KI-Technologien erobern die Automobilindustrie

Die Integration von Large Language Models (LLMs) wie ChatGPT eröffnet auch in der Automobilindustrie neue Horizonte für die Verbesserung von Benutzererfahrungen, Effizienz und Sicherheit. Gunnar Braun, Technical Account Manager for Application Security Solutions bei Synopsys, spricht im Interview mit IT Welt.at, wie diese Modelle die Zukunft der Interaktion mit Fahrzeugsystemen formen können. [...]

Large Language Models (LLMs) sind geeignet, unterschiedliche Anwendungsfälle in der Automobilbranche zu unterstützen. (c) Synopsys
Large Language Models (LLMs) sind geeignet, unterschiedliche Anwendungsfälle in der Automobilbranche zu unterstützen. (c) Synopsys

Worin liegen die Vorteile von Large Language Models (LLMs) wie beispielsweise ChatGPT?

Large Language Models (LLMs) wie ChatGPT sind geeignet, unterschiedliche Anwendungsfälle in der Automobilbranche zu unterstützen. Zum Beispiel erlauben sie die Integration von intelligenten digitalen Sprachassistenten in Fahrzeuge. Solche Sprachassistenten verwenden Natural Language Processing (NLP) und Spracherkennungstechnologie, um die Sprachbefehle des Fahrers oder die der Mitfahrenden zu verstehen und darauf zu reagieren. So kann der Fahrer über Sprachbefehle verschiedene Fahrzeugfunktionen steuern, z. B. die Klimaanlage einstellen, eine Routenplanung anfordern, die Play List für die Musikwiedergabe aufrufen, die Lautstärke regeln und Anrufe tätigen, ohne irgendwelche Tasten drücken zu müssen. Das verspricht nicht nur eine bessere User Experience, sondern lenkt auch weniger ab. Mercedes-Benz hat vor wenigen Wochen auf der CES seinen LLM-basierten MBUX Virtual Assistent vorgestellt, und nach Volkswagen und BMW haben in der Folge weitere Anbieter ähnliche Ankündigungen verlauten lassen.

Darüber hinaus helfen digitale Sprachassistenten dabei, relevante Informationen zum Fahrzeug zu finden, ohne dazu Hunderte von Seiten einer Bedienungsanleitung durchgehen zu müssen. Das heißt, der Fahrer fragt etwa, warum eine bestimmte Warnleuchte auf dem Armaturenbrett blinkt, und der digitale Sprachassistent gibt die Antwort.

Aber Large Language Models können noch mehr. Neben der Integration in die Fahrzeuge können LLMs auch eingesetzt werden, um den Entwicklungsprozess in Automobilunternehmen zu optimieren. LLMs tragen etwa dazu bei, das Anforderungs- und Testmanagement zu vereinfachen. Dazu verarbeiten sie Anforderungsdokumente und überprüfen dazu die Syntax ebenso wie die Anforderungen in Bezug auf Hardware, Software und Prozesse – und sortieren diese bei Bedarf auch aus. Anschließend werden die Ergebnisse dem zuständigen Team zugewiesen. 

Gunnar Braun © Synopsys

Darüber hinaus sind LLMs in der Lage, geeignete Testfälle für die analysierten Anforderungen zu generieren. Das erleichtert es, die Anforderungen zurückzuverfolgen. KI-Lösungen tragen auch dazu bei, das Design von Komponenten im Hinblick auf Leistung, Sicherheit und Kosten zu optimieren und die Effizienz bei der Implementierung durch automatische Codegenerierung zu verbessern.

Auch in der Fahrzeugproduktion findet man ChatGPT, wie z. B. bei Mercedes-Benz, wo es zur Analyse von Qualitätsdaten und Fehlermeldungen eingesetzt wird. Dadurch erhalten Mitarbeiter in der Produktion Zugang zu einem mächtigen Analysewerkzeug, ohne dass tiefgreifende Programmier- oder IT-Kenntnisse vorausgesetzt werden. Das führt zu einer schnelleren Fehleranalyse, und man vermeidet potenzielle Produktionsunterbrechungen.

Wo liegen die potenziellen Risiken der Technologie?

Es gibt eine ganze Reihe von Risiken, die Sie beim Einsatz von KI und LLMs berücksichtigen sollten. Ein gängiger Angriffsvektor ist zum Beispiel der Prompt-Injection-Angriff, bei dem ein Angreifer das KI-System mit bestimmten Daten füttert. Die veranlassen ein Verhalten, für welches das System als solches nicht konzipiert wurde. Man kann diesen Angriff sowohl direkt als auch indirekt ausführen. Der direkte Ansatz ähnelt dem Jailbreaking in dem Sinne, dass er die Beschränkungen bei den Prompts des KI-Systems aufhebt. Dadurch kann der Angreifer direkt auf die Backend-Systeme zugreifen. Bei der indirekten Methode hingegen werden die Daten von einer externen Quelle eingegeben, z. B. von einer mit dem Modell verbundenen Website oder über ein in das KI-System hochgeladenes Dokument.

