Um Künstliche Intelligenz sinnvoll als wertschöpfende Technologie zu nutzen, ist ein klar strukturiertes, methodisches Vorgehen notwendig, damit sie nicht zur teuren Enttäuschung wird. Vier „E“ liefern dafür die passende Orientierung. [...]
Der Hype um Künstliche Intelligenz, insbesondere um generative KI, hat etwas von Goldgräberstimmung. In einer solchen Situation empfiehlt es sich cool zu bleiben, nüchtern die Chancen und Risiken für das eigene Unternehmen zu analysieren, und die richtigen Konsequenzen daraus zu ziehen. Fehleinschätzungen, Fehlentwicklungen und Enttäuschungen ist damit ein großer Teil des Nährbodens entzogen. CGI hat dafür einen Rahmen entwickelt, der die vier wichtigsten Schritte auf dem Weg zum KI-getriebenen Unternehmen beschreibt und miteinander verbindet. Sie sind die Imperative des praktischen Handelns über alle vier Phasen des KI-Lebenszyklus hinweg und helfen so dabei, die Innovationskraft Künstlicher Intelligenz sinnvoll und erfolgreich zu nutzen.
1. Envision: Entwerfen der KI-Vision
Am Anfang steht die Idee, das große Bild. Dabei muss von Beginn an sichergestellt werden, dass die KI-Strategie auf die übergreifenden Unternehmensziele einzahlt und nicht als Wert an sich betrachtet wird. Wie auch immer die konkrete KI-Strategie dann aussieht, ihr Erfolg hängt maßgeblich davon ab, welchen Reifegrad ein Unternehmen aufweist. Ambitionierte KI-Projekte machen wenig Sinn, wenn das Unternehmen in vielen Bereichen noch gar nicht bereit dafür ist. Das betrifft sowohl die Planungs- und Führungsebene, als auch die operativen Abteilungen und die potenziellen Einsatzszenarien (Use Cases) für KI.
Der aktuelle Maturity Level eines Unternehmens wird über eine detaillierte Bestandaufnahme des Status Quo ermittelt. Wichtige Kriterien dafür sind die Organisationsstruktur, die vorhandene Expertise, die Unternehmenskultur, die Datenverfügbarkeit, die technischen und personellen Voraussetzungen und nicht zuletzt das umgebende Ökosystem. Zudem ist es wichtig zu erfassen, welche Abteilungen bereits KI-Systeme implementiert haben, und diese gegebenenfalls zu inventarisieren. Auf Basis dieser Analyse kann dann eine Roadmap formuliert, sowie ein Risk und Compliance Management für die sichere und verantwortungsvolle KI-Nutzung implementiert werden.
2. Experiment: Erforschen der KI-Potenziale
Während im ersten Schritt noch groß gedacht wurde (Big Bang Approach), geht es beim Start in die praktische Umsetzung genau anders herum. Einer der häufigsten Fehler ist es, von heute auf morgen ein KI-getriebenes Unternehmen werden zu wollen. Der Veränderungsdruck ist zu groß, das Veränderungsrisiko unkalkulierbar, die notwendigen Investitionen sind immens und der Mehrwert ist, sofern er überhaupt erzielt wird, erst sehr viel später sichtbar. Ein methodisch sinnvolles Vorgehen setzt dagegen darauf, überschaubare Anwendungsfälle zu identifizieren und entsprechende Proof-of-Concepts (PoC) dafür zu entwickeln. Idealerweise sind die Use Cases in nicht-produktiven Umgebungen angesiedelt und Erfolge schnell sichtbar, das mindert die Risiken beim Scheitern und erhöht die Transparenz. In dieser Phase ist es wichtig, Fortschritte wie Rückschläge minutiös zu analysieren und zu dokumentieren.
Auf Basis dieser Erfahrungen kann dann eine Shortlist erstellt werden, die die Use Cases mit dem größten Potenzial priorisiert. Sie bildet dann eine Art praxisnah geprüfter Pipeline für die daran anschließende Entwicklung konkreter KI-Applikationen. Als Problem entpuppt sich in der PoC-Phase häufig die unzureichende Datenbasis für das Training und die Evaluierung der KI-Modelle. Das betrifft sowohl die Quantität, als auch die Qualität der verfügbaren Daten. Daher ist die Nutzung entsprechender Daten-Plattformen sinnvoll, wobei die Frage zweitrangig ist, ob sie die Daten nun zentralisiert oder dezentral bereitstellen. Entscheidend ist vielmehr die Verfügbarkeit.
