Die digitale Transformation der Wirtschaft macht vor der Beraterbranche nicht halt. Zu Recht, denn die moderne Informations- und Kommunikationstechnik bietet viele Möglichkeiten, Beratungsprozesse zu optimieren und zu effektivieren. [...]
Beratung kennen wir heutzutage vor allem als „Face-to-face“-Beratung, bei der die Berater vor Ort beim Kunden arbeiten. Ob das auch künftig noch so sein wird, ist fraglich, denn: Zunehmend etablieren sich auch in der Beratung digitale Technologien, die im Unternehmenskontext im Bereich Information und Kommunikation oft schon lange zum Einsatz kommen. Dort geht der Trend klar in Richtung einer verstärkten, netzgestützten Zusammenarbeit. Dies hat auch Microsoft erkannt und mit Microsoft Teams 2017 ein Collaboration-Tool geschaffen, das weltweit bereits mehr als 200.000 Unternehmen nutzen.
Die Digitalisierung ist ein fortlaufender Prozess
Digitalisierung – dieser Begriff hat eine beachtliche Entwicklung hinter sich. Mit dem Einzug der PC in die Unternehmen und die privaten Haushalte wurde der Grundstein für den Begriff, wie wir ihn heute verstehen, gelegt. Ursprünglich bezeichnete er rein das Überführen von Daten aus einer analogen in eine digitale Speicherform; zunehmend wird hiermit jedoch auch die Übertragung von Aufgaben, die bisher Menschen wahrnahmen, auf Computersysteme gemeint. Wenn wir heute von Digitalisierung sprechen, meinen wir neben der reinen Digitalisierung meist auch eine Automatisierung mittels der modernen Informationstechnologie. Sie hat zum Ziel, Prozesse einfacher und schneller zu machen. Wirft man nun einen Blick auf die Geschwindigkeit, mit der der Digitalisierungsprozess fortschreitet, stößt man fast zwangsläufig auf Moore’s Law: Es besagt, dass die Rechnerleistung sich alle zwei Jahre verdoppelt. Auch wenn diese Entwicklungsgeschwindigkeit in den letzten Jahren etwas sank, ist das Potenzial, das durch die technologische Weiterentwicklung entsteht, für Unternehmen enorm.
Berater sind keine Vorreiter bei der Digitalisierung
Für fast alle Branchen bzw. Gewerbe ist es deshalb zwingend erforderlich, sich mit den Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung (im weitesten Sinne) zu befassen. Die Automobilbranche denkt über selbstfahrende Autos nach und die Banken bedienen sich des Machine Learning beim Thema Robotic Process Automation (RPA). Doch die Beratungsbranche? Sie blieb hiervon bislang weitgehend unberührt. Berater reisen weiterhin wie ehedem durch die Welt, nur dass sie heute auch einen Laptop und ein Smartphone in der Tasche haben. Im Beratungsprozess selbst sowie für dessen effektivere Gestaltung werden die Möglichkeiten der Digitalisierung bisher jedoch kaum genutzt.
Das ändert sich allmählich – unter anderem, weil inzwischen außer Skype zahlreiche Tools existieren, die eine Kommunikation und Kollaboration über die Distanz digital ermöglichen. Ein Beispiel hierfür ist das bereits erwähnte Tool Microsoft Teams.
Aus der Nutzung solcher Tools ergeben sich nicht nur für die Beratungsunternehmen selbst, sondern auch für deren Kunden unmittelbare Vorteile: Die Beratung, wie wir sie heute kennen, findet in der Regel beim Kunden statt. Damit verbunden sind Reisekosten für jeden Berater. Sie machen nicht selten einen beachtlichen Teil der Gesamtkosten der Beratung aus, denn sie müssen vom Kunden in der Regel zusätzlich zum eigentlichen Beraterhonorar entrichtet werden – nur dafür, dass der Berater vor Ort ist.
Digitalisierung ermöglicht neue, smarte Beratungsformate
Eine wachsende Zahl von Unternehmen stellt sich denn auch die Frage: Ist dies im digitalen Zeitalter noch zeitgemäß oder kann eine Beratung nicht auch „remote“, also mit Hilfe der modernen Kommunikationstechnik, erfolgen? Das fragen sich die Unternehmen auch, weil eine intensivere Nutzung der modernen Informations- und Kommunikationstechnik noch einen weiteren großen Vorteil hätte: Es werden auch kürzere Beratungseinheiten möglich.
