„Eigentliche Innovation passiert nicht in den Chefetagen, sondern dort, wo Leute tagtäglich mit den Prozessen arbeiten“

Beim ITWelt.at Roundtable über die Zukunft der digitalen Transformation diskutierten sieben IT-Experten über die Herausforderungen, Chancen sowie die Bedeutung von KI. Hier die gesammelten Statements von DI (FH) Roland Sprengseis, Geschäftsführer bluesource – mobile solutions, Beiratsprecher des IT-Clusters OÖ. [...]

Roland Sprengseis, Geschäftsführer bluesource – mobile solutions, Beiratsprecher des IT-Clusters OÖ. (c) timeline/Rudi Handl
Roland Sprengseis, Geschäftsführer bluesource – mobile solutions, Beiratsprecher des IT-Clusters OÖ. (c) timeline/Rudi Handl

Wie ist bluesource positioniert?

Wir entwickeln Software für mobile Endgeräte, wobei der Begriff „App-Entwicklung“ aus meiner Sicht zu kurz greift. Unser Fokus liegt auf professioneller Softwareentwicklung, insbesondere in den Bereichen Banking und Industrie. Mit unseren Lösungen erreichen wir im B2C-Sektor zwischen 15 und 18 Millionen Nutzer. Darüber hinaus bin ich seit Herbst Beiratssprecher des IT-Clusters.

Wie hat sich die Wahrnehmung der digitalen Transformation in den letzten Jahren verändert?

Grundsätzlich hat sich die Sicht auf die digitale Transformation nicht wesentlich gewandelt, aber das Bewusstsein dafür ist in bestimmten Unternehmen deutlich gewachsen. Dort wird auch aktiv an digitalen Lösungen gearbeitet. Allerdings darf man nicht vergessen, dass der Großteil der Unternehmen im DACH-Raum kleine und mittelständische Betriebe sind. Schaut man sich an, wie viele von ihnen Rechnungen noch immer manuell erstellen und anschließend mühsam in eine Cloud transferieren, wird klar, dass wir in Sachen Digitalisierung noch einen weiten Weg vor uns haben.

In Expertenkreisen wird aktuell viel über künstliche Intelligenz diskutiert, über ihre Potenziale und Herausforderungen. Das sind zweifellos wichtige Themen, doch man darf nicht aus den Augen verlieren, dass rund 80 Prozent der Unternehmen im Mittelstand erst einmal grundlegende Digitalisierungsschritte bewältigen müssen – beispielsweise eine funktionierende digitale Lieferkette. Während wir als Experten und Expertinnen oft davon ausgehen, dass klassische Digitalisierungsprobleme längst gelöst sind – schließlich gibt es ERP-Systeme seit Jahrzehnten – sieht die Realität in vielen Betrieben ganz anders aus. Es ist entscheidend, den Gesamtstatus der Gesellschaft und Wirtschaft im Blick zu behalten. Manche Unternehmen sind bereits sehr weit, viele stehen jedoch noch am Anfang.

Wie stark betrifft der Fachkräftemangel die IT-Branche und Ihre Arbeit?

Für uns persönlich ist der Fachkräftemangel kein akutes Problem, da wir strategisch ein Büro an der Fachhochschule Hagenberg angesiedelt haben – direkt dort, wo Fachkräfte ausgebildet werden. Unsere Kunden jedoch sind davon durchaus betroffen. Aber eigentlich sehe ich ein noch tiefer liegendes Problem. Solange wir als Experten Unternehmen nicht klar aufzeigen können, wann sich ihre Investitionen in Digitalisierung rentieren, werden viele Projekte hinausgeschoben.

Gerade in der Industrie, einem unserer zentralen Tätigkeitsfelder, beobachtet man derzeit eine starke Kostenreduktion. Unternehmen versuchen, mit bestehenden Lösungen länger zu produzieren, anstatt in neue Technologien zu investieren. Dabei ist genau jetzt der richtige Zeitpunkt, um Prozesse zu optimieren und sich für die Zukunft wettbewerbsfähig aufzustellen.

