„Unterstützung von IT-Prozessen durch KI wird zum alles überragenden Thema“

Christoph Volkmer, Regional Vice President EMEA Central von OutSystems, erklärt im Interview mit ITWelt.at, warum KI den Wert von Wissen neu definiert und uns dadurch bei allem Nutzen besonders in der IT noch vor Herausforderungen stellen wird. [...]

Christoph Volkmer, Regional Vice President EMEA Central von OutSystems: "KI stellt uns vor die Frage, was unser Wissen wert ist – als Unternehmen, aber auch als Individuum. Was entscheidend sein wird, ist die Fähigkeit, die richtigen Fragen zu stellen. Fragen, auf welche die KI tatsächlich die gewünschten Antworten liefern kann." (c) OutSystems

Welche Lehren nehmen Sie aus dem IT-Jahr 2022 für die Zukunft mit?
Ich glaube, mehr denn je gilt das Motto „Schnelligkeit zählt“. Geschwindigkeit und Time-to-Market sind entscheidende Kriterien für den Unternehmenserfolg. Wie schnell bin ich in der Lage, Dinge zu adaptieren? Und das gilt nicht nur für die IT. Alle Unternehmen sehen sich mit Herausforderungen bezüglich der Lieferketten und Veränderungen der Preislandschaft konfrontiert – beispielsweise durch gestiegene Energiepreise sowie Rezessionstendenzen bei gleichzeitigen Inflationstendenzen. Bisher waren „Geschwindigkeit“ und „do more with less“ eher Buzzwords, auf die in der Vergangenheit aber wohl eher selten mit entsprechenden Maßnahmen reagiert wurde. Inzwischen sind diese Faktoren aber tatsächlich unternehmenskritisch und die Notwendigkeit von Einsparungen ist an der Tagesordnung. Wir müssen also Wege finden, schneller und kostengünstig zu entwickeln. Ich denke, High-Performance Low-Code bietet hier einen Ausweg.

Was waren Ihre beruflichen bzw. persönlichen Highlights im Jahr 2022?
Mein persönliches Highlight im Jahr 2022 war natürlich mein Wechsel zu OutSystems, den ich ganz bewusst vorgenommen habe. Ich bin von einem Plattformhersteller im Security-Umfeld in die Low-Code-Plattformthematik gewechselt. Natürlich hat das Security-Thema in der heutigen Zeit in keinster Weise an Bedeutung verloren – ganz im Gegenteil. Dennoch hat sich die Natur meiner Tätigkeit mit meinem Wechsel zu OutSystems stark verändert: Sie ist von Neukunden- und Neugeschäftssituationen geprägt. Wir kreieren und entwickeln neue Themen, insbesondere auch mit unseren Partnern und Kunden. Damit ist das Alltagsgeschäft innovativ, aktiv und progressiv – eine ganz andere Facette des Plattformgeschäfts und daher mein persönliches Highlight des vergangenen Jahres.

Mein berufliches Highlight war die Lancierung unserer Cloud-nativen Plattform, der OutSystems Developer Cloud (ODC). Unsere bisherige Lösung ist ein Baukasten, der hybrid funktioniert: Wenn Kunden also gerne Ressourcen on-premises im eigenen Rechenzentrum behalten möchten, gleichzeitig aber auch gerne Teile ihrer IT über Webbrowser in der Cloud nutzen möchten, dann ist OS 11 genau die richtige Antwort dafür. Allerdings haben wir beobachtet, dass es zunehmend auch Kunden gibt, die mit dem Betrieb überhaupt nichts mehr zu tun haben möchten, sondern dafür gerne einen Service in Anspruch nehmen möchten. Was im Mainframe-Zeitalter als Outsourcing bezeichnet wurde, ist heutzutage also im Prinzip die Cloud. Zu diesem Zweck haben wir gründlich und ausgiebig an der Entwicklung von ODC gearbeitet – und diese Investitionen haben sich bereits ausgezahlt: Wir sind mit dieser Cloud-nativen Plattform bestens für die Zukunft gerüstet.