Bisher rechnen sich die vom Kunden direkt oder indirekt zu bezahlenden An- und Abreisezeiten sowie die Reisekosten der Berater in der Regel nur, wenn diese mindestens einen Tag vor Ort sind und für das Unternehmen arbeiten. Das kann und wird sich bei einer digitalen Beratung ändern. Denn durch das Entfallen der Reisezeiten und –kosten werden auch Arbeits- und Beratungseinheiten von nur ein, zwei Stunden möglich. Kurzfristige Beratungen via Skype und Facetime werden von den Unternehmen denn auch verstärkt nachgefragt und die angesprochenen Kollaborationstools im Beratungsprozess zunehmend genutzt. Warum auch nicht? Ihr Einsatz ist bei der standort- und unternehmensübergreifenden Team– und Projektarbeit in den Unternehmen schon eine eingeübte Praxis. Warum diese also nicht für die Beratungsarbeit nutzen?
Beim Change den Erfolgsfaktor Mensch beachten
So einfach, wie es zunächst erscheint, ist es in vielen Fällen jedoch nicht, die Beratung zu digitalisieren, denn ein wichtiger Faktor darf nicht unberücksichtigt bleiben: der Faktor Mensch. Insbesondere beim Change Management spielt er eine, wenn nicht die entscheidende Rolle. Bei komplexen und konsequenzenreichen Themen, wie beispielsweise einer Reorganisation, wäre es aus Mitarbeitersicht absurd, wenn die Berater den Restrukturierungsprozess nur online, beispielsweise per Videokonferenz, begleiten würden.
Die Berater wären für die Betroffenen dann nur ein Bild auf einem Monitor oder einer Leinwand. Dies würde sich unmittelbar auf die Qualität der Beratung auswirken, denn: Durch die räumliche Distanz und die Möglichkeit, sich einfach auszuklinken, wenn man scheinbar nichts mehr zu sagen oder besprechen hat, entstünde eine emotionale Kälte, die für den Erfolg des Change-Projekts nicht förderlich wäre. Deshalb kann der Einsatz zum Beispiel von Videochat-Tools in solchen Projekten nur eine On-top-Leistung sein – beispielsweise zum Durchführen von Ad hoc Coaching Sessions. Gehen die Mitarbeiter zum Beispiel auf die Barrikaden, weil sie sich von dem Changeprojekt nicht mitgenommen fühlen, und ist die nächste Präsenzberatung erst in zwei Wochen anberaumt, dann kann ein Videochat mit dem Berater durchaus hilfreich sein, um Maßnahmen zu eruieren, die die Gemüter abkühlen und das Projekt auf Kurs halten.
Das Geschäft mit der digitalen Beratung bewegt sich auf einem schmalen Grat. Es muss permanent neu eingeschätzt werden:
- wo und wann der Einsatz digitaler Techniken Sinn macht und
- wo und wann es einer persönlichen Face-to-face-Kommunikation bedarf.
Digitale Beratungsstrukturen auf- und ausbauen
Dessen ungeachtet wird sich die Beratungsbranche in den kommenden Jahren mit den Themen Digitalisierung ihrer Leistungen und Einsatz digitaler Tools im Beratungsprozess befassen müssen, denn der Prozess der Digitalisierung der Wirtschaft macht vor ihr nicht Halt.
Deshalb entschied die Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner (K&P) schon vor zwei Jahren, ihre Tools zur digitalen Beratung mit System auszubauen. Zurzeit arbeiten wir zum Beispiel an der Optimierung einer Software, die es jedem K&P-Berater ermöglicht, das Wissen der gesamten Organisation nach Bedarf abzurufen. Ähnlich wie die Computerstimme einer Telefonhotline, die den Anrufer mit dem richtigen Ansprechpartner verbinden soll, führt diese Software ihre (aktuellen) Nutzer, die K&P-Berater, zu den entscheidenden Fragen, die diese sich im jeweiligen Beratungskontext stellen sollten.