Auf lange Sicht wird sich die Arbeitskraftsituation in Europa nicht entspannen – der demografische Wandel ist klar erkennbar. Ein gewisser Ausgleich durch Zuwanderung mag möglich sein, aber ich persönlich glaube nicht, dass das die Lösung sein wird. Vielmehr müssen wir noch stärker auf Digitalisierung setzen, um den Fachkräftemangel langfristig auszugleichen.

Wie bewerten Sie die Rolle von Regulierungen in der digitalen Transformation?

Regulatorik sehe ich zwiespältig. Digitale Transformation ist ein gesellschaftlicher Prozess, den nicht jeder mitgehen kann – und meiner Meinung nach auch nicht jeder mitgehen muss. Das mag provokant klingen, aber ich halte es für realistisch. Ein Beispiel aus meiner eigenen Familie verdeutlicht das. Mein 80-jähriger Vater nutzt digitales Banking auf dem Smartphone, aber eine digitale ID oder ein digitales Amt interessieren ihn nicht mehr. Meine Eltern sind durchaus technikaffin, doch es gibt schlicht Dinge, die sie nicht nutzen wollen.

Wir haben eine alternde Gesellschaft, und nicht jeder Prozess muss bis ins letzte Detail digitalisiert sein. Für eine 98-jährige Person muss kein digitales Behördensystem geschaffen werden – hier bleiben klassische Bürgerservices wichtig. Natürlich darf man niemanden ausschließen, aber man muss sich auch fragen: Wie hoch sind die Kosten, und was bringt es tatsächlich?

Daher halte ich es für sinnvoller, Verwaltungsangestellte durch digitale Lösungen zu unterstützen, damit sie effizienter arbeiten können, statt jede einzelne Person zu zwingen, vollständig digital zu agieren. Gerade im Banking erleben wir, dass Regulierung in vielen Bereichen notwendig und sinnvoll ist – aber in den großen Themen läuft es oft nicht so reibungslos, wie es sollte.

Wie erleben Sie den aktuellen Hype um künstliche Intelligenz in der Praxis?

Ich merke oft, dass viele Unternehmen zwar unbedingt „etwas mit KI“ machen wollen, aber gar nicht genau wissen, wofür sie sie eigentlich einsetzen könnten. Wenn es dann darum geht, konkrete Anwendungsfälle zu definieren, stehen viele erst einmal ratlos da.

Was ich daran spannend finde: Die eigentliche Innovation passiert oft nicht in den Chefetagen, sondern dort, wo die Leute tagtäglich mit den Prozessen arbeiten – an der Werkbank, am Kassenschalter oder in der Pflege. Genau diese Mitarbeitenden erkennen oft als Erste, wie eine Technologie ihnen helfen könnte. Doch dann kommt die Regulatorik ins Spiel, und plötzlich heißt es: Das darf man nicht.

Ein Beispiel: In vielen Unternehmen ist es aus rechtlichen Gründen nicht erlaubt, künstliche Intelligenz ohne spezielle Schulung zu nutzen. Gleichzeitig dürfen Mitarbeitende ihre privaten Smartphones nicht für betriebliche Zwecke einsetzen. Das führt dazu, dass wir uns selbst ausbremsen. Man möchte etwa eine Mitarbeiter-App einführen, aber sobald es darum geht, dass diese auf privaten Geräten genutzt wird, stößt man sofort auf rechtliche Bedenken.

Besonders in Bereichen wie dem Gesundheitswesen wäre der KI-Einsatz aber essentiell. Pflegekräfte, die oft aus verschiedenen Ländern kommen, brauchen schnelle und präzise Informationen – idealerweise in ihrer Muttersprache. Sie interessiert nicht, ob das dahinterliegende System KI-basiert ist oder nicht, sie wollen einfach mit Dokumenten interagieren können, um bestmöglich arbeiten zu können. Doch genau hier machen uns unklare oder zu strenge Vorgaben das Leben schwer.

Ich sehe Regulierung daher als zweischneidiges Schwert. Einerseits ist sie wichtig, um Missbrauch zu verhindern, andererseits bremst sie Innovation oft unnötig aus, weil viele rechtliche Fragen nicht klar geregelt sind. Ein Beispiel aus der Vergangenheit sind Bluetooth-basierte Shop-Lösungen, die Kunden durch gezielte Signale navigieren sollten. Rechtlich war das eine Grauzone. Diese Unsicherheit führt dazu, dass Innovationen oft nicht weiterverfolgt werden.

