Die ITWelt.at sprach mit den Buchautoren Max Körbächer und Andreas Grabner über ihr aktuelles Werk "Platform Engineering for Architects: Crafting modern platforms as a product" und die Rolle von Plattformen, DevOps, FinOps und KI in zukunftsorientierten IT-Unternehmen. [...]

Angesichts der rasanten technologischen Entwicklung, des Mangels an IT-Fachkräften und der Systemkomplexität bedarf es einer strukturierten Anleitung für den Aufbau skalierbarer, benutzerorientierter Plattformen. Mit ihrem Buch bieten Max Körbächer, Andreas Grabner, Hilliary Lipsig Plattformingenieuren und -architekten praktische Strategien zur Entwicklung interner Entwicklungsplattformen, die die Softwarebereitstellung und den Betrieb verbessern. Obgleich die Mitautorin Hilliary Lipsig, sie arbeitet bei Red Hat im Site Reliability Engineering, vor allem mit ihrem Knowhow in den Bereichen Security und Resilience ein wertvoller und gleichberechtigter Teil des Autorenteams ist, konnte sie aufgrund der Zeitverschiebung – sie lebt an der Westküste der USA – nicht an dem Interview teilnehmen.
Für wen haben Sie das Buch geschrieben? Gab es eine konkrete Zielgruppe oder eine zentrale Intention?
Max Körbächer: Ursprünglich war die Idee, ein breiteres Publikum anzusprechen. Der Verlag riet uns dann auch dazu, uns nicht zu stark auf eine bestimmte Zielgruppe festzulegen. Interessanterweise hat sich daraus ergeben, dass das Buch sowohl für technische Leser wie DevOps-Engineers als auch für Entscheidungsträger wie CIOs oder IT-Vorstände gut geeignet ist. Uns war wichtig, ein Werk zu schaffen, das nicht an Aktualität verliert – also nicht ausschließlich technologische Trends behandelt, die in ein, zwei Jahren womöglich wieder überholt sind.
Stattdessen konzentrieren wir uns auf die Prozesse und Prinzipien im Platform Engineering, die diese Disziplin ausmachen. Vieles stammt ursprünglich aus dem DevOps-Methodenkoffer, wird jedoch neu gedacht. Wir sprechen beispielsweise nicht mehr von Silos oder Pipelines, sondern von offenen, flexiblen Plattformen.
Das Buch behandelt nicht nur Technik, sondern auch betriebswirtschaftliche Aspekte wie Cost Management. Ist dieses Kapitel auch für Geschäftsführer oder CEOs relevant?
Max Körbächer: Absolut. Natürlich wird es stellenweise sehr technisch – aber es liefert konkrete Handlungsempfehlungen. Zum Beispiel fünf Maßnahmen, mit denen man Transparenz in seine IT-Kosten bringt. Ein Bekannter aus dem Versicherungsumfeld hat das Buch gelesen und die letzten Kapitel direkt seinen SVPs vorgelegt – mit dem Hinweis: „Das müssen wir umsetzen.“ Das Kapitel ersetzt keine vollständige Einführung in FinOps, aber es gibt Werkzeuge an die Hand und schafft ein Bewusstsein für den Umgang mit Kosten – und darauf lässt sich aufbauen.
Das Buch ist inhaltlich sehr umfassend. Sie behandeln Security, Nachhaltigkeit – sogar WebAssembly. Dennoch: Sind Erweiterungen geplant oder wäre ein eigenes Werk zu Themen wie Security denkbar?
Andreas Grabner: Wir mussten viele Inhalte streichen, obwohl sie spannend gewesen wären. In jedes Thema könnte man sehr tief einsteigen – und vermutlich ein eigenes Buch dazu schreiben. Uns war wichtig, die essenziellen Plattform-Capabilities nicht zu vergessen, aber wir konnten sie nur in begrenzter Tiefe behandeln. Derzeit sind wir auf Vortragstour, u. a. auf der KubeCon, um Feedback zu sammeln. Daraus ergeben sich vielleicht künftige Projekte.
Ein Thema, das im Buch eher am Rande behandelt wird, ist generative KI. Welche Rolle spielt sie künftig im Platform Engineering?
