Der ITWelt.at-Roundtable über das Thema digitale Transformation brachte interessante Sichtweisen und spannende Insights. Hier die Statements von Christoph Hammer-Dumont, Head of Finance, Telco and Service Industries bei Tietoevry. [...]
Darf die digitale Transformation Spaß machen?
Es kann Spaß machen, das kann ich persönlich bestätigen. Ich bin am 2. Jänner 2000 in die Digitalisierung beruflich eingestiegen – eher zufällig und habe es nie bereut, weil es eine Branche ist, die Spaß macht. Wir sind ein klassisches Beratungs- und Engineering-Unternehmen, international aufgestellt mit skandinavischen Wurzeln. Wir haben Zugriff auf Nearshore- und Offshore-Zentren, die frühzeitig aufgebaut worden sind, weil skandinavische Länder bei vielem – vor allem bei Technologie – sehr früh dran sind. Wir besitzen ein sehr breites Portfolio von Standardsoftware wie SAP und Microsoft bis hin zu Engineering-Dienstleistungen, bei denen wir Entwicklerteams für unsere Kunden zur Verfügung stellen.
Wo stehen KMUs bei der Transformation? Sehen Sie auch, dass der Schwung der Transformationen abgenommen hat?
Die Digitalisierung in Österreich kann man mit dem Bild „Das Glas ist halbvoll oder halbleer“ beschreiben. Ich bin eher Optimist und sehe das Glas halbvoll. Das Gefühl, dass die Pandemie die Digitalisierung beschleunigt hat, ist, so glaube ich, trügerisch, weil es nur Teilaspekte der Digitalisierung betroffen hat. Wenn man von zu Hause aus arbeiten kann, ist das ein Teilsegment, das ohne Zweifel stark beschleunigt wurde. Ohne Pandemie hätte die Entwicklung sicherlich fünf Jahre länger gedauert. Andere Bereiche der Digitalisierung, die aus meiner Sicht entscheidender sind – etwa, dass ich das Geschäftsmodell hinterfrage –, sind teilweise gestartet worden, es kam aber zu keinem großen Schub. Während der Pandemie waren die IT-Dienstleister zu 100 Prozent ausgelastet, weil Dinge nachgeholt worden sind, die davor vielleicht verschlafen worden waren.
Jetzt sind wir wieder im Normalzustand. Das bedeutet etwa, dass Budgets verschoben werden, wenn die wirtschaftliche Lage schlechter wird. Wenn Digitalisierung ein strategisches Thema ist, dann dürften Projekte nicht einmal verschoben werden. Denn jede Verzögerung birgt Gefahren für Unternehmen.
Wie unterscheiden Sie Digitalisierung und digitale Transformation?
Es gibt Bereiche, wo beide Aspekte verschwimmen. Ein Prozess, der digital ist, bedeutet nicht automatisch, dass er transformiert – wobei ein digitaler Prozess immer noch besser ist als ein nicht-digitaler.
Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht das Thema KI?
Wir haben vor kurzem eine Studie zum Thema KI gestartet, in der wir Entscheidungsträger in den größten österreichischen Unternehmen befragt haben. Eine Frage war: Schätzen Sie, dass KI das Geschäftsmodell verändern wird? Das Ergebnis ist sehr interessant: 64 Prozent sagen, dass KI keine Auswirkungen auf das Geschäftsmodell haben wird.
KI ist bei uns ein sehr wichtiges Thema, wobei es nicht ganz neu ist. Wir haben schon in der Vergangenheit – etwa im Banken- und Telekom-Umfeld – spannende Projekte realisiert, die einen echten Mehrwert gebracht haben. Was jetzt anders ist, ist, dass die Zugangshürde niedriger ist. ChatGPT war der große Enabler, bei dem die Mehrzahl der Unternehmen erkannt hat, dass sie das Thema relativ einfach angehen kann. Wir haben viele Kunden, die Gen AI ausprobieren und verwenden. Bei vielen steht das Thema Sicherheit sehr weit oben, damit Daten nicht in die Öffentlichkeit gelangen. Wir haben eine Lösungen geschaffen, die es erlaubt, KI in der Private Cloud zu betreiben.
Wir sehen zwei Trends: Die großen Software-Anbieter integrieren das Thema in ihrer Software, Stichwort Copilot von Microsoft. Künftig wird jede Standard-Software eine Art Kopiloten haben, wo die KI passende Antworten gibt – ab besten schon bevor die Frage gestellt wird. Die zweite Schiene sehen wir dort, wo Use Cases branchen- oder bereichsspezifisch umgesetzt werden, die nicht out-of-the-box sind. Wir verfolgen bei unseren Projekten beide Schienen.
Wie wird das Thema Cloud aufgenommen?
Die Cloud ist gekommen, um zu bleiben. Die Cloud ist eine logische Entwicklung in der Industrialisierung der IT-Branche. Plakativ gesagt: Wenn man ein Liter Milch haben will, kauft man nicht die Kuh und stellt sie ins Wohnzimmer, sondern kauft sich eine Packung Milch. Die IT-Branche ist jung, viele hatten ihr eigenes Rechenzentrum im Haus mit eigener Softwareentwicklung. In der Zwischenzeit hat der Großteil der Unternehmen die Vorteile der Cloud erkannt. Allerdings brauchen große On-Prem-Software-Systeme wie SAP eine gewisse Zeit, bis sie in der Cloud sind. Es ist wahrscheinlich auch nicht jeder Shift möglich. Ein Wermutstropfen aus europäischer Sicht: Es gibt keine großen europäischen Cloud-Provider. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass die Entwicklung in Europa relativ langsam ist und der Fokus auf Datensicherheit gelegt wurde, was natürlich wichtig ist. Die positiven Aspekte wurden dabei aber vernachlässigt.
