IT-Service-Management in Zeiten der Digitalisierung: Agilität als nächste Evolutionsstufe

Die IT-Organisationen erleben zunehmend die Konsequenzen von Cloud und des digitalen Wandels, weil die Veränderungsgeschwindigkeit in den Marktanforderungen und Unternehmensabläufe deutlich steigt. Starre IT-Prozesse stehen dem entgegen, weshalb das IT-Service-Management grundlegend umdenken und Agilität zu seinem neuen Selbstverständnis erklären muss. Der Einsatz agiler Projektmethoden reicht dafür jedoch nicht. [...]

Was zunächst die Entwicklungsprozesse in Softwareunternehmen neu befruchtete und dann vor allem als neues Prinzip in der Projektrealisierung zu einem Siegeszug angetreten ist, hat inzwischen auch die Unternehmensorganisationen erreicht: Agilität heißt die neue Idee, mit der Organisationen ihre Prozesse verschlanken, Produktentwicklungszyklen verkürzen, mehr Flexibilität zeigen und vor allem schneller auf veränderte Anforderungen im Markt reagieren wollen.
Insofern bedarf es einer hohen Agilität, die sich jedoch nicht über die traditionellen Organisationsstrukturen abbilden lässt. Dies zeigen auch die Erfahrungen bei den vermehrt nach agilen Methoden wie Scrum, Kanban oder DevOps realisierten Projekten. Die agilen Ansätze mit ihren Prinzipien wie Eigenverantwortlichkeit des Teams, kurze Entscheidungswege und interdisziplinäre Ausrichtung sind keine Modeerscheinung, sondern als Reaktion auf schwerfällige Organisationverhältnisse entstanden.
Ihren Mehrwert, etwa die beschleunigte Bereitstellung von Anwendungen oder Services, können diese Methoden nicht vollständig entfalten, wenn die Projekte in einem Umfeld von zentral geprägten Organisations- und Entscheidungsverhältnissen stattfinden. Weil die Projektzyklen bei den agilen Methoden mit in der Regel zwei bis drei Wochen wesentlich kürzer sind, müsste nach den bisherigen Grundsätzen bei jedem neuen Sprint ein Genehmigungs- und Einkaufsprozess für notwendige Ressourcen gestartet werden. Dies ist mit den Reaktionszeiten herkömmlicher Organisationen nicht zu bewerkstelligen. Zudem entspricht dies nicht dem Prinzip von selbstorganisierten Teams.
Deshalb reicht es nicht aus, die Prinzipien der Agilität nur auf die Projektwelt anzuwenden. Vielmehr muss die IT insgesamt einen Wandel hin zur flexiblen, schnell anpassungsfähigen, initiativ und kundenorientiert geprägten Organisation vollziehen. Erfolgte die Bereitstellung der IT-Leistungen bisher vielfach über isolierte IT-Funktionen, so verlangen digital lebende Unternehmen vernetzte Services und eine agile Bereitstellung von IT-Leistungen. Schlankere Budgetierungs- und Entscheidungsprozesse gehören ebenso dazu, wie eine neue Führungs- und Entscheidungskultur, um Bremseffekte in den Abläufen zu vermeiden.
ITIL muss teilweise neu gedacht werden
Die IT-Service-Management-Prozesse (ITSM) bilden heutzutage in den meisten IT-Unternehmen das Rückgrat des IT-Betriebes. Fast kein Unternehmen, welches nicht im IT-Service Management-Prozesse nutzt, um den Betrieb zu organisieren. Doch nun erhöht sich der Druck auf die Prozesse durch die agilen Trends in der Entwicklung. Deutlich mehr und schnellere Changes müssen durchgeführt werden, damit die Lösungen möglichst schnell vom Kunden genutzt werden können.
Notwendig ist demnach ein agiles IT-Service-Management, das flexibler mit veränderlichen Zielen und Rahmenbedingungen umgehen kann und stärker mit den Business-Bedürfnissen verzahnt ist. Es stellt damit die nächste Evolutionsstufe von ITSM dar, nachdem Ende der 1990er-Jahre ein Wandel von der Funktions- zur Prozess- und Serviceorientierung begann. Seinerzeit wurde deutlich, dass selbst beste Informationstechnik nur einen begrenzten Nutzen erzielen kann, wenn ihrer Nutzung keine anforderungsgerecht gestalteten IT-Prozesse zugrunde liegen. Damit kam als Inbegriff der Prozessorientierung auch das Regelwerk ITIL (IT Infrastructure Library) ins Spiel.
Mit Agile ITSM als dem nächstem Entwicklungsschritt steht auch ITIL vor einem deutlichen Veränderungsdruck. Die IT-Service-Management-Prozesse bleiben weiterhin wesentlich für die Serviceerbringung. Sie bilden den Rahmen für die agile Welt, denn auch agiles Handeln benötigt einen festen Rahmen, in dem dann flexibler gehandelt werden kann.
