„Es verändert sich gerade ein Mindset in der Arbeitswelt“

Thomas Riedl, Co-Founder und Managing Director von Nagarro Österreich, schildert im Gespräch mit der COMPUTERWELT, was wir aus dem Jahr 2021 für die Zukunft mitnehmen können, erklärt, wie sich die Corona-Krise und New Work auf uns auswirken und skizziert die wichtigsten IT-Trends für das kommende Jahr. [...]

Thomas Riedl, Co-Founder und Managing Director von Nagarro Österreich: "Der IT-Fachkräftemangel wird sich aus meiner Sicht nicht bessern. Es wird auch nicht gelingen, die Nachfrage an Digitalisierung und Software in Europa zu decken, sogar mit Sourcing-Lösungen wird es eng." (c) Nagarro / Michael Seirer

Welche Lehren lassen sich aus dem Jahr 2021 im Allgemeinen und aus der Corona-Krise im Speziellen für die Zukunft mitnehmen?
Die Fragen und Anknüpfungspunkte mit den Kunden haben sich merklich verschoben. Wo wir früher unser globales Smart-Shoring-Arbeitsmodell argumentieren und den Einsatz der Remote-Teams erklären mussten, sehen Kunden heute die Vorteile. Niemand fragt plötzlich mehr: Muss das remote sein? Das hybride Liefermodell ist State-of-the-art geworden. In den unsicheren Zeiten veränderte sich die Verbindung zu uns als Partner. Anliegen und Bedürfnisse gingen über das rein Technische hinaus, Premium-Dienstleistungen wie Beratung, Methodik und Frameworks haben an Bedeutung gewonnen.

Wie wird sich die Corona-Krise Ihrer Meinung nach im kommenden Jahr auf die IT-Branche, auf Unternehmen bzw. auf unsere Gesellschaft auswirken?
Globale, hybride Liefermodelle werden die neue Normalität und das gilt zunehmend auch in der Dienstleistung. Bei Projekten, die mittelgroß bis groß sind, wird man künftig gar nicht mehr darüber nachdenken, ob sie on-site realisiert werden sollen. Jetzt, wo klar ist, dass es funktioniert, ist dieses Thema vom Tisch und geht es darum, die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage zu schließen. Digitalisierungs- und E-Commerce-Projekte gibt es mehr denn je zuvor. Dazu kommen jene Projekte, die Unternehmen dachten, „aussitzen“ zu können und die sie jetzt in Angriff nehmen wollen sowie Trends wie E-Food, die in der Krise erst entstanden sind.

Was waren Ihre beruflichen bzw. persönlichen Highlights im Jahr 2021?
Am meisten hat mich motiviert, dass auf die vorübergehende Freeze-Situation, in die sich manche Unternehmen im ersten Schreck zurückgezogen hatten, eine nahtlose Wiederbelebung und sogar Dynamisierung der Arbeit folgte. An konkrete Highlights erinnere ich vor allem aus persönlichen Gesprächen, etwa mit einem Kunden, der stets sehr hohe Ansprüche hatte und in der schwierigen Zeit meinte, wir wären genau die Art von Partner, die man jetzt braucht. Auch ein Mitarbeiter, der meinte, dass Nagarro für ihn dieser Tage „ein Hafen“ sei, weil man bei uns offen über die Situation spricht, ist mir in wertvoller Erinnerung. Solche Rückmeldungen zeigen, dass wir trotz all der Einflüsse, denen das Unternehmen ausgesetzt war, unseren Fokus halten konnten und mehrheitlich die richtigen Prioritäten gesetzt haben.

