Im Rahmen des Austrian Innovation Forum sprach die COMPUTERWELT mit Michael Schrage vom MIT über die Rolle der IT in einer innovationsgetriebenen Welt – und die Frage, warum es problematisch ist, Probleme lösen zu wollen anstatt sie zu managen. [...]
Michael Schrage vom MIT Center for Digital Business war Keynote-Sprecher des diesjährigen Austrian Innovation Forum, das Mitte Oktober in Wien über die Bühne ging. Das Thema der Veranstaltung: Business Design Thinking.
Computerwelt: Worin besteht aus Ihrer Sicht die Marke Österreich?
Michael Schrage: Ich war zwar schon öfter in Österreich, etwa im Rahmen des „MIT Industrial Liaison Program“, zu dem es hier eine enge Bindungen gibt. Ich kann jedoch nicht behaupten, Österreich oder Wien im Speziellen gut zu kennen. Dafür sind mir die Herausforderungen des Mittelstands bekannt. Und ich verstehe auch, wie sich Österreich im europäischen Kontext als Marke positioniert: Das Beste aus dem deutschsprachigen Raum und als Ausgangspunkt für Mittel- und Osteuropa in einer konstruktiven und innovativen Form.
Steht Österreich für Innovationen?
Ich glaube, dass Österreich für seine hochqualifizierten personellen Ressourcen steht. Innerhalb des Landes und durch den Export von Gütern und Services. Das gilt auch für Länder wie Dänemark und Schweden. Hochpreisige Länder, die viel Geld in die Ausbildung und Training stecken, müssen ihr Augenmerk auf die Erhaltung und Weiterentwicklung ihres Vorteils legen, den sie durch das Humankapital erzielen.
Es scheint so, dass Unternehmen auf Biegen und Brechen innovativ sein wollen, vor allem die IT. Gilt der Satz „Never change a running system“ nicht mehr?
Ich bin kein großer Fan von Innovation um ihrer selbst Willen. Innovationen müssen einen Zweck erfüllen. Wenn ein Unternehmen, wie ein Hersteller von Luxusgütern, erfolgreich ist, obwohl es sich nicht ändert, dann ist das OK. Auf der anderen Seite: das wirtschaftliche und kulturelle Umfeld ändert sich massiv. Unter diesen Vorzeichen muss man sich die Frage stellen: Möchte ich den Großteil meiner Zeit damit verbringen, dem Mitbewerb hinterherzuhinken? Soll ich dem Mitbewerb erlauben, – das ist wörtlich gemeint – die Agenden meines Unternehmens zu bestimmen? Oder will ich neue Werte schaffen, die Menschen dazu bringen, tiefer in die Tasche zu greifen, um Teil meines eigenen Ökosystems zu werden?
Meine Antwort ist daher Ja. Ja, wir müssen uns den Gegebenheiten besser anpassen. Ja, wir müssen erkennen, dass Kunden Menschen sind, die nicht nur bedient werden wollen, sondern die für uns und gemeinsam mit uns Werte schaffen können. Um das zu erreichen, ist es notwendig, dass wir das Geschäftsmodell unter die Lupe nehmen und die Technologieinvestments neu betrachten. Genau hier setzen meine Studien und mein Beratungsgeschäft an.
Die IT-Industrie schmückt sich gerne mit Innovationen, oft ist es jedoch nur alter Wein in neuen Schläuchen. Wie findet man sich da als Endkunde zurecht?
Ich stimme Ihnen zu 75 Prozent zu. Wir müssen jedoch unterscheiden lernen zwischen technischer Innovation und Innovationen, die einen Wert für das Business darstellen. Eine echte Innovation ist nicht das, was jemand erfindet, sondern das, was Kunden annehmen. Man kann durchaus behaupten, dass Cloud schon früher existiert hat. Wenn man aber die Faktoren Geschwindigkeit, Datenmengen und Interoperabilität in Betracht zieht, dann gibt es quantitative wie qualitative Unterschiede. Aus finanztechnischer Sicht: Die Kosten sind von CAPEX zu OPEX gewandert, was einen großen Unterschied ausmacht. Die große Herausforderung von heute ist, den Wert der Technologie und den Wert des Businesses auf Linie zu bringen. Innovationen schaffen neue Möglichkeiten, beides aufeinander abzustimmen. Dazu kommt, dass alles in der IT vor zehn Jahren hundert Mal teurer war als heute. Es gibt heute keine Technologie, die mehr kostet als früher. Das bietet eine große Chance.
Der Titel eines Ihrer Bücher lautet „Who do you want your customer to become?“. Wer ist der Kunde der IT?
Das ist derzeit eines der wichtigsten Themen in den USA. Wenn man die Fachabteilungen als Kunden sieht, adressiert man nur die internen Aspekte des Geschäfts. Das ist eine strategische Entscheidung mit großen Auswirkungen. Tatsache ist jedoch, dass die IT mit den Kunden der Fachabteilungen verlinkt ist. Sind die IT-Verantwortlichen in der Lage, die externen Kunden so zu bedienen wie den internen? Das ist die große, organisatorische Herausforderung der heutigen IT.
In einigen US-Firmen berichtet der CIO bereits an den Chief Marketing Officer, um sicherzustellen, dass der Fokus auf dem externen Kunden liegt. Es zwingt die IT-Verantwortlichen sich zu fragen: Wer sind meine Kunden? Wenn man etwa ein SAP-System laufen hat, gibt es keine Zweifel, wer das ist. Bei einem Supply Chain Management-System oder einem CRM ist das nicht mehr so klar. Ich sehe den technologischen Wandel als Möglichkeit, neu zu überdenken, welche Art von Beziehung wir zu den Kunden und den Kunden der Kunden haben wollen.
