„Wir brauchen Bildung, Skills und eine Innovation Economy“

Achim Kaspar, General Manager von Cisco Österreich, im Interview mit computerwelt.at über die "unaufhaltsame" Digitalisierung und den Wirtschaftsstandort Österreich. [...]

Dem Schlagwort „Digitalisierung“ kann man derzeit nicht entkommen. Dabei ist es eigentlich ein schwammiger Begriff, der auf die ersten Digitaluhren des letzten Jahrtausends genauso zutrifft, wie auf die aktuellen, technologiegetriebenen Umwälzungen der Gesellschaft. Im Grunde sind darin alle „Buzzwords“ und „Hypes“ der letzten Jahre vereint. Aber was bedeutet Digitalisierung wirklich für die Menschen und die Politik? Achim Kaspar, langjähriger Chef von Cisco Österreich, versucht diese Frage im Gespräch mit itwelt.at zu beantworten.

Cisco und Sie selbst prophezeien es ja schon lange, zuletzt haben Sie es auch anlässlich unserer Umfrage zum 30-Jahr-Jubiläum der Computerwelt festgehalten, in sehr prägnanter Form: „Alles wird digitalisiert, was sich digitalisieren lässt.“ Gerade in der jüngeren Vergangenheit hat sich das Tempo der Digitalisierung stark erhöht. Ihre persönliche Meinung: Ist das eine wünschenswerte Entwicklung?

Ob wünschenswert oder nicht, die Technologie wird dort eingesetzt werden, wo sie einzusetzen ist. Technologie und IT sind Werkzeuge, um Probleme zu lösen. Ich kann auch mit einem Messer jemanden umbringen, oder ein Stück Speck schneiden. Es gibt keine böse IT und keine böse Digitalisierung – es ist eine Entwicklung, die nicht aufzuhalten ist. Wir als Gesellschaft sind aufgefordert, diese Dinge richtig einzusetzen.

Was lässt sich denn, aus dieser Perspektive betrachtet, nicht digitalisieren? Anders gefragt: Was macht keinen Sinn?

Der Sinn wird sich in der Anwendung und der täglichen Praxis ergeben. Wir werden in der Digitalisierung gewisse Sinuskurven sehen: Manche Tools oder Apps werden einen Hype erleben, dann wird das Interesse abflachen. Aber im Ganzen wird die Kurve ansteigen. Ich denke, dass alles vernetzt werden wird. Ob das sinnvoll ist, oder nicht, ist heute schwer zu klären.
Ich erinnere mich an die Einführung des Mobilfunks. Die ersten Business-Cases, die wir den Behörden damals vorgelegt haben, gingen von einem Penetrierungsgrad von 35 Prozent nach 20 Jahren aus. Und wo stehen wir heute? Ich glaube, wenn wir in 20 Jahren zurückblicken, werden wir viele Dinge ähnlich sehen – zum Beispiel Themen wie Connected Retail, selbstfahrende Autos oder Smart Metering.
Wer hätte vor 20 Jahren gedacht, dass eine der sichersten Branchen, die Energiewirtschaft, einen starken Innovationsbedarf bekommen wird?  Die Digitalisierung bietet komplett neue Geschäftsmodelle und zerstört dafür alte. Jeder Geschäftsführer, Vorstand und Politiker muss sich damit auseinandersetzen. Wir betreten quasi jeden Tag Neuland.

Gegenüber einem anderen Magazin haben Sie einmal davon gesprochen, dass auch der Elektriker sich der Digitalisierung stellen muss. Wenn man sich das Klischee des typischen österreichischen Handwerkers ansieht: Der hat wahrscheinlich nicht unbedingt eine Freude damit.

Schauen Sie: Niemand freut sich, wenn er die Komfortzone verlassen muss. Das ist eine menschliche Regung. Das ist aber nicht die Frage. Die Frage ist: Wie sehr bin ich bereit in die Zukunft zu investieren, um in zehn Jahren noch am Markt zu sein? Das gilt für kleine Handwerker wie auch für große Industrieunternehmen. Alle Supply Chains, das gesamte Ökosystem ändern sich. Die Veränderungen im Automobilbereich haben Einfluss auf die Tankstellen-Infrastruktur, Taxiunternehmen, das Versicherungswesen und den Immobilienbereich. Diese Vernetzung, nicht nur der Dinge im physikalischen Sinne, hat enorme Einflüsse auf alle möglichen Geschäftsmodelle in unterschiedlichen Branchen. Auch der Elektriker muss sich darauf einstellen – oder immer weniger Geschäft machen. Heute gibt es hochkomplexe Gebäudesysteme und Audio-Installationen, in Zukunft brauchen Sie jemanden, der einen Smart-Meter installiert.

