„Die menschliche Kompetenz wird immer wichtiger“

Die ORS mit Hauptsitz in Wien ist spezialisiert auf die Verbreitung von Audio- bzw. audiovisuellen Angeboten via Terrestrik, Satellit und Kabel sowie auch IP-Services und Streaming-Lösungen. Die IT WELT sprach mit Markus Gürtler, CIO der ORS Group, über Fachkräftemangel und Security in Zeiten der KI und warum one2many-Streaming in punkto Nachhaltigkeit die Nase vorn hat. [...]

Markus Gürtler, Chief Information Officer, ORS Group (c) ORS Group
Markus Gürtler, Chief Information Officer, ORS Group (c) ORS Group

Unterscheidet sich die Arbeit eines CIO bei ORS von jener eines CIO in einer anderen Branche und falls ja, wodurch?

Ich würde sagen die Arbeit unterscheidet sich generell bei CIOs in unterschiedlichen Branchen nicht wesentlich. Es gibt eine etwa 80-prozentige Schnittmenge und nur die restlichen 20 Prozent sind dann branchenspezifisch ausgeprägt.

Das Spezifikum der ORS ist, dass wir im Medienbereich tätig sind, wo es spezielle Anforderungen gibt. Wichtig ist auch zu erwähnen, dass die ORS in der Distribution und nicht in der Produktion arbeitet. Das Zusammenschneiden der Beiträge der ZIB2 beispielsweise oder die Auswahl des Bildausschnitts obliegt nicht uns – uns wird nur das Signal übergeben und wir bringen die Inhalte über alle möglichen Distributionswege (DVB-T2, Satellit, und auch Streaming) zu den Endkunden.

Nutzen Sie KI und Automatisierung, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken?

Wie Sie richtig sagen, herrscht ein großer Fachkräftemangel, weswegen man die Ressourcen, die man hat, gut nutzen sollte. Dafür wird man in Zukunft vermehrt KI einsetzen. Auch wir versuchen, KI genau in diesem Bereich verstärkt einzusetzen und verwenden dafür zum Beispiel Microsoft Co-Pilot, vor allem in der Software-Entwicklung. Das ist derzeit noch in der Proof-of-Concept-Phase (PoC), seit drei Monaten verwenden wir den Co-Pilot mit 100 ausgewählten Mitarbeitern. Doch schon jetzt sehen wir eine signifikante Produktivitätssteigerung, wobei da sicher noch mehr drin ist. Aber auch für Präsentationen, oder auch für Ausschreibungen, ist die Nutzung des Co-Piloten sehr hilfreich.

Was wir auch machen: Wir wollen im Bereich Customer Care mit Hilfe von KI die Callcenterkosten massiv reduzieren, die Beantwortungszeiten zu verkürzen um einen besseren Service für unserer Kunden zu erreichen.

Also ersetzt hier KI auch Arbeitskräfte?

Ja, aber nur jene, die wir derzeit ohnedies nicht bekommen. Man ersetzt also keine Arbeitskräfte, sondern es ist eher ein Optimieren jener Arbeitskräfte, die da sind. 

Wieviel Kosten wollen Sie hier einsparen?

Da evaluieren wir gerade. Hier geht es darum, ob man bereits beim Callcenter Mitarbeiter am Telefon mit KI arbeitet oder wir eher mit generative AI Tools arbeiten werden, wo durch Prompt-Eingaben das Wiki auf Antworten durchsucht wird, um die Effizienz zu steigern.

Wer kontrolliert die KI?

Wir haben derzeit eine FAQ, die gepflegt wird. Allein, wenn diese Pflege durch KI unterstützt würde, wäre das schon sehr hilfreich. Aber letztlich muss ein Mensch das Endergebnis kontrollieren, das bleibt einem nicht erspart.

Wie gefährlich ist KI für die Sicherheit?

Dass KI extrem gefährlich für die Sicherheit ist, zeigt sich in immer mehr Bereichen des täglichen Lebens, aber auch in der IT. KI gestützte DDOS-Attacken häufen sich. Aber auch zu deren Bekämpfung bedient man sich immer mehr an KI-Mitteln. Im Security-Bereich setzen wir KI vor allem im Log-File-Monitoring ein. Da sammeln wir von allen Servern die Log Files und versuchen mit bereits verfügbaren KI-Modellen Patterns für Attacken zu finden, um dann proaktiv darauf zu reagieren.