Thema des heurigen Austrian Innovation Forum war Business Design Thinking und der Versuch, unterschiedlichste Menschen in Projekten zu vereinen. Wie löst man etwa das Kommunikationsproblem zwischen IT und Top-Management?
Das ist ein Problem, das man nicht lösen, sondern managen kann. Beispiel Software-Entwicklung. Früher hat man sehr viel Zeit für das Sammeln, Analysieren und Priorisieren von Requirements verwendet. Was passierte? Die Requirements änderten sich ständig, die Diskussion darüber war oft nicht zielführend. Anders die agile Methode und der Paradigmenwechsel von den Requirements hin zu den Anwendungsfällen. Das ist eine Revolution. Es ist wesentlich einfacher über Anwendungsfälle zu diskutieren, sie zu visualisieren oder zu simulieren als Requirements. Eine Analogie aus der Küche: Vor zehn Jahren diskutierte man in der Software-Entwicklung über das Rezept und das Design der Küche anstatt über den Geschmack der Speise. Ein Nicht-Koch kann beim Rezept nicht mitreden, aber er kann sagen, ob etwas zu salzig ist oder nicht. Mit der neuen Methoden braucht man zwar immer noch Worte, diese sind aber nicht mehr die Grundlage der Kommunikation, sondern eher Anmerkungen zu der Visualisierung und Simulation der Use Cases.
Wer ist für diese neue Art der Kommunikation verantwortlich?
Die einen sagen: Das Top-Management muss die Mission und gleichzeitig das Umfeld schaffen, damit Buttom-up-Innovation und Crowdsourcing möglich sind. Andere sind der Meinung, dass die neuen Technologien dem Management mehr Einfluss und Kontrolle als bisher verleihen. Das ist die Debatte, die gerade geführt wird. Stärken die neuen Technologien die Spitze, die Mitte oder die Basis des Unternehmens? Das ist die neue Hegelsche Dialektik oder der Klassenkampf in Unternehmen.
Was sind Ihre nächsten Pläne?
Ich plane ein Buch, in dem es darum geht, dass die Produktivität der Einzelperson nicht vom Management der Endgeräte abhängt, sondern vom Management der vielen unterschiedlichen Ichs. Da gibt es den arbeitenden Schrage, der arbeiten will, gleichzeitig aber in Kontakt mit seinen Freunden sein möchte. Ich will, dass die Technologien, die ich verwende, die Grenzen meines Ichs erweitern. Beispiel: In einer idealen Welt wird dieses Gespräch automatisch transkribiert. Und mit Dingen, die eine Recommodation Engine empfiehlt, verlinkt, wie etwa Bücher oder Blogs.
Wie sieht es mit der automatischen Übersetzung dieses Gesprächs aus? Die Ergebnisse sind nach wie vor enttäuschend.
Ich glaube, dass in fünf Jahren die Fast-Realtime-Übersetzung funktionieren wird. Alle traditionellen, maschinellen Übersetzungsmethoden haben nicht funktioniert. Mit Google, das die Kombination aus Machine Learning-Technologie und Statistik gewählt hat, hat sich das grundlegend geändert. Ich muss kein Hellseher sein, um vorauszusagen, dass wir 2018 soweit sein werden, ein Produkt in Händen zu halten.
Also eine Frage der Zeit. Dieses Versprechen gibt es schon lange.
Noam Chomsky (ein Gegner der statistischen Methode, Anm.) hatte unrecht. Es macht doch Sinn, große Datenmengen zu analysieren und Korrelationen zu definieren, die wahrscheinlicher sind als andere. Bestes Beispiel ist Watson von IBM und sein Sieg in Jeopardy. Ein selbstlernendes System. Der Schlüssel ist nicht maschinelle Intelligenz, sondern ein System, das man unseren Standards entsprechend trainieren kann. Jeder von uns ist bereits Trainer. Wir trainieren Google.
Künstliche Intelligenz ist also wieder eines dieser Probleme, die sich nicht lösen lassen, aber managen.
Das geht in eine erkenntnistheoretische Richtung. Ich glaube, die Herausforderungen in vielen Unternehmen ist die, dass sie Probleme lösen wollen. Sie erkennen nicht, dass sie die Probleme managen müssen. Das ist eine typische menschliche Schwäche. Die Menschen möchten, dass Schmerzen verschwinden und nehmen Pillen, anstatt mit den Ursachen anders umzugehen als bisher. Sehr viele Unternehmen verwenden IT als Anästhetikum, nicht als korrigierenden Eingriff. Ich glaube – provokant formuliert –, dass SAP eines der stärksten Anästhetika ist, weil es die Illusion der Kontrolle vermittelt.
SAP wurde nicht entwickelt, um innovativ zu sein. Es wurde entwickelt, um zu optimieren und um gewisse Probleme zu lösen. Das tut es. Aber indem man ein Problem löst, entsteht ein anderes. Das ist genau der Grund, warum so viele Menschen frustriert sind, wenn sie mit IT zu tun haben. Sie glauben, sie müssen Probleme lösen, anstatt die Abstimmung zwischen Innovation und Optimierung zu managen in einer Art, die Sinn macht. Grundlage ist natürlich, zu wissen, was Sinn für das Unternehmen macht und was nicht.
Das Gespräch führte Wolfgang Franz.
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