Robert Krimmer arbeitet seit 20 Jahren an E-Participation Projekten, auch auf europäischer Ebene. Im Interview mit der Computerwelt fällt sein Resümee nicht nur positiv aus. [...]
Robert Krimmer arbeitet heute als Professor für E-Governance an der Technischen Universität Tallinn in Estland. Zuvor war er Lektor an der WU-Wien, gründete das Competence Center for Electronic Voting & Participation, war an zahlreichen wesentlichen Publikationen in diesem Bereich maßgeblich beteiligt, und arbeitete maßgeblich beim Europarat an Standards für elektronische Demokratie und E-Voting mit.
Robert, E-Participation gibt es jetzt seit etwa 30 Jahren …
Man könnte es sogar noch früher ansetzen. Sobald Leute Technologie haben, versuchen sie es für die zwischenmenschliche Abstimmung zu nutzen.
Aber viele Hoffnungen von damals auf mehr Bürgerbeteiligung haben sich nicht erfüllt. Viele Projekte – man spricht von bis zu 85 Prozent – scheitern. Warum ist das so?
Die Grundannahme war falsch. Nur weil ich Transaktionskosten gegen Null drücken kann, heisst das nicht, dass Leute bereit sind am politischen Prozess teilzunehmen. Ob sie das tun oder nicht hängt mehr davon ab, ob das politische Problem, das es zu lösen gilt, interessant ist. Erst wenn das der Fall ist, kommt es auch darauf an, ob das System gut zugänglich ist, bzw. einfach und intuitiv. Und auch, was die Belohnung für die Teilnahme darstellt. Im Gemeinderatssaal, im Wirtshaus oder der Kirche habe ich Diskussionen und bekomme Anerkennung von den Teilnehmern. Wenn ich das ins Digitale transformiere, wird das viel schwieriger – Flamewars und Bullying nehmen hier rasch überhand. Und die Anerkennung fehlt dann. Man muss schon sehr intrinsisch getriggert sein um hier teilzunehmen. Man sagt ja ein Prozent der Online User schafft Content, 10-20 Prozent kommentieren und liken, und der große Rest konsumiert nur. Und dann kommt noch, dass ich eine Technologie-Plattform dafür schaffen muss. Das alles macht die Schwierigkeit bei elektronischer Partizipation aus.
Wie kann man online Gratifikation bekommen?
Man kann den Usern den Vorteil sagen wenn sie teilnehmen. Man muss auch die Grenzen klar aufzeigen, um Enttäuschung zu vermeiden. Und dann kann man beste Beiträge vor den Vorhang heben, etc. Aber auch bei den sehr erfolgreichen Volksbegehren war es eher das Thema selbst das die Leute animiert hat, sich eine unbekannte Technologie anzueignen.
Wie ist denn der Stand bei E-Participation derzeit?
Grundsätzlich kann man sagen, je einfacher das Verfahren, und je weniger politische Konsequenzen es hat, umso mehr hat es sich bewährt. Zb funktioniert die elektronische Petition sehr gut, egal ob im schottischen, oder englischenParlament oder im deutschen Bundestag. Das elektronische Volksbegehren in Österreich funktioniert sehr gut, in Estland ist diese Variante vor 10-15 Jahren gescheitert. Wenn man politische Projekte in Richtung einer tieferen Diskussion bringt, hängt es vom Treiber ab. Je komplexer es wird, umso schwieriger wird es umzusetzen. Und: Technologie löst kein politisches Problem.
Estland ist ja ein Vorzeigeland bei E-Participation, was könnten wir uns Österreicher hier abschauen?
Estland ist ein Vorzeigeland für die Durchdringung mit digitalen Technologien, weniger für die Kommunikation und Partizipation selbst. Es geht ja zunächst darum, eine rechtsverbindliche politische Beteiligung überhaupt möglich zu machen, also die elektronische Identität. Dafür braucht man als Anreiz Funktionen die interessant sind, und solche die nützlich sind. Interessant ist politische Teilhabe, ZB die erste Internetwahl in Estland oder das Rauchervolksbegehren in Österreich. Wichtig für Estland war das elektronische Bezahlen – bei mehr als 400 Euro musste eine elektronische Unterschrift geleistet werden. So eine Killerfunktion für digitale Identität hat es in Österreich nie gegeben.
Was könnten wir in Österreich dazulernen?
