Meldungen, Ereignisse und Maßnahmen rund um die Corona-Krise überschlagen sich, während das öffentliche Leben nahezu vollständig ruht. Die Konsequenzen – gesundheitliche, gesellschaftliche oder wirtschaftliche – sind noch nicht absehbar. Volker Gruhn über die Wichtigkeit der IT in dieser Ausnahmezeit. [...]
IT wird diese Krise nicht lösen. Das werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die medizinische Lösungen suchen. Die Politikerinnen und Politiker, die um die richtigen Maßnahmen ringen. Wir alle, die wir mit unserem individuellen Verhalten über den Fortgang der Entwicklung entscheiden. Aber IT kann die Folgen mildern und die Situation erleichtern – für Unternehmen und für jeden Einzelnen.
Für viele Familien und Freunde sind die digitalen Kanäle aktuell die einzige Möglichkeit, um den Kontakt zueinanderzuhalten. Da entstehen momentan ganz neue Formen der Kommunikation: Großeltern lesen die Gute-Nacht-Geschichte per Sprachnachricht vor. Per Webcam nehmen die Nachbarn am gemeinsamen Abendessen teil. Das alles ersetzt den echten Kontakt zwischen Menschen natürlich nicht vollständig. Aber es hilft dabei, die Situation gemeinsam durchzustehen. „Digital Proximity“ ist eine Antwort auf „Social Distancing“.
Für viele Unternehmen bricht mit Corona eine neue Zeitrechnung an. Einerseits müssen sie aus voller wirtschaftlicher Fahrt eine Vollbremsung hinlegen. Welche Spuren das wo hinterlassen wird, ist offen. Überall arbeiten Menschen mit vollem Einsatz aber daran, diese so gering wie möglich zu halten. Andererseits katapultierte die Entwicklung die Unternehmen von heute auf morgen in eine neue, digitale Welt. Plötzlich müssen Mitarbeiter von zu Hause aus arbeiten, für die das vor einem Monat noch undenkbar war. Prozesse müssen ohne Papier und Unterschrift funktionieren, die seit Jahrzehnten ausschließlich nur so abgewickelt wurden. Das Ideen-Spinnen an der Kaffeemaschine und in der Kantine fällt weg.
IT hält den Laden am Laufen
Als es akut darauf ankam, zauberten die IT–Abteilungen Mittel und Wege aus dem Hut, um den Laden am Laufen zu halten. Von heute auf morgen richteten sie Homeoffice-Prozesse ein, organisierten die virtuelle Teamarbeit und sorgten für einen passenden Datenfluss. Nicht jede Umstellung läuft dabei problemlos, das Knirschen in manchem Zahnrad war und ist laut. Aber die letzten Tage sind ein Beweis dafür, was möglich ist, wenn Fachwissen, Technologie und der unbedingte Wille zur Veränderung zusammenkommen. In der chaotischen ersten Phase setzten die Beteiligten dabei sicherlich so manchen Prozess auf, der mittelfristig nicht stabil ist. Um arbeitsfähig zu bleiben, legten sie einige Regeln und Anforderungen großzügig aus – oder ignorierten sie gleich ganz. Es gilt in den nächsten Wochen und Monaten, daraus stabile Abläufe zu entwickeln, ohne die Leidenschaft der Anfangsphase zu verlieren. Denn die Arbeitsweisen und Abläufe, die Unternehmen jetzt schaffen, verschwinden nach dem Ende der Krise nicht einfach.
Auch in Unternehmen ersetzen digitale Werkzeuge den persönlichen Kontakt zwischen den Menschen nicht zu 100 Prozent. Aber wie im Privaten entstehen hier neue Formen der Kommunikation und des Austausches. Kreativität benötigt vielleicht gar keinen gemeinsamen Workshop-Raum, sondern ein gemeinsames Online-Dokument und ein paar Köpfe, die etwas erreichen wollen.
IT gewinnt an Bedeutung und Akzeptanz
Viel wird darüber spekuliert, wie die Welt nach dem Virus aussieht. Ob und wie sich Gesellschaft, Politik und Wirtschaft unter dem Eindruck der Ereignisse langfristig verändern. Die Zusammenhänge sind zu komplex, die Zahl der Einflussfaktoren zu groß und ihr Zusammenspiel zu filigran, um Stand heute belastbare Aussagen zu treffen. Das Prophezeien sollte den Propheten überlassen werden. Aber bei einem Thema lehne ich mich aus dem Fenster: Wir werden ein neues Selbstbewusstsein der IT–Abteilungen erleben. Wer einmal innerhalb von wenigen Tagen eine funktionierende Plattform mit allen Technologien, Prozessen, Tests und Freigaben aus dem Boden stampfte, hat anschließend keine Lust auf zermürbende Abstimmungsprozesse. Wer merkt, wie essenziell seine Leistung für das eigene Unternehmen ist, wird sich mit der Rolle des Erfüllungsgehilfen für das Umsetzen von Anforderungen immer weniger zufriedengeben. Wer sieht, was konsequente Digitalisierung leisten kann, wird sich von einem „Ja, aber“ immer seltener aufhalten lassen. Die aktuelle Krisensituation liegt hoffentlich bald hinter uns. Was bleiben wird, sind IT–Abteilungen, die immer mehr mitgestalten wollen. Und das ist nicht das Schlechteste.
*Volker Gruhn ist Vorsitzender des Aufsichtsrats der adesso SE.
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