KI kann im Gesundheitswesen enorme Potenziale entfalten – doch nur, wenn interdisziplinäre Zusammenarbeit, regulatorische Sicherheit und reale Anwendungsszenarien zusammenkommen. ITWelt.at sprach mit Dr. Gerlinde Macho und Manfred Pascher von MP2 IT-Solutions und VÖSI sowie Prof. Dr. Stefan Nehrer, Universität für Weiterbildung Krems. [...]
Wie entwickelt sich die Diskussion rund um KI und Digital Healthcare im VÖSI und welche Themen stehen dabei im Vordergrund? Herrscht Euphorie vor oder dominieren Bedenken?
Gerlinde Macho: Die Special-Interest-Group für Künstliche Intelligenz im Verband Österreichischer Software Innovationen – gegründet von den VÖSI-Mitgliedern AIT Austrian Institute of Technology, Atos, LieberLieber Software, Microsoft und uns, MP2 IT-Solutions – beleuchtet genau diese Spannbreite. Auf der einen Seite spürt man eine deutliche Aufbruchstimmung, weil viele Unternehmen überzeugt sind, dass sie frühzeitig in diese Technologien investieren müssen, um wirtschaftlich nicht ins Hintertreffen zu geraten.
Gleichzeitig besteht ein Bedarf an Orientierung, weshalb die KI-Landkarte im VÖSI ins Leben gerufen wurde. Sie soll sichtbar machen, wo in Österreich bereits künstliche Intelligenz zum Einsatz kommt, in welchen Bereichen sich Organisationen engagieren und wie sich unterschiedliche Reifegrade einordnen lassen. Damit entsteht ein klarer Überblick, der die Chancen berücksichtigt und auch Mut machen soll, KI selbst zu implementieren.
„KI-Projekte erschöpfen sich nicht in technischen Implementierungen. Sie verlangen ein Zusammenspiel unterschiedlicher Disziplinen.“
Dr. Gerlinde Macho, CMC, Unternehmensführung MP2 IT-Solutions, Vorstand Verband Österreichischer Software Innovationen (VÖSI) (c) MP2
Sie haben bei MP2 IT-Solutions im September ein Business Frühstück zum Thema KI im Gesundheitswesen veranstaltet. Was war die Essenz des Events?
Gerlinde Macho: Im Mittelpunkt stand, wie entscheidend ein interdisziplinärer Austausch ist, wenn künstliche Intelligenz im Gesundheitsbereich Anwendung findet. Für mich ist es gerade in diesem Umfeld zentral, konkrete Praxisfälle heranzuziehen und den Dialog zwischen Politik, Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft zu suchen, damit gemeinsame und tragfähige Wege entstehen.
KI-Projekte erschöpfen sich nicht in technischen Implementierungen. Sie verlangen ein Zusammenspiel unterschiedlicher Disziplinen, weil Themen wie Compliance, Bias, Datenqualität und eine saubere Integration in bestehende IT-Landschaften immer mitgedacht werden müssen. Gerade im Gesundheitswesen ist ein sorgfältiges und nachhaltiges Vorgehen unerlässlich, um Vertrauen zu schaffen und einen verantwortungsvollen Einsatz von KI zu gewährleisten.
Welche Bedeutung hat KI heute bereits im medizinischen Alltag und in der Ausbildung?
Stefan Nehrer: KI ist bei uns längst zu einem festen Bestandteil des medizinischen Alltags und der Ausbildung geworden. In vielen Lehrgängen zählt sie mittlerweile zu den Grundvoraussetzungen, weil man ohne ein gewisses Verständnis kaum noch sinnvoll mitdiskutieren kann.
Ein zentraler Bereich, an dem ich seit Jahren arbeite, ist die digitale Bilderkennung. Wir haben automatisierte Diagnosesysteme entwickelt und validiert, weil sich gezeigt hat, dass die rein subjektive Beurteilung bildgebender Verfahren durch Radiologen in Studien oft nicht die notwendige Datenqualität erreicht. Derartige Systeme ermöglichen standardisierte Analysen und verbessern die Verlässlichkeit diagnostischer Entscheidungen.
Ein weiterer Schwerpunkt betrifft Large-Language-Modelle und Chatbots, die vor allem in der medizinischen Dokumentation großes Potenzial entfalten. Die KI ist für mich die logische Weiterentwicklung der Digitalisierung, weil die Menge digitalisierter Daten mit traditionellen Methoden nicht mehr bewältigt werden kann. Erst intelligente Algorithmen machen sie wieder handhabbar und nutzbar.
