Die Digitalisierung und künstliche Intelligenz sollten uns produktiver machen, und doch erleben viele Menschen einen intensiven Druck und fühlen sich überfordert. Der Weg zu echter Produktivität hat weniger mit Technologie zu tun, sondern mit einer durchdachten Herangehensweise an die Ressource Zeit. [...]

Im Gespräch mit Blanka Vötsch, Expertin für Zeit- und Produktivitätsstrategien an der Akademie für Zeitmanagement und Produktivität, beleuchten wir gemeinsam, wie man seine wertvolle Zeit optimal nutzt. Denn am Ende entscheidet nicht die Technologie über den Erfolg, sondern der bewusste und intelligente Umgang mit den eigenen Ressourcen. Das Interview liefert inspirierende Ansätze und praxisnahe Strategien, wie Sie mehr erreichen können – ohne zusätzlichen Stress.
Mit 20 Jahren Erfahrung, unter anderem in der Automobilbranche, haben Sie erfolgreich umfangreiche Softwareprojekte wie SAP-Rollouts geleitet. Welche spezifischen Herausforderungen haben Sie dabei in Bezug auf Überarbeitung gemeistert, und welche wertvollen Erkenntnisse konnten Sie in den Bereichen Zeitmanagement und Produktivität gewinnen?
In 20 Jahren Projektgeschäft habe ich gelernt: Zeitmanagement und Produktivität stehen und fallen mit Strukturen, Klarheit, Priorisierung und Kommunikation. Stressige Phasen gehören zum Projektalltag – sie machen das Geschäft oft auch spannend.
Was ich jedoch zunehmend beobachte: Unternehmen investieren immer weniger Zeit in Planung und Priorisierung. Es wird zu schnell gestartet, ohne sich ausreichend mit Zielen, Erwartungen und Ressourcen auseinanderzusetzen. Das führt zu typischen Problemen: Man stellt mitten im Projekt fest, dass man nicht das Richtige tut, oder es entstehen Missverständnisse zwischen Stakeholdern und Auftraggebern. Zusätzlich wird versucht, mit denselben Ressourcen immer mehr Projekte gleichzeitig umzusetzen.
Gestresst sind wir nicht durch die Menge an Arbeit, sondern durch das Gefühl, zu wenig Zeit zu haben. Kurze, intensive Belastungsphasen sind verkraftbar, wenn sie von ruhigeren Phasen abgelöst werden. Doch genau diese Erholungsphasen fehlen immer häufiger. Dadurch leidet die Qualität der Ergebnisse, die Motivation sinkt, und langfristig wirkt sich das negativ auf die Mitarbeiterzufriedenheit aus.

Ihr persönliches Motto lautet „Fokus auf eine Sache“ und „In weniger Zeit mehr schaffen“. Wie vermitteln Sie diesen Ansatz in einer schnelllebigen Arbeitskultur und wie reagieren Menschen darauf, die es gewohnt sind, viele Dinge gleichzeitig zu erledigen? Treffen Sie dabei auf Widerstände, und wie gehen Sie damit um?
„Fokus auf eine Sache“ bedeutet, das Wichtige zu erkennen und sich konsequent darauf zu konzentrieren. In unserer schnelllebigen Arbeitswelt glauben viele, Multitasking und ständige Erreichbarkeit seien notwendig. Doch genau hier liegt der Denkfehler: Unser Gehirn ist nicht für Multitasking gemacht. Jede Ablenkung und jeder Wechsel zwischen Aufgaben kosten Zeit und Konzentration. Wer alles gleichzeitig macht, bringt nichts fertig, stresst das Gehirn und verschwendet wertvolle Energie. Die Produktivität sinkt, die Qualität leidet und die Motivation nimmt ab. Fokussierte, ungestörte Arbeitsphasen hingegen ermöglichen tiefes Arbeiten, bessere Ergebnisse und mehr Zufriedenheit – bei weniger Aufwand.
Der Schlüssel liegt im Fokus und in klarer Priorisierung. Widerstände gegen diesen Ansatz sind normal. Priorisieren ist nicht leicht, aber notwendig. Denn, wenn alles wichtig ist, ist nichts wichtig. Führungskräfte, die keine Prioritäten setzen, überlassen ihren Teams die Entscheidung – mit der Folge, dass oft nicht das umgesetzt wird, was strategisch den größten Hebel hat. Viele Unternehmen scheuen sich auch, in saubere Planung zu investieren, weil sie glauben, die Zeit dafür fehle. Doch die Erfahrung zeigt: Gute Planung zahlt sich doppelt aus. Projekte werden schneller, effizienter und fehlerärmer umgesetzt, während die Qualität steigt und Stress sinkt.