Was wir brauchen, sind klare, praxisnahe Regeln. Wenn Unternehmen genau wissen, was sie dürfen und was nicht, können sie gezielter investieren, und wir könnten viele Technologien schneller in den Arbeitsalltag integrieren.

In welchen Bereichen ist der Einsatz von künstlicher Intelligenz besonders relevant?

Meiner Meinung nach genau dort, wo es besonders streng reguliert oder sogar verboten ist – also beispielsweise im Gesundheitswesen. KI-gestützte Bilddiagnostik zur Erkennung von Krankheiten ist ein enormes Potenzial, und zum Glück wird in diesem Bereich intensiv geforscht. Ein weiteres sensibles Feld ist der Bankenbereich. Hier frage ich mich manchmal, warum KI nicht besser genutzt wurde, um frühzeitig Warnsignale auszusenden – etwa in der jüngsten Immobilienkrise, als Kredite vergeben wurden, die eigentlich nicht ausreichend gedeckt waren.

Letztlich kommt es immer auf den Menschen an. Selbst das beste System kann keine Wunder vollbringen, wenn die Schnittstelle Mensch nicht richtig damit umgeht. Genau deshalb ist digitale Bildung so entscheidend. Wer mit KI arbeitet, muss nicht nur Ergebnisse interpretieren, sondern sie auch kritisch hinterfragen. Ob es um neue Produktideen geht oder um medizinische Diagnosen – eine KI liefert Vorschläge, aber die finale Einordnung und Bewertung bleibt in vielen Fällen beim Menschen.

Deshalb müssen wir darauf achten, dass unsere jungen Generationen mit den richtigen Fähigkeiten ausgestattet werden. Ich sehe es selbst bei meinen Kindern, die 13 und 17 Jahre alt sind: Sie lernen viel in der Schule, aber grundlegendes Digitalisierungswissen fehlt oft. Ein Praktikant, der zum ersten Mal mit Verwaltungsthemen konfrontiert wird, hat oft keine Ahnung, was eine ID Austria ist, wie das Gesundheitssystem funktioniert oder was Finanzausgleich bedeutet.

Dieses Wissen kann aber nur vermittelt werden, wenn auch die Lehrer und Lehrerinnen entsprechend geschult sind. Das ist der entscheidende Punkt: Wir müssen die Lehrkräfte weiterbilden, damit sie ihr Wissen an die Schüler weitergeben können. Wenn wir das schaffen, kommen wir an den Punkt, an dem Fachkräfte KI-Ergebnisse nicht nur nutzen, sondern auch richtig interpretieren können.

Ich bin überzeugt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Der digitale Wandel ist nicht aufzuhalten, und selbst in einer klassischen Tourismusnation wie Österreich werden digitale Prozesse immer wichtiger. Jetzt geht es darum, sicherzustellen, dass die nächste Generation nicht nur mit der Technologie aufwächst, sondern sie auch versteht und sinnvoll einsetzen kann.

Wie entsteht Innovation bei bluesource?

bluesource gibt es seit fast 25 Jahren, und die Innovation wird bei uns nicht von der Geschäftsführung, sondern aus dem Team heraus vorangetrieben. Meine Aufgabe und die meines Co-Geschäftsführers sehe ich darin, die Richtung vorzugeben – wir definieren, wohin die Reise gehen soll. Aber die eigentliche Innovationskraft entsteht, wenn unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Freiheit haben, mit neuen Technologien zu experimentieren.

Ein guter Geschäftsführer oder Konzernleiter sollte einen klaren Rahmen setzen – eine Art Spielwiese, innerhalb derer sich das Team bewegen kann. Doch was dann innerhalb dieses Rahmens passiert, welche Ideen entstehen und welche Technologien entwickelt werden, das kommt von den Menschen, die täglich damit arbeiten.

Wenn man den nötigen Raum für Kommunikation und kreatives Experimentieren schafft, entstehen oft Lösungen, die man vorher nicht einmal erahnen konnte. Genau das ist der Schlüssel für nachhaltige Innovation.


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