Im Rahmen des Roundtable zum Thema Innovationen und neue Technologien in ERP und CRM sprach die ITWelt.at mit Alexander Schmidberger, Innovation Architect und Business Development Manager bei Nagarro, welche Bereiche im ERP- und CRM-Umfeld mittels KI optimiert werden können, ob mit KI der Fachkräftemangel abgefedert werden kann und über die Rolle des Menschen im Zusammenspiel mit KI. [...]
Sie sind seit vielen Jahren in der IT-Beratung tätig. Können Sie uns kurz Ihren beruflichen Hintergrund und Ihre Rolle bei Nagarro schildern?
Alexander Schmidberger: Ich bin seit über 20 Jahren in der IT-Beratung aktiv, davon rund 19 Jahre im Handel und im Bereich Consumer Industries – vor allem im SAP-Umfeld. Seit Anfang des Jahres2025 bin ich bei Nagarro tätig, einem global agierenden Unternehmen mit rund 18.000 Mitarbeitenden. Mein Schwerpunkt liegt im SAP-Bereich, ich arbeite aber auch eng mit Partnern wie Salesforce oder Microsoft Dynamics zusammen. In meiner Rolle als Business Development und Innovation Consultant kümmere ich mich zudem um Kooperationen mit Herstellern – etwa SAP oder Bizerba (ein weltweit führender Waagenhersteller) – und um die Integration innovativer Lösungen über das gesamte Nagarro-Netzwerk hinweg.
Wo stehen wir aktuell beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz im ERP- und CRM-Umfeld?
Wir erleben eine große Diskrepanz: KI-Anwendungen sind im Alltag angekommen, etwa in Form von Recommendation Engines im E-Commerce, aber im Unternehmensumfeld sind sie noch Leuchtturmprojekte. Besonders durch den aktuellen KI-Boom hat sich die Motivation der Unternehmen verändert. Viele nutzen die bevorstehenden SAP-Transformationen – etwa die Umstellung auf S/4HANA bis 2027 – als Chance, ihre Systeme neu aufzusetzen und so die Basis für KI zu schaffen. Ziel ist, nicht nur einzelne „Hotspot“-Anwendungen umzusetzen, sondern eine Plattform, auf der sich verschiedene KI-Use-Cases flexibel integrieren lassen – beispielsweise Scan-and-Go- oder Grab-and-Go-Konzepte im Handel. Der Weg von diesen Pilotprojekten hin zum breiten Einsatz wird aber noch etwas dauern.
Zudem freue ich mich schon sehr, wenn KI-Agents wirklich genutzt werden können und aktiv werden.
Das klingt danach, dass ein klarer Use Case entscheidend ist…
Genau. Momentan sehen wir vor allem Einzel-Use-Cases – Projekte, die gezielt auf einen Anwendungsfall zugeschnitten sind. Ein Beispiel ist ein Supermarkt, der Kunden automatisch erkennt, ohne dass diese eine Karte vorzeigen müssen. Oder auch gesellschaftlich relevante Projekte, etwa in Indien, wo mithilfe von KI Straßenschäden erkannt und für die Straßenverwaltung priorisiert werden. Solche Anwendungen nehmen zu, aber bis zur durchgängig intelligenten Unternehmenssteuerung – also der vielzitierten „Intelligent Enterprise“ – wird es noch etwas dauern.
KI braucht viele Daten. Welche Herausforderungen gibt es dabei?
Viele Unternehmen arbeiten noch mit Datensilos – gerade im europäischen Raum, wo Datensicherheit und Datenschutz hohe Priorität haben. Diese Silos werden jetzt aufgebrochen. Denn gleichzeitig wächst das Bewusstsein, dass zentrale Stammdatenservices notwendig sind, um Daten für KI nutzbar zu machen. Die Harmonisierung dieser Daten ist ein wichtiger Schritt: Sie ermöglicht es, Zusammenhänge zu erkennen – etwa Kundenvorlieben oder Markttrends – und das Potenzial der KI besser auszuschöpfen, ohne Regulatorien wie die DSGVO zu verletzen. Der Nutzen solcher Maßnahmen ist heute deutlich greifbarer als noch vor einigen Jahren.
Ist der Mensch gleichermaßen für ERP und CRM weiterhin die maßgebende Kontrollinstanz und aktiv und laufend in alle Prozesse eingebunden?
Im CRM-Bereich schreitet die Automatisierung besonders schnell voran – Recommendations beziehungsweise Empfehlungen werden kaum mehr manuell überprüft. Je mehr wir in den ERP-Bereich kommen, desto stärker ist sicher noch die Endkontrolle durch den Menschen. Aber auch im ERP-Umfeld entwickelt sich viel. Ein spannendes Beispiel ist die Rechnungserkennung: Eine KI liest Rechnungen ein, eine zweite überprüft die Ergebnisse. Die Systeme kommunizieren miteinander, und der Mensch greift nur noch bei Ausnahmen ein. Die Rolle des Menschen verändert sich also – er wird zunehmend zum Dialogpartner der KI, nicht mehr nur zur Kontrollinstanz.
Welche Rolle spielen Trustworthy AI und Explainable AI in Ihrer Arbeit? ? Ist das ein Thema, nach dem die Kunden fragen?
