Interview mit der kanadischen Lernstrategin Lori Niles-Hofmann anlässlich ihrer Keynote auf der LEARNTEC. [...]
Lori Niles-Hofmann ist seit 25 Jahren Lernstrategin im Bereich Learning & Development (L&D). Ihr Spezialgebiet sind digitale Lerntransformationen. Die Kanadierin tritt auf der diesjährigen LEARNTEC als Keynote-Speakerin auf. Im Gespräch verrät sie vorab, welche Unterschiede es im Umgang mit künstlicher Intelligenz zwischen Europa und Kanada gibt, warum Jobtitel nicht mehr so wichtig sind und wie Unternehmen Vielfalt fördern können.
Sie haben mehr als 20 Jahre Erfahrung als Learning Strategist. Was machen Unternehmen in der Ausbildung ihrer Mitarbeitenden heute besser als damals?
Ich erinnere mich noch gut daran, wie wir vor 20 Jahren CDs genutzt haben, um klassische Lerninhalte zu vermitteln. Heute haben wir begriffen, dass digitale Medien ein eigenständiges Medium sind. Das klingt offensichtlich, ist es aber eigentlich nicht. Wir haben viel zu viel Zeit damit verbracht, Klassenräume nachzubilden oder Schulbücher digital zu replizieren. Inzwischen passen wir das Lernen an die Möglichkeiten digitaler Medien an, um ihr volles Potenzial auszuschöpfen und nicht mehr andersherum.
Welche Rolle spielt KI in Ihrem Arbeitsalltag?
KI nutze ich jeden Tag für verschiedene Aufgaben, von der Recherche bis zum Schreiben. Dadurch ist meine Arbeit viel effizienter geworden. Zuletzt habe ich zum Beispiel ein Whitepaper in eine PowerPoint-Präsentation umgewandelt – das war in wenigen Minuten erledigt. Im L&D-Bereich ermöglicht uns künstliche Intelligenz, Zugänge zum Lernen zu öffnen und Lernprozesse zu optimieren. Ohne KI war das eine Menge Arbeit und mit vielen unübersichtlichen Excel-Tabellen verbunden. Trotz der Vorteile müssen wir aber den Datenschutz im Blick behalten. Ich finde: Wir sollten KI-Potenziale nutzen und gleichzeitig kritisch bleiben.
Gibt es unterschiedliche Ansätze beim Einsatz von KI in Europa und Kanada?
In Europa ist man in Sachen Datenschutz viel weiter, vor allem, wenn es um den Arbeitsplatz geht. Betriebsräte und Arbeitnehmerrechte beeinflussen den Einsatz von KI stärker als in Kanada. Obwohl wir auch Datenschutzverordnungen haben, fehlen in Kanada klare Regeln. Zudem sind unsere Arbeitsgesetze in Bezug auf die Verfolgung von Mitarbeiterdaten weniger streng. In einigen europäischen Ländern gibt es Vorschriften, die besagen, dass nach der Arbeitszeit keine E-Mails mehr geschrieben werden dürfen. In Kanada gibt es das nicht. Wir bewegen uns jedoch in Richtung strengerer Gesetze. Zudem kündigte Premierminister Trudeau vor Kurzem an, dass zwei Milliarden kanadische Dollar in die KI-Forschung fließen sollen. Bisher haben sich in Kanada vor allem Unternehmen mit KI beschäftigt. Die Investition zeigt, dass nun auch das Engagement der Regierung wächst. Ich bin gespannt, wie sich das weiterentwickelt.
Sie sprechen darüber, dass wir die Fort- und Weiterbildung von Menschen neu denken müssen. Ein Ansatz sind kompetenzbasierte Unternehmen. Wie sieht dieser Ansatz aus?
Kompetenzbasierte Unternehmen verfolgen die Idee, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach ihren individuellen Fähigkeiten einzustellen und einzusetzen. Nehmen wir zum Beispiel den Job eines Baristas: Ein Barista in Mailand hat möglicherweise ganz andere Fähigkeiten als ein Barista bei einem Franchiseunternehmen. Daher ist es wichtig, die spezifischen Kompetenzen der Mitarbeitenden zu erfassen, anstatt sich ausschließlich auf ihre Jobtitel zu verlassen. So können Unternehmen Mitarbeitende besser fördern und traditionelle Jobrollen überwinden.
