Tietoevry behandelt das Thema KI auf zwei Ebenen: Customer Experience und Knowledge Management. ITWelt.at sprach mit Robert Kaup, Head of New Markets Tietoevry Create/Managing Director Tietoevry Austria. [...]
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Tietoevry hat einen skandinavischen Hintergrund. Tieto ist aus Finnland, Evry aus Norwegen. Aus dem Zusammenschluss der beiden Unternehmen ist Tietoevry entstanden mit mittlerweile 24.000 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die weltweit tätig sind.
Wir kommen aus dem Bereich der klassischen IT-Dienstleister. Die Bezeichnung Digital Engineering beschreibt am besten, was wir heute tun. Wir fokussieren darauf, gemeinsam mit unseren Kunden Probleme zu lösen. Das machen wir einerseits durch Softwareentwicklung. So kommen etwa die digitale Vignette in Österreich oder die Inhalte, die auf der Autobahn eingeblendet werden, von uns. Andererseits unterstützen wir unsere Kunden durch Beratung.
Was sind die großen Themen? Wie sieht es derzeit mit KI aus?
Salopp formuliert: Um das Thema künstliche Intelligenz kommen wir nicht herum. Es wird uns auch in den nächsten Jahren beschäftigen. Wir adressieren das Thema auf zwei Ebenen. Auf der einen Seite stehen die Kunden im Fokus, Stichwort Customer Experience, Kundenerfahrungen. In einem Call Center geht es immer darum, effizient zu sein und die beste Experience zu bieten. Hier bietet die künstliche Intelligenz viele Unterstützungsmöglichkeiten.
Auf der anderen Seite bieten wir AI-Assisted Bots, die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit allen Informationen zu einem Kunden unterstützen, Stichwort Knowledge Management. Hier geht es in Richtung Produktivität und interner Optimierung. Mit GPT for Business haben wir eine Lösung, mit der Kunden ihren eigenen Unternehmens-Content plus alle GPT-Fähigkeiten nutzen können, ohne dass interne Informationen nach außen gelangen. In diesem Bereich gibt es sehr viele Anwendungsfälle, um den Einstieg in das Thema KI zu schaffen.
Inwieweit wirken fehlendes Wissen und Fachkräftemangel als Bremser bei der Einführung von KI?
Viele Organisationen stehen derzeit vor der Herausforderung, wie sie das Thema künstliche Intelligenz am besten angehen können, insbesondere vor dem Hintergrund neuer Regulierungen wie dem EU AI Act. Um Unternehmen in diesem Prozess zu unterstützen, haben wir das Mindful AI Framework entwickelt. Mit diesem Ansatz zeigen wir unseren Kunden, wie sie verantwortungsbewusst und zielgerichtet vorgehen können, um die richtigen Hebel zu setzen sowie die potenziellen Vorteile von KI zu erkennen und zu nutzen.
In Bezug auf die gesamtwirtschaftliche Lage sehen wir Österreich als einen potenziellen Vorreiter im Bereich KI. Obwohl die wirtschaftliche Abhängigkeit vom deutschen Markt weiterhin besteht, glauben wir, dass es wichtig ist, eigene Wege zu gehen und frühzeitig innovative Ansätze zu testen und umzusetzen. Auch wenn viele Organisationen noch unsicher sind, wie sie beginnen und welche konkreten Vorteile sie erwarten können, sind wir überzeugt, dass dies ein fortlaufender Lernprozess ist – nicht nur für die Firmen, sondern auch für uns als IT-Dienstleister. Dies wirft die Frage auf, wie sich Software-Entwicklung und Beratung in der Zukunft durch den verstärkten Einsatz von KI verändern werden.