Ein interessantes und zumindest für heutige Verhältnisse ungewöhnliches Beispiel ist die „Digitalisierung des Artenschutzes“ von Cisco und Dimension Data im Projekt „Connected Conservation“. Das ist eine tolle Sache! Gibt es mehr Beispiele wie dieses, bei denen Digitalisierung dem guten Zweck dient, wo es bisher nicht möglich war?

Technologie kann einen wichtigen Beitrag bei Inclusion, Diversity und der Einbindung  leisten. Wir haben zum Beispiel ein Projekt mit dem St. Anna Kinderspital umgesetzt. Da gibt es Niki, einen jungen Patienten mit Down Syndrom, der auch Leukämie bekommen hat und deswegen die Schule und seine Klassenkameraden nicht mehr besuchen konnte. Gemeinsam mit der Stadt Wien haben wir ein Telepresence-System aufgebaut, um ihm den Kontakt mit seinen Klassenkameraden und die Teilnahme am Unterricht wieder zu ermöglichen. Das Beispiel Video-Dolmetsch geht eher in Richtung Effizienzsteigerung. Wir können auf Knopfdruck Flüchtlingen und Patienten Unterstützung in ihrer Landessprache zur Verfügung stellen. Früher mussten Dolmetscher durch die ganze Stadt fahren. Heute läuft das über Videokonferenzen. Es gibt viele, viele positive Beispiele, die die Digitalisierung mit sich bringt.

Sie haben vorhin gesagt, dass sich auch Politiker mit der Digitalisierung auseinandersetzen müssen. In den letzten Jahren hatte man in Österreich ja meistens nicht gerade das Gefühl, dass die IT-Wirtschaft in der politischen Wahrnehmung weit oben rangiert. Hat sich mit der neuen Regierung etwas geändert?

Wir reden immer vom Standort Österreich und Standort Europa. Es gibt den Network Readiness Index, in dem Österreich seit Jahren fast unverändert ungefähr an Stelle 20 liegt. Ich glaube aber, dass es für uns alle überlebensnotwendig ist, dass sich ein Land – genauso wie ein Elektriker – weiterbewegt. Es müssen die Rahmenbedingungen geschaffen werden, die neue Geschäftsmodelle und Innovationen ermöglichen. Ich glaube, dass Bundeskanzler Kern in die richtige Richtung geht. Nichtsdestotrotz stehen wir erst am Anfang. Digitalisierung, gerade in Verbindung mit Startup-Kultur, hat einen Rattenschwanz: Wir gehe ich beispielsweise mit Jungunternehmern um? Wie sehen die Steuerbedingungen aus? Auch die Ausbildung der jungen Menschen ist ein wichtiger Punkt. Es muss neue Jobdescriptions geben, beispielsweise die Wandlung vom Automechaniker zum Experten für Elektroautos. Da muss es eine Veränderung geben, die auch einer gewissen Reglementierung bedarf. Das ist Aufgabe des Staates, damit die Wirtschaft diese Leute auch hat, wenn sie sie braucht. Es kann nicht sein, dass es auf der einen Seite 20.000 Arbeitslose gibt, und auf der anderen Seite 20.000 fehlende Stellen in Berufen, die Basis für neues Wirtschaftswachstum wären. Daran muss die Politik arbeiten. Wir versuchen als Unternehmen unseren Beitrag zu leisten, etwa über Public-Private Partnerships – auch um eine gewisse Vorbildfunktion zu erfüllen. Wir brauchen Bildung, Skills und eine gewisse Innovation Economy.

ZUR PERSON:
Achim Kaspar ist seit 2008 General Manager von Cisco Austria. Der gebürtige Kärntner studierte Betriebswirtschaft in Graz und startete seine Laufbahn in den Neunziger Jahren beim Verbund-Telekom als Gründungsmitglied von tele.ring. Danach war er Geschäftsführer der MCI/WorldCom Austria GmbH. Von 2002 bis 2007 war Achim Kaspar Alleinvorstand der eTel Austria AG und leitete in dieser Funktion auch das strategische und technische Kompetenzzentrum der eTel Group für Zentraleuropa. 2007 und 2008 leitete er die Integration der eTel Austria AG im Zuge der Übernahme durch die Telekom Austria AG und war dort zudem bei strategischen Restrukturierungsprojekten eingesetzt. Außerdem war Kaspar von 2004 bis 2006 Präsident des Verbandes der alternativen Telekommunikationsprovider Österreichs (VAT). (rnf)


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