Gunther Glawar ist CDO und Leiter des Konzernbereich Digital Services des österreichischen Traditionsunternehmens EVVA. Seine Aufgabe ist es, die vorhandene IT-Infrastruktur derart zu modernisieren, dass man in Sachen Effizienz und Innovation ganz vorne im Markt mitspielt. Dafür wurde Glawar mit dem CIO Award 2020 in der Kategorie Mittelstand ausgezeichnet. [...]
Was bedeutet der Award für Sie persönlich und in beruflicher Hinsicht?
Der Confare #CIOAWARD ist ja so etwas wie der IT-Nobelpreis in Österreich. Ich bin seit drei Jahren bei EVVA und da haben wir wirklich sehr viel umgesetzt. Wieviel das war, habe ich eigentlich erst beim Erstellen der Bewerbungsunterlagen bemerkt, als ich mich für den CI-Award beworben habe. Natürlich gilt die Auszeichnung nicht nur für mich, sondern auch für mein 22-köpfiges Team, das ich aber so motivieren konnte, dass sie den Weg mit mir gegangen sind. Ich sehe mich als Ideengeber und Brückenbauer. Es ist auch eine Auszeichnung für alle, die bei EVVA an Digitalisierungsprojekten arbeiten. Das sind einerseits meine Kolleginnen und Kollegen aus meinem Konzernbereich Digital Services, aber auch die Key-User in den Großprojekten. Und schließlich ist es auch eine Auszeichnung für die Firma.
Wie wichtig ist in Ihrer Rolle als CIO/CDO die Kommunikationsfähigkeit?
Zunehmend wichtiger. Das ist eine Richtung, in die sich die Rolle des CIOs über die letzten Jahre vom IT-Leiter zum Business Enabler hinbewegt hat. Jetzt gilt es, an dieser Schnittstelle von Technik und Fachbereichen, die Brücke zu bauen, die Leute zusammenzubringen. Ein großes Digitalisierungssoftwareprojekt ist ein OT-Projekt und kein IT-Projekt.
Sie sind CIO und CDO in Personalunion. Welche Vorteile und vielleicht auch Nachteile sehen Sie in dieser Konstellation? Ist diese Kombination im Mittelstand sinnvoller als in einem Großunternehmen?
Ich glaube, in einem Mittelstandsbetrieb, wie wir das mit knapp 800 Mitarbeitern sind, macht diese Personalunion Sinn. Es gibt viele Überschneidungen, es gibt Kompetenzen, wo man auf die gleichen Ressourcen zugreifen muss. Das zu trennen, wäre sehr mühsam. Es ist sinnvoll, das in einer Hand zu haben.
In wirklich großen Konzernen ist die Trennung wahrscheinlich sinnvoll. Es hängt aber schon stark davon ab, welche Art von IT ich liefere: also ob IT im Konzern nur eine Commodity ist, wie sehr bereits digitalisiert worden ist etc.
Wie wichtig war Ihr Studium und Ihre berufliche Erfahrung für Sie?
Es ist sehr wichtig, dass man eine Basis hat. Ich glaube das Erlernte wird irgendwann zu einer Selbstverständlichkeit und dann ist es Handwerkzeug. Wenn ich eine Idee habe, kann ich auf mehrere Varianten zurückgreifen, wie ich das in Systemen umsetzen kann – das hilft schon stark. Das macht es dann leichter, sich auf neue Ideen zu konzentrieren.
Bei der Digitalisierung geht es ja darum, neue Geschäftsmodelle zu schaffen.
Genau. Aber was ist digitale Transformation? Was ist Digitalisierung? Heute wird oft unterschieden zwischen Digitalisierung und digitaler Transformation. Ich habe den Begriff Digitalisierung immer für beides verwendet, sowohl für die Optimierung als auch für neue Geschäftsmodelle. Optimierung ist, wenn ich z.B. ein Onlinepartnerportal oder ein Bestellportal erstelle oder meine Papierprozesse durch Systemprozesse ablöse. Wirklich neue Geschäftsmodelle betreten wir bei der EVVA beispielsweise mit unserem Gang in Richtung elektronische.
Wer ist bei EVVA für die Erkundung neuer Geschäftsmodelle zuständig, z.B. für den Wechsel von mechanischen Schließsystemen zu elektronischen und vielleicht biometrischen Zugangskontrollen?
Dafür ist unser Bereich Marktinnovation und Technologie (MIT) zuständig, also die Entwicklungsabteilung. Bei mir ist die übergeordnete Digitalisierungsstrategie angesiedelt, wo wir für neue Produkte und neue Geschäftsfelder die groben Rahmenbedingungen unter meiner Leitung schaffen. Danach wird in den einzelnen Bereichen an den Themen gearbeitet.
Wie weit reicht eine Digitalisierungsstrategie in die Zukunft, wie oft wird sie aktualisiert oder angepasst?