KI wird immer mehr Branchen durchdringen, was tiefgreifende Veränderungen nach sich ziehen wird. Auf der anderen Seite bringt der verstärkte Einsatz von KI auch Herausforderungen mit sich, insbesondere im Hinblick auf den Energieverbrauch. Ein einzelner ChatGPT-Query benötigt derzeit zehnmal so viel Energie wie eine Google-Suche. Wir müssen daher Lösungen entwickeln, die den Energieverbrauch optimieren, um die durch KI entstehenden Belastungen auszugleichen. Ein Beispiel dafür ist die Optimierung des Energieverbrauchs von Mobilfunk-Basisstationen mithilfe von KI. Insgesamt müssen wir jedoch sicherstellen, dass wir auch an anderen Stellen energieeffizienter werden, um den steigenden Bedarf durch KI abzudecken. Prognosen zufolge könnte der weltweite Energieverbrauch für KI bis 2026 den von Japan übersteigen.
Ist die Vertrauensfrage ein Problem, wenn es um konkrete Lösungen geht?
Ja, besonders dann, wenn es um KI geht. Wir sprechen einerseits vom Problem der Halluzinationen, andererseits darum, dass geheime Unternehmensdaten zur Verfügung gestellt werden.
Es geht tatsächlich um Vertrauen. Daher achten wir bei unseren Lösungen darauf, dass die User die Informationen bekommen, woher die Inhalte stammen – aus dem eigenen Unternehmen oder aus dem Internet. Die Quelle ist jederzeit nachvollziehbar. Menschen haben außerdem die Möglichkeit, zu bewerten, ob eine Information halluziniert oder echt ist. Ich bin überzeugt, dass Menschen mit ihrer Erfahrung immer eine Rolle spielen müssen, um die Ergebnisse der KI zu verifizieren.
Ich glaube nicht, dass Menschen durch KI ersetzt werden, aber Personen werden durch Menschen ersetzt, die KI verwenden. Das gleiche gilt für Unternehmen – vorausgesetzt, KI wird vertrauensvoll eingesetzt.
Österreich ist nicht bekannt dafür, sponten und innovativ zu sein. Wie kann die IT-Branche dabei helfen, die Einstellung zur Innovation zu ändern?
Ich glaube, dass die IT und Digitalisierung gesamt einen sehr großen Beitrag dabei leisten kann. Es ist wichtig, dass Unternehmen sich mit Neuem beschäftigen, um Vorreiter zu sein – und nicht darauf wartet, bis andere den ersten Schritt machen und dann folgen.
KI entwickelt sich so rapide, dass viele Unternehmen erst abwarten. Das ist kein Zeichen von Leadership. Es gibt sehr, sehr viele Anwendungsmöglichkeiten, wo man aktiv werden kann. Beispiel Thing-to-Thing-Kommunikation: Eine Komponente erkennt automatisiert selbst, dass sie defekt ist und gibt dem 3D-Drucker den Befehl, eine neue Version seiner selbst auszudrucken.
Es gibt sehr viele Möglichkeiten, Ideen umzusetzen, bei denen KI ein Beschleuniger sein kann. Dort müssen wir hin. Damit kann Österreich auch Vorreiter sein.
Welche konkreten Fördermaßnahmen wären Ihrer Meinung nach notwendig, um Digitalisierung und Innovation am Standort Österreich effektiv voranzutreiben, insbesondere im Kontext künstlicher Intelligenz?
Ich bin überzeugt, dass der Standort Österreich stärker gefördert werden muss – insbesondere, um digitale Initiativen anzustoßen. Auch Betriebe benötigen gezielte Unterstützung, um entsprechende Projekte umzusetzen.
Natürlich sind Förderungsprinzipien ein sensibles Thema. Doch wir haben in Phasen geringer Investitionen bereits gesehen, wie wichtig es ist, Anreize zu schaffen. Wenn Unternehmen vor allem auf Effizienz, Produktivität und Kostensenkung setzen, braucht es gezielte Impulse, um neue Projekte zu ermöglichen. Das halte ich für unerlässlich, da Digitalisierung und Innovation in einem engen Zusammenhang stehen: Die eine treibt die andere voran.
Wir sollten darüber nachdenken, wie wir diese Entwicklungen künftig am besten unterstützen können – etwa im Rahmen des nächsten Regierungsprogramms. Dabei ist es essenziell, Digitalisierung, einschließlich künstlicher Intelligenz, nicht nur aus regulatorischer Perspektive zu betrachten, sondern auch gezielt zu fördern.
