Generative KI revolutioniert die Wirtschaft. Im Interview mit der IT WELT erklärt Dr. William Cobbah, Head of Data & Intelligence bei NTT DATA DACH, wie Unternehmen jetzt aus Experimenten echten Mehrwert schaffen – und worauf es für nachhaltigen Erfolg ankommt. [...]
Generative Künstliche Intelligenz (GenAI) hat in den vergangenen Monaten einen beispiellosen Wandel in der Unternehmenswelt ausgelöst. Was vor Kurzem noch als Experimentierfeld galt, ist heute zum strategischen Investitionsschwerpunkt avanciert. Laut der Studie „Global GenAI Report: How organizations are mastering their GenAI destiny in 2025“ von NTT DATA planen 99 Prozent der Unternehmen, ihre GenAI-Ausgaben weiter zu erhöhen, und nahezu alle Führungskräfte erwarten signifikante Auswirkungen auf Effizienz, Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit. Doch mit den Chancen wachsen auch die Herausforderungen: Veraltete Infrastrukturen, fehlende Kompetenzen im Umgang mit GenAI und Unsicherheiten bei Ethik und Regulierung bremsen vielerorts die Umsetzung.
Im Interview mit Dr. William Cobbah, Head of Data & Intelligence bei NTT DATA DACH, beleuchten wir, wie Unternehmen die Potenziale von GenAI gezielt nutzen, welche Stolpersteine sie überwinden müssen – und warum die Zeit der unstrukturierten Experimente endgültig vorbei ist.
Ihre Studie zeigt, dass 99 Prozent der Unternehmen weitere Investitionen in GenAI planen. Wo sehen Sie die größten Chancen für Unternehmen, um kurzfristig einen ROI aus diesen Investitionen zu erzielen?
Das größte Potenzial von GenAI liegt in der Automatisierung von Routineaufgaben, der Verbesserung der Entscheidungsfindung durch datengetriebene Erkenntnisse und der Personalisierung der Kundeninteraktion. Der Einsatz von GenAI, beispielsweise in Form von Chatbots, verspricht unmittelbare Effizienzsteigerungen und Kostensenkungen. Laut unserer Studie erachten auch 99 Prozent der befragten Unternehmen eine Lösung mit einem durch reale Anwendungsfälle belegten ROI als wichtig für ihre GenAI-Strategie. Jedes dritte Unternehmen hält dies sogar für entscheidend.
Die Hälfte der Unternehmen haben ihre GenAI-Strategie noch nicht mit ihren Geschäftsplänen abgeglichen. Was sind die Hauptgründe für diese Lücke und wie kann sie geschlossen werden?
Sehr oft fehlt es an interdisziplinärer Zusammenarbeit und einer klaren Vision für die Umsetzung von GenAI im Kontext der Gesamtstrategie des Unternehmens. Eine Investition in die Technologie muss immer direkt die Geschäftsziele unterstützen, indem sie die betriebliche Effizienz steigert und Innovationen vorantreibt. Ein Hauptgrund für diese Lücke ist, dass viele Unternehmen, die Technologie möglichst schnell nutzen wollen, um nicht abgehängt zu werden. Dadurch wird der Abgleich zwischen Geschäftsstrategie und (Gen)AI-Strategie als sekundär betrachtet.
Unternehmen, die diesen Abgleich vornehmen, haben jedoch eine höhere Wahrscheinlichkeit, das „Tief“ des Gartner-Hype-Cycles zu überspringen. Um die vorhandene Lücke zu schließen, sollten Unternehmen zunächst Workshops und Schulungen initiieren, um die verschiedenen Stakeholder – von IT über Business bis hin zum Management – zusammenzubringen und einen gemeinsamen Plan zu entwickeln. Sinnvoll ist auch der Aufbau eines oder mehrerer Governance-Teams, je nach Organisationsform zentral oder föderal, bei dem alle Fäden zusammenlaufen.
Welche Branchen haben sich in Ihrer Studie als besonders investitionsfreudig in GenAI herausgestellt und welche bleiben eher zurückhaltend? Gibt es branchenspezifische Hindernisse?