Welche spannenden Projekte haben Sie 2022 für Kunden umgesetzt und was war das Besondere daran?
Ein spannendes Projekt aus dem letzten Jahr war die Zusammenarbeit mit Western Union, einem Gewinner unseres „Innovation Award 2022“ in der Kategorie „Best-in-class Innovation“. Das Unternehmen ist im zunehmend wettbewerbsintensiven, sich schnell verändernden Zahlungsverkehrssektor tätig, in dem neue Fintech-Unternehmen die Funktionsweise des Marktes verändern. Daher wollte das Unternehmen sein digitales Angebot erweitern, um damit die Beziehung zu seinen Kunden auszubauen. Im Zuge dessen wurden umfassende Digitalisierungsvorhaben umgesetzt – unter anderem die digitale Banking-App WU+, die im Frühjahr 2022 in Deutschland und Rumänien lanciert wurde.

Inwiefern spürt Ihr Unternehmen den Fachkräftemangel und was tun Sie um Fachkräfte zu bekommen und zu halten?
Unmittelbar spüren wir glücklicherweise noch kaum etwas von den Auswirkungen des Fachkräftemangels. Dennoch sind wir uns dessen durchaus bewusst und haben bereits Vorkehrungen für die Zukunft getroffen. Zum einen ist es uns daher wichtig, unseren Mitarbeitern eine entsprechende Unternehmenskultur zu bieten und sie durch eine spannende Tätigkeit, die immer neue Herausforderungen und Möglichkeiten zur Weiterentwicklung bietet, zu halten. Zum anderen ist es natürlich entscheidend, den notwendigen Nachwuchs aufzubauen, indem wir potenzielle Fachkräfte bereits während ihrer Hochschullaufbahn unterstützen und begleiten. Wir arbeiten deshalb schon jetzt an universitären Programmen, die etwa durch Lizenzen, spezielle Kurse, Veranstaltungen wie Hackathons oder auch frühzeitige Zertifizierungen im Bereich Low-Code den Fachkräften von morgen den Weg ebnen – und das nicht nur für eine zukünftige Karriere bei OutSystems. Auch wenn wir das selbstverständlich sehr begrüßen würden.

„Ich glaube, mehr denn je gilt das Motto „Schnelligkeit zählt“. Geschwindigkeit und Time-to-Market sind entscheidende Kriterien für den Unternehmenserfolg. Wie schnell bin ich in der Lage, Dinge zu adaptieren? Und das gilt nicht nur für die IT.“

Christoph Volkmer

Wie schätzen Sie den Digitalisierungsgrad österreichischer Unternehmen und Organisationen ein und wo gibt es noch Nachholbedarf?
In der heutigen, globalisierten Welt ist es von immenser Bedeutung, dass die Lieferketten funktionieren, um den Fortbestand eines Unternehmens zu sichern. Das bekamen beispielsweise insbesondere kleinere Unternehmen in der Pandemie zu spüren: Sie waren angesichts der oftmals fehlenden staatlichen Unterstützung gezwungen, sich in der Krise selbst zu helfen. Dafür war ein technologischer Wandel nötig, um gewisse Technologien im IT-Bereich einsetzen zu können. Nur so ließen sich solche Themen überhaupt adressieren und Prozesse verändern.

Hier tritt eine Charakteristik zutage, die ich im Unternehmensalltag immer wieder entdecke – und in der sich Österreich und Deutschland entscheidend gleichen: Während bei größeren Unternehmen und der öffentlichen Hand die Digitalisierung oft nur eher schleppend vorangeht, hat der ausgeprägte Mittelstand beider Länder – die sogenannten Hidden Champions – sich mit der Modernisierung seiner Prozesse selbst geholfen und verfügt daher über einen erfreulich hohen Digitalisierungsgrad. Deutlichen Nachholbedarf gibt es aus meiner Sicht in diesem Bereich hingegen bei den Großunternehmen und öffentlichen Einrichtungen, die sich mit derlei Veränderungen oftmals schwertun. Dafür braucht es natürlich auch politische Willens- und Schaffenskraft – diese sehe ich leider noch zu selten.

