KIT-Experten zu ChatGPT & Co.

Im Auftrag des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung hat das vom KIT betriebene Büro für Technikfolgen-Abschätzung (TAB) eine umfassende Einschätzung dieses technologischen Durchbruchs in der digitalen Sprachverarbeitung vorgelegt. [...]

Foto: KIT.edu

„Es ist sinnvoll, jetzt eine breite Debatte darüber zu führen, wie wir mit KI-Systemen umgehen wollen“, betont Dr. Steffen Albrecht vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des KIT, das auch das TAB betreibt.

Albrecht ist Autor der jetzt veröffentlichten Studie ChatGPT und andere Computermodelle zur Sprachverarbeitung – Grundlagen, Anwendungspotenziale und mögliche Auswirkungen.

„Die Gesellschaft“, so Albrecht, „muss sich klarmachen, auf was sie sich da einlässt und welche Regeln wir vereinbaren wollen. Das System birgt ebenso zahlreiche Chancen wie Risiken. Unsere Studie liefert ein Nebeneinander von Pro und Contra, das lässt sich im Moment noch nicht vermeiden. Für eine klare Bewertung ist es derzeit noch zu früh.“

Im Einzelnen beschreibt das rund 100-seitige Hintergrundpapier des TAB die Technik, auf der ChatGPT aufsetzt, ihre Möglichkeiten und Grenzen, die potenziellen Anwendungen des Chatbots sowie mögliche gesellschaftliche Auswirkungen.

Das scheinbar grenzenlose Wissen der Dialog-KI und ihre verblüffende, blitzschnelle Eloquenz führt Soziologe Albrecht auf zwei technologische Durchbrüche zurück: „Diese neue Art künstlicher neuronaler Netzwerke, die sogenannten Transformermodelle, ermöglicht erstens eine besonders effiziente Umwandlung von Sprache in mathematische Parameter. Dadurch können zweitens die Komplexität dieser Computermodelle und die Menge der für ihr Training verwendeten Daten enorm vergrößert werden.“

So greift das ChatGPT zugrundeliegende Computermodell auf 175 Milliarden Parameter und auf ein Trainingsmaterial von 300 Milliarden Textbestandteilen zurück.

Für Chatbots derartiger Potenz ergeben sich laut Steffen Albrecht eine Reihe plausibler Einsatzmöglichkeiten: „Viele menschliche Tätigkeiten, die mit der Verarbeitung von Texten verbunden sind, lassen sich nun zumindest teilweise automatisieren. Weitere Perspektiven ergeben sich durch die multimodale Ausdehnung auf Bilder und Töne.“

Solche Entlastungs- beziehungsweise. Rationalisierungseffekte betreffen künftig nicht nur Bereiche wie Journalismus, Unternehmenskommunikation oder Dialoge mit Kundinnen und Kunden, sondern auch Tätigkeiten wie Programmierung und Rechtsberatung, die bisher nicht betroffen waren.

„Da die KI-Systeme in natürlicher Sprache angesprochen werden können, könnten sie, wo erforderlich, zugleich als leicht bedienbare Schnittstelle für andere Computersysteme genutzt werden.“ Positive Effekte könnten sich Albrecht zufolge auch für die Inklusion behinderter Menschen ergeben: „Noch immer sind erst wenige Texte in leichte Sprache übersetzt, hier könnte künftig ChatGPT einen Beitrag leisten.“

Allem medialen Wirbel zum Trotz sollte die öffentliche Debatte über Computermodelle wie ChatGPT auch deren Grenzen und Risiken einbeziehen.

„Der Output von Computermodellen kann nur so gut sein wie das, was sie an Input erhalten haben. Ein in den Trainingsdaten enthaltener Bias, also eine verzerrte Repräsentation bestimmter Kategorien, kann sich in den Antworten des Systems widerspiegeln und Diskriminierung verstärken“, sagt Albrecht.

Zudem sind die vom System erzeugten Informationen häufig schlicht falsch: „Aufgrund der hohen sprachlichen Qualität und in Ermangelung von Belegen lässt sich die Korrektheit jedoch nur schwer überprüfen, wodurch das Vertrauen in die Verlässlichkeit von Informationen im Allgemeinen sinken kann.

Eine verantwortliche Anwendung von ChatGPT sollte sich auf solche Gebiete beschränken, in denen die Nutzenden die Qualität der Ergebnisse beurteilen können beziehungsweise die faktische Richtigkeit weniger bedeutsam ist“, resümiert der Karlsruher Forscher.

Daneben diskutiert die Studie konkrete Risiken wie eine Zunahme als solcher nicht erkennbarer computergenerierter Texte in privater und öffentlicher Kommunikation, effektivere Angriffe auf die Computersicherheit oder größere Mengen bewusst schädigend eingesetzter Texte, die das Vertrauen in den öffentlichen Diskurs beziehungsweise die demokratische Meinungsbildung untergraben.

Den Hoffnungen von Lehrkräften auf Entlastung von Routineaufgaben und auf eine Erweiterung didaktischer Möglichkeiten stehen dem Papier zufolge Befürchtungen eines Verlusts von Bildungskompetenzen, missbräuchlicher Verwendungen in Prüfungen sowie Datenschutzbedenken gegenüber.