Auch in der Therapie, etwa in der personalisierten Medizin oder der Gentechnik, gibt es bereits KI-basierte Ansätze. Die Anwendungen sind jedoch noch stark spezialisiert und noch nicht in der Breitenmedizin angekommen, werden jedoch künftig an Bedeutung gewinnen.
Gerade deshalb war das Digital-Healthcare-Event für mich besonders wertvoll. Dort wurde deutlich, wie wichtig Vernetzung ist und wie unterschiedlich die Perspektiven der verschiedenen Stakeholder im Gesundheitssystem ausfallen. Am Ende geht es darum, diese Technologien zu den Menschen zu bringen und sie so einzusetzen, dass sie Patientinnen und Patienten wirklich unterstützen.
Wie stark verändert KI die Entwicklung der Digital-Healthcare-Lösungen bei MP2 IT-Solutions und welchen Einfluss hat sie auf die Gespräche mit Ihren Kunden und Kundinnen?
Manfred Pascher: KI ist in nahezu allen Kundengesprächen präsent, doch in der praktischen Umsetzung zeigt sich, dass sie im medizinischen Alltag noch nicht in dem Maß angekommen ist, wie es der öffentliche Diskurs vermuten lässt. Das liegt vor allem an den strengen rechtlichen Rahmenbedingungen. Medizinproduktegesetz und EU AI Act setzen klare Grenzen, sodass spontane Anwendungen wie eine schnelle Diagnose über ein beliebiges Chatmodell außerhalb jedes zulässigen Rahmens liegen. Überall dort, wo Medizin und künstliche Intelligenz zusammenkommen, gelten erhöhte regulatorische Anforderungen.
Trotzdem beobachten wir einen starken Drang, KI-Projekte aktiv voranzutreiben. Einige Einsatzfelder sind bereits sehr konkret. Wir arbeiten derzeit daran, automatische Transkriptionen und Zusammenfassungen von Arzt-Patienten-Gesprächen flächendeckend einzuführen, weil dieser Bereich sofort spürbare Entlastung schafft.
In der Diagnostik kommen spezialisierte Systeme seit Jahren zum Einsatz und entwickeln sich kontinuierlich weiter, etwa in der bildgebenden Analyse oder im Laborumfeld. Parallel entstehen Anwendungen, die patientennahe Abläufe unterstützen und auch jene Prozesse verbessern, die im Hintergrund laufen. Ein aktuelles Beispiel ist die Vorausplanung der Menüauswahl für größere Patientengruppen, bei der die KI aus bisherigen Mustern lernt und Prognosen erstellt, ob und wie viele vegane, klassische oder andere Speisen benötigt werden. Solche Lösungen zeigen, wie breit das Spektrum bereits ist und wie stark KI die operative Effizienz im Gesundheitswesen beeinflussen kann.
„Entscheidend ist, dass Anwenderinnen und Anwender das Gefühl haben, dass ihnen die KI tatsächlich hilft und keine zusätzliche Belastung darstellt.“
Univ.-Prof. Dr. Stefan Nehrer, MSc, Dekan der Fakultät für Gesundheit und Medizin, Universität für Weiterbildung Krems (c) UWK/Daniel_Novotny
Sie haben zuvor die Bedeutung der Vernetzung angesprochen. Warum ist diese so entscheidend, wenn es um KI geht?
Gerlinde Macho: Vernetzung ist für mich deshalb so zentral, weil KI nur dann verantwortungsvoll eingesetzt werden kann, wenn Fachleute aus unterschiedlichen Bereichen zusammenarbeiten. Dieses Thema betrifft längst nicht mehr nur die IT. Der Einsatz von KI berührt das gesamte gesellschaftliche Umfeld, von Privatpersonen über Unternehmen bis hin zu allen Bereichen des Gesundheitswesens. Wenn wir im Gesundheitsbereich bleiben: Jede Patientin, jeder Patient, jede Pflegekraft, Ärztinnen und Ärzte sowie Verwaltungsmitarbeitende sind unmittelbar eingebunden. Dadurch vermischen sich Zuständigkeiten und Anforderungen immer stärker. Umso wichtiger ist es, Informationen zu teilen, Bewusstsein zu schaffen und gezielte Schulungen und Trainings rund um KI anzubieten, damit alle Beteiligten denselben Wissensstand haben und dieselben Ziele verfolgen.
