug in der Krypto-Branche spielen sollten, und wenn ja, welche Schritte könnten sie unternehmen, um die Sicherheit und Integrität des Sektors zu verbessern?

Diese Frage hat mehrere Ebenen. Auf der einen Ebene erfüllen staatliche Behörden und Banken ihre Aufgaben heute nicht mehr – das Unternehmen FTX war beispielsweise ein Gebilde von mehr als 100 auf der ganzen Welt verteilten Unternehmen, die alle in irgendeiner Weise reguliert waren, einige sogar in hohem Maße. Die SEC, als typisches Beispiel für eine Behörde mit großer Regulierungsmacht, war selbst nach Informationen aus der Community lange im Voraus über den Betrug bei FTX informiert, und es sollen persönliche Treffen auf höchster Ebene stattgefunden haben, ohne dass dies zu einer Verhinderung der betrügerischen Aktivitäten geführt hätte. Auch die Banken, die FTX bedienten, hatten solche Informationen schon lange vorher. Hat irgendeine dieser Institutionen eingegriffen? Nein. Daher werden auch bessere Instrumente nicht helfen, wenn der Wille dazu fehlt. Zugleich muss man jedoch auf einen großen Vorteil von Kryptoassets hinweisen – ihr das Protokoll, das bis zu einem gewissen Grad überall auf der Welt eingesetzt werden kann und global funktioniert. Wenn sich also ein Land zum Ziel setzt, ein Land zu sein, das einen fairen Wettbewerb zwischen Kryptowährungen und der normalen Finanzwelt, wie wir sie heute kennen, unterstützt, ist es sehr wahrscheinlich, dass es einen großen Zustrom von Unternehmen geben wird, die mit Kryptowährungen arbeiten.

Welche spezifischen Warnsignale sollten Investoren beachten, um potenzielle Probleme bei Krypto-Projekten frühzeitig zu erkennen?

Die Warnsignale sind relativ simpel und werden dennoch ignoriert, teils aus Unwissenheit, teils aus Faulheit, die Informationen zu studieren, und teils aus Gier: Zum einen sollte ein Projekt mit Aussicht auf Erfolg wirtschaftlich sinnvoll sein – wenn beispielsweise die Kryptowährungsplattform Celsius ihren Kreditgebern eine Rendite von BTC um 12 Prozent pro Jahr anbot, den Kreditnehmern aber Darlehen mit einem Zinssatz von 8 Prozent pro Jahr, wie kann das Projekt dann wirtschaftlich überlebenshäfig sein? In seiner Blütezeit hat das Projekt mehrere Millionen Dollar pro Tag verloren. Ich habe auf dieses Problem aufmerksam gemacht, lange bevor es in den Medien auftauchte. Eine weiteres Alarmzeichen war die nicht funktionierende Tokenomik des Projekts – wenn das Projekt einen APY von über 1000 Prozent pro Jahr anbietet, woher kommt dann diese Bewertung? Darüber ist auch der fehlende Nutzen ein Warnsignal – NFTs waren ein nettes Konzept, sind aber heutzutage praktisch nutzlos. Es wurden einfach keine Projekte geschaffen, um die beispiellos hohe Bewertung von bedeutungslosen Bildern zu rechtfertigen. Es geht also darum, den gesunden Menschenverstand zu gebrauchen – dazu braucht man nicht einmal Insider-Informationen.

Könnten Sie uns einige Ihrer Überlegungen teilen, wie Investoren fundierte Entscheidungen treffen können, um die Risiken im Krypto-Bereich zu minimieren, insbesondere im Hinblick auf die langfristige Stabilität von Krypto-Projekten?