3. Engineer: Entwickeln der KI-Grundlagen
Jetzt wird es ernst: Die PoC-geprüfte KI-Roadmap liegt vor, nun geht es darum sie umzusetzen und KI-Applikationen für den operativen Einsatz zu entwickeln. Dazu werden die KI-Modelle mit produktiven Daten trainiert und Architekturen, Plattformen, Standards, Technologien und Parameter so lange optimiert, bis sie bereit sind für den Einsatz in konkreten Geschäftsprozessen. Wir sind also in einem iterativen Prozess ständiger Anpassung und Annäherung an die praktische Nutzung von KI. Das bedeutet auf technischer Ebene unter anderem die Konsolidierung und Qualitätssicherung von Daten und den Ausbau der KI- und Dateninfrastruktur.
Damit ist auch der Zeitpunkt gekommen, die potenziellen Anwender mit ins Boot zu nehmen. Das geschieht idealerweise auf zwei Ebenen: Erstens als von der Führungsebene initiierter und gesteuerter Change-Management-Prozess, zweitens in praktischer Form von Schulungs- und Trainings-Programmen zur Steigerung der KI-Kompetenz. Denn ob eine KI-Applikation tatsächlich die gewünschten Effekte bringt, hängt nicht zuletzt von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ab, die sie nutzen sollen. Change Manager haben es hier oft mit irrationalen Ängsten wie dem „Hollywood“-Phänomen zu tun. In vielen Filmen der Achtziger und Neunziger Jahre wurde KI als Bösewicht stilisiert. Diese Bilder haben sich eingebrannt. Wenn KI sinnvoll, sprich wertschöpfend im besten Sinne genutzt werden soll, muss sie entmystifiziert werden. Daneben gilt es zu verhindern, dass KI-Projekte an verschiedenen Stellen im Unternehmen unkoordiniert vorangetrieben werden. Eine sinnvolle KI-Strategie fasst daher den Aufbau eines internen Center of Excellence (CoE) ins Auge. Es koordiniert und unterstützt die KI-Prozesse, dokumentiert sie und identifiziert Synergien, ohne dabei in die Abteilungen „hineinzuregieren“.
4. Expand: Erweitern der KI-Fähigkeiten
Der Anfang ist damit gemacht, der wahre Wert KI-gestützter Prozesse entfaltet sich jedoch erst, wenn sie ständig erweitert, laufend verfeinert und in immer mehr Uses Cases umgesetzt werden. Dazu ist es notwendig, KI-Ops in den Abteilungen einzuführen, um operativen Risiken von KI-Systemen vorzubeugen, kontinuierliche Qualitätssicherung zu fördern, und eine Nahtlose Skalierung bei hoher Auslastung zu ermöglichen. So entsteht ein für die Weiterentwicklung höchst wertvolles KI-Ökosystem. Auch dabei spielt das Center of Excellence eine tragende Rolle. Als Pendant zu dieser operativen Ebene muss die KI-Nutzung durch entsprechende Normen und Regularien begleitet werden. Dazu gehört eine Lifecycle Governance die Leitlinien für jeden Schritt im Lebenszyklus einer KI-Anwendung formuliert und die Prozesse, Sicherheitsregularien und Verantwortlichkeiten festlegt.
Um einem möglichen Missverständnis vorzubeugen: Diese vier „E“ sind kein Rezeptvorschlag mit Erfolgsgarantie. Der sinnvolle und wertschöpfende Einsatz von KI hat immer mit Menschen zu tun und daher sind neben einem strukturierten Vorgehen auch Qualitäten wie Einfühlungsvermögen, Fehlermanagement und Motivationsfähigkeit gefragt, um daraus ein Erfolgsmodell zu machen.
*DerAutor Merlin Spöttl ist Executive Consultant und Datenwissenschaftler bei CGI.
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