Die „goldene Karotte“: Effizienzsteigerung und neue Geschäftsmodelle durch Agentic AI

Wie SAP mit Agentic AI und generativer KI Geschäftsprozesse neu definiert – und warum Nachvollziehbarkeit, Ethik und europäische KI-Modelle dabei entscheidend sind, erklärte Peter Sperk, Head of Customer Advisory SAP Austria, im Rahmen eines ITWelt.at-Roundtables. [...]

Peter Sperk, Head of Customer Advisory SAP Austria (c) timeline/Rudi Handl
Peter Sperk, Head of Customer Advisory SAP Austria (c) timeline/Rudi Handl

Agentic AI und generative KI markieren einen Wendepunkt in der Automatisierung und Optimierung geschäftskritischer Prozesse. Während Unternehmen seit Jahren auf strukturierte Daten und bewährte Machine-Learning-Ansätze setzen, eröffnet die Integration autonomer KI-Agenten völlig neue Möglichkeiten: Prozesse werden nicht nur effizienter, sondern auch flexibler und intelligenter gestaltet. SAP verfolgt dabei einen technologieoffenen Ansatz, integriert KI-Modelle direkt in die Geschäftsprozesse und legt besonderen Wert auf Nachvollziehbarkeit, Governance und europäische Technologiepartnerschaften. Die Herausforderung für Unternehmen liegt heute weniger in der Technologie selbst, sondern in der Schaffung der nötigen Daten- und Prozessgrundlagen, um das volle Potenzial von Agentic AI und generativer KI auszuschöpfen, sagte Peter Sperk, Head of Customer Advisory SAP Austria, im Rahmen des Roundtables „Übernehmen die KI-Agenten?“.

Wie verändert der Einsatz von Agentic AI und generativer KI die Gestaltung und Effizienz geschäftskritischer Prozesse bei SAP?

Unsere Kunden vertrauen ihre geschäftskritischen Prozesse bereits seit vielen Jahren SAP an. Dabei handelt es sich häufig um standardisierte Abläufe, die bislang jedoch überwiegend von Menschen gesteuert und überwacht werden. Agentic AI und Künstliche Intelligenz bieten nun das Potenzial, diese Aufgaben zunehmend autonom zu übernehmen – selbstverständlich weiterhin unter menschlicher Aufsicht. Das ermöglicht es, Geschäftsprozesse auf völlig neue Weise zu gestalten und dadurch deutlich effizienter zu werden. Letztlich geht es dabei immer auch um die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen.

Wir haben den großen Vorteil, dass wir bereits seit vielen Jahren mit strukturierten Daten arbeiten – insbesondere aus analytischer Perspektive. Vieles davon ist nicht neu: Machine-Learning-Szenarien, Algorithmen sowie Planungs- und Forecasting-Mechanismen sind seit Langem etabliert. Neu hinzugekommen sind in den letzten Jahren Deep Learning und Generative AI, die das Spektrum der Möglichkeiten deutlich erweitern.

Mit Blick auf Agentic AI verfolgen wir einen technologieoffenen Ansatz: Unser Fokus liegt stets auf dem Geschäftsprozess. Wir wählen die jeweils beste verfügbare Technologie am Markt aus und betten diese in einen konkreten Business-Kontext ein. Es wurde oft kritisiert, dass SAP kein eigenes Large Language Model entwickelt hat. Wir haben uns bewusst dagegen entschieden, weil es am Markt bereits hervorragende Lösungen gibt. Stattdessen stellen wir unseren Kunden rund 30 verschiedene Modelle zur Verfügung und integrieren diese passgenau in die jeweiligen Geschäftsprozesse.

Dabei arbeiten wir unter anderem mit IBM, OpenAI sowie europäischen Anbietern wie Mistral und Aleph Alpha zusammen. Gerade die Einbindung europäischer Sprachmodelle ist uns ein wichtiges Anliegen, um nicht ausschließlich auf amerikanische Technologieanbieter angewiesen zu sein. Ich denke, das ist ein wesentlicher Aspekt, der uns von anderen unterscheidet und unseren Kunden einen echten Mehrwert bietet.

