Hermann Erlach, General Manager von Microsoft Österreich, erklärt im Interview mit ITWelt.at, warum österreichische Betriebe mehr Fokus auf die digitale Ausbildung ihrer Mitarbeiter:innen legen sollten. [...]
Welche Lehren nehmen Sie aus dem IT-Jahr 2022 für die Zukunft mit?
Die vielen Gespräche im Rahmen der Digitalisierungsinitiative „Mach heute Morgen möglich“ und darüber hinaus haben mir und vielen anderen gezeigt, dass es weder am Geld noch am Bedarf liegt, dass die Digitalisierung in Österreich noch nicht so richtig zündet. Wir sind in Österreich immer noch übervorsichtig, wenn es um Veränderung geht – aber dazu braucht es Mut. Hier müssen wir unser Risikomanagement neu denken – das ist mir ein Anliegen.
Das vergangene Jahr hat uns schon einen richtungsweisenden Vorgeschmack gegeben, was uns in der Zukunft beschäftigen wird: Durch das Metaversum werden sich weiterhin neue Anwendungen entwickeln und im Geschäftsumfeld weiter an Bedeutung gewinnen. Das Metaversum zeigt, dass es möglich ist, virtuelle Welten zu schaffen, in denen die Menschen miteinander interagieren und Erfahrungen austauschen können, was zu einer neuen Form der sozialen Interaktion führen wird. Die Möglichkeiten von Cloud Computing, Virtual Reality und künstlicher Intelligenz werden ständig erweitert und verbessert, was dazu führen wird, dass diese Technologien immer stärker in unser tägliches Leben eingebunden werden. Die beeindruckenden Leistungen von KI-Systemen wie Dall-E und Chat-GPT werden uns auch in Zukunft weiterhin staunen lassen. Wir werden aufs Neue erfahren, wie künstliche Intelligenz verändern kann, wie wir lernen, arbeiten und die Welt zu einem sichereren, nachhaltigeren Ort machen.
Was waren Ihre beruflichen bzw. persönlichen Highlights im Jahr 2022?
Die letzten Jahre brachten jede Menge Herausforderungen für uns alle. Meine Mitarbeiter:innen durch diese schwierigen Zeiten zu führen, mit Kunden und Partnern spannende Projekte umzusetzen und Österreich auf einem starken Wachstumskurs zu halten war nicht immer einfach, aber durch unsere gemeinsame Anstrengung haben wir es möglich gemacht – das war und ist für mich ein Highlight. Auch ganz oben auf meiner Agenda stand die Begleitung der nationalen Digitalisierungsagenda Österreichs. Die Initiative „Mach heute Morgen möglich“ mit der Unterstützung zahlreicher Partnerorganisationen konnte die Wichtigkeit des Themas – auch in Richtung politischer Stakeholder – weiter herausstreichen.
„Es liegt weder am Geld noch am Bedarf, dass die Digitalisierung in Österreich noch nicht so richtig zündet. Wir sind in Österreich immer noch übervorsichtig, wenn es um Veränderung geht – aber dazu braucht es Mut. Hier müssen wir unser Risikomanagement neu denken.“
Hermann Erlach
Welche spannenden Projekte haben Sie 2022 für Kunden umgesetzt und was war das Besondere daran?
Das Jahr 2022 war für mich das Jahr der Partnerschaften. Gemeinsam mit über 100 Unternehmen und Organisationen haben wir im Jänner 2022 die Digitalisierungsinitiative „Mach heute Morgen möglich“ ins Leben gerufen, um Österreich als Land- und Wirtschaftsstandort durch Digitalisierung zu stärken. Gemeinsam zeigen wir nun bereits knapp ein Jahr lang, was in den Themenfeldern Innovation, Nachhaltigkeit, Digitale Kompetenzen und Sicherheit möglich ist, wenn man chancenorientiert und mutig vorangeht. Heute zählt die Initiative bereits mehr als 240 unterstützende Partner, die die gesamte Bandbreite der österreichischen Wirtschaft repräsentieren. Von Großunternehmen über Verbände bis hin zu Startups – wie zum Beispiel die ÖBB, die WKO, Ströck, tietoevry, blackshark.ai, etc. Die Liste auf unserer Webseite www.mhmm.at ist lang.