Das erfordert eine kontinuierliche Sammlung, Klassifizierung und Analyse zahlreicher Daten wie die Interessen und Ambitionen der Mitarbeitenden und eventuelle Kompetenzlücken im Unternehmen. Auch hier bietet KI vielfältige Unterstützungsmöglichkeiten. Die Kommunikation mit den Mitarbeitenden bleibt trotzdem essenziell: Bei einem oberflächlichen Blick auf meine Fähigkeiten könnte man ansonsten meinen, mich wieder im Bankwesen einzusetzen, weil ich hier 15 Jahre Erfahrungen gesammelt habe. Ich möchte aber nie wieder im Bankwesen arbeiten.
Immer mehr Unternehmen erkennen, dass eine diverse Team-Zusammensetzung zu besseren Arbeitsergebnissen führt. Wie sollten L&D-Fachleute die zunehmende Diversität berücksichtigen?
Wenn es um Vielfalt in Unternehmen geht, spielt L&D definitiv eine Rolle. Dennoch fühle ich mich etwas unwohl, wenn Unternehmen Diversity-Themen auf das Personalwesen beschränken, da L&D allein keine systemischen Veränderungen bewirken kann. Um die Aus- und Weiterbildung divers zu gestalten, müssen wir mit den Inhalten beginnen: Es ist wichtig, dass sich Menschen in den Lerninhalten wiederfinden, da sie sich sonst weniger darauf einlassen oder Verbindungen dazu herstellen können. Um diversere Teams zusammenzustellen, ist es zudem wichtig, dass sich Unternehmen mit komplexen Themen wie Zugänglichkeit und Barrierefreiheit auseinandersetzen.
Ein weiterer Aspekt ist die Betrachtung der Führungsebene und der vermittelten Botschaften im Lernprozess. Sind sie divers, integrativ und reflektiert? Zu oft verwenden nordamerikanische oder europäische Unternehmen Beispiele und Szenarien, die für Mitarbeitende an anderen Standorten nicht relevant oder verständlich sind. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Gleichzeitig begrüße ich es, wenn Unternehmen LGBTQ- und Diversity-Themen nutzen, um ihre Werte auch an Standorten hochzuhalten, wo bestimmte Minderheiten gesetzlich weniger Rechte haben.
Welche Fähigkeiten und Kompetenzen benötigen Arbeitnehmende Ihrer Meinung nach in Zukunft?
Meiner Meinung nach geht es eher um weiche Faktoren. Natürlich wird es immer wichtige Hard Skills geben, aber ich habe keine Kristallkugel, um zu sagen, welche in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren relevant sind. Hard Skills verändern sich schnell. Umso wichtiger ist es, dass Verantwortliche für Personalentwicklung genau verfolgen, welche Technologien in Zukunft wichtig sind und welche Fähigkeiten dafür gebraucht werden. Außerdem sollten wir Eigenschaften wie Flexibilität, kritisches Denken und Neugierde fördern, weil Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern damit gut auf technologische Neuheiten reagieren und sich anpassen können.
Wie können Unternehmen ihre Mitarbeiterende entsprechend fördern?
Ich sehe so viele Unternehmen, die denken, dass alle Mitarbeitenden KI-Expertinnen und -Experten werden müssen. Das müssen sie nicht. Anstatt alle mit KI-Kursen zu überfluten, sollten Unternehmen präzise analysieren, wer welche Fähigkeiten wirklich benötigt und wie sie angewendet werden soll. Diese präzise Skalierung ermöglicht es Unternehmen, ihre Ressourcen effizienter einzusetzen und auf spezialisiertere Arbeitskräfte zurückzugreifen. Ich denke, Unternehmen müssen ihren Mitarbeitenden sehr spezifische Fortbildungs- und Umschulungsangebote machen, um langfristig erfolgreich zu sein.
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