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Welche Bedeutung messen Sie Nachvollziehbarkeit von KI-Systemen im geschäftlichen Umfeld bei, insbesondere im Hinblick auf Vertrauen und Akzeptanz bei den Anwendern?

Das Thema Reasoning, über das in letzter Zeit häufig gesprochen wird, ist im geschäftlichen Kontext von zentraler Bedeutung. Wenn ich als Anwender nicht überzeugt bin, dass das System zuverlässig funktioniert, werde ich es nicht nutzen oder nach alternativen Lösungen suchen. Das gilt nicht nur für KI, sondern für jedes IT-System: Vertraue ich beispielsweise meinem Produktionsplanungssystem nicht, entsteht ein ernsthaftes Problem. Genauso verhält es sich mit KI-basierten Anwendungen.

Die Erklärbarkeit von KI ist daher im Business-Umfeld ein entscheidender Faktor. Letztlich geht es auch um das Thema Verantwortung: Welche Verantwortung übernehme ich als Nutzer für einen bestimmten Prozess, wenn ich gar nicht nachvollziehen kann, wie das System arbeitet? Diese Verantwortung kann ich nur übernehmen, wenn die Funktionsweise – etwa das Handeln von KI-Agenten – für mich transparent und nachvollziehbar ist.

Erklärbare und verständliche KI ist somit eine Grundvoraussetzung für Vertrauen, Akzeptanz und die erfolgreiche Integration von KI-Lösungen in geschäftskritische Prozesse.

Wie weit sind Unternehmen heute tatsächlich von der Vision entfernt, Geschäftsprozesse durch autonome KI-Agenten optimieren zu lassen – und woran scheitert die praktische Umsetzung bislang am häufigsten?

Es gibt eine große „goldene Karotte“, die derzeit allen Unternehmen vor Augen geführt wird. Spricht man heute mit Finanzchefinnen und Finanzchefs, so haben sich die grundlegenden Business-Anforderungen kaum verändert: Unternehmen sollen wettbewerbsfähiger und produktiver werden. Natürlich spielen auch Kosteneffizienz und die Beschleunigung von Abläufen eine Rolle, ebenso wie eine angenehmere Kundenerfahrung. Diese betriebswirtschaftlichen Ziele sind nach wie vor zentral.

Peter Sperk,
Head of Customer Advisory
SAP Austria
© timeline/Rudi Handl

Wenn man sich jedoch vorstellt, dass künftig überall Agenten miteinander interagieren und Geschäftsprozesse autonom optimieren, stößt man auf eine wesentliche Herausforderung: Die notwendige Verankerung in den Unternehmensdaten. In der Praxis sehen wir bei vielen Unternehmen, dass die Voraussetzungen hierfür noch nicht vollständig gegeben sind. Es reicht nicht aus, einfach ein Netz interaktiver KI-Agenten „anzuschalten“, die dann nahtlos zusammenarbeiten. Vielmehr ist zunächst grundlegende Vorarbeit erforderlich.

Hierzu zählen insbesondere die Standardisierung von Unternehmensprozessen und die Vereinheitlichung von Datenstrukturen – klassische SAP- und ERP-Themen. In vielen Unternehmen wird uns im Gespräch schnell klar: Bevor KI-Agenten Geschäftsprozesse optimieren können, müssen zunächst die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen werden.

Zusammengefasst: Die Technologie ist grundsätzlich vorhanden, aber viele Unternehmen müssen noch an ihren Grundlagen arbeiten, damit das große Versprechen autonomer, datengetriebener Prozessoptimierung tatsächlich eingelöst werden kann

Wie entscheiden Unternehmen im SAP-Umfeld, ob sie KI-Lösungen selbst entwickeln oder auf standardisierte, eingebettete Angebote von Drittanbietern zurückgreifen?