Branchen wie Logistik, Tourismus und Transport, Energie und Versorgung, Gesundheitswesen, Versicherungen, Bildungswesen und Forschung sowie der Automobilsektor und die Fertigungsindustrie gehören derzeit zu den Vorreitern bei Investitionen in GenAI. Etwas zurückhaltender ist die Finanzindustrie, die aber in der Vergangenheit schon stark in die Technologie investiert hat. Branchenspezifische Hemmnisse wie regulatorische Anforderungen, Bedenken hinsichtlich der Datenintegrität sowie technische Probleme aufgrund veralteter IT-Infrastrukturen müssen adressiert werden, um Implementierungen zu fördern.
Wie bewerten Sie die Balance zwischen Experimentierfreude und gezielter Investition? Ist die Phase der unstrukturierten Experimente tatsächlich vorbei?
Kundenprojekte zeigen, dass heute weniger experimentiert wird. Vielmehr konzentrieren sich die Unternehmen auf die Bereiche, in denen GenAI nachweislich einen geschäftlichen Mehrwert liefert. Fast jeder neunte Befragte unserer Studie leidet sogar unter „Pilot-Müdigkeit“. Unternehmen müssen jetzt strukturierter vorgehen. Das bedeutet, dass Projekte an konkreten Geschäftszielen ausgerichtet werden, um einen klaren ROI zu erzielen.
90 Prozent der Unternehmen sehen veraltete Infrastrukturen als größtes Hindernis für die effektive Nutzung von GenAI. Welche Maßnahmen empfehlen Sie, um diese Herausforderungen zu überwinden?
Um veraltete Systeme zu modernisieren, sollten Unternehmen zunächst eine umfassende Analyse ihrer IT-Infrastruktur durchführen, die sich an einer klaren Datenstrategie ausrichtet. Investitionen in Cloud-Services und der Einsatz modularer, skalierbarer Architekturen helfen, bestehende Systeme fit für GenAI zu machen. Angesichts begrenzter Budgets und Ressourcen ist eine schrittweise Modernisierung der sinnvollste Weg.
Welche Rolle spielt die Verfügbarkeit hochwertiger und sauberer Daten für den Erfolg von GenAI-Anwendungen und wie können Unternehmen ihre Datenstrategie optimieren?
Die Verfügbarkeit qualitativ hochwertiger Daten ist entscheidend für den Erfolg von GenAI-Anwendungen. Sie ist auch ein wesentlicher Treiber für die Modernisierung veralteter Infrastrukturen. Unternehmen benötigen eine umfassende Data-Governance-Strategie, die klare Prozesse für die Erhebung, Bereinigung und Integration von Daten definiert. Automatisierte Datenqualitätstools und regelmäßige Audits helfen, den Zustand der Daten kontinuierlich zu überwachen und zu optimieren. Mit Machine-Learning-Tools beispielsweise lassen sich Datenqualitäts- und -verbesserungsmaßnahmen durchführen.
Ihre Studie zeigt, dass 67 Prozent der Unternehmen Schwierigkeiten bei der Schulung ihrer Mitarbeitenden für GenAI haben. Welche Maßnahmen sind besonders wirksam, um diese Kompetenzlücke zu schließen und wie kann GenAI so implementiert werden, dass es die Arbeitskultur verbessert, anstatt Ängste oder Widerstand zu schüren?
Um Kompetenzlücken zu schließen, müssen Unternehmen maßgeschneiderte Schulungsprogramme für alle anbieten, die sich sowohl auf technische, praktische als auch rechtliche Aspekte konzentrieren. Vom Vorstand bis zum einzelnen Mitarbeitenden muss jeder verstehen, was die Technologie leisten kann und wie sie sich auswirkt. Mentoring-Programme und die Einführung von „Citizen AI“-Initiativen, bei denen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst kleine Projekte durchführen, fördern das praktische Lernen. Im Idealfall gelingt es, Sorgen und Ängste abzubauen und gleichzeitig Neugier und Begeisterung für die Technologie zu wecken.
Viele CISOs fühlen sich durch GenAI „unter Druck gesetzt, bedroht oder überfordert“. Welche Sicherheitsbedenken sind besonders kritisch und wie sollten Unternehmen darauf reagieren?
Zu den kritischen Sicherheitsbedenken zählen Datenmissbrauch, mangelnde Transparenz der Algorithmen und mögliche Verzerrungen bei Entscheidungen. Unternehmen sollten ein umfassendes Sicherheitskonzept inklusive Richtlinien implementieren, das regelmäßige Audits und Tests beinhaltet. Darüber hinaus ist die Sensibilisierung der Mitarbeitenden wichtig, um einen verantwortungsvollen Umgang mit KI-Systemen zu gewährleisten und das Risikobewusstsein zu fördern.