Wie müssten Strukturen aussehen, damit dieser Austausch zwischen den Stakeholdern tatsächlich funktioniert – gerade weil viele Gruppen traditionell nur eingeschränkt miteinander kommunizieren und auch die Politik eingebunden werden muss?
Gerlinde Macho: Genau aus diesem Grund haben wir im Herbst das Business Breakfast organisiert, bei dem Politik, Forschung und Praxis gleichermaßen vertreten waren. Dort entsteht das Bewusstsein, das es braucht, und Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger erhalten das nötige Wissen, um Veränderungen aktiv voranzutreiben. Wir engagieren uns zudem verstärkt in Fachkongressen, weil der offene Austausch ein wesentlicher Bestandteil dieser Entwicklung ist.
Ein großartiges Projekt ist die KI-Landkarte, die auf Initiative der VÖSI-Präsidentin Doris Lippert entstanden ist. In der eigens dafür gegründeten Special-Interest-Gruppe bündeln wir Expertise aus unterschiedlichen Bereichen. Mein Geschäftspartner Manfred Pascher verantwortet als Fachexperte für Digital Healthcare den Gesundheitsbereich dieser Landkarte. Unser Ziel ist es, Use Cases in Österreich aufzuzeigen, Wissen zu sammeln und gleichzeitig die Zusammenarbeit zu fördern.
Manfred Pascher: Der Markt ist inzwischen so vielfältig, dass es vielen Betreiberinnen und Betreibern von Gesundheitseinrichtungen schwerfällt, den Überblick zu behalten. Noch komplexer wird es, den technologischen Reifegrad einzelner Lösungen richtig einzuschätzen. Man weiß oft nicht, ob sich ein Produkt gerade im Testbetrieb befindet oder ob es bereits von einem etablierten Anbieter stammt. Genau hier setzt die KI-Landkarte an. Sie ermöglicht einen raschen und transparenten Überblick und bietet gleichzeitig Kontaktpunkte, die man sonst kaum erhält.
Wo steht Österreich bei KI im Gesundheitswesen im internationalen Vergleich?
Stefan Nehrer: In Österreich gibt es einzelne Gruppen, die international ganz vorne mitspielen. Trotzdem bleibt die Durchdringung im Alltag noch gering. Viele Anwendungen, die längst verfügbar wären, finden kaum Eingang in die Praxis. Das zuvor genannte Beispiel der Menüplanung lässt sich auf das gesamte Gesundheitssystem übertragen. Österreich verfügt zweifellos über eine hochwertige medizinische Versorgung, gleichzeitig aber über spürbare Friktionsverluste. Wir kämpfen mit Über- und Unterkapazitäten, die sich ohne ein übergeordnetes Steuerungsmodell kaum ausgleichen lassen. Genau hier wäre die KI in der Lage, einen entscheidenden Beitrag zu leisten. Agentenmodelle könnten systematisch abbilden, wo welche Ressourcen benötigt werden, Muster erkennen, die im reinen Datenblick untergehen, und damit eine zielgerichtete Versorgungssteuerung ermöglichen.
Vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft wird dieser Bedarf noch deutlicher. Die nächsten Jahrzehnte bringen Aufgaben mit sich, für die das aktuelle System nicht ausreichend vorbereitet ist. KI könnte dabei helfen, diese Veränderungen früher zu erkennen und entsprechend gegenzusteuern.
Andere Länder, etwa die baltischen Staaten, sind in diesem Bereich bereits sehr weit. Österreich hatte mit der frühen Einführung der E-Card eigentlich einen Vorsprung, hat ihn jedoch nicht konsequent genutzt. Die vielen unterschiedlichen Interessen und die fehlende gemeinsame Ausrichtung haben verhindert, dass dieses bundesweite Datenmodell für die Versorgungsforschung wirklich nutzbar wurde.
Wie kann KI im Gesundheitswesen dazu beitragen, die wachsenden Dokumentationspflichten zu bewältigen? Und wo sehen Sie die Grenzen?
Stefan Nehrer: Die Dokumentation belastet Pflegekräfte und Ärztinnen wie Ärzte enorm, und gerade jüngere Kolleginnen und Kollegen äußern häufig, dass sie einen großen Teil ihrer Arbeitszeit nicht mit medizinischer Tätigkeit, sondern mit administrativen Aufgaben verbringen. Hier kann KI tatsächlich viel bewirken. Sie ist in der Lage, große Mengen schriftlicher Informationen so aufzubereiten, dass aus freien Texten verwertbare Daten entstehen. Aus einem Dokumentationsstapel kann damit ein strukturierter Datenpool werden, der für medizinische Abläufe und Entscheidungen nutzbar ist.