Max Körbächer: Zwei Perspektiven sind dabei relevant. Erstens: Wie kann Platform Engineering helfen, GenAI effizient bereitzustellen? Da arbeite ich aktuell intensiv dran. Technologisch ist GenAI noch sehr jung, Modelle und Methoden ändern sich wöchentlich. Aus Engineering-Sicht wirkt das manchmal banal – größere Server, mehr GPUs. Interessanter wird es, wenn wir dynamische Workloads betrachten, etwa AI-Inferencing, das sich automatisch skaliert.
Zweitens – und spannender: Wie kann AI im Platform Engineering selbst eingesetzt werden? Etwa in CI/CD-Pipelines, als Assistenz für Entwickler. Da hast Du (zu Andreas Grabner gewandt) bei Dynatrace ja bereits praktische Erfahrungen gesammelt.
Andreas Grabner: Genau. Beim Cloud-Native-Meetup in München haben wir vorgestellt, wie wir GenAI nutzen, um automatisierte Sizing-Empfehlungen in GitOps-Prozesse zu integrieren. Viele Entwickler wissen nicht, wie sie Kubernetes-Workloads optimal dimensionieren. Wir nutzen Observability-Daten, um ideale Settings vorzuschlagen – als Pull Request direkt im Dev-Workflow. Der Entwickler bleibt in der Kontrolle, lernt aber gleichzeitig dazu. So wird AI zum Assistenzsystem – genau das sollte eine moderne Plattform leisten. Zudem kann man als Plattform-Engineering-Team natürlich auch definieren, welche LLMs der Developer in der IDE zur Verfügung gestellt bekommt.
Wie lange hat der Entstehungsprozess des Buches gedauert?
Max Körbächer: Die Idee entstand Mitte März 2024 in Paris. Geschrieben haben wir ab Ende April, die finale Version ging am 12. August in den Druck. Zur KubeCon im Oktober war es dann verfügbar. Der eigentliche Schreibprozess war intensiv, aber kompakt – das hat auch daran gelegen, dass wir zu dritt gearbeitet haben.
Andreas Grabner: Der Teamprozess war großartig. Man liest, was die anderen schreiben, wird inspiriert, stimmt sich ab. So vermeiden wir Wiederholungen und schaffen ein kohärentes Werk. Es war motivierend zu sehen, wie sich das Manuskript Stück für Stück füllt.
Sie sind beide Ambassadors der CNCF (Cloud Native Computing Foundation). Inwiefern hat Ihre Community-Arbeit das Buch beeinflusst?
Max Körbächer: Der Ambassador-Status ist kein Titel, den man einfach kauft – man wächst mit der Community-Arbeit hinein. Ich war drei Jahre im Kubernetes-Release-Team, organisiere das KCD Munich mit über 400 Teilnehmern jährlich und das lokale Kubernetes-Meetup. Man geht also mit Community-Arbeit, mit Open-Source-Arbeit in Vorleistung und kann erst dann sich bewerben Die Themen, die wir dort diskutieren, flossen direkt ins Buch ein.
Andreas Grabner: Genau. Es steckt sehr viel Zeitinvestment im Aufbau und der Pflege einer Community. Der Austausch mit der Community ist extrem wertvoll. Man erfährt aus erster Hand, wo die Probleme liegen – und wie sie gelöst werden. Dieses Wissen lassen wir in Vorträge, Podcasts und Blogartikel einfließen – und eben auch ins Buch. Deswegen finden sich auch Keptn, OpenFeature, OpenTelemetry im Buch wieder, weil das alles CNCF-Projekte sind, die auch relevant für Platform Engineering sind.
Sie schreiben auch über Open Source und Provider-Unabhängigkeit. Wie sehen Sie das in Bezug auf europäische Souveränität?
Max Körbächer: Das Thema beschäftigt mich sehr. Ich arbeite viel an Konzepten rund um Sovereign Cloud. Der Open-Source-Gedanke kann helfen, Abhängigkeiten zu lösen – aber man muss realistisch bleiben. Auch wenn das viele nicht gerne hören: Viele kritische Open-Source-Projekte hängen an amerikanischer Finanzierung. Wenn Google, Microsoft oder Amazon den Geldhahn zudrehen, stehen viele Projekte, wie etwa Kubernetes, still. Die europäische Beteiligung wächst, aber ein Großteil der Ressourcen kommt weiterhin aus den USA.