Ein Teil dieser Frage wurde bereits in der vorherigen Antwort beantwortet. Ich will zumindest noch auf folgenden Punkte zum wirtschaftlichen, tokenomischen und nützlichen Sinn des jeweiligen Projekts hinweisen: Überprüfen Sie das Team, das an dem Projekt arbeitet – erfahrene Leute sind besser, ebenso Gründer, die sich mehr auf Technologie und Geschäft konzentrieren als auf kurzfristigen Hype. Vermeiden Sie Projekte, die als Scherz gedacht sind (z.B. DOGE) oder direkt behaupten, ein sinnloser Hype zu sein (z.B. Meme-Coins). Projekte, deren Gründer anonym oder quasi-anonym sind (Satoshi Nakamoto, Nicolas von Saberhagen…), können dennoch einen Sinn haben, doch ist hier eine tiefere Analyse des Projekts im Hinblick auf seine Funktionalität erforderlich, um Abzocke und Betrug zu vermeiden. Zugleich sind solche Projekte (so genannte „true cryptos“), besser in der Lage, Offensiven von Regulierungsbehörden standzuhalten aber Investitionen in sie sind riskanter (2010 konnten wir nicht einmal davon träumen, dass Bitcoin jemals nur einen US-Dollar wert sein würde).

Idealerweise sollte man sich mit einem echten Kryptopionier (den sogenannten OGs) beraten – Menschen, die seit mehr als 10 Jahren in der Kryptowirtschaft tätig sind, verfügen in der Regel über eine Menge Insider-Informationen, zu denen die breite Öffentlichkeit keinen Zugang hat, und sie kennen sich untereinander. Denken Sie immer daran, dass mit erhöhten Renditen in der Kryptowährung (und manchmal sogar bis zu 1.000 Prozent und mehr) auch ein erhöhtes Risiko einhergeht.

Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen für die Zukunft der Krypto-Branche?

Die größten Herausforderungen für Krypto in der nahen Zukunft – ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Ordnung – sehe ich zum Beispiel im Widerstand gegen Überregulierungsbemühungen, Zensur und Angriffe durch die Behörden sowie in der Akzeptanz durch die breite Öffentlichkeit. Krypto erinnert heutzutage eher an Linux – ein hervorragendes Betriebssystem von Geeks für Geeks. Leider ist es als solches für die breite Öffentlichkeit unbrauchbar, eine Öffentlichkeit, die ein Apple-ähnliches System begehrt. Man drückt auf den großen Knopf und es funktioniert. Ein häufiges Argument gegen die Verberitung von Krypto lautet, dass es aufgrund seiner Komplexität von der breiten Öffentlichkeit niemals akzeptiert werden kann – darauf antworte ich einfach, dass die E-Mail noch komplexer ist, der allgemeine Benutzer ihre Funktionsweise ohnehin nicht versteht und sie dennoch von allen benutzt wird.

Leider wird die abnehmende Qualität des Codes und der Sicherheit auch für die Kryptowährung eine große Herausforderung darstellen. Da es nur wenige kompetente Entwickler gibt, die in der Lage sind, die grundlegenden Komponenten des Codes zu erstellen – dafür muss man gleichzeitig Mathematiker, Kryptograph und Entwickler sein und über Kenntnisse in Psychologie und Wirtschaft verfügen –, nehmen Qualität und Sicherheit der Projekte in allen Bereichen relativ stark ab. Wir sehen das an der wachsenden Zahl von Hacks – von Cross-Chain-Brücken über Smart Contracts, ungelöste Flash Loan-Angriffe bis hin zu für Experten wenig überraschenden Sicherheitsproblemen der L2-Layer (z.B. dem Lightning Network bei Bitcoin).

Als positive Herausforderungen betrachte ich: vollwertige homomorphe Verschlüsselung, quantenresistente Algorithmen, kontinuierliches Brechen von Monopolen beim Mining in PoW-Protokollen (sogenanntes Plebs-Mining), die Säuberung der Branche von FTX-artigen Fälle, und viele weiter.

Über Igor Pauer

Igor Pauer ist seit 1996 im Bereich E-Commerce tätig und gehört zu den erfahrensten Mitgliedern der Krypto-Community, in der er seit 2010 aktiv ist. Zu seinen Erfolgen gehört die Einführung von Bitcoin als alternative Zahlungsmethode beim tschechischen Onlinehändler Alza.cz. Pauer beriet Banken, Investmentfonds und Privatunternehmen in der Schweiz und in Asien bei ihren Einstiegsstrategien in die Kryptowirtschaft. Seit 2022 ist er maßgeblich an der Entwicklung des Krypto-Assets SuperFrank beteiligt.


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Markus Haller ist CEO & CTO von Asseco Solutions (c) Asseco Solutions
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