Die Bankenwelt ist zurzeit in einem radikalen Umbruch. Welche Institute aus diesem Prozess als Gewinner hervorgehen und welche zu den Verlierern zählen, ist laut Horst Schmidt, Senior Consultant bei der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, vor allem eine Kulturfrage. [...]
Seit circa einem Jahrzehnt rückt das Thema Digitalisierung immer höher in der strategischen Agenda der deutschen Banken. Viel Geld wurde bereits in deren digitale Transformation investiert; zahlreiche Initiativen wurden gestartet und beendet. Das Erscheinungsbild der Banken wurde dadurch zwar digitaler, doch es darf bezweifelt werden, dass bisher auch die gewünschten Erfolge eingefahren wurden.
Die meisten Bankmanager halten eine nachhaltige Kulturänderung in ihrer Organisation – also ein Beantworten der K- Frage – für notwendig. Denn eine Strategie kann nur wirklich erfolgreich sein, wenn die Menschen mitgenommen werden und ihr Leben und Dynamik verleihen. Also muss diese schwierige Aufgabe bei Changeprojekten, die auf eine digitale Transformation der Banken abzielen, Priorität haben.
Anders als bei ihren innovationsfreudigen skandinavischen und niederländischen Mitbewerbern sind die Modernisierungsinitiativen in Deutschland jedoch eher von „moll-Tönen“ geprägt, denn damit einher geht nicht selten die Aufgabe einer Sanierung und der Suche nach neuen Geschäftsmodellen bei den Geldinstituten – unabhängig von ihrer Größe. Kosten sparen, lautet oft notgedrungen ihr primäres Ziel. Doch ist das eine Vision?
Goldgräberstimmung in der Fintech-Szene
Ganz anders sieht es in der Fintech-Szene aus. Dort herrscht eine Goldgräberstimmung. Verblüffend viel Venture-Kapital wird investiert, und junge und erfahrene Talente werden gewonnen. Erfrischende Innovationen für den Finanzsektor werden entwickelt und gefeiert und mutieren zu Geschäftsmodellen wie zum Beispiel einer kundenfreundlichen Kontoeröffnung oder bargeldlosen Bezahlplattform. Hier tut sich eine große Spielwiese für kreative Geister auf, in der zudem das Potenzial steckt, das Banking für die Kunden und Mitarbeiter zur Abwechslung mal leichter zu machen.
Einen Weg zur Teilhabe der Banken an dieser Entwicklung ist die Kooperation und Öffnung für die Fintech-Szene. Dabei will jedoch gut überlegt sein, ob man ausgerechnet die Wertschöpfung an der Kundenschnittstelle aus der Hand geben möchte und sich so selbst zu einer Abwicklungsplattform reduziert. Noch ist der Spielstand eher unentschieden, denn wenige Fintechs verdienen Geld; das ist vielen Banken in Europa und speziell in den USA im klassischen Banking durchaus der Fall.
Klar ist: Die echten Wettbewerber der Geldinstitute in der Zukunft sind die Amazons, Googles und Apples dieser Welt. Und die entscheidende Frage lautet: Gelingt es den Banken, sich neu zu erfinden und den Wandel aktiv zu gestalten, wie dies zum Beispiel bei IBM und Microsoft der Fall war, oder nehmen sie die Entwicklung von Unternehmen wie Kodak oder Xerox?
Fortschreitender Personalabbau
Change Management wird manchmal mit einem Manöver auf einem Segelschiff verglichen: Die Veränderungsfähigkeit einer Organisation hängt demzufolge davon ab, inwieweit der Kapitän sein Umfeld, den Zustand seines Schiffes und die Fähigkeit seiner Mannschaft im Auge behält und bei seiner Entscheidung zur „Wende“ berücksichtigt.
Veränderungsprozesse sind generell nicht leicht zu managen, unter anderem, weil sie meist bei den Betroffenen Ängste und Widerstände auslösen, die es zu überwinden gilt. Erschwerend kommt im Bankensektor hinzu, die durch den fortschreitenden Personalabbau in vielen Geldinstituten ausgelöste Schockstarre in der Belegschaft und ihre Veränderungsmüdigkeit nach den vielen Umstrukturierungswellen der letzten Jahre. Nicht wenige Mitarbeiter haben den Kampf bereits aufgegeben: Sie haben und sind aus nachvollbaren Gründen resigniert und machen Dienst nach Vorschrift im Zustand innerer Kündigung. Dies gilt es bei der Planung der Change-Projekte zu bedenken: Eine angemessene Zuwendung gemäß dem Grad der Betroffenheit der Bereiche und Mitarbeitergruppen ist unabdingbar – kein „one size fits all“.
Das größte Hindernis beim Erreichen der Ziele der Changevorhaben stellt das Beharrungsvermögen der Kultur und Struktur dar. Es wirkt einer nachhaltigen Veränderung entgegen. Führungskräfte und Abteilungen definieren sich und schöpfen unbewusst Sicherheit und Selbstbewusstsein aus ihrer angestammten Position und dem erreichten Status: Wer sägt freiwillig den Ast ab, auf dem er sitzt?