Welche IT-Trends sehen Sie für 2023 bzw. welche IT-Themen sollten heuer auf der Agenda von IT-Verantwortlichen ganz oben stehen und warum?
Das Einzige, das bislang für 2023 sicher scheint, ist, dass die Welt- und Wirtschaftslage unsicher bleibt. Den Unternehmen wird also auch in diesem Jahr wieder ein hohes Maß an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an immer neue Bedingungen abverlangt werden. Geschäftliche Veränderungen und neue Geschäftsmodelle erfordern meist jedoch auch neue IT-Lösungen oder Modifikation der bestehenden. Der Arbeitsaufwand für Entwicklerteams wird also ungebrochen zunehmen. Entsprechend ergeben sich aus meiner Sicht drei zentrale Trends für das neue Jahr:

Der Einsatz von Low-Code in den Entwicklungsabteilungen wird weiter steigen: Gartner prognostiziert dem Markt ein jährliches Wachstum von 23,6 Prozent. Und das ist wenig verwunderlich. Denn der wachsende Bedarf an immer neuer Software trifft auf einen infolge des anhaltenden Fachkräftemangels nahezu leergefegten Entwicklermarkt. Es gilt daher, die Produktivität und Effizienz bestehender Teams zu steigern. Low-Code kann hierfür ein probates Mittel sein, da es Entwickler von zeitraubendem manuellem Coding entlastet und durch vorgefertigte Funktionsbausteine unterstützt, die nach dem Baukastenprinzip zusammengestellt werden. So gewinnen Entwickler freie Kapazitäten, sich auf die Aspekte der Entwicklung zu konzentrieren, die tatsächlich ihrer Kreativität bedürfen, und echte Innovationen zu schaffen.

KI wird zum digitalen Assistenten für Entwickler: Die enormen Fortschritte in der Weiterentwicklung der künstlichen Intelligenz werden dafür sorgen, dass KI in zunehmendem Maße auch Einzug in die Softwareentwicklung halten wird – ebenfalls, um Entwickler zu entlasten und die Effizienz zu erhöhen. So ist KI beispielsweise in der Lage, den nächsten Entwicklungsschritt zu antizipieren, darauf basierend die entsprechende Option vorzuschlagen und diese auf Wunsch in den Code des Entwicklers einzufügen. Auch zur Prüfung von Code auf Sicherheit oder durchgängige Performanz kann KI zum Einsatz kommen. Durch intelligente Unterstützung wie diese können Entwickler entlastet und gleichzeitig Effizienz und Qualität der Anwendung optimiert werden.

Softwareentwicklung wird zunehmend Cloud-nativ werden: Denn der derzeit steigende Wettbewerbsdruck stößt mehr und mehr auch einen Paradigmenwechsel hin zum Cloud-native Computing an, mit dem Unternehmen den heutigen Anforderungen besser gerecht werden sollen als mit klassischer Infrastruktur und klassischen Lösungen. Es wendet die Vorteile der Cloud auf die gesamte IT-Landschaft an und verspricht dadurch eine massive Skalierbarkeit, dynamische Anpassbarkeit und weltweite Hochverfügbarkeit für alle Anwendungen und Dienste – genau das, was Unternehmen in der heutigen dynamischen Marktlage ganz konkret benötigen.

„Das Einzige, das bislang für 2023 sicher scheint, ist, dass die Welt- und Wirtschaftslage unsicher bleibt. Den Unternehmen wird also auch in diesem Jahr wieder ein hohes Maß an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an immer neue Bedingungen abverlangt werden. Geschäftliche Veränderungen und neue Geschäftsmodelle erfordern meist jedoch auch neue IT-Lösungen oder Modifikation der bestehenden. Der Arbeitsaufwand für Entwicklerteams wird also ungebrochen zunehmen.“

Christoph Volkmer

Welche Herausforderungen, die sich mit IT-Unterstützung lösen lassen, sehen Sie 2023 auf Unternehmen zukommen?
Ich gehe stark davon aus, dass eines der alles überragenden Themen definitiv die Unterstützung von IT-Prozessen durch künstliche Intelligenz werden wird. Schließlich lassen sich mit ihr viele Routinearbeiten automatisieren, wodurch nicht nur Unternehmensprozesse schneller werden, sondern auch Raum für Innovationen und Kreativität entsteht. Deshalb haben wir auch die sogenannten „AI Mentors“ in unsere Plattform integriert, um beispielsweise die Anwendungsentwicklung zu unterstützen.

