Im Rahmen der "Expedition KI 3.0" am Wiener Flughafen traf IT Welt.at den Digitalhumanisten Martin Giesswein und stellte ihm drei Fragen. [...]
Sie blicken in Ihrem „Tagebuch einer humanistischen Künstlichen Intelligenz“ fiktiv aus der Zukunft des Jahres 2040 auf unsere Zeit zurück und präsentieren dabei eine positive Zukunftsvision für Europa. Was macht Sie so optimistisch?
Ich glaube, wir müssen aus der Not eine Tugend machen. Die Technologie ist da, jetzt gilt es, sie so zu gestalten, dass sie optimal für den Menschen ist. Das Buch ist ein Appell, unsere digitale Gesellschaft menschlich zu gestalten. Wir haben weltweit grob drei Systeme könnte man sagen, drei große Blöcke. Nordamerika mit seinem rein kommerziellen Zugang. Das ist ja okay, aber da steht wirklich die Profitabilität als Maximum da, gleichgültig was die KI mit den Menschen macht.
Dann haben wir vielleicht ein asiatisches System, wo in manchen Ländern KI sehr stark für staatliche Kontrolle und Steuerung verwendet wird. Und schließlich haben wir in Europa die Chance, mit unserer Tradition des digitalen Humanismus, zu sagen, Technik ist gut, aber sie ethisch so einzusetzen, dass sie für die Bürgerinnen und Bürger, für die Menschen, für die Konsumenten optimal ist. Da kann man immer noch genug Geld verdienen – man könnte daraus auch einen USP für Europa machen. Und im Endeffekt müssen wir es sowieso tun, denn diese digital-humanistischen Prinzipien sind sowieso Teil des EU AI-Acts, an den sich alle in der EU ab jetzt halten müssen.
Wenn man Unternehmen zuhört, wird oft über zu viel Regulierung, zu viel Compliance geklagt. Jetzt haben wir den AI Act der EU. Glauben Sie, dass der digitale Humanismus allein über Regulierung umgesetzt werden kann? Oder gibt es hier andere Möglichkeiten? Wie stehen Sie zur Regulierung?
Der AI Act ist wie er ist. Er ist ein Interessensausgleich, er ist weltweit sicherlich führend, wenn es darum geht, ethische Bedenken beim KI-Design und bei der KI-Nutzung zu berücksichtigen .
Vieles ist verboten, was wir sowieso nicht wollen. Die RTR, die Umsetzungsbehörde in Österreich, ist jetzt in einer Schlüsselrolle. Wie setzen wir die Vorgaben um? Wird das bürokratisch? Wird das einfach? Die RTR hat hier schon ein positives Bild gezeichnet. Auf ihrer Homepage steht, dass sie davon ausgehen, dass 80 Prozent der Firmen gar nicht betroffen sein werden, dass man vielleicht eine Dokumentation des Systems macht oder sich vom Hersteller nimmt.
Was aber alle trifft, das ist Artikel 4, dass man die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen schulen muss. Das finde ich gut, denn wenn man KI-Kompetenz hat, kann man entscheiden, das will ich, das will ich nicht, das will ich anders – und dementsprechend agieren. Meine Hoffnung ist, dass wir die gute Regulation unbürokratisch, wirtschaftsfreundlich umsetzen, sodass die Menschen zur Überzeugung gelangen: das ist ein Ansatz mit dem ich auch als Konsument gut leben kann.
Ich glaube auch, dass man KI in der Industrie und in den Unternehmen sehr produktivitätsfördernd einsetzen kann. Aber gleichzeitig haben wir ja auch durch KI und Large Language Models hervorgerufene Fake News. Wie sehen Sie eine Möglichkeit aus diesem Gestrüpp an Lügen herauszukommen?
Ich möchte die Situation anhand eines Vergleichs veranschaulichen: Früher waren wir wie Hobbysportler. Das heißt, wir haben ein bisschen trainiert und konnten so unsere Gesundheit erhalten. Ich glaube, im KI-Zeithalter mit CEO-Fraud und Fake News on steroids und all dem, müssen wir echte Hochleistungsathleten werden beziehungsweise KI-Experten und -Expertinnen, damit wir das erkennen. Ich möchte ein vielleicht ein wenig naives Beispiel aus meiner Kindheit geben. Das erste Mal als ich mit meiner Familie auf Urlaub war, haben meine Eltern zu mir als damals Achtjährigen gesagt: „Das Geldbörsel, das du mithast, tragst du jetzt bitte nicht mehr in der hinteren Tasche, sondern vorne und schaust immer darauf, dass nichts passiert.“
Ich habe damals nicht verstanden, was das soll. Und solche kleinen Selbstverständlichkeiten müssen wir alle uns auch für das neue digitale Lebens aneignen. Der KI-Zug ist abgefahren, wir sollten im Zug sein und wir sollten aber auch – bis zu einem gewissen Grad – den Zug steuern können. Und darum reicht es nicht, wenn ich Hobbysportler oder Klimaticketbesitzer, -besitzerin bin – ich sollte mich eigentlich Richtung Lokführer, Lokführerin ausbilden.
Zur Person Martin Giesswein
Martin Giesswein ist bereits seit 30 Jahren in IT-Branche tätig, unter anderem als General Manager bei Nokia Austria/Adriatic. Mittlerweile ist er seit Jahren selbstständig, hält Vorträge auf Events und Konferenzen zum Thema Digitalisierung sowie Künstliche Intelligenz und schrieb mehrere Bücher, darunter „Maßgeschneiderte Digitalkompetenz für Führungskräfte“ und veröffentlichte das Hörbuch „Zeitsouveränität in der digitalen Ära“. Sein jüngstes Buch, das er auf der „Expedition KI 3.0“ präsentierte, trägt den Titel „Tagebuch einer humanistischen KI“. Näheres dazu auf der Website von Martin Giesswein, wo Interessierte das Buch auch gratis als PDF herunterladen können.
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