Künstliche Intelligenz muss konsumierbarer werden

Das Potential für Künstliche Intelligenz (KI) ist gewaltig – und zwar in allen Branchen und vielen Unternehmen, weiß Peter Sperk, Leiter des Presales-Bereichs bei SAP Österreich. [...]

Peter Sperk leitet den Presales-Bereich bei SAP Österreich und hat schon einige KI-Projekte begleitet. (c) SAP Österreich
Peter Sperk leitet den Presales-Bereich bei SAP Österreich und hat schon einige KI-Projekte begleitet. (c) SAP Österreich

Die COMPUTERWELT hat ihn zur Herangehensweise, zu Usecases und Feedback zum Thema KI der SAP-Kunden befragt. „KI muss konsumierbarer und als Embedded KI nutzbar gemacht werden“, sagt Sperk.

Wie ist denn Ihr persönlicher Zugang zum Thema Künstliche Intelligenz?

Als Betriebswirt habe ich einen wirtschaftlichen, praxisbezogenen Zugang. Natürlich steht dabei auch immer die Frage im Raum: Was bringt ein KI-Projekt? Ich habe schon einige Projekte begleitet und miterlebt. Aber nicht jedes KI-Projekt, an dem ich mit Kunden gearbeitet habe, ist zum Erfolg geworden – obwohl es viele Prototypen und Pilotprojekte mit vielversprechenden Erfahrungen gab. Oft fehlt es noch am entscheidenden Schritt, das Projekt dann wirklich in die Praxis zu bringen. Ich glaube jedenfalls, dass das Thema KI und Maschinelles Lernen uns als Gesellschaft und in der Wirtschaft weiterbringen kann. Als Wissensgesellschaft müssen wir in dem Bereich etwas tun und uns damit beschäftigen, denn letztlich geht es um Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit.

Wie gehen Sie denn zum Thema KI an die SAP-Kunden heran und wie schaut das Feedback der Unternehmen aus?

Wenn man Projekte macht, ist die Euphorie natürlich groß, wenn es funktioniert. Zum Beispiel haben wir mit Swarovski ein KI-Projekt gemacht, wo es um Bilderkennung von Kristallprodukten ging. Das ist ein Anwendungsfall, der heute produktiv ist und im Service-Bereich großen Nutzen bringt. Genutzt wird die Lösung konkret für die Identifikation und schnelle Auffindbarkeit für eine große Anzahl von Produkten, um die Prozesse in unterschiedlichen Abteilungen vereinfachen zu können. Ein anderes Beispiel ist ein Projekt der Supermarkt-Konzern Coop in der Schweiz, wo es um KI-basierte Nachschubplanung ging. Damit wird dreierlei bewirkt: Kostenreduktion, weniger verdorbene Produkte sowie zufriedenere Kunden. Bei Villeroy & Boch haben wir wiederum einen Bot entwickelt, der Dokumente ausliest, und diese Dokumente je nach Typ interpretiert und dann automatisiert einen Prozess startet. In diesen Beispielen ging es um Prozesse, die effizienter werden sollten.. Ganz wichtig ist es vorweg, die Erwartungshaltungen genau abzuklären, bevor man den Schritt von der Idee zum Usecase geht. Das Potential ist riesig, aber auch große Unternehmen schaffen nicht zwanzig KI-Initiativen gleichzeitig sondern man sollte sich auf wenige  fokussieren und dann skalieren. Daher haben wir bei SAP auch unsere KI-Strategie vor zwei Jahren geändert.

Inwiefern? Wie schaut die aktuelle KI-Strategie aus? Und wie ist sie in der Praxis für die Kunden anwendbar?

Wir wollen KI konsumierbarer machen, das heißt in vorgefertigter Form zur Verfügung stellen. Das bedeutet, der Kunde muss sich gar nicht mehr darum kümmern, wie jetzt z.B. ein Modell trainiert wird oder wie akkurat ein Modell ist. Ein Beispiel ist die  Reisekostenabrechnung unserer Lösung SAP Concur, die wir auch SAP intern einsetzen: Wir haben bei SAP hunderte Millionen Reisebelege analysiert. Die KI erkennt, welche Art des Belegs es ist, der Netto-Betrag sowie die Steuer werden erkannt. Der Vorteil für uns als User intern: Es genügt heute, ein Foto zu machen, es einzureichen und nach kurzer Kontrolle ein OK zu geben. Dass dahinter eine KI im Einsatz ist, merken die Anwender nicht. Aber es gibt von SAP auch fertige vortrainierte Szenarien, die dann mit Kundendaten Anwendung finden. Zum Beispiel haben Unternehmen Rechnungen ausgestellt, und die sind in der Buchhaltung noch offen. Wenn jetzt Zahlungen einlangen, müssen sie zugeordnet werden. Das kann heute bereits automatisiert passieren, sogar wenn Fehler passieren, etwa wenn eine falsche Rechnungsnummer angegeben wird. Da gibt es von SAP schon eine Reihe von Anwendungen, die unter dem Stichwort Embedded KI zusammengefasst sind. Für den User sind das „kleine, sehr praktische Helferlein“ für den Alltag.

