Qualitätssicherung oder Marktmonopol?

Seit 2021 besitzt PeopleCert die Rechte an der Marke ITIL und zertifiziert Unternehmen in der Umsetzung der verschiedenen Practices. Im Gespräch mit der ITWELT.at sprechen Markus Bause, Vice President Product & Marketing bei PeopleCert, sowie Rico Barth, Gründer und CEO von KIX Service Software, einem ITIL-zertifizierten Anbieter von Open Source IT Service-Management-Software, was das bedeutet, das ein kommerzielles Unternehmen das Monopol über dieses Gütesiegel hat und was eine ITIL-Zertifizierung Unternehmen bringt. [...]

Markus Bause, Vice President Product & Marketing bei PeopleCert (c) PeopleCert
Markus Bause, Vice President Product & Marketing bei PeopleCert (c) PeopleCert

Herr Bause, ITIL ist für IT-Profis selbstverständlich. Laien können sich darunter aber meist nur schwer etwas vorstellen. Haben Sie eine einfache Erklärung parat? 

Markus Bause: Sicher, ich kann es ja mal probieren. ITIL ist das weltweit führende Framework für IT-Service-Management. Es beschreibt verschiedene Abläufe und Managementstrukturen, die Unternehmen helfen, ihre IT effizient zu steuern. Diese nennen wir Practices – darunter zum Beispiel Incident Management, also das Erkennen, Untersuchen und Beheben von Störungen, oder Change Enablement, das bei größeren Veränderungen unterstützt. Insgesamt gibt es 34 dieser Practices. 

Viele Software-Hersteller bieten Lösungen an, um einige oder alle dieser Practices in ihren Tools umzusetzen. Wir prüfen, wie gut das funktioniert – und ob das Team dahinter entsprechend geschult ist. Dafür vergeben wir Zertifikate, damit Kunden sicher sein können, dass die Software und das Unternehmen wirklich liefern, was sie versprechen. 

Vor rund vier Jahren hat PeopleCert die Rechte an ITIL für einen dreistelligen Millionenbetrag erworben. Sind Sie damit zum Monopolisten geworden? 

Markus Bause: Das behaupten manche Menschen zumindest. Vor allem, weil die Nachfrage nach ITIL ständig wächst – trotz der weltweit wirtschaftlichen Unruhe. Das Geschäftsmodell ist allerdings keine Erfindung von uns. Die Wurzeln von ITIL reichen zurück in die 1980er Jahre, als die britische Regierung feststellte, dass ihre IT-Prozesse ineffizient waren und Entscheidungen ausbremsten. Um das zu verbessern, wurde die erste Version von ITIL entwickelt – ein Leitfaden für besseres IT-Management. Die Kommerzialisierung startete 2013 durch ein Joint Venture zwischen der britischen Regierung und einem englischen Unternehmen, das ITIL weiterentwickelte und vermarktete. Heute ist ITIL ein weltweit anerkanntes Framework, das von vielen Partnern und unabhängigen Experten durch Trainings, Beratung und Tools unterstützt wird – mit dem Ziel, IT-Organisationen effektiver zu machen. Als wir ITIL 2021 übernommen haben, war es nicht unser Ziel, einen Goldesel zu fangen und Monopolist zu sein. Gar nicht. Wir arbeiten eng mit mehr als 1.500 Partnern und tausenden von unabhängigen Experten zusammen. Uns geht es vor allem darum, das gesamte ITIL-Ökosystem zu bewahren und zu verbessern, damit alle Beteiligten davon profitieren. 

Und wie kommt das bei den Unternehmen an? 

Markus Bause: Bei den Unternehmen, die schon nach ITIL arbeiten, sehr gut. Der große Pluspunkt an ITIL ist, dass es schon lange weltweit etabliert und akzeptiert ist und gezeigt hat, dass es nachhaltig funktioniert. Es gibt Unternehmen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen eine gemeinsame Sprache bzw. ein Framework, das sich überall flexibel einsetzen lässt. Verbesserungspotential gibt es natürlich immer – zum Beispiel bei der Wahrnehmung. Viele Menschen, die noch nichts damit zu tun hatten, empfinden es als sehr komplex. Und das auch aus gutem Grund, komplexe Fragen brauchen nun mal komplexe Antworten. Deswegen entwickeln wir Adaptionshilfen und Templates, damit alle Branchen einen Guide an der Hand haben. Und durch unser Tool Vendor-Programm haben alle Interessenten gleich einen Überblick über die für sie passenden Lösungen. 

Die Zertifizierung ist ja nicht nur finanziell aufwendig, sondern die Mitarbeiter fallen in den Tagen der Schulung und der Prüfung auch erstmal aus. Lohnt sich das, Herr Barth? 