Es ist ein wenig die klassische Frage „Make or Buy“. Unser Ansatz in der SAP-Welt, in der wir Geschäftsprozesse betrachten, ist folgender: Wir analysieren jeden einzelnen Prozess – und das sind bei unseren Kunden sehr viele – und prüfen, wo wir Lösungen „Out of the Box“ anbieten können. Diese Lösungen sind dann fix und fertig eingebettet und unterstützen den Prozess direkt.

Denn letztlich geht es um Skalierung. Ein Unternehmen wird kaum in der Lage sein, Dutzende oder gar Hunderte eigener KI-Anwendungsfälle zu entwickeln – es wird sich auf die Fälle konzentrieren, die wirklich wettbewerbsentscheidend sind. Alle anderen Use Cases werden zugekauft.

Beispielsweise kann eine KI, die das Meetingprotokoll automatisch erstellt, von Microsoft kommen. Oder eine KI, die im Hintergrund Steuerkennzeichen korrekt ermittelt, wird von SAP bereitgestellt – also eingebettete, standardisierte Lösungen.

Daneben gibt es die sogenannten Custom Cases: Szenarien, die das Unternehmen wirklich unterscheiden, die für das Geschäftsmodell oder ein neues Produkt wichtig sind und für die es sich lohnt, eigene Lösungen zu entwickeln. Das Gros der Anwendungsfälle wird jedoch künftig von Anbietern bezogen werden – idealerweise nahtlos eingebettet in die bereits genutzten Systeme und Prozesse.

Wie begegnen Sie den spezifischen Herausforderungen beim Einsatz von KI-Anwendungen in der Cloud, insbesondere im Hinblick auf vortrainierte Lösungen und die Erwartungen Ihrer Kunden an sofort einsatzbereite Software?

Die Herausforderungen hängen stark vom jeweiligen Anwendungsfall ab. Nehmen wir als Beispiel einen Kunden mit einer HR-Software, die in der Cloud betrieben wird. Grundsätzlich gilt: Die meisten KI-Anwendungen, insbesondere im Zusammenhang mit Cloud-Software, laufen heute ebenfalls in der Cloud.

Wenn ein Kunde beispielsweise eine Stellenausschreibung generieren möchte, handelt es sich um einen typischen Anwendungsfall für generative KI. Jeder, der schon einmal eine Stellenbeschreibung für eine neue Position erstellt hat, weiß, wie aufwendig dieser Prozess sein kann – und wie leicht dabei unbewusste Vorurteile (Bias) einfließen können. Für solche Aufgaben gibt es bereits vortrainierte KI-Lösungen, bei denen sichergestellt wurde, dass Bias minimiert wurde. Diese Lösungen können sofort eingesetzt werden, sobald die entsprechende Software genutzt wird.

Daneben gibt es natürlich auch Szenarien, in denen bestehende Prozesse oder die zugrunde liegende Infrastruktur – beispielsweise im Rahmen einer ERP-Erneuerung – angepasst werden müssen. Viele Anwendungsfälle lassen sich jedoch bereits „Out of the Box“ nutzen. Genau das erwarten unsere Kunden heute: Sie kommen nicht zu SAP, um gemeinsam eine KI-Lösung zu entwickeln, sondern möchten SAP-Lösungen einfach konsumieren und direkt einsetzen können. Gerade im Cloud-Umfeld ist dies mittlerweile in sehr vielen Fällen Realität.

Wie gelingt es Unternehmen, Künstliche Intelligenz nicht nur als Trendthema zu diskutieren, sondern konkrete Anwendungsfälle zu identifizieren und nachhaltig in die Unternehmenspraxis zu integrieren?