Ein Beispiel: Einer der Unterstützer der „Mach heute Morgen möglich“-Initiative sind die Wiener Stadtwerke, die wir in ihrer digitalen Transformation mit der konzernweiten Implementierung der Cloud begleiten durften. Diese Erfolgsgeschichte zeigt besonders gut, wie relevant Digitalisierung für die kritische Infrastruktur ist. Ein weiteres schönes Beispiel für die positive Auswirkung der Digitalisierung auf die Nachhaltigkeit zeigt auch diese Geschichte von SPAR ICS: Mittels künstlicher Intelligenz werden Daten über Verkaufsmengen in den Filialen, Saisonalität und andere Faktoren analysiert, wodurch optimale Produktmengen in der Filiale präzise vorhergesagt werden kann und somit eine effiziente Lieferkette ermöglicht wird. Das sind nur zwei Beispiele von vielen Erfolgsgeschichten, die zeigen, was durch digitale Innovation erreicht werden kann.
Wir haben auch einige Bildungsinitiativen vorangetrieben, die uns besonders stolz machen: Der Fachkräftemangel, insbesondere in der IT-Branche, ist in den letzten Jahren deutlich spürbar geworden. Technologie allein reicht nicht aus, da es Menschen braucht, die damit umgehen können. In Österreich fehlen laut Schätzungen der WKÖ rund 24.000 IT-Fachkräfte und es könnten bis zu 30.000 in den kommenden Jahren werden. Um diese Lücke zu schließen, haben wir im vergangenen Jahr auf Bildungsinitiativen wie „SHE goes DIGITAL“ gesetzt, mit der wir gemeinsam mit der IDC Mädchen und Frauen die digitale Aus- bzw. Weiterbildung als IT-Fachkräfte ermöglichen.
Wie schätzen Sie den Digitalisierungsgrad österreichischer Unternehmen und Organisationen ein und wo gibt es noch Nachholbedarf?
Allgemein stelle ich fest, dass Österreich in die richtige Richtung geht, sich jedoch laut Digital Economy and Society Index im Mittelfeld befindet – und das als einer der reichsten EU-Staaten. Viele große österreichische Unternehmen im öffentlichen und privaten Sektor, wie die ÖBB, die Wiener Stadtwerke, OMV, etc. haben bereits ihre digitale Transformation in die Wege geleitet. Sie haben ihre Daten und interne Arbeitsprozesse in die Cloud verlagert, um ihre Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Doch vor allem Klein- und Mittelbetriebe brauchen immer noch viel Unterstützung bei der Digitalisierung. Außerdem müssen die Mitarbeiter:innen viel mehr in die Digitalisierungsprozesse ihrer Unternehmen einbezogen werden. Österreichische Betriebe müssen jetzt die Wichtigkeit der digitalen Ausbildung erkennen und Initiativen ergreifen, um ihre Mitarbeiter:innen in diesem Bereich aus- bzw. weiterzubilden, denn nur so kann eine erfolgreiche Digitalisierung erfolgen.
Weiterer Nachholbedarf liegt auch im öffentlichen Sektor, insbesondere bei der öffentlichen Verwaltung und dem E-Government. Auch hier sehen wir großes Potenzial für effizientere und bürgerfreundlichere Dienstleistungen, denn damit können wir unter anderem die Akzeptanz der Bürger:innen gegenüber der Digitalisierung steigern. Der öffentliche Sektor muss die Chance ergreifen, als Vorbildfunktion für die Privatwirtschaft zu agieren – und nicht andersherum.
Inwiefern spürt Ihr Unternehmen den Fachkräftemangel und was tun Sie, um Fachkräfte zu bekommen und zu halten?
Der Wandel in der hybriden Arbeitswelt, beschleunigt durch die Pandemie, hat ebenfalls einen Wandel in den Bedürfnissen und Anforderungen der Arbeitskräfte mit sich gebracht. Gleichzeitig ist der Kreis potenzieller neuer Mitarbeitende durch hybride Arbeitsformen gewachsen. Als Arbeitgeber versuchen wir, auf die sich verändernden Bedürfnisse nach Flexibilität und Individualität einzugehen. Nur wer eine positive Employee Experience anbietet, kann den „War for Talent“ gewinnen. Laut einer LinkedIn-Umfrage steht eine gute Work-Life-Balance für 63 Prozent der Arbeitssuchenden an erster Stelle. Bei Microsoft glauben wir daher nicht an starre Arbeitszeiten oder Präsenzpflicht, sondern an Eigenständigkeit. Vertrauen ist tief in der Unternehmenskultur verankert und umfasst auch flexible Arbeitszeiten und Orte. Es wird bei uns ein großer Wert auf einen offenen und vertrauensvollen Umgang sowie einen nachhaltigen Work-Life-Flow, der die mentale Gesundheit aller Mitarbeitenden unterstützt, gelegt. Attraktive Veranstaltungen und Aktivitäten, bei denen unser Team sich außerhalb der Arbeit kennenlernen kann, tragen ebenfalls zu einer positiven Employee Experience bei und schaffen Bindung.
