Wenn Unternehmen Künstliche Intelligenz (KI) einzusetzen wollen, stellt sich die Frage: make or buy? Dabei ist systemisches Herangehen gefragt. [...]
Vom Marketing über den Kundenservice bis hin zur Produktionssteuerung: Unternehmen setzen in immer mehr Geschäftsbereichen KI-Anwendungen ein. Damit sorgen sie unter anderem für effizientere Prozesse und entlasten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In einer aktuellen Studie von Beratungshaus Deliotte bezeichnen 79 Prozent der Befragten KI-Technologie als sehr bedeutend und erfolgskritisch. Besonders im IT-Bereich kommt sie zum Tragen.
Die zunehmende Verbreitung und die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten stellen Unternehmen vor die wichtige Frage: Lohnt es sich, selbstständig KI-Anwendungen zu entwickeln? Oder ist es rentabler, sich eine externe Out-of-the-Box-Lösung anzuschaffen?
KI ist nicht gleich Software
In den seltensten Fällen ist ein Unternehmen in der Lage, die Implementierung von KI-Anwendungen und die damit einhergehenden Herausforderungen von Grund auf allein zu bewältigen. Im besten Fall sollte es sich dieser Aufgabe auch nicht allein stellen müssen. An Make-or-Buy-Entscheidungen sollte systematisch herangegangen werden.
Bislang vernachlässigten die meisten Unternehmen jedoch so einen Ansatz. Kritisch wird es vor allem dann, wenn sie diese Entscheidung einem Team überlassen, das die Anschaffung und Implementierung von KI-Anwendungen wie den Kauf einer herkömmlichen Software behandelt.
Make-or-Buy: Die ersten Schritte
Um systematisch an die Make-or-Buy-Entscheidung herangehen zu können, sollten Unternehmen zwei wichtige Faktoren kennen. Erstens müssen sie je Use Case für KI nicht nur eine einzige Entscheidung treffen. Vielmehr besteht jeder Anwendungsfall aus mehreren unterschiedlichen Ebenen: Die eigentliche Anwendung spiegelt die oberste Ebene wider und setzt sich aus Machine-Learning-Funktionen, Data Assets sowie der Infrastruktur zusammen.
Da die Ebenen miteinander zusammenhängen und sich gegenseitig bedingen, müssen Unternehmen bei jeder Ebene genau einschätzen, inwieweit sie die Make-or-Buy-Entscheidung beeinflussen. So sollten sie beispielsweise die In-House-Entwicklung einer KI-Anwendung hinterfragen, wenn die Datengrundlage oder die gesamte Infrastruktur mangelhaft sind.
Tatsächlich ist die Frage nach „Make-or-Buy“ keine binäre, bei der die Antwort am Ende ein eindeutiges „selbst entwickeln“ oder „kaufen“ ist. Vielmehr geht es darum zwischen den beiden Extremen abzustufen. In welchem Umfang sollten In-House-Entwickler KI-Anwendungen selbst bauen? Welche Bestandteile sollten Unternehmen Partnern überlassen oder zusätzlich kaufen?
In einigen Fällen werden Unternehmen zu dem Entschluss kommen, das Grundgerüst der Anwendung eigenständig zu entwickeln. Dennoch werden sie womöglich vor-trainierte Machine Learning-Modelle (ML) verwenden, um nicht eigene Modelle trainieren zu müssen. Auf der anderen Seite kommen auch bei externen KI-Lösungen in der Regel eigene Daten zum Einsatz, was einen effizienten Datenaustausch voraussetzt.
Die Make-or-Buy-Entscheidung lässt sich daher grob in drei Ansätze unterscheiden:
- die vollständige In-House-Entwicklung von KI-Anwendungen einschließlich der ML-Modelle;
- ein hybrider Ansatz;
- der Kauf einer externen Out-of-the-Box-Lösung.
Die Kriterien für die Make-or-Buy-Entscheidung
Sobald ein Unternehmen einen passenden Use Case identifizieren konnte, sollten Verantwortliche die Make-or-Buy-Entscheidung dafür vor dem Hintergrund verschiedener Kriterien betrachten. Ein erster Faktor ist die Frage nach dem strategischen Wert des Use Cases. In welchem Maß fördert der Einsatz von KI die strategische Positionierung? Erst wenn der strategische Mehrwert für einen Use Case hoch ausfällt, sollten Unternehmen die selbstständige Entwicklung der KI-Anwendungen in Betracht ziehen. Im Zuge dessen ist bei einem Use Case mit einem hohen Mehrwert zu erörtern, ob Unternehmen das KI-Modell selbst entwickeln (und besitzen) müssen, um diesen strategischen Wert langfristig zu erhalten.
Kommen Unternehmen zu dem Entschluss, dass sie das KI-Modell für den Werterhalt nicht zwangsläufig besitzen müssen, sollten sie hinterfragen, ob sie einen spezifischen Vorteil gegenüber Wettbewerbern haben, wenn sie eine eigene Anwendung entwickeln. Diese Vorteile können zum Beispiel eine einzigartige Datengrundlage oder fachspezifische Kompetenzen sein.
Unternehmen sollten zudem evaluieren, ob die Performance von externen Lösungen den Anforderungen des Use Case überhaupt gerecht werden kann und ob sie wirtschaftlich sind.
Ein letzter entscheidender Faktor ist die Total Cost of Ownership. Die Kosten für Entwicklung, Bereitstellung und Wartung spielen ebenfalls eine wesentliche Rolle bei der Make-or-Buy-Entscheidung.
Fazit
Die Entscheidung über „KI-Anwendungen kaufen oder selbst entwickeln“ ist keine, die mit dem Kauf und der Implementierung herkömmlicher IT-Lösungen vergleichbar ist. Daher ist es essenziell, dass Unternehmen systematisch an diesen Entscheidungsprozess herangehen, jeden Use Case in seinen einzelnen Ebenen vor dem Hintergrund der Make-or-Buy-Entscheidung betrachten und die verschiedenen Einflussfaktoren in ihrer Entscheidungsfindung mit einbeziehen.
Jedes Unternehmen stellt unterschiedliche Anforderungen an potenzielle KI Use Cases. Deshalb ist die Entwicklung einer eigenen KI-Strategie, in der die Make-or-Buy-Entscheidung einen wesentlichen Bestandteil darstellt, unerlässlich.
*Phillip Hartmann ist Director of AI Strategy bei Applied AI. Vorher war er vier Jahre bei McKinsey & Company als Strategieberater tätig und hat an der Technischen Universität München zu Wettbewerbsfaktoren beim Einsatz von künstlicher Intelligenz promoviert.
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