Peter Sperk,
Head of Customer Advisory
SAP Austria
© timeline/Rudi Handl

Die zentrale Frage ist: Wie bringen wir das Thema tatsächlich in die Praxis? Dafür gibt es verschiedene Ansätze. Zunächst ist es sinnvoll, sich grundsätzlich mit dem Thema auseinanderzusetzen und interne Ressourcen aufzubauen, die sich intensiv damit beschäftigen und eine klare Strategie entwickeln. So wird verhindert, dass unkoordiniert einzelne Lösungen entstehen, ohne dass sie in eine Gesamtstrategie eingebettet sind.

Im nächsten Schritt stellt sich in den Unternehmen schnell die Frage nach den konkreten Use Cases: Wo kann KI im Unternehmen echten Mehrwert schaffen? Hier gibt es unterschiedliche, meist sehr kreative Formate. Häufig setzt man sich gemeinsam – ganz klassisch mit Flipchart – zusammen und diskutiert mit den Fachbereichen oder Kunden, welche Herausforderungen bestehen und wo KI sinnvoll eingesetzt werden könnte.

Wie schätzen Sie den aktuellen Stand der KI-Implementierung in Unternehmen ein?

Wenn es um die Umsetzung konkreter Use Cases geht, werden schnell die Voraussetzungen deutlich – insbesondere im Hinblick auf die Datenbasis. Hier kann es durchaus anspruchsvoll werden. In der Regel findet man jedoch erste Anwendungsfälle, die vergleichsweise schnell und unkompliziert umgesetzt werden können.

Kein Unternehmen startet bei null und ist sofort vollständig KI-getrieben. Vielmehr ist es ein Lernprozess: Unternehmen lernen zunächst, mit KI „zu gehen“. Agentic AI wäre dann der nächste Schritt – das „Laufen“. An diesem Punkt sind die meisten Unternehmen heute noch nicht, aber sie machen die ersten Schritte und werden zunehmend schneller und sicherer im Umgang mit KI.

Zusammengefasst: Das Thema ist gesetzt, aber wir sind noch weit davon entfernt, dass KI und Agentic AI flächendeckend in den Unternehmen angekommen sind. Der Weg dorthin ist ein kontinuierlicher Lern- und Entwicklungsprozess.

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Wie bewerten Sie das Sparpotenzial durch den Einsatz von KI und Automatisierung in Unternehmen, und welche Kriterien sind für Sie entscheidend, wenn es um die Auswahl und Umsetzung konkreter Use Cases geht?

Aktuell lässt sich das Sparpotenzial noch nicht abschließend bewerten, da Unternehmen zunächst analysieren, wo die größten Potenziale liegen. Der Fokus liegt derzeit auf der Identifikation und Bewertung von Use Cases – und ein Anwendungsfall, der keinen klaren Return on Investment (ROI) verspricht, wird in der Regel auch nicht weiterverfolgt. Allerdings lässt sich nicht jeder Use Case ausschließlich an finanziellen Kennzahlen messen. Wenn Prozesse beschleunigt werden, bedeutet das nicht zwangsläufig direkte Kosteneinsparungen, sondern kann beispielsweise auch zu einer schnelleren Verfügbarkeit von Informationen für Kunden führen.

Am Ende des Tages wird es jedoch entscheidend sein, dass durch den Einsatz von KI und Automatisierung entweder Einsparungen erzielt werden oder nach dem Prinzip „do more with the same“ eine höhere Produktivität erreicht wird. Daran werden wir uns letztlich messen lassen müssen, denn das Ziel bleibt, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen – insbesondere auch in Österreich – nachhaltig zu stärken.

Natürlich werden wir auch über Einsparungen sprechen, allerdings im positiven Sinne. Eine aktuelle Studie von Boston Consulting Group zeigt beispielsweise, dass das Thema Kosteneinsparung derzeit sehr hohe Priorität in den Führungsetagen hat. Gleichzeitig geben fast 90 % der Befragten an, KI einführen zu wollen, um die daraus resultierenden Effizienzgewinne wiederum in das Unternehmen zu investieren.

Zusammengefasst: KI ist kein reines „Cost-Cutting“-Thema, sondern in erster Linie ein Hebel, um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern und Unternehmen zukunftssicher aufzustellen.