Gleichzeitig zeigen sich klare Grenzen. Die individuelle Situation einer Patientin oder eines Patienten lässt sich nicht allein durch eine automatisierte Anamnese erfassen, weil dadurch ein wesentlicher Teil der medizinischen Einschätzung verlorengeht. Die KI ist nach wie vor schwach darin, komplexe menschliche Kontexte korrekt zu interpretieren. Fehlinterpretationen kommen häufig vor, weil der Humanfaktor mit all seinen Nuancen nur sehr schwer abzubilden ist.
Dazu zählt auch Empathie. Sie entsteht im persönlichen Austausch, in der nonverbalen Kommunikation und im Vertrauensverhältnis zwischen Menschen. Wenn man KI-Forscher fragt, sprechen viele vom Problem des Vertrauens, das im medizinischen Bereich von entscheidender Bedeutung ist. Patientinnen und Patienten müssen von der Überzeugung getragen sein, dass sie richtig verstanden und gut behandelt werden.
Wie soll sich die KI-Landkarte in den kommenden Monaten weiterentwickeln?
Gerlinde Macho: Wir haben die VÖSI KI-Landkarte im September gelauncht und zunächst 108 Use Cases aufgenommen, die einen bestimmten Reifegrad erreicht haben. Die verschiedenen Ressortleiter verantworten jeweils ihre Themenbereiche, sodass man von Tourismus bis Gesundheitswesen gezielt filtern kann. Dieser Aufbau macht die KI-Landkarte zu einem laufend wachsenden Projekt. Sie ist bewusst als lebendes System angelegt, das Best Practices sichtbar macht und zeigt, welche Lösungen in Österreich bereits im Einsatz sind. Deshalb rufen wir regelmäßig dazu auf, neue KI-Fälle einzureichen, damit die Karte aktuell bleibt und eine echte Orientierung bietet.
Unser Ziel ist es, mit dieser Plattform eine Vorbildwirkung zu erzeugen, Chancen im Bereich der KI aufzuzeigen und vor allem die Vernetzung zu fördern.
Welche strategische Richtung verfolgt MP2 bei den kommenden Projekten im KI-Bereich und welche Themen stehen dabei im Vordergrund?
Manfred Pascher: Für uns ist es spannend zu beobachten, wie unterschiedlich die Vorstellungen darüber sind, was KI heute tatsächlich leisten kann. In Gesprächen mit Kundinnen und Kunden zeigt sich immer wieder, dass viele die Möglichkeiten überschätzen und sich Einsatzszenarien vorstellen, die datenschutzrechtlich oder regulatorisch gar nicht machbar wären. Deshalb unterstützen wir unsere Kundinnen und Kunden intensiv dabei, ein Gefühl dafür zu entwickeln, wo schnelle und sinnvolle KI-Anwendungen möglich sind und wo Grenzen bestehen.
Unsere konkreten Schwerpunkte liegen überall dort, wo Sprache und Dokumente eine zentrale Rolle spielen. Anwendungen, die Gespräche mit Patientinnen und Patienten unterstützen oder die medizinische Dokumentation effizienter machen, werden im Moment besonders stark nachgefragt. Ein wichtiger Bereich ist die laienverständlich formulierte Zusammenfassung medizinischer Unterlagen, die wir mit spezialisierten europäischen Modellen umsetzen.
Parallel arbeiten wir an Vorhersagemodellen, die Abläufe im Gesundheitswesen verbessern, etwa bei Therapieauslastungen oder der Essensplanung für große Patientengruppen. Solche Prognosen lassen sich mit umfangreichen Datenmengen gut abbilden, ohne in den Bereich der regulierten Diagnostik zu fallen.
Wie sollte die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine idealerweise gestaltet sein und welche Kompetenzen brauchen Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte, um mit KI souverän umzugehen?
Stefan Nehrer: Die Qualität dieser Zusammenarbeit hängt stark davon ab, wie gut die jeweilige Lösung in den Arbeitsalltag integrierbar ist. Entscheidend ist, dass Anwenderinnen und Anwender das Gefühl haben, dass ihnen die KI tatsächlich hilft und keine zusätzliche Belastung darstellt. Die Benutzerfreundlichkeit wird daher zum Schlüsselfaktor. Viele Systeme treten heute bereits in einer vermenschlichten Form auf, die ein Gespräch eröffnen und Unterstützung anbieten. Solche Elemente erleichtern den Einstieg und schaffen eine vertraute Interaktion.