Wir haben die Digitalisierungsstrategie letztes Jahr freigegeben und sie auf fünf Jahre ausgelegt. Man braucht einen gewissen Horizont und diese fünf Jahre, auch wenn sie viel erscheinen, zeigen uns, wohin die Reise gehen kann. Wir überprüfen das jedes Jahr bei unserer jährlichen Strategieklausur. Gegebenenfalls aktualisieren wir unsere Strategien. Sollten wir bemerken, dass sich die Rahmenbedingungen geändert haben, dann passen wir sie auch an.
Seit drei Jahren leiten Sie den Konzernbereich Digital Services: Auf welche Errungenschaft sind Sie stolz?
Wir haben ein selbstentwickeltes ERP-System auf einer IBM AS/400. Der Mastermind, der das entwickelt hat, ist letztes Jahr in Pension gegangen. Es herrschte stets die Meinung, dass es ohne AS/400 nicht geht. Bei unserer Initiative »ERP neu« und den damit einhergehenden Ablöse-Prozessen war die Änderung dieses Mindsets wichtig. Das klingt trivial, dass über andere Werkzeuge als die AS/400 nachgedacht werden darf, war aber ein großer Erfolg – auch in kommunikativer Hinsicht.
Was sind Ihre nächsten Punkte, die Sie noch umsetzen wollen?
Zukunftsweisend ist eine Fließanlagenausrechnung. Das ist der USP, den wir als EVVA haben: Wie muss ein Schlüssel gezackt sein, dass er bei Ihnen im Schloss sperrt und beim Nachbarn drüben nicht? Hier haben wir schon gemeinsam mit dem CDP, dem Center für Digital Production der TU Wien, eine einhundertprozentige Automatisierbarkeit erreicht. Zwar wird das Thema KI oft sehr gehyped und vieles wird als KI bezeichnet, wo bloß ein bisschen Predictive Maintenance drin ist. Aber wir haben wirklich schon Machine-Learning-Algorithmen im Einsatz, mit denen wir wirklich immer besser werden.
Weiters hilft die gesamte Digitalisierung der internen Prozesse und auch eine bessere Fertigungsunterstützung (Stichwort Digital Twin) den Papierverbrauch zu verringern. Dafür haben wir soeben den Fabrik-2020-Preis in der Kategorie Green Factory gewonnen.
Wie kann man das Unternehmenswissen sichern? Wie schützt man dieses Knowhow?
In diesem Bereich haben wir ganz klar noch einiges zu tun. Wir haben sehr viel singuläres Kopfwissen, was mit eine der ganz großen Herausforderungen in unserem Change-Prozess ist. Stichwort: Wissensmanagement. Wir haben zurzeit knapp 400 laufende Patente als EVVA und sind jetzt durch die europäische Knowhow-Richtlinie verstärkt zur Dokumentation aufgefordert. Von der IT-Seite her gesehen heißt das, das wir unseren Source-Code, der State-of-the-Art ist, entsprechend dokumentieren. Das war nicht immer so, ist aber jetzt eine Selbstverständlichkeit. Somit wird dieses Knowhow letztlich auch für Dritte zugänglich.
Wie ist Ihr Zugang zu dem Scheitern? Darf man durch die Vernetzung, durch die Cloud und das hohe Gefahrenpotenzial heute überhaupt noch Fehler machen?
Ja, auf alle Fälle. „Dürfen“ ist immer so eine Frage: wir sind Gott sei Dank noch Menschen und wir machen Fehler. Das werden wir nicht abstellen können. Die Frage ist eher: Wie sieht die Fehlerkultur aus? Wie gehe ich damit um? Ein fehlerfreier Ansatz, eine Null-Fehler-Policy in allen Bereichen ist meiner Meinung nach nicht durchsetzbar. Man darf Fehler machen, man darf Sie zugeben. Von dem japanischen Motto „auch Fehler sind Schätze“ halte ich viel. Natürlich soll man den gleichen Fehler nicht sieben Mal hintereinander machen. Es hängt auch immer von der Art des Fehlers ab. Diese Art der Fehlerkultur wird auch durch die Vernetzung, durch die Cloud, nicht stark verändert.
Wie kommen Sie zu Fachkräften? Bilden Sie selbst aus?
Ja, wir bilden selber aus und haben einen Lehrling im IT-Bereich. Und ja, der Fachkräftemangel trifft mich gewaltig. Teilweise kommen unsere Projekte nicht so schnell voran, weil ich die richtigen Leute dafür nicht bekomme. Zudem dürfte auch Corona einiges dazu beigetragen haben, dass die Leute zurzeit wenig wechselwillig sind. Für das Recruiting ist Mundpropaganda und der gute Ruf wichtig. Hier ist wiederum der gewonnene CIO-Award sehr hilfreich.
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