Welche Themen sollten Ihrer Meinung nach im kommenden Jahr auf der Agenda von IT-Managern ganz oben stehen und warum bzw. welche IT-Themen werden 2022 eine besonders wichtige Rolle spielen?
Eine wichtige Frage wird sein: Wie können wir künftig große Projekte realisieren? Zu den bekannten Herausforderungen wie Zeit, Budgets, Erfolgskennzahlen kommt der völlig neue Prozess. Es wird agil gearbeitet, die eigenen Leute sind remote, die Teams sind verteilt. Um unter diesen Voraussetzungen Projekte erfolgreich zu managen, braucht man darauf abgestimmte Frameworks. Technologisch findet das Thema Low Code/No Code immer mehr Anklang und stößt auf offene Ohren. Einige Orchideen-Themen wie Smart Glass, Big Data, Data Analytics und AI bahnen sich steten Schrittes ihren Weg. Hier wird sich der Nebel lichten, sobald die Flut an PoCs und Experimenten zurückgeht. Autonome Drohnen könnten als Ressource in der Automatisierung, Wartung und Begutachtung sehr schnell an Bedeutung gewinnen.

„Es wird agil gearbeitet, die eigenen Leute sind remote, die Teams sind verteilt. Um unter diesen Voraussetzungen Projekte erfolgreich zu managen, braucht man darauf abgestimmte Frameworks.“

Thomas Riedl

Die letzten beiden Jahre standen im Zeichen der Pandemie und beschleunigten die Digitalisierung und brachten uns Hybrid-Arbeitsmodelle. Nach der Pandemie gilt es die nächste – größere – Krise zu bewältigen, die Klimakrise.
Wie schätzen Sie müssen sich Unternehmen in punkto Nachhaltigkeit umstellen? Welche konkreten Maßnahmen planen sie/plant Ihr Unternehmen für 2022 und darüber hinaus?

Jeder, der die Zukunft für sich und andere absichern möchte, muss sich mit Nachhaltigkeitsfragen beschäftigen. Bei Nagarro ist der CEO und Co-Founder Manas Fuloria persönlich sehr aktiv und setzt vor allem in Indien zahlreiche Projekte um. Er ist hier ein Mann der Tat, unterstützt etwa den Ausbau von Radwegen, Projekte zur Verbesserung der Luftqualität und hat gerade dieser Tage ein „Navengers“-Programm gestartet, das Mitarbeiter in ihrem Lebensalltag zur Nachhaltigkeit motiviert.

Wie gut ist ihr Unternehmen bzw. wie gut sind österreichische Unternehmen im Allgemeinen für New Work – also verteilte Teams, Home Office, hybride Arbeitsmodelle etc. – aufgestellt?
Soweit man in die Zukunft blicken kann, sind wir bei Nagarro sehr gut für Hybrid-Teams und Remote-Arbeit aufgestellt. Um mit dem Modell langfristig erfolgreich weiterzuarbeiten, achten wir sehr empathisch darauf, welche Strömungen sich ausbreiten. Der Remote-Modus ist rein umsetzungstechnisch gar nicht so sehr das Thema, sondern eher, dass wir wissen, hier verändert sich gerade ein Mindset in der Arbeitswelt. Es sind mehrere Trends, die sich vermischen und wir befinden uns in einer Zwischenlösung. Dieser Change ist gravierend. Wir brauchen also ständig „den Finger am Puls der Mitarbeiter“ und das Bewusstsein ständig unseren Kurs anpassen zu können.

Glauben Sie, dass sich die angespannte Situation beim Thema IT-Fachkräftemangel in den kommenden Jahren bessern wird? Was kann man in diesem Bereich tun?
Der IT-Fachkräftemangel wird sich aus meiner Sicht nicht bessern. Die Demographie in Europa ist gesetzt. Es wird auch nicht gelingen, die Nachfrage an Digitalisierung und Software in Europa zu decken, sogar mit Sourcing-Lösungen wird es eng. Ein Weg den Mangel zu lindern, ist das weitere Vorantreiben der Digitalisierung in den Unternehmen, intelligente Automatisierung wo immer möglich und auch Low Code/No Code Initiativen können ihren Teil zur Lösung des Fachkräftemangels beitragen.

Dieser Artikel ist Teil einer Interviewserie, für den die COMPUTERWELT rund 50 Top-Manager aus der IT-Branche befragt hat. Weitere Interviews lesen Sie in den nächsten Wochen auf itwelt.at.


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