Und dann skaliert das ja auch. Das ist dann als Standard oder Pretrained Model für viele Unternehmen interessant. Wie viele davon gibt es schon?

Es gibt über das gesamte SAP Portfolio hinweg eine dreistellige Anzahl dieser KI-unterstützten Szenarien, diese kommen  aus ganz unterschiedlichen Bereichen, im Finanzbereich, im Einkauf, im Supply Chain-Prozess, aber auch im Bereich Kundenerfahrung, Feedback und Kundenservice etwa für die Klassifizierung von Service-Tickets. Die beiden größten Bereiche und Potentiale für KI in unserem Umfeld sind Verbesserungen der Customer Experience und Steigerung der Produktivität/Automatisierung.

Wenn Sie in die Industrie schauen, was sind denn da die wichtigsten Treiber, nicht nur im Produktionsprozess?

Das ist sehr individuell. Der Klassiker im Anlagenbetrieb ist das Thema Predictive Maintenance und Instandhaltung. Da haben wir mit Kaeser Kompressoren ein ganz spannendes Projekt gemacht, wo IoT eine wichtige Rolle spielt – hier sehen wir auch die Verschränkung von Technologien sehr gut. Im Prinzip geht es generell um die Prozess-Optimierung, etwa in der Produktionsplanung. Ich gebe wieder ein Beispiel: Bei einer Anlage müssen bestimmte Aufträge erfüllt werden. Die Frage ist, wie kann man die Auftragsreihung so intelligent anordnen, damit die Anlage und die Maschinen bestmöglich ausgelastet sind? Bislang haben diesen Job Menschen, meist mit langjähriger Erfahrung, erledigt. Durch den Einsatz von KI haben wir gesehen, dass hier an einem Tag in einigen Fällen sogar eine Stunde an zusätzlicher Produktionszeit gewonnen werden konnte – allein durch die intelligente Auftragsreihung. Das sind übrigens keine einfachen Projekte, denn oft gibt es sehr spezielle Bedingungen, und sie lassen sich auch nicht so einfach reproduzieren. Es funktioniert in einem Werk gut, aber in einem anderen Werk mit anderen Maschinen wieder nicht. Das ist in der Industrie sicher noch eine der großen Hürden. Ein großes Thema der Industrie ist auch die Produktionsqualität, und wie man Qualität aus Produktionsdaten etwa von Sensoren vorhersehen kann. Etwa kann man aus den laufenden Produktionsdaten eines Schweißroboters relativ genau vorhersehen, ab wann die Schweißqualität nicht mehr ausreichend vorhanden ist. Qualität vorhersehen und Qualität sicherstellen – da gibt es mit KI noch viel Potential.

Inwieweit fließt KI jetzt mit dem Bereich Business Intelligence zusammen?

Die Grenze ist fließend. Wenn wir uns Forecasts von Vertriebsergebnissen ansehen so haben wir bei SAP selbst ein ganz spannendes Beispiel. Es ist bei uns seit mehr als 16 Quartalen so, dass der globale Umsatz-Forecast mit KI besser funktioniert als der Forecast, den die einzelnen Vertriebsdivisionen weltweit liefern können. Der Algorithmus schlägt hier die Menschen in der Genauigkeit der Vorhersage. Das ist ein Thema für Predictive Analytics in allen Bereichen.

Welche Unternehmen und Industrie-Sektoren sind da in Österreich federführend?

Im klassischen Maschinen-und Anlagenbau gibt es in allen großen Unternehmen dazu Initiativen. Ein weiteres wichtiges Thema ist „Smart Service“ für das Produkt selbst oder anders gesagt: Wie kann man ein Produkt mit KI und Digitalisierung so anreichern, dass man seinen Kunden damit einen Mehrwert bietet.

In einer Accenture Studie heißt es, KI ist der vierte Produktionsfaktor, wie sehen Sie die Bedeutung von KI?