Für Führungskräfte ist es schwer, aus sich selbst heraus ein Verhalten zu ändern, das sie selbst und ihre Organisation in der Vergangenheit erfolgreich machte. Seit Jahrzehnten ist die Kultur der Banken geprägt von einem Silo-Denken und einer entsprechenden Organisation sowie einem hierarchischen Führungsstil. Die Steuerungssysteme honorieren kaum Teamarbeit oder Innovation. Eine Kultur, die Fehler erlaubt oder sogar feiert, und die systematisch ein Von- und Miteinander-lernen fördert, erscheint in diesem Umfeld wie von einem anderen Planeten.
Digitalisierung wird meist delegiert
Viele digitale Transformationsprojekte in der Bankenwelt folgen der altbewährten Ingenieur-Logik: erst neue Systeme und Plattformen bauen sowie Produkte entwickeln und diese dann an den Kunden und den Mitarbeiter bringen. Die Zuständigkeit für die Digitalisierung wird delegiert an die IT oder einen Chief Digital Officer statt sie konsequent zur Chefsache zu machen. Neue Arbeitsmethoden wie „agil“ kommen zwar in Mode und lösen das alte Projektmanagement und Klassiker wie „lean“ ab, doch ohne eine Veränderung der Kultur und des Selbstverständnisses entfalten sie nicht die gewünschte Wirkung. Es ist, als ob man vor eine alte Kutsche einen neuen Gaul spannen würde und dieses Gespann dann in ein Wettrennen mit Rennwagen schicken würde.
Innovationsinseln in- und außerhalb der Bank sind wie Krabbelgruppen der Digitalisierung: erfrischend! Doch was bewegen sie, wenn die reale Welt in der Bank geprägt ist von Entmündigung, Compliance und Kontrolle statt von Unterstützung, Vertrauen und Disziplin Nachvollziehbar und richtig war und ist es, dass die Commerzbank sich vor kurzem von ihrer geplanten parallelen Digitalbank verabschiedet hat und die Veränderungsenergie nun voll nach Innen richtet.
Bei der Kultur handelt es sich um die ureigene Genetik eines Unternehmens. Sie umfasst unter anderem, die Art, wie Herausforderungen angegangen und gelöst werden, sowie die in einer Organisation existierenden Überzeugungen, Gewohnheiten und Rituale. Sie umfasst somit viel mehr als die oft top-down verordneten Unternehmenswerte: Sie zu kennen, reicht nicht, um die Kultur eines Unternehmens zu verstehen.
Eine Schablone für die Kultur der Zukunft kann es demzufolge nicht geben. Die Deutsche Bank kurzerhand zu einem Klon von Apple zu machen oder die Sparkassen mit ihrer Kundennähe zu einem Pendant von Facebook, klingt inspirierend, macht aber keinem Sinn.
Die digitale Transformation der Banken beziehungsweise deren Sich-neu-erfinden fordert insbesondere deren Führungskräfte. Sie müssen sich in der von rascher Veränderung geprägten modernen, digitalen Welt stets neu erfinden – das passiert nicht von selbst. Ihre Neugierde und Begeisterung sind eine, wenn nicht die zentrale Voraussetzung, um gemeinsam eine Vision und Change-Story zu formulieren und stetig weiter zu entwickeln, die die Mitarbeiter mitnimmt und inspiriert. Nur wer gewinnen möchte und an sich glaubt, hat eine Chance.
Ein bleibender, also nachhaltiger Kulturwandel beginnt mit einer Änderung der Grundeinstellungen, dem Mindset im Unternehmen und bei seinen Mitarbeiter. Er passiert nicht über Nacht. Hierfür gilt es, einerseits zahlreiche Hindernisse aus der „alten Welt“ Schritt für Schritt zu beseitigen, und andererseits Potenziale, die in der Organisation brach liegen und bereits vorhandene, zielführende Stärken zu fördern und zu nutzen.
Ein ganzheitliches dynamisches Changeprogramm, das die Kultur in den Mittelpunkt stellt, mit regelmäßigen Lern- und Überprüfungsschleifen ist der richtige Weg bei dieser spannenden Reise in ein Land, das noch niemand kennt. Um das Ziel zu erreichen, gilt es, das bereichsübergreifende Arbeiten zu fördern, Vertrauen zu geben, Verantwortung zu delegieren und schrittweise Netzwerke der Veränderung in der Organisation zu schaffen.
Die Zukunft aktiv und selbstbewusst gestalten
Die Kinder, die heute geboren werden, werden zu 60 Prozent in Berufen arbeiten, die wir heute noch nicht einmal kennen – denn eine so große Veränderungsdynamik wie zurzeit weltweit gab es zumindest seit der Industrialisierung nicht mehr. Für Banken kann dies eine Riesen-Chance sein, eine neue Zukunft zu gestalten, sofern sie sich und ihre Mitarbeiter zukunftsfähig machen – das ist das zentrale Ziel bei dem angestrebten Kulturwandel.
Es gilt eine Zukunft zu schaffen, die geprägt ist von gelebter Kundenorientierung und Innovation, Schnelligkeit und Einfachheit, kreativer Teamarbeit und Mündigkeit; eine Bankenwelt, die die moderne Technologie dazu nutzt, Kunden und Talente zu begeistern. Wer diese Reise antritt, kann viel gewinnen; wer nicht, wird wie die Saurier enden.
*Horst Schmidt ist u.a. Senior Consultant bei der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner.
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