Ist für ORS KI nicht eine doppelte Sicherheitsgefahr? Zum einen als Möglichkeit über besser gemachte Ransomware und Fakes sich Zugang zum Netzwerk (Infrastrukturthema) zu verschaffen und zum anderen Bilder und Videos zu manipulieren (Inhaltethema)? 

Beim ersten Teil Ihrer Frage, dem Infrastrukturthemasehe ich keine unbedingt größere Gefahr als bei anderen Unternehmen. Eher sogar eine geringere Gefahr.

Da die ORS für das Ausspielen von Video-Inhalten über das Internet hauptsächlich von Live-Inhalten verantwortlich ist, ist Ransomware keine so große Gefahr. Encoding, Origin und CDN (Content Delivery Network) sind Standard-Anwendungen, die keine Daten speichern. Voraussetzung dafür ist natürlich ein valides Backup all dieser Systeme – das ist im Prinzip alles, was man benötigt, um hier auf der sicheren Seite zu sein.

Zum Inhaltethema: Die Erkennung von Fakes und manipulierten Inhalten wird immer wichtiger, nachdem die Möglichkeiten der KI in diesem Bereich enorm zunehmen.

Content ist nicht unsere Aufgabe, wir wollen uns aber schon auch in diesem Bereich bewegen. Wobei noch nicht klar ist, ob wir das mit KI machen. Watermarking ist derzeit ein Projekt, wo wir uns gerade im PoC befinden. Hier bauen wir im Zuge der Live-Übertragung Watermarks ein, die die Echtheit und den Ursprung bestätigen, falls der Content woanders auftauchen sollte. Hier werden im Bild mit dem freien Auge nicht wahrnehmbare Pixelkombinationen versteckt. Diese können überprüft und in der Blockchain gegengecheckt werden. Gegenwärtig experimentieren wir mit solchen Lösungen.

Diese Lösungen sind aber nicht ganz neu…

Ja, aber bisher waren sie viel zu teuer. Das hängt auch von der Nachfrage ab. Je mehr Firmen eine Lösung nachfragen, die die Echtheit bestätigt, desto günstiger werden diese Lösungen.

Welche Rolle spielt IT beim Umsetzen von ESG (Environmental, Social, Governance)-Zielen? Welche ESG-Ziele verfolgen Sie und wie wollen Sie diese umsetzen?

Speziell in diesem Bereich hat die ORS mit 5G Broadcast ein Leuchtturm-Projekt vorzuweisen.

Streaming über das klassische Internet ist ein großer Energiefresser. Ein CDN und die Tatsache, dass jeder Endkunde einen Internetanschluss benötigt, verursachen einen sehr hohen Energieaufwand im Vergleich zur klassischen Videodistribution, wo ein Sender tausende Endgeräte versorgt – Stichwort one2many.

Hier ist die ORS weltweit führend bei der Entwicklung des neuen IP-basierenden linearen Übertragungsstandards 5G Broadcast. Bei 5G Broadcast wird die klassische DVB-T2-Frequenz dafür verwendet, Live Streams auf die mobilen Endgeräte zu streamen. Die Funktionalität dazu ist im 5G-Standard-Protokoll sowie in den Chips und der Firmware der Smartphones bereits enthalten.

One2Many bedeutete früher aber auch, dass die Menschen Sendungen gleichzeitig auf dem Schirm empfangen haben. Wie sieht das heute beim Streaming aus, wo ja jeder zu seiner eigenen Zeit den Stream startet?

Wie gesagt werden beim 5G Broadcast die Frequenzen, die wir gegenwärtig für DVB-T2 verwenden, für das IP-Streaming nutzbar gemacht. 5G Broadcast ist eine Subvariante des Standard-5G-Protokolls und wird künftig in der Firmware der Handys integriert und ermöglicht es, auf den DVB-T2-Frequenzen IP-Streams auszuspielen. Die ORS setzt sich sehr dafür ein, dass die nötigen Chips verbaut werden – wir haben bereits die ersten Sender und Empfangsgeräte gebaut. Was bringt es: Beim Streamer steigen die Kosten und bei einem Live-Event kommt ja oft nicht die ganze Bandbreite an – wenn man bereits zur Hauptstreamingzeit streamt und dann noch der Sohn ins Heim-WLAN Netz einsteigt und ein Computerspiel startet, wird es in punkto Bandbreite knapp.