In unseren eigenen Anwendungen zeigt sich, wie wichtig die richtige Rollenverteilung ist. Wenn ein Röntgenbild analysiert wird und ein erster diagnostischer Vorschlag erscheint, bleibt der nächste Schritt immer beim Menschen. Ärztinnen und Ärzte müssen diesen Vorschlag prüfen, bewerten und im Gesamtbild der klinischen Situation einordnen. Dasselbe gilt für die Pflege. Es braucht einen klaren Punkt, an dem eine kompetente Person die Inhalte der künstlichen Intelligenz bestätigt oder korrigiert. Nur so ist nachvollziehbar, wie eine Entscheidung zustande gekommen ist.
Die oft gestellte Frage, ob KI den Menschen ersetzen wird, lässt sich aus meiner Sicht einfach beantworten. Ersetzt werden jene, die sich nicht mit künstlicher Intelligenz beschäftigen.
„Für uns ist es spannend zu beobachten, wie unterschiedlich die Vorstellungen darüber sind, was KI heute tatsächlich leisten kann.“
Manfred Pascher, CMC CDC, Geschäftsführender Gesellschafter MP2 IT-Solutions, Ressortleiter Gesundheit der VÖSI KI-Landkarte (c) MP2
Wie wird sich die medizinische Ausbildung durch KI verändern?
Stefan Nehrer: Wir sehen bereits jetzt, dass sich die Ausbildung grundlegend wandelt. In den chirurgischen Fächern spielt Simulation eine immer größere Rolle. Virtuelle Operationen ermöglichen es, komplexe Abläufe gefahrlos zu üben, und viele dieser Anwendungen wären ohne KI nicht realisierbar. Auch augmentierte Chirurgie gewinnt an Bedeutung. Mit einer VR-Brille können Bildgebungsdaten direkt in den Operationssitus eingeblendet werden, und genau diese Technologien stehen auch Studierenden zur Verfügung.
Gerade in der Anatomie eröffnet das völlig neue Möglichkeiten. Ich selbst habe Anatomie noch aus zweidimensionalen Bildern gelernt. Heute kann man anatomische Strukturen in hoher Qualität und dreidimensional erleben, was das Lernen deutlich erleichtert.
Hinzu kommen simulierte Patientensituationen, in denen man virtuelle Fälle Schritt für Schritt durchgehen kann. Solche Lernprogramme bilden Situationen nach, die man aus Zeit- oder Ressourcengründen nicht mehr in gleicher Intensität im Klinikalltag erlebt.
Was erwarten Sie von der Politik, um den Spagat zwischen sicherer künstlicher Intelligenz und ausreichender Freiheit für Unternehmen, Organisationen und Branchen zu schaffen?
Gerlinde Macho: Für mich ist zentral, dass der Diskurs aufrechterhalten wird. Politik, Wirtschaft und Forschung müssen enger denn je zusammenarbeiten, und auch die Anwenderinnen und Anwender sowie die Gesellschaft insgesamt gehören an diesen Tisch. Es braucht einen laufenden Austausch darüber, welche Entwicklungen für Österreich sinnvoll sind, welche Rahmenbedingungen notwendig sind und wie man Innovation ermöglicht, ohne Sicherheit und Vertrauen zu gefährden.
Wichtig ist der Blick nach innen und nach außen. Österreich muss verstehen, was wir bereits haben, was wir brauchen und wie wir uns strategisch positionieren, gleichzeitig aber auch die globale Entwicklung im Auge behalten. Nicht alles, was international entsteht, ist automatisch sinnvoll für uns als Gesellschaft oder als Wirtschaftsstandort – Stichwort digitale Souveränität. Genau hier liegt die Aufgabe der Politik: Orientierung geben, Räume für Innovation schaffen und zugleich Schutzmechanismen etablieren, die verantwortungsvoll in die Zukunft führen.
Wie stark wird KI die Entwicklung von Softwarelösungen verändern?
Manfred Pascher: Wenn man sich die aktuellen Tools ansieht, erkennt man, wie mächtig KI-gestützte Entwicklungswerkzeuge geworden sind. Mit ihnen lässt sich mit wenigen Anweisungen eine komplette Web-App erzeugen. Man beschreibt die Felder, definiert die gewünschten Funktionen, und das System baut eine funktionsfähige Anwendung. Für kleinere Lösungen funktioniert das heute schon sehr gut.
