Kommentar: Der langsame Rückgang der Internet-Freiheit

Laut dem aktuellen Bericht von Freedom House geht die Freiheit des Internet zum sechsten Mal in Folge zurück. Zensur und Netz-Abschaltungen nehmen dramatisch zu. Was ist los? [...]

Das Internet hat sich zu einem integralen Bestandteil unseres Lebens entwickelt. Praktisch alles was wir tun ist an die Online-Plattform gebunden und hat viele Aspekte unseres wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebens verändert. Während wir den Zugang als selbstverständlich hinnehmen, zeigt ein neuer Bericht von Freedom House die beunruhigende Tatsache, dass Milliarden von Menschen rund um den Globus nicht ganz so glücklich sind wie wir.
Freiheit im Netz„, die jährliche Studie von Freedom House über Internetfreiheit auf der ganzen Welt, macht deutlich, dass in vielen Teilen der Welt der Zugang zum freien und offenen Internet noch nicht Realität ist. Staatliche Zugangsbeschränkungen und technische Aussetzer stellen ein erhebliches Hindernis für die Nutzung dar.
Sponsor des Berichts ist die Internet Society, eine Organisation, die die globale Entwicklung eines offenen Internets unterstützt, frei von übermäßiger Regulierung und Zensur. Sie hält die Befunde für beunruhigend und vermutet Folgeschäden im Bereich freie Meinungsäußerung, Soziales, Politik und sogar Wirtschaft.
Derzeit haben mehr als 3,4 Mrd. Menschen Zugang zum Internet, rund 46 Prozent der Weltbevölkerung. Jeden Tag werden mehr als 200 Mrd. E-Mails gesendet, 140.000 Websites erstellt und 500 Mio. Tweets abgesetzt. 
Grundsätzlich ist das Internet eine Plattform für Kreativität und Innovation, die zu positiven wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen geführt hat. Die Feststellung, dass die Freiheit des Internets bereits im sechsten Jahr in Folge zurückgeht, ist besorgniserregend. Was ist los?
Laut Freedom House beschränken mehr und mehr Länder Services oder ganze Bereiche ihrer Netzwerke, um „eine wachsende Vielfalt von Themen und Online-Aktivitäten zu blockieren“. Von den 65 Ländern, die im Bericht untersucht wurden, behinderten 24 den Zugang zu sozialen Medien und Kommunikationsinstrumenten ihrer Bürger – eine fast 37 prozentige Steigerung seit 2015.
Zusätzlich zur eskalierenden Zensur erhöhte sich die Zahl jener Länder, die Bürger für Online-vergehen inhaftierten, um 50% seit 2013. Diese „Straftaten“ können schon so einfache Dinge wie Likes oder Links auf umstrittene Posts in Facebook oder Twitter sein. Diese Art der Verfolgung ist zunehmend nicht mehr ausschließlich an Menschenrechtsaktivisten gerichtet; Mehr und mehr durchschnittliche Nutzer finden sich im Fadenkreuz der Regierungen.
Diese anhaltende Eskalation von Online-Beschränkungen ist äußerst beunruhigend. Die gängige Praxis einiger Regierungen, im Namen der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung allumfassende Netzstilllegungen auszulösen, wird irreversible und weitreichende Konsequenzen haben.
Der letzte Bericht von Freedom House bestätigt, dass Regierungen in 15 Ländern vorübergehend den Zugang zu den gesamten Internet- oder Mobilfunknetzen sperren. Dazu gehört auch das Abschalten des Internets zu bestimmten Zeiten, um die Bürger daran zu hindern, Informationen über Social Media zu verbreiten.
Die wirtschaftlichen Auswirkungen von Netzabschaltungen sind gleichermaßen zerstörerisch. Laut einem kürzlich veröffentlichten Bericht des Brookings Institute kosten die Netzwerk-Shutdowns 2,4 Mrd. US-Dollar jährlich. Wichtige Beispiele für Länder, die dadurch Geld verloren haben, sind etwa Indien (968 Mio. USD), Saudi Arabien (465 Mio. USD), Marokko (320 Mio. USD), Irak (​​209 Mio. USD) und Brasilien (116 Mio. USD). Eine andere Analyse von Deloitte Consulting für die Global Network Initiative schätzt Kosten für Netz-Abschaltungen auf 23,6 Mio. USD pro 10 Mio. Bürgern in Ländern mit hohem Netzwerkverbrauch, und 6,6 Mio. USD pro 10 Mio. Bürgern in Ländern mit geringerem Zugang.
Die Folgen sind auch aus sozialer und humanitärer Perspektive alarmierend, da sie die wichtigste Komponente beseitigt, um die nächste Milliarde Menschen zu verbinden: Vertrauen. Internet-Society glaubt, dass Vertrauen eine Schlüsselrolle dabei spielt, ob jene, welche momentan nicht das Internet verwenden, seinen Wert sehen und glauben, dass es ihr Leben verbessern kann. Ohne Vertrauen wird das volle Potenzial des Internets wohl nicht so schnell realisiert und entwickelt werden.
Die Entscheidungsträger haben die Wahl, um herauszufinden, welchen Weg sie bei der Entwicklung der Internetpolitik gehen müssen. Ein Weg führt zu einem offenen und vertrauenswürdigen Internet mit all seinen sozialen und wirtschaftlichen Vorteilen. Der andere Weg führt zu einem zunehmend geschlossenen und fragmentierten Netzwerk, das dieses Wachstum nicht schafft. Ein Weg zu Chancen, der andere zur Stagnation.
Der diesjährige Bericht „Freedom on the Net“ unterstreicht, dass auch in 2016 unsere globale Internet-Community noch einen langen Weg vor sich hat, um sicherzustellen, dass Milliarden von Bürgern einen angemessenen und ordnungsgemäß funktionierenden Zugang zu dieser unglaublichen Plattform haben. Wir hoffen, dass dieser Bericht als Warnung für Politiker und Branchenführer dienen wird. Wir dürfen das Versprechen des Internets nicht für selbstverständlich halten. Die Erfolge die wir Tag für Tag  durch das Internet beziehen – wirtschaftliche, soziale und politische – hängen davon ab.

*) Sally Shipman Wentworth ist Vizepräsident von Global Policy Development bei der Internet Society.


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