Veränderte Eigentümerstruktur und neue Strategiephase: Die ehemalige Kapsch BusinessCom, jetzt K-Businesscom (KBC), startet mit einer umfassenden Plattform-Strategie durch. transform! sprach mit den Vorständen Franz Semmernegg und Jochen Borenich über zukunftsweisende Use Cases. [...]
Die Kapsch Group hat sich neu aufgestellt. Kapsch BusinessCom wurde mit einer neuen Eigentümerstruktur ausgegliedert, das neu geschaffene Unternehmen firmiert unter dem Namen K-Businesscom (KBC). Mitte 2021 übernahm Dr. Kari Kapsch im Zuge der Neustrukturierung der Kapsch-Gruppe die Mehrheit an der KBC, die Invest Unternehmensbeteiligungs AG beteiligte sich mit rund 22 Prozent und die beiden Vorstände der K-Businesscom AG, Dr. Franz Semmernegg und Mag. Jochen Borenich, halten rund zehn Prozent der Anteile.
Welche Auswirkungen haben diese organisatorischen Veränderungen? „Die Teilkonzerne in der Kapsch Group wurden schon immer eigenständig geführt“, sagt Franz Semmernegg im Gespräch mit transform! „Die Synergien zwischen den Teilkonzernen waren zudem überschaubar, da die TrafficCom in einem ganz anderen Segment tätig ist als die KBC. Dennoch gibt es zwischen den beiden Teilbereichen ein sehr amikales Verhältnisse auf Management- und Mitarbeiterebene. Außerdem ist die TrafficCom ein großer Kunde der KBC, was sie auch weiterhin sein wird.“
Vorstand Jochen Borenich weist darauf hin, dass die Herauslösung aus dem Konzern und das neue Branding sehr gut zur neuen Strategiephase passen würde. „Begonnen haben wir mit dem Thema Apollo: Wir wollten zum Mond und haben dieses Ziel erreicht. Wir wissen nun, wie wir eine Rakete bauen. Wir wissen, wie wir auf dem Mond landen und andere Himmelskörper erreichen können. Wir kommen aus den Bereichen Kommunikation und Netzwerk, danach kam Managed Services – alles Themen, die wir weiter mitnehmen. Wir sind dann in Richtung Digitalisierung gegangen, um die Prozesse besser zu verstehen sowie Branchen-Verständnis und Applikations-Knowhow aufzubauen. Daher haben wir große Fortschritte in den Bereichen Software-Entwicklung und Digital Solutions gemacht.“
Jetzt komme das Unternehmen in die Phase der Skalierung: Das Zeitalter der Plattform-Services ist angebrochen. „Es geht nicht nur um ein einmaliges Projekt. Wir wollen es skalieren und eine Plattform daraus machen. Das heißt, dass wir sehr stark in Kooperationen mit anderen Unternehmen gehen – Stichwörter ›Cross Innovation‹ und ›Cross Industry‹. Dadurch entstehen komplett neue Plattformen.“
People – Planet – Profit
Das Motto dieser Phase lautet „We transform for the better“. „›We‹ steht für Co-Creation und nicht nur für KBC allein“, sagt Jochen Borenich. „›We‹ sind nicht nur wir mit unserem Digitalisierungs-Knowhow, sondern auch Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen, zum Beispiel SEDUS, Zumtobel und Unternehmen im Bereich Kreislaufwirtschaft. ›Transform‹ ist im Sinne von ›Veränderung‹ gemeint. Digitalisierung ist nicht nur ein Enabler, sondern auch ein Treiber. ›Better‹ steht für ›nachhaltige Veränderung zum Besseren‹. Wenn wir von Nachhaltigkeit sprechen, sehen wir im Wesentlichen drei Elemente einer Veränderung, die berücksichtigt werden müssen: People – Planet – Profit. Wir müssen die Menschen mitnehmen, auf den Planeten achten und natürlich auch ein nachhaltiges Geschäftsmodell besitzen. Alle drei Aspekte sind gleich wichtig. Was nützt mir ein Geschäftsmodell, das nicht profitabel ist? Was nützt eine Idee, bei der ich die Menschen nicht mitnehme? Und was nützt in der heutigen Zeit ein Geschäftsmodell, bei dem ich den Umweltstandards nicht gerecht werde?“
Die Rolle, die Franz Semmernegg und Jochen Borenich KBC zuweisen, ist die des „Digital Business Engineers“. Borenich: „Dieser Begriff umfasst mehrere Aspekte. Ich bin auf der einen Seite Ingenieur, das heißt, ich muss technologische und Architektur-Kompetenz haben, um die Ideen selbst umsetzen zu können. Auf der anderen Seite muss ich Entrepreneur sein, um das Business zu verstehen. ›Digital‹ bezeichnet die Werkzeuge, die wir mitbringen. Diese Kombination aus Beratungskompetenz, technologischem Knowhow, Unternehmertum und digitalen Tools ist ziemlich einzigartig und aus unserer Sicht auch notwendig.“ „Mit anderen Worten: Wir entwerfen das Haus, bauen es und betreiben es auch“, bringt es Franz Semmernegg auf den Punkt.