Andreas Grabner: Bei Dynatrace haben wir eigene Teams, die zu Open Source beitragen – etwa zu OpenFeature, OpenTelemetry oder Keptn.
Max Körbächer: Auch SAP und Spotify sind in Europa sehr aktiv. Aber natürlich, über 50 Prozent der Mittel kommen aus Amerika, um die 30 Prozent werden von Europa gestemmt und der Rest verteilt sich auf Asien. Aber ja, hier gibt es für Europa noch Luft nach oben.
Ist bereits eine neue Auflage oder ein weiteres Buch geplant?
Max Körbächer: Aktuell nicht. Nach dem intensiven Schreibprozess war mein Kopf erstmal leer. Ich sammle zwar Ideen – besonders rund um GenAI – aber der Bereich ist momentan zu schnelllebig für ein Buch. Vieles verändert sich, bevor man es zu Papier bringen kann.
Andreas Grabner: Viele Inhalte im Buch sind aber zeitlos. Unser Fokus liegt auf Plattformen als Produkt – mit klaren Endnutzern, messbarem Mehrwert und einem Produktansatz. Deswegen lautet der Subtitle Crafting Modern Platforms as a Product. Diese Denkweise ist bei vielen Unternehmen noch nicht angekommen. Genau deshalb, denke ich, wird das Buch auch in den kommenden Jahren aktuell bleiben.
Also ein Standardwerk?
Andreas Grabner: Das hoffen wir.
Max Körbächer: Genau das war unser Ziel.
Zu den Autoren:
Max Körbächer ist Technologieberater und Plattformarchitekt, der sich auf die Nutzung von Cloud-nativen Technologien und Open Source konzentriert, um die Herausforderungen komplexer Systeme zu vereinfachen. Er ist Gründer und Geschäftsführer von Liquid Reply, einem Cloud-nativen Engineering- und Beratungsunternehmen. Zuvor war er als Unternehmensarchitekt in der Medien- und Energieversorgungsbranche sowie als Demand Manager für die Planung mittlerer und großer IT-Projekte tätig. Max ist außerdem Gründer und Emeritus Advisor der CNCF Environmental Sustainability Technical Advisory Group, CNCF-Botschafter, Mitglied des Beirats der Linux Foundation Europe und Initiator und Organisator der Kubernetes Community Days in München und der Ukraine.
Andreas Grabner setzt sich dafür ein, verteilte Systeme beobachtbar zu machen und automatisierte datengesteuerte Entscheidungen über den gesamten Softwareentwicklungszyklus hinweg zu treffen. In seiner Funktion als CNCF-Botschafter und Developer Relations bei Dynatrace vernetzt und schult er globale Software-Engineering-Communities in der Entwicklung und kontinuierlichen Validierung digitaler Dienste für Ausfallsicherheit, Hochverfügbarkeit und Sicherheit. Seit seinen Anfängen begeistert er sich für Softwarequalität und Performance Engineering, da dies zur Entwicklung hervorragender digitaler Produkte führt.
Hilliary Lipsig ist Autodidaktin und Start-up-Veteranin. Usprünglich als Qualitätsingenieurin ausgebildet hat sie Erfahrung in jedem Bereich des Anwendungsbereitstellungsprozesses. Hilliary spricht sowohl die Sprache der Betriebs- als auch der Entwicklungsteams. Derzeit ist sie Principal Site Reliability Engineer bei Red Hat und arbeitet an Kubernetes-basierten Plattformen. Ihre Leidenschaft gilt GitOps, kontinuierlicher Integration, skalierbaren Prozessen, konsistenten Werkzeugen und guter Entwicklerdokumentation. Zu ihren Open-Source-Aktivitäten gehören Beiträge zum CNCF-Glossar und sie ist Mitglied des Code of Conduct Committee für Kubernetes.

Max Körbächer, Andreas Grabner, Hilliary Lipsig: Platform Engineering for Architects: Crafting modern platforms as a product
Packt Publishing Ltd. (www.packtpub.com), 31. Oktober 2024, ISBN 978-1-83620-359-9, Taschenbuch.
Preis (bei Amazon): 38,30 Euro; Kindle-Version: 28,49 Euro. E-Book beim Verlag: 20,98 Euro
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