Ein weiteres Problem ist der grundlegende Datenschutz. Das KI-System sammelt, speichert und verarbeitet große Mengen von Daten, die möglicherweise private oder sensible Informationen enthalten. Ein Angreifer mag es auf diese Daten abgesehen haben und z. B. Standortdaten des Fahrzeugs oder andere Kundendaten aus der von einem KI-System oder einer LLM-Anwendung erzeugten Ausgabe extrahieren.

Welchen Rat geben Sie OEMs, die diese Technologie in ihre Fahrzeuge integrieren wollen?

Viele Erstausrüster erstellen bereits eigene KI-Modelle oder beabsichtigen dies zu tun. Das wiederum birgt das Risiko des Modelldiebstahls. Wenn das Modell beispielsweise proprietäre Algorithmen oder spezifisches geistiges Eigentum enthält, kann es von Angreifern kopiert oder zurückentwickelt (Reverse Engineering) werden. Das gestohlene Modell lässt sich beispielsweise missbrauchen, um zu analysieren, wie bestimmte Funktionen im Detail arbeiten oder um sich unbefugten Zugriff auf sensible Informationen innerhalb des Modells zu verschaffen. Ein KI-Modell für Kfz-Werkstätten enthält vermutlich geschützte Informationen dazu, wie man einen neuen Fahrzeugschlüssel umprogrammiert oder wie man den Werkstatt-Modus eines Steuergeräts aktiviert. Ein Angreifer, der es auf dieses Modell abgesehen hat, kann mittels Reverse-Engineering bestimmte Merkmale oder Funktionen des Modells nachbilden. OEMs sollten angesichts des Risikos eines Modelldiebstahls sehr genau überlegen, auf welche Art von kritischen oder sensiblen Daten das KI-Modell trainiert werden sollte.

Ein weiteres Problem beim Erstellen eines eigenen KI-Modells ist die Verwaltung der Daten, auf die das Modell trainiert wird. Ein Angreifer wird beispielsweise versuchen, das Verhalten des KI-Modells durch einen sogenannten „Training Data Poisoning“-Angriff zu manipulieren. Das bedeutet, dass der Angreifer bestimmte Informationen mithilfe von bösartigen oder falschen Daten verändert oder solche in den Trainingsdatensatz einfügt. Dadurch wird das gesamte KI-Modell verfälscht, denn es wird auf der Basis von falschen Daten trainiert. Dies hat zur Folge, dass das KI-System, trotz der verfälschten Trainingsdaten, auf denen es fußt, scheinbar „korrekt“ funktioniert, aber sich möglicherweise anders verhält als geplant. Für einen solchen Angriff muss derjenige allerdings Zugang zu den Trainingsdaten haben, die Trainingsdaten unbemerkt verändern können und auch dafür sorgen, dass das KI-Modell mit diesen verfälschten Daten trainiert wird. Da Angriffe auf die Lieferkette aber weiter zunehmen, sollten OEMs diesen Angriffsvektor sorgfältig prüfen und ihn möglichst ausschalten.

KI-Systeme und LLMs bieten nicht zu unterschätzende Vorteile in zahlreichen Anwendungsfällen. Studien haben allerdings gezeigt, dass generative KI-Systeme Ungenauigkeiten aufweisen, d. h. sie erzeugen möglicherweise falsche, unsichere oder potenziell gefährliche Inhalte. Dieses Konzept bezeichnet man als „KI-Halluzinationen“, und es tritt in bis zu 20 % aller Fälle auf. Dessen sollten Firmen sich bewusst sein. Generative KI-Systeme geben ihre Antworten in der Regel reichlich selbstbewusst. Die Benutzer stehen also vor der Herausforderung, zu verstehen, welchen Teilen bei der Ausgabe sie vertrauen können, welche sachlich falsch oder welche sich bei unveränderter Verwendung möglicherweise schädlich auswirken. 

Wenn Unternehmen sich auf KI-Technologien verlassen, dann sollten sie sich ernsthaft über Themen wie KI-Halluzinationen und andere Ungenauigkeiten Gedanken machen. Es empfiehlt sich beispielswiese Plausibilitätsprüfungen zu verwenden, die die Ausgabe der KI-Systems mit einer zweiten Quelle vergleichen.

Was erwarten Sie – wie wird sich der Einsatz der Technologie in diesem Jahr voraussichtlich weiterentwickeln?

KI-Technologien werden in der Automobilindustrie zunehmend eingesetzt werden. Schlicht, weil sie etliche Vorteile versprechen und neue Geschäftsfelder erschließen. Wir werden grundsätzlich mehr integrierte KI-Lösungen sehen. Aber auch einen verstärkten Einsatz von KI-Lösungen während der Entwicklungs- und Betriebsphase des Fahrzeuglebenszyklus insgesamt. 

In der Entwicklungsphase beispielsweise werden KI-Lösungen bei fortschrittlicheren Simulationen und Tests sowie bei der oben erwähnten Optimierung der Entwicklungsprozesse helfen. In der Betriebsphase wird KI die Effizienz bei der Analyse großer Datenmengen verbessern, die von den Fahrzeugen gesammelt werden, um eine datengesteuerte Entscheidungsfindung zu ermöglichen. Dies umfasst auch das Erkennen von Anomalien und potenziellen Cyberangriffen auf ein Fahrzeug. So kann eine KI etwa genutzt werden, um die Cybersicherheit kontinuierlich zu überwachen. 


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