Cross Innovation-Plattformen in der Praxis
Die zuvor genannte Kooperation mit Zumtobel besteht in der Vereinigung von Lichttechnik mit Sensorik auf einer gemeinsamen Plattform. „Der große Vorteil dieser Lösung ist: Wo Licht ist, dort ist auch Strom. Damit ist es sehr viel einfacher, die Bewegungssensorik zu montieren. Es geht zum Beispiel darum, Bewegung im Raum zu analysieren, was für den stationären Handel sehr wichtig ist, weil unter anderem klar wird, wo am besten die Ware platziert wird. Wo halten sich die Kunden primär auf? Wie sieht der Flow aus – Stichwort Heatmap?“, sagt Borenich. Mit dieser Plattform, die sich derzeit im ersten Proof of Concept befindet, lasse sich beispielsweise das Kassenschlangen-Management perfektionieren: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden automatisch verständigt, sobald sich eine lange Schlange bildet.
Der smarte Sessel
Das zweite Beispiel betrifft die Zusammenarbeit mit SEDUS. Der deutsche Möbelhersteller ist auf den österreichischen IKT-Spezialisten im Competence Center für Smart Textiles aufmerksam geworden, wo letzterer den technischen Part übernommen hatte. Beide Unternehmen haben in gemeinsamen Workshops Wege gesucht, den intelligenten Sessel zu entwickeln. „Der Sessel hat sich in den vergangenen zwei Jahrhunderten kaum verändert, es gab keine große Innovationen, er wurde nur weiterentwickelt. Das hat sich nun geändert. Man kann ihn intelligent machen“, so Semmernegg. „Einfaches Beispiel: Man kann online sehen, ob ein Sessel belegt ist oder nicht. Zu den großen Frustationen beim Thema Open Space ist, dass um neun Uhr vormittags die Reise nach Jerusalem beginnt, um einen freien Platz zu finden. Dies wird durch die Corona-Krise nochmals verschärft, weil Unternehmen planen, die Flächen zu reduzieren. Einen intelligenten Sessel kann ich zeitgerecht reservieren. Das vermeidet auch dann Stress, wenn man zu spät aufgestanden ist oder im Stau steht. Auch der Facility Manager profitiert von dieser Lösung. Wie sind die Besprechungsräume belegt? Sind sie meist leer oder überbelegt? Mit den Daten lässt sich sehr viel machen. Damit definiere ich mich nicht über den Preis, sondern darüber, dass der smarte Sessel Informationen bereitstellt.“
Vor kurzem hat Cisco Interesse angemeldet, an der Plattform mitzuwirken. „Die bereits bestehende Sensorik der Videokonferenzen-Anlagen liefert beispielsweise Informationen über Temperatur und Luftqualität. Es kommen immer mehr Partner hinzu. Auf diese Weise wächst die Plattform“, so Borenich.
Open Circularity
Der dritte Anwendungsfall in Sachen Plattform-Ökonomie und Co-Creation ist die Kreislaufwirtschaft. „Wir sehen, dass das Thema Kreislaufwirtschaft zwar so heißt, aber derzeit von Punkt zu Punkt betrachtet wird. Das heißt, dass sich Unternehmen in einer Wertschöpfungskette die Wertschöpfung unmittelbar davor und dahinter ansehen und versuchen, mit diesen Nachbarn gemeinsame Projekte zu starten“, beschreibt Borenich die aktuelle Situation. „Wir hingegen sind überzeugt, dass es sich tatsächlich um einen Kreislauf handelt, in dem sämtliche Teilnehmer miteinander kommunizieren müssen. Wir werden in der nächsten Zeit die dafür notwendige Basis bieten. Es geht hier darum, die Recyclingquote zu erhöhen und den Abfall zu reduzieren. Es heißt, dass sich die CO2-Ziele, die geplant sind, zu 50 Prozent durch Digitalisierung erreichen lassen. Wir glauben also, dass die Digitalisierung ein wesentlicher Treiber ist. Wir werden voraussichtlich mit dem Thema Kunststoff beginnen, weil da der Hebel und der Druck der Endkonsumenten am größten sind. Vom Gewicht her ist in unseren Meeren mehr Kunststoff als es Fische gibt. Wenn man zudem bedenkt, dass jeder von uns pro Woche die Menge einer Plastikkreditkarte zu sich nimmt – etwa als Nahrung aus dem Boden, als Verpackung oder über die Kleidung –, dann sieht man, wie wichtig das Thema ist. Danach werden wir Halbleiter, Metall, Papier und so weiter hinzunehmen.“
Cyber Defence Center
Das Plattform-Prinzip hat KBC bereits seit längerem beim hauseigenen Cyber Defence Center umgesetzt. „Wir sind Teil eines sogenannten Security Operation Center (SOC)- und CERT-Verbundes. Wir arbeiten mit 596 weiteren Organisationen eng zusammen, das heißt, wir nutzen die Erfahrungen alle gemeinsam. Im letzten Jahr haben wir in unserem SOC 770 Milliarden Events erkannt, mitgelockt und gespeichert – Daten, die wir teilen. Davon haben wir sieben Millionen selbst analysiert, der Rest wurde durch Machine Learning und mit Hilfe klassischer Technologie erledigt. Bei rund 1.000 Fällen haben wir mit Kunden interagiert. Genau das ist die Aufgabe des Cyber Defence Center: von Milliarden Allerts herunterzubrechen auf die Fälle, die wesentlich sind. Würden wir das Thema projektmäßig abwickeln, könnten wir niemals jedem Kunden den gleich hohen Reifegrad bieten“, sagt Borenich.
Neben der Weiterentwicklung der Plattformen will KBC das Geschäft vor allem in der DACH-Region vorantreiben, und hier speziell den Gap zwischen dem Geschäft in Österreich und Deutschland schließen. „In Österreich sind wir bereits Marktführer und in Deutschland wollen wir auch eine relevante Marktposition erreichen“, sagt Franz Semmernegg abschließend.
Der Artikel ist in transform! 01/2022 erschienen.
Be the first to comment