Bei spezialisierten Anwendungen bleibt die Lage jedoch komplexer. Gerade in der Medizin, aber auch in der Produktion, ist die Codequalität entscheidend. Es braucht Nachvollziehbarkeit, stabile Input-Output-Prozesse und die Gewissheit, dass Berechnungen korrekt ablaufen. Auf KI-generierten Code kann man sich in diesen Bereichen noch nicht in dem Maß verlassen, wie es für kritische Anwendungen notwendig wäre. Für schnelle Prototypen ist die Technologie hervorragend geeignet, bis zu vollständig fehlerfreien komplexen Systemen wird es allerdings noch dauern.
Selbst wenn diese Systeme technisch weiter reifen, bleibt ein Kernproblem bestehen. Wenn man sich in einem Fachgebiet nicht auskennt, weiß man auch nicht, welche Anforderungen man an eine KI richten muss. In der Diagnostik etwa muss jemand erkennen können, welche Symptome für eine KI relevant sind und wie man sie korrekt beschreibt. Nur dann kann eine KI ein Ergebnis liefern, das medizinisch sinnvoll ist. Deshalb wird es noch sehr lange Menschen brauchen, die Anforderungen übersetzen, Kontexte verstehen und Ergebnisse einordnen. Die KI nimmt uns vieles ab, aber die Verantwortung bleibt bei den Fachleuten, die wissen, wie eine Lösung aussehen muss und worauf es wirklich ankommt.
Welche Erwartungen haben Sie an die IT-Industrie hinsichtlich der Weiterentwicklung von KI-Tools im Gesundheitswesen und werden diese aus Ihrer Sicht bereits erfüllt?
Stefan Nehrer: Aus meiner Sicht liegt die größte Lücke derzeit im Bereich der digitalen Gesundheitsanwendungen, also jener DiGAs, die in Deutschland schon stark verbreitet sind. In Österreich existiert kaum ein Angebot. Genau hier müssten wir ansetzen, denn die Frage, wie wir medizinisches Wissen zu den Menschen bringen, ist besonders für die Prävention zentral. In diesem Bereich hätten wir enormes Potenzial. Wir könnten viel erreichen, wenn wir Bevölkerungsgruppen gezielt ansprechen und ihnen präventive Inhalte so vermitteln, dass sie sie wirklich annehmen.
KI kann dabei helfen, Bedürfnisse zu analysieren und daraus konkrete, nutzbare Anwendungen zu entwickeln, etwa Apps, die präventive Maßnahmen verständlich aufbereiten und niederschwellig zugänglich machen. Ohne eine starke Präventionsschiene wird das Gesundheitssystem langfristig schwer finanzierbar bleiben. Deshalb sehe ich genau hier die größte Aufgabe und auch die größte Chance.
Wie sollte sich die Zusammenarbeit zwischen Ihrem Unternehmen und dem universitären Forschungsbereich entwickeln, damit wissenschaftliche Erkenntnisse strategisch genutzt werden können?
Gerlinde Macho: Der Forschungsbereich ist für uns von zentraler Bedeutung und gewinnt mehr und mehr an Relevanz. MP2 IT-Solutions arbeitet immer intensiver mit Universitäten und Forschungseinrichtungen zusammen, weil diese Kooperationen einen Blick nach vorne ermöglichen. Forschung liefert uns nicht nur neue Erkenntnisse, sondern auch die Möglichkeit, konkrete Fragestellungen gemeinsam zu vertiefen und Entwicklungen im Markt präzise einzuordnen.
Als Unternehmen hätten wir niemals den Zugang zu jener Fülle an Daten, Studien und aktuellen Forschungsergebnissen, die in wissenschaftlichen Einrichtungen selbstverständlich verfügbar sind. Genau diese Ressourcen brauchen wir, um fundierte Entscheidungen zu treffen und unsere Lösungen nachhaltig weiterzuentwickeln. Besonders im Bereich künstlicher Intelligenz entsteht derzeit eine enorme Dynamik. Die Forschung liefert beinahe täglich neue Impulse, und wir sind darauf angewiesen, diese Entwicklungen zu verstehen und in die Praxis zu übertragen.
Für uns bedeutet das, in dieser Zusammenarbeit strategisch vorzugehen, im Austausch zu bleiben und gemeinsam mit der Wissenschaft Wege zu identifizieren, die technologisch sinnvoll und wirtschaftlich tragfähig sind. Diese Verbindung zwischen Forschung und Praxis ist entscheidend, damit wir als Unternehmen wissen, wohin wir uns bewegen und welche Entscheidungen für die Zukunft richtig sind.

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