Welche Strategie empfehlen Sie Unternehmen beim Einstieg in die Nutzung von Künstlicher Intelligenz?

Einige Zahlen aus unserem Geschäftsbericht: Im vierten Quartal 2024 hatte bereits die Hälfte aller neu gewonnenen Aufträge einen KI-Anteil in den Auftragsbüchern. Handelte es sich dabei schon um große, umfassende Projekte? Nein, es waren meist kleinere Bereiche, in denen man relativ einfach und unkompliziert starten konnte – aber es ist ein wichtiger Anfang.

Das zeigt auch: Die Investitionen sind sinnvoll und gut platziert. Es ist nicht notwendig, sofort große Summen in den Aufbau einer umfangreichen Infrastruktur zu stecken. Vielmehr empfiehlt es sich, mit kleineren Projekten zu beginnen und schrittweise zu wachsen. Genau das beobachten wir aktuell am Markt.

Wie stellen Sie sicher, dass die zunehmende Integration von KI-Prozessen in Ihren Produkten stets ethischen Standards und klaren Governance-Richtlinien entspricht – und welche Erwartungen haben Sie diesbezüglich an Ihre Technologiepartner?

Wir haben heute bereits über über 200  eingebettete KI-Funktionalitäten in unseren Produkten und werden diese Zahl bis zum Jahresende voraussichtlich verdoppeln. Von einem Anbieter erwarte ich, dass diese Prozesse bereits mit einem entsprechenden Governance- und Ethik-Framework ausgestattet sind.

Wir verfügen über ein umfassendes Ethical- und Governance-Framework, in dem jeder Use Case detailliert beschrieben und die relevanten Themen klar definiert werden. Dazu gehört auch, dass bestimmte Anwendungsfälle – sogenannte „Red Flags“ – von uns grundsätzlich ausgeschlossen werden. Unsere Kunden können sich darauf verlassen, dass wir beispielsweise keine Anwendungen wie Social Scoring anbieten. Solche Ausschlüsse sind fester Bestandteil unserer AI Ethics und werden von uns als Hersteller auch erwartet.

Das schafft Vertrauen und erleichtert die Nutzung unserer Lösungen, weil unsere Kunden sicher sein können, dass SAP beispielsweise für Bias-Freiheit sorgt, ethische Standards einhält und Aspekte wie „Human in the Loop“ korrekt umgesetzt werden. Gleichzeitig ist es selbstverständlich, dass Unternehmen den Überblick über alle eingesetzten KI-Lösungen behalten müssen – das ist eine Grundvoraussetzung für verantwortungsvolle KI-Nutzung im gesamten Unternehmen.

Peter Sperk, Head of Customer Advisory SAP Austria © timeline/Rudi Handl

Wie gehen Unternehmen wie SAP mit der Herausforderung um, einerseits innovative KI-Tools im Arbeitsalltag zu ermöglichen und andererseits den Schutz sensibler Unternehmensdaten sicherzustellen?

Das hat zwar nicht direkt mit Agentic AI zu tun, aber ich möchte ein Beispiel aus der SAP-Praxis anführen: Ich persönlich habe immer wieder gerne mit einem frei verfügbaren AI Übersetzungstool gearbeitet. Eines Tages war der Zugriff auf die Seite im SAP Netzwerk nicht mehr möglich. SAP hatte entschieden, das Tool im Unternehmensnetzwerk nicht mehr zuzulassen.

Der Hintergrund ist nachvollziehbar: Im Unternehmenskontext werden über solche Tools häufig keine belanglosen Inhalte, sondern beispielsweise vertragsrechtliche Dokumente oder andere sensible Informationen übersetzt. Die Frage ist dann, ob man diese Dokumente wirklich in eine externe Cloud geben möchte und wie sicher der Umgang mit diesen Daten ist. In diesem Fall war sich SAP hinsichtlich der Datensicherheit nicht ausreichend sicher.