Wie sollten Unternehmen angesichts fehlender Richtlinien für den Einsatz von GenAI klare Governance-Strukturen etablieren, um sowohl ethische als auch regulatorische Anforderungen zu erfüllen – insbesondere im Hinblick auf Nachhaltigkeit und die sich wandelnde Gesetzeslage?
Unternehmen sollten ein Governance-Modell mit klaren Richtlinien für den GenAI-Einsatz etablieren. Dazu gehört die Einrichtung eines multidisziplinären Teams, das die Einhaltung von Datenschutzrichtlinien und anderen Vorschriften sicherstellt und die ethischen Implikationen der Technologien bewertet. Darüber hinaus ist es wichtig, dass Unternehmen gegenüber ihren Stakeholdern klar und transparent kommunizieren, wie sie GenAI einsetzen und welche Daten sie dafür verwenden.
Welche sind die derzeit vielversprechendsten Anwendungsfälle für GenAI in Unternehmen und wie beurteilen Sie deren Potenzial, Geschäftsmodelle nachhaltig zu verändern?
Die Anwendungsmöglichkeiten von GenAI sind enorm. Das bedeutet auch, dass die effektivsten Anwendungsfälle je nach Branche sehr unterschiedlich sind. Grundsätzlich gilt: Personalisierte Kundeninteraktion, Agenten-Systeme, Betrugserkennung und produktivitätssteigernde Maßnahmen bieten ein erhebliches Potenzial, Geschäftsprozesse grundlegend zu verändern. Der Schlüssel liegt in der Identifikation spezifischer Anwendungsfälle, die einen klaren Mehrwert für das Unternehmen bieten.
Wie wird sich die Interaktion zwischen Mensch und KI in den nächsten fünf Jahren entwickeln? Wird GenAI eher als Assistenzsystem oder als eigenständiger Entscheider fungieren?
In den nächsten fünf Jahren wird sich GenAI zu einem immer leistungsfähigeren Assistenz- und Agenten-System entwickeln, das den Menschen bei seinen Entscheidungen und Handlungen unterstützt. Die Interaktion wird personalisierter und intuitiver, so dass Menschen produktiver arbeiten können. Dennoch ist es wichtig, klare Grenzen zu ziehen und Verantwortlichkeiten festzulegen, insbesondere bei kritischen Entscheidungen.
Wie wird sich der Wettbewerb in der KI-Branche entwickeln? Erwarten Sie eine stärkere Konsolidierung oder eine weitere Fragmentierung des Marktes und welche Vision haben Sie für GenAI im Jahr 2030? Welche disruptiven Veränderungen erwarten Sie?
Ich erwarte sowohl Konsolidierung als auch Fragmentierung. Während große Unternehmen durch Übernahmen wachsen und ihre Technologieplattformen erweitern, werden gleichzeitig immer mehr Nischenanbieter mit innovativen Lösungen für spezifische Branchenanforderungen auf den Markt drängen. Während sich im Bereich der großen Sprachmodelle nur wenige dominierende Anbieter durchsetzen werden, entstehen auf der Applikationsebene zahlreiche spezialisierte Lösungen für einzelne Branchen und Anwendungsfälle. Diese Fragmentierung ermöglicht es Unternehmen, KI passgenau für ihre Bedürfnisse einzusetzen.
Bis 2030 wird generative KI ein selbstverständlicher Teil des Arbeitsalltags sein – als intelligenter Assistent, Ideengeber und Automatisierer von Routineaufgaben. Die Interaktion mit Systemen wird natürlicher, kontextbezogener und zunehmend sprachbasiert erfolgen. Gleichzeitig wird das Zusammenspiel zwischen Open-Source-Initiativen, kommerziellen Anbietern und staatlicher Regulierung an Bedeutung gewinnen. Disruptive Veränderungen erwarte ich insbesondere bei der Entstehung neuer Geschäftsmodelle, der Demokratisierung von Softwareentwicklung und der Verlagerung von Wertschöpfung durch KI-basierte Automatisierung. Auch Bildung und Weiterbildung werden sich verändern müssen, um auf eine Arbeitswelt vorzubereiten, in der kreative, analytische und zwischenmenschliche Fähigkeiten im Vordergrund stehen.

Be the first to comment