„Ich kann mir gut vorstellen“, so Steffen Albrecht, „dass Schulkinder und Studierende künftig nicht mehr nur einen fertigen Text abgeben, sondern dass sie sich schon viel früher mit ihren Lehrkräften darüber auch austauschen. Etwa über die Entwicklung einer Fragestellung, über die Suche nach Quellen oder den Aufbau einer Argumentation. Gerade im Umgang mit Quellen kann ein KI-System wie ChatGPT nur sehr bedingt helfen.“

In der Wissenschaft könnten Programme wie ChatGPT die Zahl der Betrugsfälle steigen lassen: „Schon heute herrscht ein hoher Druck, möglichst viel zu publizieren. Es ist also leicht vorstellbar, dass sich Forschende dazu verleiten lassen, ein KI-System ihre Studien schreiben zu lassen. Gleichzeitig deutet sich aber an, dass das System beim wissenschaftlichen Schreiben auch hilfreich sein könnte, zum Beispiel wenn es darum geht, die relevante Literatur zusammenzufassen oder in einer anderen als der Muttersprache zu publizieren“, stellt Albrecht fest.

Die Anwendungspotenziale und möglichen gesellschaftlichen Auswirkungen von Computermodellen wie ChatGPT sind auch Gegenstand einer öffentlichen Sitzung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages am heutigen 26. April 2023, bei der unter anderem Sachverständige befragt werden.

Weitere Informationen zur Studie bietet ein ausführliches Interview mit Steffen Albrecht.

*Bernhard Lauer beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit IT-Themen und bereitet diese als Autor und Redakteur auf – unter anderem für die dotnetpro. Programmieren gelernt hat er mit dem C64 und Basic. Er hat über die Anfänge von Java, JavaScript, HTML und .NET berichtet und sich zuletzt mit Python beschäftigt, nicht zuletzt deshalb, weil es ohne Semikolons auskommt ;-).


Mehr Artikel

Die Teilnehmer des Roundtables (v.l.n.r.): Roswitha Bachbauer (CANCOM Austria), Thomas Boll (Boll Engineering AG), Manfred Weiss (ITWelt.at) und Udo Schneider (Trend Micro). (c) timeline/Rudi Handl
News

Security in der NIS2-Ära

NIS2 ist mehr ein organisatorisches Thema als ein technisches. Und: Von der Richtlinie sind via Lieferketten wesentlich mehr Unternehmen betroffen als ursprünglich geplant, womit das Sicherheitsniveau auf breiter Basis gehoben wird. Beim ITWelt.at Roundtable diskutierten drei IT-Experten und -Expertinnen über die Herausforderungen und Chancen von NIS2. […]

Christoph Mutz, Senior Product Marketing Manager, AME, Western Digital (c) AME Western Digital
Interview

Speicherlösungen für Autos von morgen

Autos sind fahrende Computer. Sie werden immer intelligenter und generieren dabei jede Menge Daten. Damit gewinnen auch hochwertige Speicherlösungen im Fahrzeug an Bedeutung. Christoph Mutz von Western Digital verrät im Interview, welche Speicherherausforderungen auf Autohersteller und -zulieferer zukommen. […]

Andreas Schoder ist Leiter Cloud & Managend Services bei next layer, Alexandros Osyos ist Senior Produkt Manager bei next layer. (c) next layer
Interview

Fokus auf österreichische Kunden

Der österreichische Backup-Experte next layer bietet umfassendes Cloud-Backup in seinen Wiener Rechenzentren. Im Interview mit ITWelt.at erläutern Andreas Schoder, Leiter Cloud & Managed Services, und Alexandros Osyos, Senior Produkt Manager, worauf Unternehmen beim Backup achten müssen und welche Produkte und Dienstleistungen next layer bietet. […]

Miro Mitrovic ist Area Vice President für die DACH-Region bei Proofpoint.(c) Proofpoint
Kommentar

Die Achillesferse der Cybersicherheit

Eine immer größere Abhängigkeit von Cloud-Technologien, eine massenhaft mobil arbeitende Belegschaft und große Mengen von Cyberangreifern mit KI-Technologien haben im abgelaufenen Jahr einen wahrhaften Sturm aufziehen lassen, dem sich CISOS ausgesetzt sehen. Eine große Schwachstelle ist dabei der Mensch, meint Miro Mitrovic, Area Vice President DACH bei Proofpoint. […]

Brian Wrozek, Principal Analyst bei Forrester (c) Forrester
Interview

Cybersicherheit in der Ära von KI und Cloud

Die Bedrohungslandschaft im Bereich der Cybersicherheit hat sich zu einer unbeständigen Mischung von Bedrohungen entwickelt, die durch zunehmende Unsicherheit und steigende Komplexität bedingt ist. Zu diesem Schluss kommt der Report »Top Cyber-security Threats In 2024« von Forrester. ITWelt.at hat dazu mit Studienautor Brian Wrozek ein Interview geführt. […]

Alexander Graf ist Geschäftsführer der Antares-NetlogiX Netzwerkberatung GmbH. (c) Antares-NetlogiX Netzwerkberatung GmbH
Interview

Absicherung kritischer Infrastrukturen

NIS2 steht vor der Tür – höchste Zeit, entsprechende Maßnahmen auch im Bereich der Operational Technology (OT) zu ergreifen. »Wenn man OT SIEM richtig nutzt, sichert es kritische Infrastrukturen verlässlich ab«, sagt Alexander Graf, Experte für OT-Security (COSP) und Geschäftsführer der Antares-NetlogiX Netzwerkberatung GmbH, im ITWelt.at-Interview. […]

In Österreich gibt es die freie Wahl des Endgeräts. Oder doch nicht? (c) Pexels
News

RTR erklärt Wahlfreiheit zum Nischenthema

Bei der Frage, ob Endkunden oder die Provider darüber entscheiden sollten, welches Endgerät sie an ihrem Breitbandanschluss nutzen können, stellt sich die RTR klar auf eine Seite. Laut RTR existiert bereits Wahlfreiheit. Dennoch will die Regulierungsbehörde aktiv werden, wenn sich noch mehr Kunden über das Fehlen der Wahlfreiheit bei ihr beschweren. Logik geht anders. […]

Be the first to comment

Leave a Reply

Your email address will not be published.


*