Die Welt ist zu komplex geworden, um sie prognostizieren zu können. Nur eines ist sicher: Die Änderungen, die auf uns zukommen, werden dramatischer sein, als heute vorstellbar. So Peter Oros von Qualysoft, der Innovation zum Firmencredo gemacht hat. [...]
Peter Oros ist internationaler CEO der Qualysoft Gruppe, die durch innovative Lösungen auf sich aufmerksam macht.
Wenn Sie in die Glaskugel blicken: Wie sehen Sie die Welt in fünf Jahren?
Wenn ich mich erinnere, wie ich mit Kollegen vor fünf oder zehn Jahren darüber gesprochen habe, wie die Welt im Jahr 2015 sein wird, dann sehen wir, dass wir uns in einer Zeit befinden, in der es unmöglich ist, die Zukunft abzuschätzen. Ein Finanzspezialist hat mir gesagt, dass es früher üblich war, Zwei-, Dreijahresprognosen etwa über die Entwicklung des Weltmarktes. Mittlerweile traut er sich nicht einmal, Zweimonatsprognosen zu erstellen, da die Welt einfach zu komplex geworden ist, beispielsweise durch die Globalisierung.
Was die Prognosen aus der Technologieperspektive betrifft, so glaube ich, dass viel geschehen wird, das wir nicht abschätzen können. Ich bin mir aber sicher, dass es viel dramatischer wird, als wir uns das heute vorstellen können.
Wir befinden uns in einem Zeitalter wie jenem der Erfindung der Dampfmaschine. Das bedeutet, dass sich die Welt dramatisch ändert. Business-Modelle ändern sich, die Beschäftigung der Menschen, der Anspruch an die Einzelperson, die Ansprüche an die Kindererziehung – jeder Bereich ist großen Veränderungen unterworfen, getrieben durch die Technologie, die sich in der IT manifestiert.
Können Sie das an Beispielen festmachen?
Watson von IBM, der bereits für medizinische Diagnosen und Therapien verwendet wird. Da stehen Technologien dahinter, die wir uns vor kurzem nicht einmal vorstellen konnten. Wir selbst arbeiten an Business-Modellen etwa für Umfrageinstitute, die das Nutzungsverhalten beim Fernsehen mit Hilfe unserer Eye-Tracking-Methode untersuchen. Wir sind heute in der Lage zu sagen, wie viele Augenpaare zusehen und wie oft weggesehen wird. Das bringt eine völlig neue Qualität bei der Erforschung des Nutzerverhaltens. Bis jetzt hatte man nur die Einschaltquoten, ohne sagen zu können, ob Sendungen überhaupt konsumiert werden oder nur im Hintergrund laufen.
Wo sehen Sie hier die größten Herausforderungen?
Die Herausforderungen kann man in zwei Bereiche gliedern. Erstens geht es um die Frage, wie Systeme Information verstehen und miteinander verknüpfen, nicht nur Texte, sondern auch Bilder, Töne und Filme – aber auch Gefühle und Umwelteinflüsse. Watson, der mit allem, was auf der Welt passiert, gefüttert wird, macht das mittlerweile sehr gut. Es geht auch darum, Zusammenhänge zu abstrahieren und zu einer Schlussfolgerung zu verdichten, was Watson in der Medizin schafft.
Die zweite große Herausforderung besteht darin, nützliche Daten von unnützlichen zu trennen. Beispiel CERN: Bei den Experimenten kommen über die Sensoren Milliarden Daten innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde zusammen, doch nur ein Promillesatz dieser Daten ist relevant. Der Rest muss sofort entsorgt werden. Dies ist mit dem menschlichen Gehirn vergleichbar, das nicht alles speichert, sondern permanent entscheidet, was relevant ist und was nicht. Die Fähigkeit des Vergessens muss den Systemen beigebracht werden.
Stehen Sie bei Ihren Lösungen vor der gleichen Herausforderung?
Wir stehen zunehmend vor dieser Frage. Wir haben dafür schon ein Forschungsprojekt gemeinsam mit einem Partnerunternehmen eingerichtet: Future Policy bzw. FUPOL. Es geht darum, dass man verschiedene Quellen wie Internet-Plattformen und soziale Netzwerke anzapft, um Meinungen in der Bevölkerung abzufragen, etwa zu einem bestimmten Bauprojekt. Wie steht die lokale Bevölkerung dazu, was denkt das ganze Land oder eine bestimmte Altersgruppe? Die Frage ist, wie man die enormen Datenmengen filtern soll.