Wichtig ist jedoch, dass man als Unternehmen, wenn man bestimmte Tools verbietet, auch adäquate Alternativen bereitstellt. Andernfalls werden Mitarbeitende versuchen, Umgehungslösungen zu finden, was wiederum zu neuen Risiken führt. Es reicht also nicht, einfach den Zugang zu sperren und nur eine sehr eingeschränkte Auswahl zu erlauben – es braucht eine umfassende Strategie und passende Alternativen für die Mitarbeitenden.

Das Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, technologische Entscheidungen im größeren Kontext zu betrachten und für die Anwender nachvollziehbare und sichere Lösungen bereitzustellen. Im Nachhinein betrachtet, ergibt diese Entscheidung durchaus Sinn, wenn man die zugrundeliegenden Überlegungen berücksichtigt.

Wie bewerten Sie die aktuellen Herausforderungen und Rahmenbedingungen für Governance und Richtlinien beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz in Unternehmen?

So wie es in Unternehmen allgemeine Governance-Richtlinien gibt – beispielsweise Ausgabenlimits für Hotels oder die Freigabe bestimmter Cloud-Dienste –, sollte auch Künstliche Intelligenz fester Bestandteil jeder IT-Strategie sein. In diesem Zusammenhang sehe ich keine gravierenden Herausforderungen, denn es gibt bereits zahlreiche Beratungsangebote und viele bewährte Praxisbeispiele.

Natürlich müssen wir uns an bestehende Regularien und Frameworks halten. Es gibt beispielsweise Ethikrichtlinien der UNESCO, an denen sich die großen Anbieter orientieren – und wir selbstverständlich auch. Viele dieser Vorgaben und Leitlinien sind bereits gut durchdacht und etabliert. Daher sehe ich das Thema Richtlinien und Governance im Kontext von KI gut aufgehoben.

Wie stellen Sie sicher, dass bei der Integration von KI-Lösungen in betriebliche Abläufe die Verantwortlichkeiten klar geregelt sind und ethische sowie datenschutzrechtliche Anforderungen von Anfang an berücksichtigt werden?

Unser Ansatz ist, dass in jedem Use Case grundsätzlich sichergestellt sein muss, dass die Verantwortlichkeit für das, was geschieht, eindeutig einer Organisation oder einer Person zugeordnet werden kann. Das ist kein neues Thema – beispielsweise ist das bereits seit vielen Jahren in der Produktionsplanung relevant. Auch dort werden häufig komplexe, heuristische Verfahren eingesetzt, deren Ergebnisse nicht immer im Detail nachvollziehbar sind. Dennoch vertrauen Produktionsplaner darauf, dass die Planung korrekt ist.

Wenn künftig ein KI-Agent solche Aufgaben übernimmt, muss weiterhin klar sein, wer die Verantwortung trägt – sei es die Person, die den Prozess angestoßen hat, oder jemand, der die Ergebnisse überprüft. Hier kommt das Thema Governance ins Spiel: Es muss einen definierten Prozess geben und eine Person, die für diesen Prozess verantwortlich ist und beispielsweise auch kontrolliert, ob die eingesetzten Modelle korrekt arbeiten.

Damit Kunden diese Verantwortung übernehmen können, müssen wir als Hersteller unterstützen. Dazu gehören auch Fragen der Berechtigung: Darf die KI überhaupt auf bestimmte Daten zugreifen? Besteht die Gefahr, dass sie – vielleicht auf Umwegen – an Informationen gelangt, die sie nicht verarbeiten sollte? Solche Aspekte müssen klar geregelt und technisch abgesichert sein.

Als Kunde erwarte ich von einem Anbieter, der KI-Szenarien bereitstellt, dass diese ethischen und verantwortungsbezogenen Anforderungen bereits integriert und berücksichtigt sind.

Wie verändern sich klassische Prinzipien des Risikomanagements und der Verantwortungszuweisung, wenn Unternehmen zunehmend KI-gestützte und automatisierte Prozessketten einsetzen?