Bei 5G Broadcast gibt es im Backend eine Software und im Handy einen SDK und jedes Handy meldet dem Backend, was gerade konsumiert wird. Und wenn mehrere Handys melden, dass sie genau das gleiche streamen, dann wird auf 5G Broadcast umgeschaltet und alle diese Handys bekommen den Stream nicht als IP-Stream über das Internet, sondern über das 5G-Broadcast-Protokoll direkt vom Sender.

Somit ist es möglich bei Live-Events mit Millionen Zusehern via Internet gleichzeitig viele mobile Endgeräte mit nur einem Sender zu versorgen, eben one2many.

Das heißt es wird gebündelt, was gleichzeitig geschaut wird?

Richtig. Und das kommt der Umwelt auch zugute, denn mit one2many-Streams versorgt ein großer Sendermast wesentlich mehr Endgeräte.

Wann soll diese Technik live gehen?

Wir hoffen, dass die Technik in den Endgeräten 2025 fest eingebaut ist, sodass wir 2026 oder 2027 die Technik launchen können.

Diese Technik wäre dann in Österreich verfügbar. Wie sieht das mit den anderen EU-Ländern aus?

Ich gehe davon aus, dass daraus ein Produkt wird, bestehend aus SDK im Endgerät und einem Core im Backend sowie den Antennen und Sendern, die man auch anderen Broadcastern verkaufen kann – in ganz Europa oder weltweit. Das soll jedenfalls ein eigenes, aus Österreich kommendes Produkt werden. Das ist das langfristige Ziel.

Welche Herausforderungen sehen Sie als CIO bei der Umsetzung von NIS2? 

Insys Video Technologies RFPs (Anm. Request for Proposal) und andere Ausschreibungen fordern immer stärker die Zertifizierung nach ISO27001. NIS2 hat sehr ähnliche Vorschriften und ist somit bei uns mit der ISO27001-Zertifizierung, die so schnell wie möglich abgeschlossen werden soll, inkludiert.

Welche Themen werden Ihrer Meinung nach mittelfristig für CIOs Relevanz zunehmen?

Green IT, vor allem im Cloud-Anbieterbereich im Bereich Senkung des Energieverbrauchs. Hier hilft eine kluge Wahl des Standortes beim Bau neuer DataCenter, wenn es dort beispielsweise nicht allzu warm ist, oder es wird an Stellen gebaut, wo die Abwärme für andere Themen benötigt wird (Heizen von Spitälern oder Ähnliches).

Klassische Themen, die immer da sind, sind digitale Transformation, Cybersecurity und Talent Management.

Bei ORS wichtig ist im Speziellen der Streamingbereich oder im Allgemeinen Content-Delivery-Themen, wie end-to-end-DRM, Datenschutz und rechtliche Themen bei neuen Übertragungstandards wie VR 360 Grad Live Streaming, z.B. wie behandle ich diese bei Löschbegehren.

Ein Thema ist auch die sichere Quellenkennzeichnung, etwa intelligentes Watermarking.

Wie wird sich in Zukunft die Rolle des CIO entwickeln?

Technische Kompetenz allein und strenge Hierarchien – der CIO als eine Art „Gott in Weiß“ – wird in Zukunft nicht mehr gefragt sein und auch nicht funktionieren.

Ein CIO sollte immer im Bereich Innovation vorangehen und auch als Vorbild dienen. Auch ein Gespür im sozialen Bereich und wie man mit Menschen umgeht, und den Arbeitsplatz und Alltag der Mitarbeiter so gestaltet, dass diese den vom CIO vorgegebenen Kurs und seine Vision und Strategie auch mitgehen – das wird in Zukunft immer wichtiger werden.

Kurz gesagt: Die menschliche Kompetenz wird immer wichtiger, den Rest kann man in Zukunft vielleicht auch durch KI zuarbeiten lassen, aber die sozialen Aspekte eben nicht.


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