Das Erkennen von Ironie ist ein bekannter Prüfstein für derartige Systeme.
Das war ebenfalls eine große Herausforderung in unserem Projekt. Wir haben zwar noch keine Lösung gefunden – Ironie kann nur in einem sehr großen Kontext interpretiert werden –, aber es wird definitiv möglich sein.
Angesichts der rasanten technologischen Entwicklung: Wie soll sich der Mensch positionieren?
Piloten fliegen nicht mehr. Sie sind heute Manager der Systeme. Sie müssen viele Subsysteme im Auge behalten und diese miteinander arbeiten lassen. Das gleiche wird in vielen anderen Bereichen passieren: Wir werden Manager, die Arbeit selbst wird von Systemen übernommen werden. Es gibt bereits eine Liste von Berufen, die in 10, 20 Jahren nicht mehr existiert werden.
Ein anderer Aspekt betrifft das Strafrecht. Es wird mittlerweile nachgedacht, wie man damit umgehen soll, wenn Roboter, die selbstständig agieren, Verbrechen begehen sollten, Menschen töten oder Gelder veruntreuen.
Wie sollen sich Unternehmen positionieren? Die neuen Technologien bieten nicht nur unendlich viele Möglichkeiten, erfolgreich zu sein, sondern auch zu scheitern.
Es gibt Bereiche, in denen eine evolutionäre Entwicklung ausreichend ist. Ich beobachte das Kundenverhalten und den Markt, passe meine Produkte an, optimiere Produktion und Lieferketten, nutze die Just-in-Time-Möglichkeiten. Das ist eine Evolution, die schon sehr vielen Unternehmen hilft, voranzukommen. Beispiel: das produzierende Gewerbe.
Auf der anderen Seite gibt es Branchen, in denen disruptive Technologien von heute auf morgen aus dem Boden schießen, Beispiel Uber. Es gibt die Game Changer, die die neuen Technologien dazu nutzen, eine ganze Branche auf den Kopf zu stellen, wie etwa die Finanzdienstleistungs- oder Medienbranche. Da ist Evolution nicht schnell und aggressiv genug. Es braucht einen Paradigmenwechsel.
Was kommt auf die IT-Branche selbst zu? Müssen Sie sich ständig neu erfinden?
Es gibt noch genügend Endkunden, die traditionell denken und mit klassischen Systemen arbeiten. Da gibt es für uns noch genug zu tun, man muss nicht alles auf den Kopf stellen. Es ist jedoch wichtig, über neue Ansätze nachzudenken. Deshalb sind wir ständig auf der Suche nach innovativen Konzepten, um uns neu zu positionieren. Ein für uns neues Thema ist das Customer Experience Management, das wir letztes Jahr begonnen haben. Früher wollten Unternehmen möglichst viele Informationen über Kunden in ihren Datenbanken haben. Viel wichtiger ist – und das haben schon einige erkannt –, dass der Endkunde die richtigen Sachen über das Unternehmen weiß. Dieser Ansatz mündet oft in Beratungsprojekten.
Neben Customer Experience Management, das wir stärker am Markt verankern wollen, konzentrieren wir uns auf die Modernisierung von IT-Infrastrukturen, die meist die größten Bremser in der Entwicklung sind. Wie wollen Unternehmen intelligente Produkte anbieten können, wenn ihre Legacy-Systeme nicht mitspielen?
Der dritte Bereich, in dem wir auch international ein großes Wachstum sehen, ist E-Government. Den Grundstein für diesen Themenbereich haben wir mit unserem E-Taxation-Projekt in Albanien gelegt. Hier ging es um die Implementierung eines zentralen, modernen, automatisierten und erweiterbaren Steuerverwaltungssystems. Wir versuchen, unser Portfolio ständig zu vergrößern und zu internationalisieren.
Das Gespräch führte Wolfgang Franz.
Peter Oros
Peter Oros, Jahrgang 1971, ist seit 2006 Miteigentümer und internationaler Generaldirektor der Qualysoft Firmengruppe. Nach seinem Studium der Informatik und Betriebswirtschaftslehre an der Universität Ilmenau startete seine Karriere in der IT-Branche in Deutschland bei Daimler-Chrysler, später war er für die Deutsche Post und Pricewaterhouse Coopers tätig.
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