Wie beurteilen Sie die Fortschritte in Sachen Nachhaltigkeit?
Als skandinavisches Unternehmen beschäftigt uns das Thema schon lange. Nachhaltigkeit würde ich als Teil unserer DNA bezeichnen. Auch von den Kunden kommen immer mehr Nachfragen.
Generell kann man sagen: Digitalisierung ist nicht gleich Nachhaltigkeit, aber die Digitalisierung trägt oft zur Nachhaltigkeit bei. Einer unserer großen Geschäftsbereiche sind Daten: Wie bringe ich die Daten aus den unterschiedlichsten Quellen zusammen und mache sie transparent – Stichwort Nachhaltigkeits-Reporting? Das Reporting selbst ist noch nichts Nachhaltiges, es bietet aber eine Basis, damit man überhaupt weiß, wo man ansetzen muss, um regulatorische Themen zu adressieren.
Es ist natürlich auch ein Marketing-Thema, andererseits hat unsere Branche eine Größe, bei der es sinnvoll ist, in diesem Bereich aktiv zu werden. Wenn man ein riesiges Cloud-Zentrum errichtet, das drei Fußballfelder groß ist, macht es Sinn, in nachhaltige Technologien zu investieren. Und das passiert zum Glück auch. Nicht nur bei der IT-Security oder Datensicherheit, auch beim Thema Nachhaltigkeit kommen die eigenen Rechenzentren nicht mit.
Wie sollten sich Unternehmen aufstellen, um das Maximum aus der Transformation herauszuholen? Wie macht das Tietoevry?
Eine der Hauptherausforderungen für Unternehmen ist, dass es technologisch immer komplexer wird. Früher ist man mit einem Produkt zum Kunden gegangen und hat beraten ohne vielleicht wissen zu müssen, was rundherum passiert. Jetzt ist es so, dass die einzelnen technischen Aspekte viel stärker zusammenhängen. Es gibt nur mehr wenige monolithische Lösungen, die Regel sind Einzellösungen, die sinnvoll in eine Architektur integriert werden müssen. Man kombiniert also Spezialistentum mit Generalistentum. Das ist ein riesige Herausforderung, egal wie viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ein Unternehmen hat.
Ein weiterer Trend ist, dass die Kunden viel kleinteiliger agieren als früher. Es beginnt mit einem POC, und geht schrittweise voran.
Um den Kunden optimal zu unterstützen, braucht es extrem gute Leute. Wir stellen uns folgendermaßen auf: Wir haben in Österreich eine zentrale Mannschaft, die durch Nearshore- und Offshore-Teams unterstützt wird. Wir sind ebenfalls agil aufgestellt, wenig hierarchisch.
Das Nearshore- und Offshore-Thema hat sich geändert. Früher hat man die Teams als verlängerte Werkbank gesehen. Mittlerweile ist es so, dass alle Teams gleichwertig agieren, weil auch die Kompetenzen verteilt sind. Es gibt sehr viele Themen, die man alle abdecken muss. Früher war es so organisiert, dass der Lead-Architekt in Österreich war, der die Teams in Tschechien oder Indien instruiert hat. Mittlerweile ist die Zusammenarbeit viel gleichwertiger. Es sind viele gemischte Teams unterwegs. Es gibt sogar Projekte mit österreichischen Kunden, die aus Nearshore-Locations heraus abgewickelt werden, wenn die Kompetenz passt. Das wird mittlerweile auch von den Kunden akzeptiert, wozu die Pandemie beigetragen hat. Vorort-Präsenz ist nicht immer notwendig.
Sehen Sie die Transformation als Chef-Sache?
Ja, ganz klar. Es ist Chefsache, weil es um die Fundamente eines Unternehmens geht. Da ist es wichtig, dass das Management die Vision hat, wohin die Reise geht. Wenn der CEO die richtige Vision hat, dann kann die digitale Transformation sehr gut funktionieren. So gesehen ist sie Chefsache. Ich würde das Thema auch nie an einen Dienstleister auslagern. Jedes Unternehmen inklusive Chefetage braucht ein gewisse Grundkompetenz in Sachen digitaler Transformation. Wir beraten, machen Workshops, enablen, haben Tools an der Hand – die Grundidee, wohin die Reise gehen soll, muss jedoch vom Unternehmen selbst kommen. Wir sind dazu da, die Reise zu unterstützen.
Welchen abschließenden Ratschlag würden Sie Unternehmen geben?
Mein Ratschlag lautet: Klotzen statt kleckern bei den unterschiedlichsten Themen. Ich bin kein großer Freund von POCs. Oft werden POCs gemacht, um Entscheidungen hinauszuschieben. Wenn man schon weiß, wohin man will, ist der POC nicht notwendig. Oft geht man den kleinen Schritt, weil man sich den großen nicht traut. Das ist Kleckern statt Klotzen, was Zeit verschwendet.
Der ITWelt.at-Roundtable digitale Transformation vom 13. Februar 2024 kann hier nachgehört werden.
Be the first to comment