Datenvielfalt: Auch KI-Modelle brauchen eine zweite Meinung

KI-Modelle sind nur so gut wie ihre Datengrundlage. Je mehr unterschiedliche Daten sie haben, desto genauer – und auch fairer – sind ihre Entscheidungen. Das Schlüsselwort ist hier: Datenvielfalt. [...]

Jennifer Belissent, Principal Data Strategist bei Snowflake (cO Snowflake
Jennifer Belissent, Principal Data Strategist bei Snowflake (cO Snowflake

Unser Leben wird zunehmend von automatisierten Entscheidungen beeinflusst, die auf Algorithmen beruhen. Ganz gleich, ob es sich dabei um automatisierte Flugsysteme handelt, die Passagiere auf der Grundlage von Daten sicher durch den Luftraum bringen sollen, oder um Berechnungen von Banksystemen, die über die Vergabe von Krediten an Verbraucher entscheiden. Die Qualität und Genauigkeit der dort verwendeten Daten sind dabei von größter Bedeutung. Wenn es um unsere eigenen Entscheidungen geht, ist es grundsätzlich hilfreich, auf eine Vielfalt von Informationen zurückgreifen und die Sachlage aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Besteht Unsicherheit, holen wir Menschen uns oft eine zweite Meinung ein. Auch für die Automatisierung und die heutigen KI-Modelle ist dieses Prinzip von Vorteil. Im Kern geht es dabei um mehr Datenvielfalt.

Mit einer breiten Vielfalt an Daten lässt sich das Risiko verringern, dass KI-Modelle Verzerrungen übernehmen und „halluzinieren“. Kurz gesagt, Vielfalt hilft, Fehler zu vermeiden. Vor einigen Jahren prägten Branchenanalysten den Begriff „Wide Data“ im Gegensatz zu „Big Data“, um den Fokus auf Daten zu legen, die eine umfassendere Analyse oder eine 360-Grad-Sicht ermöglichen. In diesem Zusammenhang lässt sich auch von vielfältigen Daten sprechen, die aus bisher unzugänglichen oder unerschlossenen Quellen von Partnern, Kunden, Datenanbietern oder aus der Automatisierung selbst stammen. Diese vielfältigen Daten bieten einen breiteren Überblick und helfen, potenzielle blinde Flecken zu vermeiden, die durch traditionelle Quellen entstehen können.

Vielfältige Daten nutzbar machen

Früher waren Daten oft in isolierten Anwendungen oder Systemen gespeichert, die im gesamten Unternehmen verteilt waren. Data-Marts, die für bestimmte Analysezwecke erstellt wurden, trugen zusätzlich zur Fragmentierung bei. Um diese internen Datensilos aufzubrechen, ist der erste Schritt die Einrichtung unternehmensweiter Daten-Repositories und klarer Richtlinien für den Datenzugriff. Um die Nutzung und Wiederverwendung von Daten zu verbessern, sollten Unternehmen klare Konzepte für Datenprodukte entwickeln, Prozesse zur Erstellung und Bereitstellung dieser Produkte einführen sowie spezialisierte Teams dafür aufstellen. Ein Datenkatalog oder -marktplatz für Endnutzer kann zudem die Auffindbarkeit und den Zugang zu den Daten erheblich erleichtern.

Damit  den Mitarbeitenden auch wirklich eine Vielfalt an Daten zur weiteren Verarbeitung zur Verfügung stehen, müssen Unternehmen sicherstellen, auch unstrukturierte Daten – wie E-Mails, Bilder und Sprachaufnahmen –  in maschinell auswertbare Formate umzuwandeln. Moderne Datenplattformen speichern diese unstrukturierten Daten, indem sie sie in externen Speicherbereichen ablegen und über externe Tabellen referenzieren, ohne die Daten direkt auf die Plattform zu laden. Mit Unterstützung für verschiedene Dateiformate und durch Transformationsprozesse auf Basis von SQL-Abfragen und benutzerdefinierten Funktionen (UDFs) können diese Plattformen unstrukturierte Daten in nutzbare, analysierbare Informationen umwandeln. 