Ganz allgemein gesprochen glaube ich aber, dass KI uns – bei allem Nutzen – besonders in der IT noch vor Herausforderungen stellen wird. Wir werden uns in nicht allzu ferner Zukunft mit künstlicher Intelligenz im Alltag auseinandersetzen und einen gesellschaftlichen Diskurs darüber führen müssen, welche Rolle KI und herkömmliches Wissen spielen werden, beispielsweise in Schule und Ausbildung. Denn KI wird den Wert von Wissen neu definieren – ChatGPT besteht heute schon medizinische Examen und dabei stehen wir gerade erst am Anfang der Reise. Wir werden vor der Frage stehen, was unser Wissen wert ist – als Unternehmen, aber auch als Individuum. Was dann entscheidend sein wird, ist die Fähigkeit, die richtigen Fragen zu stellen. Fragen, auf welche die KI tatsächlich die gewünschten Antworten liefern kann. Dafür braucht es entsprechend ausgebildete Mitarbeiter. Deshalb sollten wir beispielsweise schon jetzt unsere Trainings anpassen.

Wie kann IT im Allgemeinen und Ihr Unternehmen im Speziellen dazu beitragen, dass die Welt zu einem lebenswerteren Ort wird?
Ich denke – und das gilt nicht nur bezogen auf OutSystems –, dass mit der richtigen Technologie vieles umsetzbar ist, was unsere Erde zu einem lebenswerteren Ort machen könnte. Dennoch ist es ja niemals eine Technologie an sich, welche die Welt besser macht. Es kommt immer auf die Menschen an, die die Technologie nutzen, und wie und wofür sie sie einsetzen. Mit High-Performance Low-Code helfen wir beispielsweise dabei, innovative Vorhaben aller Art schneller umzusetzen. Das reicht von kleineren Business-Anwendungen, die nur einem überschaubaren Kreis den Arbeitsalltag erleichtern, bis hin zu Anwendungen und Portalen, die tatsächlich weitreichende positive Auswirkungen auf einen großen Teil der Bevölkerung haben. Sei es zur Unterstützung der Klimaneutralitätsziele der EU wie unser Kunde Lineas NV – das größte private Bahnfrachtunternehmen in Europa –, der Förderung mentaler Gesundheit wie Cognomie oder auch diverser anderer Beispiele aus dem Gesundheitsbereich. Beispielsweise kommt mir hier der Preisträger unseres „Innovation Award 2022“ in der Kategorie „Social Impact“ in den Sinn: Das Nelson Mandela University Centre for Community Technologies hat mithilfe unserer Plattform eine mobile App entwickelt, um im ländlichen Südafrika das Bewusstsein für Krebs zu verbessern und dort durch Vorsorge Leben zu retten.

Wenn Sie einen IT-bezogenen Wunsch frei hätten, wie würde der lauten?
Ich würde mir wünschen, dass die Gesellschaft generell offener wird für technologischen Fortschritt. Denn selbstverständlich kommt jede neue Technologie mit ihren ganz individuellen Herausforderungen – und diese dürfen und sollten auch immer kritisch hinterfragt werden. Dennoch wünsche ich mir, dass dabei ein Mindestmaß an Diskursoffenheit und Unvoreingenommenheit erhalten bleibt. Ich glaube, dann ist schon viel erreicht und es wird uns auch in Zukunft gelingen, Positives aus solchen Herausforderungen zu schöpfen. In diesem Zusammenhang würde ich mir insbesondere auch von Entwicklern wünschen, dass mehr Flexibilität und Offenheit für Neues bestünde – auch wenn ich mir vorstellen kann, dass diese Umstellung nicht ganz einfach ist. Mit steigender KI-Unterstützung wird auch die klassische Entwicklung mit High-Code immer weiter in den Hintergrund rücken. Dennoch wird es auch weiterhin entsprechendes Expertenwissen brauchen, denn das Ergebnis wird auch unter Einsatz von KI nur so gut sein, wie das zuvor aufgesetzte Konzept – wir werden also nicht weniger Entwickler brauchen, sondern anders ausgebildete.


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