Eigentlich ist das Thema gar nicht neu. Wenn ich heute als Unternehmen beispielsweise regle, wer über Bankkonten verfügen darf, stelle ich mir ähnliche Fragen: Habe ich einen Prozess, bei dem eine einzelne Person beliebig Zahlungen ausführen kann, oder setze ich auf ein Vier-Augen-Prinzip, bei dem eine zweite Person jede Transaktion überprüft? Das ist letztlich eine Frage des Risikomanagements. Wenn nur eine Person autorisiert ist, besteht das Risiko, dass große Geldbeträge unbefugt beispielsweise 50 Millionen Euro unbemerkt abfließen – und das hat zunächst nichts mit KI zu tun.

Mit dem Einsatz von KI werden diese Fragestellungen jedoch noch relevanter. Gerade wenn ganze Prozessketten automatisiert werden, müssen wir uns intensiv mit dem Thema Verantwortung auseinandersetzen. Was bedeutet es, wenn jemand plötzlich für einen automatisierten Prozess verantwortlich ist und die Aufgabe hat, die KI zu überwachen? Ist das in der Praxis überhaupt leistbar?

Hier werden sicherlich neue Fragestellungen und auch neue Rollen entstehen, etwa im Bereich der Prozessverantwortung und des Risikomanagements. In Zukunft werden wir uns noch stärker mit diesen Themen beschäftigen müssen. Dennoch bin ich der Meinung, dass die Potenziale von KI überwiegen. Vorsicht und Bedachtsamkeit sind wichtig, aber die Chancen, die sich durch den Einsatz von KI eröffnen, sind es wert, diese Herausforderungen aktiv anzugehen.

Wie verändert der zunehmende Einsatz von Automatisierung und Künstlicher Intelligenz die Aufgabenverteilung und Rollenprofile in Unternehmen – Stichwort Mensch und Maschine?

Gerade in der Privatwirtschaft ist der Wettbewerbsdruck hoch, was automatisch dazu führt, dass Themen wie Kostenoptimierung und Automatisierung eine zentrale Rolle spielen. Repetitive Aufgaben werden zunehmend nicht mehr von Menschen, sondern durch automatisierte Systeme übernommen. Ein Beispiel aus der Vergangenheit ist die manuelle Eingabe von Eingangsrechnungen, die heute bereits seit langem durch OCR-Technologien automatisiert wird. In Zukunft werden wir erleben, dass beispielsweise Kundenaufträge, die als PDF ins Unternehmen gelangen, vollständig automatisiert – inklusive der Anlage von Stammdaten – von KI-Agenten verarbeitet werden. Die Rolle des Menschen beschränkt sich dann darauf, die Ergebnisse zu überprüfen und freizugeben.

In den Fachbereichen werden Mitarbeitende durch KI in ihrer Produktivität gestärkt. Wenn ich als Manager beispielsweise Ziele für meine Mitarbeitenden definieren muss, kann KI dabei unterstützen, diese Ziele nach bestimmten Regeln – etwa SMART-Kriterien – besser zu formulieren. Solche Aufgaben, die bisher viel Zeit in Anspruch genommen haben, werden durch KI effizienter und qualitativ hochwertiger gestaltet.

Wir werden also sehen, dass bestehende Rollen durch KI angereichert („enriched“) werden. Gleichzeitig werden einige Tätigkeiten, insbesondere repetitive Aufgaben, wegfallen. Es werden aber auch völlig neue Aufgaben- und Tätigkeitsfelder entstehen, da KI neue Möglichkeiten eröffnet – etwa sogenannte „Zero-Touch“-Prozesse, bei denen Abläufe, die früher mehrere Tage gedauert haben, in Echtzeit abgewickelt werden können.