Rico Barth, Gründer und CEO von
KIX Service Software 
(c) KIX Service Software

Rico Barth: Aus meiner Sicht absolut, auch wenn die Vorgaben im ersten Moment überwältigend aussehen. Bei der Produkt-Zertifizierung gibt es etwa einen Fragenkatalog mit Hunderten von Fragen. Hier mussten wir erklären und vorführen, wie unsere ITSM-Software KIX das Framework in bestimmten Situationen unterstützt. Ähnlich fordernd sind die Mitarbeiter-Zertifizierungen, bei denen die Preise bei mehreren Hundert Euro pro Person anfangen. Außerdem sind dafür meist drei bis vier Tage nötig sind, an denen die Kollegen quasi ausfallen. PeopleCert führt einen da aber super durch und zeigt sich immer wieder flexibel bei der Terminfindung, um die Ausfallzeiten möglichst gering zu halten. Also kurzgesagt: Ja, der Aufwand ist nicht zu verachten, aber die Mühe auf jeden Fall wert. 

Markus Bause: Kleiner Blick zurück: Vor 25 Jahren haben wir bei PeopleCert mit der Zertifizierung von Menschen begonnen – lange bevor wir Softwarelösungen unter die Lupe genommen haben. Und genau deshalb geht es bei unseren Prüfungen heute nicht nur um die Tools, sondern vor allem um die Menschen dahinter. Denn die beste Software bringt wenig, wenn das nötige Knowhow fehlt. ITIL funktioniert nur, wenn diejenigen, die es umsetzen – von der Entwicklung bis zum Consulting-Team – wirklich verstehen, was sie tun. Unser ATV-Programm stellt sicher, dass nicht nur die Software, sondern auch die Köpfe dahinter den ITIL-Standards entsprechen. 

Sie haben sich mit KIX in 15 Practices der Zertifizierung gestellt. Vom Knowledge bis zum Relationship Management. War dafür erstmal Überzeugungsarbeit unter den Kollegen nötig? 

Rico Barth: Nein, ganz im Gegenteil. Wir lassen unsere ITSM-Lösung seit vielen Jahren zertifizieren, damit haben wir schon vor dem Übergang zu PeopleCert angefangen. Unsere Kunden oder Interessenten fragen uns gezielt, welche Practices wir abbilden können. Wir könnten ihnen natürlich mit einem ‚ja, das können wir‘ antworten und auf ihr Vertrauen hoffen. Aber durch die unabhängige Prüfung durch PeopleCert können wir von vornherein nachweisen, dass mehr als heiße Luft dahintersteckt. Es zeigt, dass wir nachweislich internationale Standards einhalten und damit auch die Kunden, die unsere Produkte nutzen. Das wird immer wichtiger, gerade auch in Hinsicht auf kommende Sicherheitsvorgaben wie den Cyber Resilience Act. Oder bestehende Anforderungen wie den IT-Grundschutz, den das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik vorgibt, oder die EU-Richtlinien bezüglich NIS-2. 

Sind kleinere Unternehmen dann im Nachteil, wenn sie trotz gutem Produkt und qualifizierten Mitarbeitern keine Kapazitäten und kein Budget für die Zertifizierung haben? 

Markus Bause: Leider ja. Oder zumindest ist es für sie eine größere Herausforderung. Deshalb haben wir verschiedene Stufen der Zertifizierung eingeführt. Es ist absolut nicht nötig, dass sich ein Unternehmen in allen 34 Practices der Prüfung stellt. Auch eine Handvoll Practices zeigt schon, dass es sich um ein nachweislich sicheres und geprüftes Produkt handelt. Kunden können so die für sie passende Lösung finden. KIX sticht beispielsweise durch den Einsatz von Open Source heraus, was sich super mit ITIL verbinden lässt. Die Anwender können den Quellcode selbst bearbeiten und so flexibel an ihre Wünsche anpassen. 

Rico Barth: Und nicht zu vergessen: Die Prüfung kann auch ein Sprungbrett für kleinere Unternehmen sein und sollte deshalb in jedem Businessplan bedacht werden. Bei den 15 Practices, die in KIX zertifiziert sind, können wir nachweisen, wirkliche Experten in diesen Bereichen zu sein. Außerdem spielen wir als kleines Unternehmen mit weniger als 100 Mitarbeitern dadurch auf Augenhöhe mit den Big Playern der Branche mit. Die Zertifizierung zeigt, dass wir dieselbe Kompetenz haben wie die globalen ITSM-Riesen. Und was kleineren Firmen auch immer bewusst sein sollte: ITIL ist zugleich ein fantastisches Marketing-Instrument, das man sich vor die Brust binden sollte. Wer eine ITIL-Auszeichnung hat, erregt auf jeden Fall Aufmerksamkeit. 

Wie bei der Hauptuntersuchung beim Auto muss auch die ITIL-Zertifizierung regelmäßig erneuert werden. Sie sehen der nächsten Prüfung also gelassen entgegen? 

Rico Barth: Auf jeden Fall. Und der Vergleich passt sehr gut: In einem Auto mit abgelaufener Plakette hätte ich kein gutes Gefühl. Es ist wichtig, die Qualität und Verlässlichkeit regelmäßig neutral überprüfen zu lassen. Nicht nur für uns, sondern das schätzen auch unsere Kunden. Im Gegensatz zum TÜV ist ITIL aber nicht nur ein Qualitätssiegel, sondern gleichzeitig auch eine wirkliche Auszeichnung. Etwas, worauf man stolz sein kann. 


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