In der bisherigen Form passen die ITSM-Prozesse aber nicht mehr zu den zukünftigen Anforderungen, weil die Unterstützung der agilen Welt nicht mit dem herkömmlichen Prozessdesign abgedeckt werden kann. So verlieren manche Abläufe ihren bisherigen Fokus oder wandeln sich. Beispielsweise der Prozess für das Capacity-Management: Wer Cloud-Services nutzt, insbesondere in Verbindung mit DevOps, der muss sich nicht mehr wie bisher die Frage stellen, ob und wie die notwendigen Kapazitäten zur Verfügung stehen, sondern vor allem die damit verbundenen Kosten im Auge haben.
Überhaupt stellen die Fokussierung auf Cloud, Virtualisierung und DevOps eine der zentralen Einflussfaktoren für agile ITSM-Verhältnisse dar: Virtualisierung und Cloud, weil sich damit Services für den Softwarebetrieb sehr flexibel einsetzen lassen, DevOps für ein schnelles und strukturiertes Bereitstellen von Lösungen.
Konsequenzen der kleinteiligeren Changes
Kennzeichnend für ein agiles ITSM ist die Anwendung der agilen Prinzipien auf die Prozesswelt in der IT, um eine durchgängige agile Unterstützung bis zum Betrieb der fertigen Lösung zu schaffen. Denn nur so lassen sich nachhaltig kurze Time-to-Market-Zeiten bei mindestens gleichbleibender Stabilität und Sicherheit erreichen.
Aus der Umsetzung leiten sich jedoch größere Anforderungen an das IT-Service-Management ab. So müssen die teilweise noch an das Wasserfallmodell erinnernden ITIL-Strukturen in verschiedenen Phasen an die Agilitätsidee angepasst werden. Zum Beispiel kann es bei einem agilen Projekt kein starres Service-Design-Package mehr geben, in der Designphase tritt an dessen Stelle vielmehr das Product-Backlog gemäß Scrum, welches sich durch eine an die Projektlage ändernde Priorisierung beziehungsweise Ergänzung und Änderung auszeichnet. So können die sich mit der Zeit verändernden Anforderungen in Abstimmung mit dem Kunden kurzfristiger als bisher berücksichtigt und umgesetzt werden.
Eine weitere Herausforderung ist auch, dass infolge des agilen Ansatzes mit DevOps das Change-Aufkommen deutlich steigt in der Anzahl, wenngleich die einzelnen Requests kleiner und überschaubarer werden. Der Vorteil besteht darin, dass sich Fehler leichter identifizieren und somit die Risiken je Change senken lassen. So kann gepaart mit einem stark ausgebauten Rückkopplungsprozess zur Fehlerabstellung eine Stabilität bei höherer Veränderungsrate erreicht werden. Doch die Vielzahl der kleinen Changes erfordert andererseits, dass ein gutes Handling von Standard- und Minor Changes sicherzustellen ist. Außerdem machen die DevOps-Methoden einen hohen Grad in der Prozessautomation notwendig: Weil Vor-Ort-Meetings wegen der kleinteiligeren Changes seltener stattfinden und nicht immer auf die Ergebnisse der Präsenz-Meetings gewartet werden kann, bedarf es einer passenden technischen Unterstützung.
Anpassung der Rollen notwendig
Diese neuen Anforderungen in den Prozessen führen auch zu geänderten Prozessrollen mit neuen Kompetenzen. Eine Änderung erfährt zum Beispiel der Service-Manager. Als neuer Agile Service-Manager ist er für die agile Unterstützung entlang seines Service verantwortlich. Insbesondere kommt ihm als Product-Owner eine Planungs-, Entscheidungs- und Steuerungsverantwortung in Projekten zu seinem Service zu.
Doch es ist auch eine generell neue Perspektive im Bewusstsein erforderlich. Denn am Ende gehört die Etablierung eines neuen und nachhaltig wirksamen Denkens in der gesamten IT-Organisation dazu. Schließlich bedeutet Agilität einen Wandel in der Organisationskultur, in die sich alle Mitarbeiter einbringen müssen.
* Siegfried Riedel gründete im Jahr 2000 ein Beratungshaus, aus dem die ITSM Group hervorgegangen ist.

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Die Teilnehmer des Roundtables (v.l.n.r.): Roswitha Bachbauer (CANCOM Austria), Thomas Boll (Boll Engineering AG), Manfred Weiss (ITWelt.at) und Udo Schneider (Trend Micro). (c) timeline/Rudi Handl
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