„Nachholbedarf liegt auch im öffentlichen Sektor, insbesondere bei der öffentlichen Verwaltung und dem E-Government. Auch hier sehen wir großes Potenzial für effizientere und bürgerfreundlichere Dienstleistungen, denn damit können wir unter anderem die Akzeptanz der Bürger:innen gegenüber der Digitalisierung steigern. Der öffentliche Sektor muss die Chance ergreifen, als Vorbildfunktion für die Privatwirtschaft zu agieren – und nicht andersherum.“
Hermann Erlach
Welche IT-Trends sehen Sie für 2023 bzw. welche IT-Themen sollten heuer auf der Agenda von IT-Verantwortlichen ganz oben stehen und warum?
Neben der Bedeutung der Cloud für den Wirtschaftsstandort Österreich und der Etablierung des hybriden Arbeitens, die uns schon länger begleiten, möchte ich drei IT-Trends hervorheben, die gerade auch in der breiten Öffentlichkeit stetig an Bedeutung gewinnen:
Künstliche Intelligenz ist derzeit definitiv im Mittelpunkt des jüngsten Aufschwungs in der Tech-Industrie und wird uns auch in und nach 2023 langfristig beschäftigen. KI-gestützte Technologien wie OpenAI werden viele Sparten des Lebens noch stark revolutionieren. Von Arbeitskräften in der Industrie, über Medizin- und Lehrpersonal bis hin zu Handels- und White-Collar-Angestellten: KI kann Menschen helfen, die größten Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen. Dem sollten wir offen entgegentreten, denn die Chancen, die KI jetzt schon bietet, sind vielfältig – und das ist nur die Spitze dessen, was möglich ist. Der Azure OpenAI Service ist nun bereits allgemein für unsere Kunden und Partner zugänglich. Sie können so auf die Datenschätze von GPT-3.5, Codex und DALL•E 2 zugreifen – allesamt gestützt durch Funktionen wie Compliance und Sicherheit und die KI-optimierte Infrastruktur von Microsoft Azure.
Zweitens schlagen wir mit dem Metaverse gerade das nächste Kapitel des Internets (Web3) auf. So hat etwa das WEF in Davos bereits auf eine immersive Meeting Erfahrung gesetzt. Das wurde im Rahmen des Global Collaboration Village gezeigt, welches auf Microsoft Mesh läuft. Damit schlagen wir eine Brücke zwischen der physischen und der digitalen Welt – es entstehen Formen der digitalen Kollaboration, die intensiver wie auch inklusiver, gerechter und nachhaltiger sind als alles, was wir bisher kannten. Aber wir alle müssen auch lernen. Lernen was sich durchsetzt, wo wirklicher Mehrwert entsteht und was menschlichen Bedürfnissen am besten entspricht.
Schließlich hat sich Cybersicherheit von einer IT-Problematik im Serverraum zu einem Kernthema in der Vorstandsetage entwickelt. Unternehmen und Behörden in Österreich waren 2022 Ziel von Hackern. Jüngste Cyberangriffe haben auch in Österreich die Angst vor einem Blackout geschürt. Die Umgebungen werden komplexer, Ransomware wird raffinierter und der Fachkräftemangel spitzt diese Herausforderungen noch mehr zu. Das führt dazu, dass inzwischen zeitgemäße Sicherheitskonzepte ohne Cloud gar nicht mehr möglich sind. Hier sind die Ansatzpunkte etwa Zero-Trust, Security-by-Design und auch die stärkere Bewusstseinsbildung von Menschen im Umgang mit Technologie.
Welche Herausforderungen, die sich mit IT-Unterstützung lösen lassen, sehen Sie 2023 auf Unternehmen zukommen?