Datenkollaboration über Unternehmensgrenzen hinweg

Durch die Zusammenarbeit mit Partnern können Unternehmen den Zugang zu Daten auf ihr gesamtes Ökosystem ausweiten. Einzelhändler wie Aldi tauschen beispielsweise Daten mit ihren Lieferanten aus, um Ausverkäufe zu verhindern und das Kundenerlebnis sowie das Marketing zu verbessern. Währenddessen arbeiten Fahrzeughersteller wie Scania mit Flottenbetreibern zusammen und verwenden deren Daten für das Produktdesign sowie für die Wartung. Sogar Patientendaten können Organisationen gemeinsam nutzen, um Diagnosen zu beschleunigen, Behandlungen zu personalisieren und die Untersuchungsergebnisse zu verbessern. Für solche Anwendungsfälle erlauben Data Clean Rooms die Zusammenarbeit unter Berücksichtigung des Datenschutzes.

Sie ermöglichen eine kontrollierte Umgebung, in der mehrere Unternehmen oder Abteilungen eines Unternehmens sicher mit sensiblen oder regulierten Daten zusammenarbeiten können. Die Privatsphäre der Unternehmensdaten bleibt dabei jederzeit gewahrt und Unternehmen stehen so nicht länger vor der Herausforderung zwischen der Einhaltung von Vorschriften und der Verfügbarkeit möglichst vielfältiger Daten abwägen zu müssen. Vielmehr können sie Daten gemeinsam sicher nutzen und die eigene Datenvielfalt erhöhen, während personenbezogene Daten anonymisiert, verarbeitet und konform gespeichert werden.

Neben der Datenkollaboration mit anderen Organisationen gewährleistet auch die Nutzung externer Datenbanken mehr Datenvielfalt. Wenn eine Personalabteilung beispielsweise ein Profil für eine bestimmte Rolle im Unternehmen erstellen möchte und dabei nur auf interne Daten zurückgreift, spiegelt das oft nur die Eigenschaften früherer Mitarbeitenden wider – unabhängig davon, ob diese wirklich relevant für eine Ausschreibung sind.

Quellen wie die HR-Datenbank von Revelio (Workforce Data Analytics), die über Datenmarktplätze zugänglich sindermöglichen es Unternehmen , eine breitere Vielfalt an potenziellen Mitarbeitenden zur Erstellung von Jobprofilen abzubilden. KI-Modelle können dann entweder direkt mit diesen externen Daten trainiert werden oder sie als Referenz für die Datengenerierung im Retrieval Augmented Generation (RAG) nutzen.

Vielfalt durch synthetische Daten

Ein anderer Ansatz, um eine ausgewogene Darstellung zu erreichen, besteht darin, Daten synthetisch herzustellen. Wenn eine Verzerrung erwartet oder beobachtet wird, können Unternehmen gezielt neue Daten erzeugen und ihre KI-Modelle mit diesen trainieren, um unterrepräsentierte Merkmale zu verstärken. Ein KI-Online-Videoredakteur entwickelte so beispielsweise ein auf Vielfalt abgestimmtes KI-Modell (Diversity Finetuned, DFT), mit dem sich die Darstellung von Minderheiten verbessern lässt.

Das Modell wurde mit synthetischen Daten trainiert, die sich in der wahrgenommenen Hautfarbe sowie dem Geschlecht unterscheiden und aus verschiedenen Textaufforderungen entstanden sind. Diese Prompts werden unter anderem aus multiplikativen Kombinationen von Ethnien, Geschlechtern, Berufen und Altersgruppen erstellt. Im Vergleich zu den Grundmodellen berücksichtigen die DFT-Modelle mehr Personen mit wahrgenommener dunklerer Hautfarbe und auch mehr Frauen. Eine Anfrage nach einem Bild einer Geschäftsperson würde so beispielsweise eher auch Frauen mit Kopftuch oder einen Arzt mit dunklerer Hautfarbe enthalten.

Mehr Daten für bessere KI-Modelle

Datenvielfalt spielt eine zentrale Rolle dabei, die Genauigkeit von KI-Modellen zu verbessern und Verzerrungen zu vermeiden. Der Übergang von „Big Data“ zu „Wide Data“ oder „diversen Daten“ verdeutlicht die wachsende Bedeutung von umfassenderen und vielfältigeren Datenquellen. Unternehmen sollten interne Datensilos aufbrechen, unstrukturierte Daten nutzbar machen, Partnerschaften zur Datenzusammenarbeit fördern sowie externe Datenquellen einbeziehen und bei Bedarf synthetische Daten erstellen. Mit diesen Ansätzen steigern Organisationen nicht nur die Qualität ihrer KI-Modelle, sondern sichern sich auch durch eine bewährte Zweitmeinung ab und gewährleisten so eine verantwortungsvolle und zukunftsorientierte Datenstrategie.

*Die Autorin Jennifer Belissent ist Principal Data Strategist bei Snowflake.


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