Wie können Unternehmen von einem agilen Ansatz bei der Einführung von KI-Lösungen profitieren?
Ich habe vorhin über unser GPT for Business-Angebot gesprochen. Dabei geht es darum, in kürzester Zeit Lösungen bereitzustellen, bei denen Dokumente sicher innerhalb der Unternehmensgrenzen hochgeladen und genutzt werden können. Die Vorstellung, dass man in nur zwei Wochen eine Lösung implementiert hat, in der beispielsweise Verfahrensdokumente oder Qualitätsinformationen hochgeladen und analysiert werden, ist längst keine Zukunftsmusik mehr. Solche Use Cases können mit einer Durchlaufzeit von wenigen Tagen oder Wochen realisiert werden, anstatt auf jahrelange Projekte zu warten.
Der entscheidende Punkt ist, dass dieser agile Ansatz nicht nur ein einmaliger Schritt ist, sondern vielmehr ein kontinuierlicher Prozess. Es geht darum, nicht nach jedem kleinen Fortschritt Monate zu investieren, um den nächsten Schritt zu definieren. Stattdessen sollten die nächsten Steps klar und unmittelbar im Anschluss an den ersten umgesetzt werden. Unternehmen sollten die Denkweise entwickeln, kontinuierlich voranzukommen und die einzelnen Teile effizient miteinander zu verzahnen.
Es ist nicht notwendig, gleich mit einem riesigen, umfassenden Projekt zu beginnen, das möglicherweise Jahre dauert. Vielmehr liegt der Fokus darauf, mit kleinen, gezielten Schritten voranzukommen und dann sukzessive weiterzubauen. Die Idee ist, nicht zu versuchen, den „Elefanten“ auf einmal zu zerteilen, sondern in kleinen, pragmatischen Schritten nach vorne zu gehen. Das ist der Kern eines agilen Ansatzes, der es ermöglicht, schnell auf Veränderungen zu reagieren und ständig Fortschritte zu erzielen.
Welche Rolle spielt die Sprachinteraktion in der Zukunft der Technologie?
Ich glaube, dass wir zunehmend weg von der Eingabe über die Tastatur und hin zu natürlichen Sprachinteraktionen gehen werden. In Zukunft werden wir viele dieser Interaktionen ohne Tastatur, sondern nur über die Sprache führen können. Bereits jetzt zeigt sich dieser Trend deutlich, beispielsweise wenn wir unsere Smartphones nutzen, um Sprachbefehle zu erteilen und Antworten zu erhalten. Die natürliche Sprache bietet eine benutzerfreundlichere, intuitivere Möglichkeit der Interaktion, die auch mit mobilen Geräten und vernetzten Systemen nahtlos funktioniert.
Wie können Unternehmen Verantwortung und Flexibilität miteinander verbinden, um moderne Technologien effektiv einzusetzen?
Flexibilität ist der Schlüssel, wenn es darum geht, die Wettbewerbsfähigkeit eines Teams zu steigern. Während Führungskräfte zunehmend vor Herausforderungen stehen – sei es durch wachsende Haftungsrisiken oder komplexere Arbeitsumfelder – bleibt die Kernfrage, wie neue Technologien im Zusammenspiel mit den Mitarbeitenden optimal genutzt werden können.
Dabei sind zwei Grundprinzipien essenziell: Neugier und Verantwortungsbewusstsein. Zum einen gilt es, offen und lernbereit an neue Entwicklungen heranzugehen. Zum anderen muss der Umgang mit Technologien und Daten durchdacht und verantwortungsvoll erfolgen. Gerade in der IT ist es wichtig, dass Mitarbeitende sich der Sensibilität ihrer Aufgaben bewusst sind und eigenverantwortlich handeln.