Sie betonen, dass Geschwindigkeit weniger entscheidend ist als die richtige Richtung. Was genau meinen Sie damit, und wie lässt sich diese Herangehensweise in der heutigen, oft hektischen digitalen Welt erfolgreich umsetzen?
Die Richtung ist wichtiger als die Geschwindigkeit. Wenn Sie eine Leiter schnell erklimmen, nur um festzustellen, dass sie an der falschen Wand lehnt, war die Anstrengung umsonst. Genau das passiert, wenn wir uns nur auf Geschwindigkeit konzentrieren, ohne die richtige Richtung zu bestimmen. Effizienz ist die Uhr – Effektivität der Kompass. Zuerst sollten wir die richtige Richtung wählen, dann an der Geschwindigkeit arbeiten.
In der digitalen Welt bedeutet das: Fokus statt Zerstreuung. Fokuszeiten helfen dabei, Prioritäten zu setzen, eine Aufgabe zu wählen und ungestört daran zu arbeiten – ohne Ablenkung durch E-Mails, WhatsApp oder Teams. In diesen Phasen bin ich für zwei Stunden nur für echte Notfälle erreichbar. Das wirkt Wunder.
Warum? Jede Ablenkung kostet Zeit und Konzentration. Wer stattdessen ungestört arbeitet, macht große Fortschritte. Meine Erfahrung – und die meiner Kunden – zeigt: In zwei Stunden fokussierter Arbeit schaffen wir mehr als an einem ganzen Tag voller Unterbrechungen.
Anfangs gibt es Widerstände: „Ich muss ständig erreichbar sein.“ Doch sobald der Effekt sichtbar wird, lösen sie sich auf. Wir schließen Aufgaben ab, statt sie nur zu beginnen, und erledigen das Wichtigste wirklich. Das ist der entscheidende Unterschied: Beschäftigt sein kann jeder – produktiv arbeiten erfordert Fokus und Klarheit.

Sie sprechen von der 3P-Methode – Priorisieren, Planen und Pause –, die Menschen zu mehr Produktivität verhelfen soll. Wie genau hat diese Methode Ihr eigenes Leben verändert, und welche sichtbaren Erfolge haben Sie damit bei Ihren Kunden erzielt?
Ich habe am eigenen Leib erfahren, wie gefährlich es ist, ständig beschäftigt zu sein und die eigenen Grenzen zu ignorieren. Als erfolgreiche Projektleiterin war ich international unterwegs, hatte zwei Kinder und wollte zusätzlich meinem Hobby, dem Tanzen, nachgehen. Pausen gab es kaum, Schlaf noch weniger. „Ausruhen kann ich mich, wenn ich tot bin“, dachte ich – bis mein Körper streikte. Im Krankenhaus warnte die Ärztin: „Wenn Sie so weitermachen, überleben Sie das nicht noch einmal.“
Damals wurde mir klar: Ich war hocheffizient, aber nicht effektiv. Ich hatte selten Prioritäten gesetzt und kaum auf Pausen geachtet. So entstand meine 3P-Methode: Priorisieren, Planen, Pausen machen. Sie verbessert nicht nur die Produktivität, sondern auch die Lebensqualität: Wer fokussiert arbeitet und regelmäßig pausiert, erreicht in kürzerer Zeit bessere Ergebnisse und bleibt motiviert.
Meine Kunden sind oft skeptisch: „Das geht bei uns nicht.“ Doch nach ersten Erfolgen erleben sie, wie sich Produktivität, Qualität und Stimmung spürbar verbessern. Stress sinkt, Mitarbeiterzufriedenheit steigt – und Unternehmen werden attraktiver für Fachkräfte. Mit der 3P-Methode lassen sich bis zu 40 Prozent mehr Produktivität erreichen – ein enormer Vorteil in Zeiten des Fachkräftemangels. Statt immer mehr Personal zu suchen, sollten wir die vorhandenen Mitarbeiter dabei unterstützen, besser und fokussierter zu arbeiten.

Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz bei der Steigerung von Produktivität? Sehen Sie gleichzeitig potenzielle Risiken, dass diese Entwicklungen bei manchen Menschen Ängste auslösen? Und wie stehen Sie persönlich zur Zukunft – haben auch Sie Bedenken?
Künstliche Intelligenz bietet enormes Potenzial zur Produktivitätssteigerung – branchenübergreifend. In meinem Unternehmen ist KI nicht mehr wegzudenken. Dennoch fehlt vielen Unternehmen Klarheit darüber, wo KI sinnvoll eingesetzt werden kann.
Natürlich löst dieser Fortschritt Ängste aus, etwa um den eigenen Job. Berufe verschwinden – das stimmt, aber es entstehen auch neue. Gleichzeitig birgt KI-Risiken: Sie basiert auf vorhandenen Daten und Mustern, wodurch Vorurteile oder Fehler entstehen können, wenn sie nicht überwacht wird. Ein weiteres Risiko: Unternehmen verlieren durch blinden Einsatz von KI den Menschen aus dem Blick. Doch KI ist ein Werkzeug, kein Ersatz für menschliche Intuition und Verantwortung. Für mich ist sie eine Assistent-in, die unterstützt, hinterfragt und inspiriert – der Mensch bleibt Entscheider. Richtig genutzt, bringt KI enormen Mehrwert.
Wir stehen erst am Anfang dieser Entwicklung. Die Arbeitswelt wird sich rasant verändern. Die Frage ist: Verschließen wir die Augen oder nutzen wir KI gezielt? Angesichts des Fachkräftemangels sollten Arbeitskräfte von Routinetätigkeiten entlastet werden, um sich auf strategische, wertschöpfende Aufgaben zu konzentrieren.
* Nahed Hatahet ist Digital & AI Transformationsexperte, Berater, Trainer, Speaker, Moderator, Mentor und Autor.
Be the first to comment