Kurz und bündig: Ja. Das spielt eine sehr große. Kunden wollen verstehen, wie Entscheidungen zustande kommen. Im Consulting ist Explainable AI daher essenziell – sie schafft Transparenz und Akzeptanz. Künftig wird es normal sein, dass ich die KI frage, wie ich etwa einen neuen Vertriebszweig einrichte – statt selbst in Tabellen zu konfigurieren oder externe Berater zu engagieren wie früher üblich. Der Mensch bleibt Ideengeber und Entscheidungsträger, etwa welcher Kundenzweig forciert werden soll, die KI übernimmt Umsetzung und Datenbeschaffung.
Europa diskutiert stark über Regulierung – etwa durch den EU-AI-Act. Sehen Sie diese Vorgaben als hinderlich oder hilfreich?
Ich sehe sie als Chance. Europa holt bei der Gestaltung von Regularien auf und kann dadurch Vertrauen in KI schaffen – etwas, das in anderen Regionen zunehmend verloren geht. Zwar dauert der Prozess länger als in den USA oder China, aber er führt zu einer stabileren, vertrauenswürdigeren digitalen Infrastruktur. Diese Balance zwischen Innovationsgeschwindigkeit und Verantwortung ist typisch europäisch – und letztlich ein Wettbewerbsvorteil. Ich glaube, Europa findet einen gesunden Mittelweg zwischen den zwei Global Playern, USA und China. Allerdings ist es schon so, dass diese beiden Länder gegenwärtig weltweit den Takt vorgeben.
Wie stark spielt dabei das Thema digitale Souveränität eine Rolle?
Eine sehr große. Für viele Kunden ist Datenhaltung in Europa inzwischen selbstverständlich. Kritisch wird eher gefragt: Wer hat Zugriff auf die Daten? Hier spüren wir ein wachsendes Misstrauen gegenüber Unternehmen mit Headquarter außerhalb Europas. Daher gewinnen lokale Rechenzentren und Anbieter zunehmend an Bedeutung. Beispiele wie die Schwarz Gruppe, das eigene Datencenter für SAP-Lösungen betreibt, und strategisch auch anderen SAP Kunden als Hyperscaler im Rahmen des StackIT Vorhaben anbieten möchte, zeigen, dass Europa in diesem Bereich aufholt. Der Trend geht klar in Richtung: Daten in Europa – und Schlüssel in europäischer Hand.
Welche Anforderungen ergeben sich für Mitarbeitende und Führungskräfte durch den Einsatz von KI?
Mitarbeitende müssen das Warum ihrer Arbeit verstehen – nicht nur das Wie. Das Management hat die Aufgabe, diesen Zusammenhang zu vermitteln. Nur wer versteht, warum Daten benötigt werden, kann Ideen entwickeln und Verantwortung übernehmen. Dieses Verständnis ist entscheidend, damit Mitarbeitende KI nicht als Bedrohung, sondern als Unterstützung begreifen. Das war übrigens schon bei der Einführung von ERP-Systemen so: Wer nur weiß, welchen Knopf er drücken muss, bringt das Unternehmen nicht weiter.
Welche Entwicklungen erwarten Sie insbesondere im Handel?
Der Handel wird sich stark verändern – nicht nur durch KI, sondern durch viele kleine digitale Werkzeuge. Künftig werden kleinere, automatisierte Märkte möglich, die mit weniger Personal auskommen, aber dennoch eine hohe Versorgungssicherheit bieten. Das schafft neue Chancen gerade für ländliche Regionen, Stichwort Landflucht. Zugleich verschwimmen die Grenzen zwischen Online- und stationärem Handel: Kunden kaufen online, holen Ware im Store ab oder erleben dort gezielt Markeninszenierungen. KI wird diese neuen hybriden Konzepte unterstützen. Retail-Areas an Ortsrändern werdenweniger interessant, die Einkaufsstraße wird wieder zum Erlebnisraum.
Werden Sprachsteuerung und Agenten im Alltag eine größere Rolle spielen?
Ich bin gespannt. Wenn ich mir meine mittzwanzigjährigen Kinder ansehe, merke ich, das junge Menschen heute eher über soziale Medien interagieren als per Sprachsteuerung. Wahrscheinlich werden Agenten und Sprachschnittstellen an Bedeutung gewinnen werden – vor allem dort, wo sie echte Arbeitserleichterung bringen. Ich bin ich sehr neugierig, wie sich das tatsächlich entwickelt.
Wie lässt sich der Nutzen von KI-Anwendungen messen?
Die Bewertung ist komplex. In einzelnen Use Cases – etwa bei der Erkennung von Straßenschäden – lässt sich der Nutzen anhand von Fahrzeugschäden klar belegen. Die Messung ist sicher eine große Herausforderung. Es gibt klare Use Cases im CRM- oder auch im ERP-Umfeld, wenn es etwa um Fraud-Bekämpfung geht. In anderen Fällen spielen viele Faktoren mit hinein: Kundenzufriedenheit, Mitarbeiterbindung oder Vertrauen in die Systeme. Diese qualitativen Effekte sind schwer zu quantifizieren. Man kann sie messen, aber man sollte die Ergebnisse mit Vorsicht interpretieren.
Was raten Sie Unternehmen, die KI-Projekte starten möchten?
Sehen Sie KI nicht als IT-Projekt, sondern als Organisationsprojekt. Der größte Nutzen entsteht, wenn Abteilungen vernetzt, Silos aufgebrochen und Mitarbeitende in den Wandel eingebunden werden. Nur wenn alle verstehen, warum sie etwas tun, kann KI ihr Potenzial entfalten – als Werkzeug, nicht als Bedrohung.

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