Das Potential von Künstlicher Intelligenz für Automatisierung ist enorm. Überall dort, wo es repetitive Aufgaben gibt, die relativ leicht erlernt werden können, ist KI prinzipiell gut einsetzbar. Das heißt, dass KI in Zukunft den Menschen Arbeit abnehmen kann und den Menschen in bestimmten Bereichen ersetzt. Damit kommt man zur Diskussion rund um Jobs und um die Angst vor Arbeitslosigkeit. Andere sagen, es werden mit KI auch wieder neue Jobs geschaffen. Einen interessanten Vergleich bietet ein Blick auf Volkswirtschaften, wo der Automatisierungsgrad schon sehr hoch ist, wie etwa in Deutschland oder Japan. Dortist die Arbeitslosigkeit vergleichsweise sehr gering. Es gibt also einen Zusammenhang, der auch positiv sein kann, oder anders ausgedrückt: Ein höherer Grad an Automatisierung wirkt sich nicht zwangsweise negativ auf den Arbeitsmarkt aus.

Inwieweit spielen Mensch und Maschine dann in Zukunft zusammen?

Wir haben bei SAP dazu ein Wertemodell: Wir machen Lösungen für Menschen. Unsere Vision ist nicht das menschenlose Unternehmen, sondern es geht darum, ein Unternehmen wettbewerbsfähig zu machen, wo Menschen arbeiten. KI ist ein Instrument, das uns Menschen hilft, unseren Job besser zu machen. Es ist also nicht der Konflikt: KI oder Mensch, sondern beides in Harmonie und mit menschlicher Kontrolle.

Aber es gibt doch sehr viele ethische Bedenken, es gibt auch die Ethik Checkliste und den gesetzlichen Vorstoß der EU. Wie steht SAP dazu?

Es gibt ganz klar die Möglichkeit, dass eine KI einen unerwünschten Bias hat. Da gibt es natürlich kritischere und weniger sensible Themen. Gesichtserkennung etwa ist kritisch zu sehen, weshalb wir bei SAP dazu auch keine Produkte anbieten.  Mit der EU Checkliste sind wir im Einklang. SAP hat als erstes europäisches Technologieunternehmen eigene Leitlinien für künstliche Intelligenz (KI) entwickelt und einen externen Beirat für den ethischen Umgang mit künstlicher Intelligenz geschaffen.

Welche Fachkräfte werden jetzt für KI-Szenarios gebraucht und wie können auch KMU KI Projekte realisieren?

Interdisziplinäre Teams sind jedenfalls wichtig. Man braucht Visionäre, Data Scientists, aber auch betriebswirtschaftliche denkende Leute. Und natürlich ganz klassisches IT-Know-how: DB-Know-how und Daten-Bereitstellung, Security-Themen, Wissen zu Sensorik und Schnittstellen – das heißt vielfältige Kompetenzen sind notwendig. Ganz klar, der Mittelstand tut sich schwer damit, aber auch KMUs können KI-Projekte realisieren. Hier sollte man ganz genau schauen: Was sind die Szenarien, die einen wirklichen massiven Impact und Mehrwert für das Business haben. Und dann kann und sollte man auch investieren und mit der Forschung zusammenarbeiten, und sich externe Berater dazu holen. Das Thema zu ignorieren ist keine Option.  Für individuelle Projekte gilt: Beim Mittelstand ist sicher weniger mehr. Über Embedded KI Optimierungen zu erzielen, das geht auch in KMUs – dafür muss man keine Data Scientists einstellen. Bei unserer ERP-Lösung ist schon sehr viel an „Embedded KI“ integriert, da muss jetzt nicht jeder das Rad neu erfinden.

Wo geht denn die Reise in den nächsten, sagen wir, zwei Jahren hin?

KI wird jedenfalls für Unternehmen leichter zugänglich werden – und zwar, weil auch die technischen Plattformen leistungsfähiger werden. Zweitens wird man KI noch viel leichter konsumieren können, weil man die Szenarien vorgedacht bekommt.

Und was sind die größten Hürden?

Einerseits die große Erwartungshaltung, die an KI gestellt wird. Dann geht es natürlich um die Auswahl der richtigen Anwendungsfälle, da gibt es noch viel zu lernen. Wenn man den Usecase definiert hat, lauern noch Hürden wie Datenqualität und -verfügbarkeit, zu wenig Ressourcen und Mitarbeiter sowie mangelnde Kompetenzen. Oft mangelt es schließlich an der Einstellung und Bereitschaft zum Scheitern, denn es kann schon passieren, dass man ein KI-Projekt in den Sand setzt.

Die Kurzfassung dieses Beitrags finden Sie auch in der aktuellen Printausgabe 08/2021 der COMPUTERWELT.


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