In Österreich scheitert es nicht nur – aber auch – an der elektronischen Infrastruktur. Das Hauptproblem ist, dass die Politik kein Interesse an einer politischer Partizipation hat, die sie nicht mehr kontrollieren kann. Gerade in Österreich ist die Kommunal- und Regionalpolitik sehr stark von politischen Parteien dominiert. Echte Partizipation findet nicht statt, am Ende ist alles Parteipolitik. Und die braucht keine Partizipation, die braucht Inszenierung, und da kann Partizipation bestenfalls hilfreich sein.
Wie schafft man sinnvoll E-Partizipation?
Es kann nur so gehen dass man versucht einen breiten Konsens zu bekommen, um herauszufinden was man an der Verfassung oder den demokratischen Verfahren ändern muss. So wie es zB Island gemacht hat, die ihre Verfassung über ein Wiki neu gestaltet hat. Die Hoffnung, dass dies über die europäische Bürgerinitiative auch im Rest Europas stattfinden würde, hat sich aber leider nicht erfüllt – weil es viel zu kompliziert ist. Die Leute wollen grundsätzlich nicht selbst entscheiden. Erst wenn die Mehrheit dafür ist, dass Entscheidungen nicht mehr von politischen Entscheidungsträgern getroffen werden, geht es in Richtung eines direktdemokratischen Instruments.
Also muss zuerst das Vertrauen in die Politik komplett zusammenbrechen so wie in Island, damit echte E-Partizipation greifen kann?
Ja es sieht so aus. Es wird erst dann gut funktionieren, wenn man begreift, dass der Staat die IT-Infrastruktur und Schnittstellen bereitstellen muss, egal ob das Stadtpläne, Hausnummern, oder Firmeninfos sind. Dass man zB in unserer Buchhaltungssoftware keinen Zugriff aufs Firmenbuch bekommt, sondern alles händisch eingeben muss, versteht kein Mensch – ganz sicher keiner der schon in Estland gelebt hat. Die Selbst-Organisation wird im Wesentlichen behindert, weil die Institution kein Interesse daran hat sich abzuschaffen.
Welche technischen Plattformen zu E-Voting und E-Partizipation gibt es, welche funktionieren am besten?
Wirklich gute Plattformen kenne ich nicht so viele. Mysociety.org zB ist eine NGO die sich in Großbritannien schon Anfang 2000 mit digitalen Tools beschäftigt hat. ZB “Fix my Street”, wo man Vorschläge für die eigene Gegend einbringen kann, oder ein Tool mit dem man auf einer Karte einfach Gegenden einfärben kann, wo man sich unsicher fühlt. Man geht vom Begriff der “Partizipation” schon ab, heute ist das Modewort “Co-Kreation”, ZB wenn Bürger und Polizei durch Kooperation mehr Sicherheit schaffen.
Wo E-Partizipation heute auch schon gut funktioniert, ist zB der Fachbereich. Wo man gemeinsam Dokumente erarbeitet, wo man sachorientiert Meinungen einholen kann. Man kann Diskurs führen, Mini-Abstimmungen machen, etc. Ich benutze zB sehr erfolgreich Discuto um mit Fachkollegen gemeinsam einen Text durchzugehen. Man findet sehr schnell die Pain-Points.
Welche Modelle der Entscheidungsfindung funktionieren online am besten?
Konsens, Konsens, Konsens. Und dann Mehrheitsentscheidungen, aber offen. Da gibt es mittlerweile auch die ersten Tools, zB Electionbuddy. Oder Mentimeter, Slido. Hier kommen die ersten Stimmungsbarometer-Tools, aber daraus kann man derzeit noch keine belastbaren Ergebnisse ziehen. Was funktioniert ist Akklamation über Lautstärke, oder Hand heben.
Ist aus deiner Sicht eine Plattform a la Facebook für politische Entscheidungen möglich und wünschenswert?
Mit den APIs wäre das ja möglich. Identitäts-Feststellung wäre nicht so das Problem, aber man müsste einen strukturierten Prozess hineinbringen. Aber da will Facebook die Hand drauf behalten, und am Ende bringt es ihnen auch zu wenig Aufmerksamkeit. Was ich eher sehe ist die Institutions-interne Abstimmung. Was wir durch Covid sehen ist, dass es zwar tolle Meetings gibt, aber keine Möglichkeit zu einer sinnvollen Abstimmung und Entscheidung zu kommen. Vom echten virtuellen Zusammenarbeiten sind wir immer noch weit entfernt.
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