Für den Wirtschaftsstandort Österreich bedeutet das: Unser Ziel bleibt eine funktionierende und wettbewerbsfähige Volkswirtschaft. Der Einsatz von KI wird dazu beitragen, dass wir in unseren Industrien und Branchen weiterhin erfolgreich bleiben. Ich bin überzeugt, dass die demografische Entwicklung nicht zu mehr Arbeitslosigkeit führen wird – im Gegenteil: Wir werden die gleichen oder sogar bessere Ergebnisse mit weniger Personaleinsatz erzielen können.

Wie gelingt es Unternehmen, Künstliche Intelligenz nicht nur als Technologie einzuführen, sondern sie als integralen Bestandteil der digitalen Transformation zu verankern und dabei die Mitarbeitenden erfolgreich mitzunehmen?

Wenn wir über digitale Transformation sprechen, ist Künstliche Intelligenz ein integraler Bestandteil davon. Im Idealfall wird KI nicht als isolierte Technologie wahrgenommen, sondern als natürlicher Bestandteil neuer Prozesse und Oberflächen.

Das Thema ist so alt wie Geschäftsprozesse selbst: Veränderung muss richtig kommuniziert werden. Es braucht eine klare Strategie, die Mitarbeitenden müssen frühzeitig eingebunden und Stakeholder an Bord geholt werden. Pilotprojekte mit engagierten Teams sind essenziell – das ist klassisches Change Management. Und auch heute ist das keine leichte Aufgabe.

Erst vor wenigen Wochen sprach ich mit einem CEO, der gerade ein neues System einführt. Seine größte Herausforderung ist es, die Mitarbeitenden mitzunehmen und für die Neuerungen zu begeistern. Die zentralen Themen bleiben: klare Kommunikation, frühzeitige Einbindung und kontinuierliche Begleitung der Mitarbeitenden.

Gerade bei größeren Transformationen geht es nicht nur um die Einführung von KI, sondern um weitreichende Veränderungen. Prozesse und Interaktionen werden sich verändern. Beispielsweise müssen Mitarbeitende künftig nicht mehr täglich ins System schauen, sondern erhalten gezielt Ausnahmen und Aufgaben, um die sie sich kümmern müssen. Solche Veränderungen müssen offen und transparent kommuniziert werden.

Letztlich bleibt es eine klassische Managementaufgabe: Change Management muss professionell und vorausschauend gestaltet werden, damit Mensch und KI gemeinsam erfolgreich sind.

Wie sehen Sie die Zukunft von Agentic AI und wie sind die heimischen Unternehmen darauf vorbereitet?

Ich stelle mir die Reise unserer Kunden ein wenig wie ein Schienennetz vor: Es gibt Unternehmen, die derzeit noch im „Bummelzug“ unterwegs sind, und solche, die bereits auf der Überholspur fahren möchten. Eines zeichnet sich jedoch klar ab: Wer beim Thema KI nicht vorne mit dabei ist oder zumindest keinen klaren Plan hat, wird am Ende des Tages abgehängt werden.

Technologisch ist es schwer vorherzusagen, wohin die Entwicklung genau führen wird – etwa, ob wir in den nächsten 10 bis 15 Jahren eine annähernd allgemeine Künstliche Intelligenz erleben werden. Darüber lässt sich trefflich philosophieren. Was jedoch sicher ist: Das Thema Agentic AI wird uns in den kommenden Jahren intensiv beschäftigen. Wir stehen aktuell an dem Punkt, an dem Unternehmen „gehen lernen“ – und nun gilt es, ins „Laufen“ zu kommen.

Ob es in naher Zukunft noch einen weiteren technologischen Durchbruch geben wird, bleibt abzuwarten. Meine Vermutung ist, dass wir uns zunächst auf das Thema Hochautomatisierung konzentrieren werden. Schon jetzt sehen wir, dass Unternehmen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten unterwegs sind – und genau diese Geschwindigkeit wird künftig ein entscheidender Wettbewerbsfaktor sein. Davon bin ich überzeugt.

Den vollständigen Roundtable „Übernehmen die KI-Agenten?“ gibt es hier zum nachsehen.


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