Eine Herausforderung, die Unternehmen auch im neuen Jahr erhalten bleibt, ist die Gewährleistung von Datenschutz- bzw. Sicherheit von sensiblen Daten. Wir befinden uns gerade in einer Zeit der Digitalisierung, bei der die Art und Weise wie wir leben, arbeiten und Geschäfte tätigen grundlegend verändert wird. Die zunehmende Komplexität von IT-Systemen schafft somit neue Angriffsflächen für Cyberbedrohungen, die paradoxerweise nur mehr durch die Implementierung von digitalen Technologien wie Cloud-Computing und modernen Sicherheitslösungen effektiv bekämpft werden können.
Auch der digitale Umschwung in der Arbeitswelt der letzten Jahre stellt sich als Herausforderung für viele Unternehmen heraus. Die Arbeitsbedingungen und auch die Bedürfnisse, Anforderungen und Erwartungen von Arbeitskräften passen sich an diesen Wandel an. Voraussetzung für das Gelingen dieser Flexibilität und Mobilität ist jedoch eine gewisse technologische Basis, die mithilfe von IT-Unterstützungen implementiert werden kann. Gleichzeitig ist, unabhängig von der Technologie, ein Wandel in den Unternehmenskulturen notwendig.
„Moderne IT hat sehr viel mit Design Thinking und mit Change Management zu tun. In Österreich könnten und sollten wir uns (noch) mehr trauen und in vielen Bereichen den Anspruch haben, die Besten zu sein. Österreich hat viele großartige Leuchtturm-Projekte und sehr viele Hidden Champions, aber noch einen Weg zu gehen. Dafür brauchen wir agile Rahmenbedingungen und eine gesunde Fehlerkultur.“
Hermann Erlach
Wie kann IT im Allgemeinen und Ihr Unternehmen im Speziellen dazu beitragen, dass die Welt zu einem lebenswerteren Ort wird?
Die IT-Modernisierung ermöglicht uns als Gesellschaft eine starke Effizienzsteigerung in verschiedensten Lebensbereichen. IT hat das Potenzial einen wichtigen Beitrag zur Lösung globaler Herausforderungen zu leisten. Verbesserte Effizienz, höhere Produktivität, größere Transparenz, erweiterte Zugänglichkeit und mehr Möglichkeiten für Kollaboration und Innovation sind nur einer der vielen Vorteile, die mit der Digitalisierung einhergehen. Microsoft, als eines der führenden Technologieunternehmen, ist natürlich bemüht einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft zu haben. Wir glauben daran, dass Technologie eine starke Kraft für das Gute ist, und streben eine nachhaltige Zukunft an, in der alle Menschen Zugang zu den Vorteilen und Möglichkeiten der Technologie haben.
Unter anderem schaffen wir durch die „Mach heute Morgen möglich“-Initiative, eine positive Atmosphäre in Politik, Öffentlichkeit und Medien für die Themen Digitalisierung und Cloud. Dies wird durch die Schwerpunkte auf innovative Geschäftslösungen, Weiterbildung in digitalen Fähigkeiten, den sicheren Umgang mit Daten und Lösungen mit positiven Auswirkungen auf die Umwelt erreicht.
Zusätzlich setzt sich Microsoft für die Verwendung ethischer Praktiken im Bereich künstlicher Intelligenz ein, unter anderem durch das Förderprogramm AI for Earth. Die Initiative vergibt Zuschüsse an Projekte, die künstliche Intelligenz nutzen, um die vier kritischen Bereiche Klima, Wasser, Landwirtschaft und Biologische Vielfalt zu adressieren und an weltweit ökologischen Herausforderungen arbeiten.
Wenn Sie einen IT-bezogenen Wunsch frei hätten, wie würde der lauten?
In all meinen Jahren in der Prozess- und IT-Beratung wurde für mich eines transparent: Technologie ist ein Werkzeug zur Umsetzung, Lösungen kommen und gehen, Hypes werden durch nachhaltige Innovationen abgelöst und nicht alles, was gut klingt, ist auch wirklich darüber hinaus sinnvoll. Wie André Heller so schön sagt: „Die wahren Abenteuer sind im Kopf.“ Und so ist das auch mit Innovation: Es beginnt damit, der Beste sein zu wollen – das beste Unternehmen oder der beste Anwendungsfall. Moderne IT hat sehr viel mit Design Thinking und mit Change Management zu tun. In Österreich könnten und sollten wir uns (noch) mehr trauen und in vielen Bereichen den Anspruch haben, die Besten zu sein. Österreich hat viele großartige Leuchtturm-Projekte und sehr viele Hidden Champions, aber noch einen Weg zu gehen. Dafür brauchen wir agile Rahmenbedingungen und eine gesunde Fehlerkultur.
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