Anstatt alle Prozesse zentral zu steuern, setzen wir auf einen Ansatz, der die Eigenverantwortung fördert. Mitarbeitende werden mit klaren Rahmenbedingungen vertraut gemacht und auf mögliche Risiken hingewiesen. Innerhalb dieses Rahmens vertrauen wir darauf, dass sie die richtigen Entscheidungen treffen. Bei einem globalen Team von 24.000 Personen wäre eine umfassende Regulierung ohnehin nicht praktikabel. Stattdessen bauen wir auf eine Kultur des gegenseitigen Vertrauens und der gemeinsamen Verantwortung, die es ermöglicht, flexibel und zugleich sicher zu agieren.
Wie können IT-Dienstleister ihre Planungsstrategien in einer immer unsicheren Welt anpassen?
Aus der Perspektive eines IT-Dienstleisters lässt sich klar sagen, dass sich die Zeiträume, in denen sinnvolle Planung möglich ist, deutlich verkürzt haben. Rückblickend auf die letzten 25 Jahre zeigt sich, dass langfristige Planung zunehmend schwieriger wird. Selbst im Vergleich zu den letzten zehn Jahren hat sich das Denken von Jahresplänen hin zu deutlich kürzeren Zyklen, wie Quartalen, verschoben.
Ein wesentlicher Grund für diese Entwicklung ist die wachsende Volatilität. Externe Ereignisse, wie die Corona-Pandemie, haben deutlich gemacht, wie schwer es ist, langfristige Vorhersagen zu treffen. Solche unvorhersehbaren Einflüsse können Pläne von Grund auf verändern und erfordern ein hohes Maß an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit.
In einer solchen dynamischen Umgebung wird es immer wichtiger, auf agile Planungsansätze und schnelle Entscheidungswege zu setzen, um auf Veränderungen effizient reagieren zu können.
Wie können Unternehmen langfristig von einem Vertrauensprinzip profitieren, besonders in einer hybriden Arbeitswelt?
Unsere nordischen Wurzeln haben uns in der Pandemie und den damit verbundenen Veränderungen im Arbeitsalltag gut vorbereitet. Wir waren nicht überrascht, weil wir schon lange auf ein grundlegendes Vertrauensprinzip setzen. Bei uns gilt: Die Mitarbeitenden entscheiden selbst, wann und wo sie arbeiten – ein Ansatz, der bereits seit mehr als zehn Jahren gelebt wird, seit die Technologie dies ermöglicht.
In Österreich beispielsweise haben wir nur eine zentrale Regel: Projektteams und ihre Teamleiter können einmal im Monat einen gemeinsamen Tag an einem unserer Standorte einberufen. Ansonsten basiert alles auf Vertrauen und der Eigenverantwortung der Mitarbeitenden. Eine starre Regelung – wie feste Vorgaben zu Office- oder Home-Office-Tagen – würde nicht zu unseren Werten passen und wäre für unsere Organisation unglaubwürdig.
Das Vertrauen in die Selbstorganisation der Teams ist essenziell. Es entspricht nicht nur unseren Prinzipien, sondern stärkt auch die Eigenverantwortung. Änderungen an diesem Ansatz würden unser bewährtes System untergraben und die Flexibilität, die unsere Mitarbeitenden schätzen, unnötig einschränken. Wir beobachten jedoch, dass verschiedene Organisationen unterschiedliche Modelle umsetzen, etwa eine festgelegte Anzahl an Büro- und Home-Office-Tagen. Unser Ansatz zeigt: Vertrauen und Flexibilität führen zu nachhaltiger Motivation und besserer Zusammenarbeit – gerade in einem Umfeld, das von hybriden Arbeitsformen geprägt ist.
Was können sich Kunden von Tietoevry im kommenden Jahr erwarten?
Für uns steht ganz klar das Thema künstliche Intelligenz im Vordergrund. Das wird auch in Zukunft der zentrale Fokus bleiben. Natürlich wird dieses Ziel durch andere Bereiche unterstützt, wie etwa Softwareentwicklung, Datenmanagement und Lösungen wie SAP oder Android. Dennoch bleibt künstliche Intelligenz unser Flaggschiff, an dem wir auch weiterhin intensiv arbeiten werden, um neue Möglichkeiten in verschiedensten Bereichen zu erschließen.
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