Und sie geht noch einen Schritt weiter, indem sie ihnen auch aufzeigt, welche K&P-Produkte und -Beratungsleistungen sich für den entsprechenden Bedarf eignen. Aktuell gleicht die Software noch einer großen firmeninternen Wissensdatenbank, die für den Kunden unmittelbar keinen sicht- und spürbaren Nutzen hat. Ermöglicht man dem Kunden aber, mit seinen Problemen und Fragestellungen einen Zugang zu dieser Wissensdatenbank, um bei Bedarf die richtigen Fragen und Antworten rasch parat zu haben, sieht die Sache anders aus.
Den Beratungsprozess beschleunigen und effektivieren
Hierfür ein Beispiel. Angenommen Sie wären als CEO neu in einem Unternehmen und wollten sich zunächst einen Überblick verschaffen. Sie wissen aber noch nicht, welche Bereiche und Punkte für Sie relevant sind. Dann kann die K&P-Software helfen. Sie führt Sie Schritt für Schritt durch die entscheidenden Geschäftsfelder und liefert Ihnen eine Checkliste der wichtigsten Punkte, die Sie als CEO betrachten bzw. berücksichtigen sollten.
Das erspart Ihnen lange Analyse-Gespräche mit Beratern und bietet Ihnen die Möglichkeit, sich eigenständig in kurzer Zeit einen Überblick über die für Sie relevanten Themen zu verschaffen – und, sofern gewünscht, die passenden Unterstützungsangebote. Und sollte es zu einer Beratung kommen? Dann können die Berater schneller mit dem Bearbeiten Ihres Anliegens beginnen, da Sie mit der Software bereits Ihre Kernthemen ermittelt haben und die spezifischen Beratungsangebote bereits kennen. Entsprechend schnell wäre nicht nur der konkrete (Berater-)Auftrag nebst Zielen geklärt, entsprechend schnell würde auch der Einstieg in den Beratungsprozess selbst erfolgen, da Sie schon wissen, wo der Schuh drückt.
Das gesammelte Wissen gezielt weitergeben
Doch über diesen direkten Nutzen hinaus profitieren die Kunden vom Einsatz digitaler Beratungstools. Bei K&P ist es schon immer üblich, sein Wissen mit den Kollegen zu teilen. Bezogen auf das explizite Zahlen-, Daten- und Faktenwissen war dies kein Problem, anders sah dies – wie in vielen Unternehmen – jedoch zum Teil bezogen auf das sogenannte implizite Wissen, auch Erfahrungswissen genannt, aus, das den Experten-Status oft erst begründet.
Durch das Einführen einer digitalen Ebene der Wissensspeicherung und kollegialen Beratung wird auch das Teilen dieser Wissensform einfacher und konkreter. Jeder Berater, der Experte in seinem Bereich ist, wird künftig außer seinem expliziten, auch sein implizites Wissen (z. B. über die üblichen Herangehensweisen an ein Problem, die möglichen Stolpersteine hierbei, die unternehmens-/branchenspezifischen Besonderheiten, die es zu beachten gilt) in die Software eingeben. So wird auch das bei der konkreten Projektarbeit gesammelte K&P-Wissen zu einem bestimmten Geschäfts- oder Themenfeld für alle Personen sicht- und verfügbar, die mit der Software arbeiten.
Für die Kunden ergibt sich daraus ein weiterer Vorteil. Angenommen ein Berater arbeitet schon eine längere Zeit für einen Kunden, Dann genießt er in dessen Organisation in der Regel eine hohe Akzeptanz. Angenommen nun, es kommen, aus welchen Gründen auch immer, neue oder weitere Berater ins Unternehmen. Dann stoßen diese nicht selten – anders als der bekannte Berater – auf Vorbehalte. Diese können minimiert werden, wenn sich der oder die „Neuen“ im Vorfeld mittels der Wissensdatenbank das Wissen ihrer Kollegen aneignen, mit denen die Kundenorganisation schon lange erfolgreich zusammenarbeitet. Das spart zudem erneut Zeit und Geld, da die neuen, externen Berater nicht erst wieder von den Firmeninternen eingearbeitet werden müssen.
Die digitale Beratung in Beratungsprozess integrieren
Eine digitale Beratung umfasst also mehr als nur die Ebenen Kommunikation und Kollaboration. Sie kann auch als interne und externe Wissensdatenbank dienen und Beratungsprozesse beschleunigen und effektivieren. In ihr liegen große Chancen, wenn sie richtig eingesetzt wird. Die (partielle) Digitalisierung der Beratung darf jedoch nie zu einem Vernachlässigen des Faktors Mensch in den Veränderungsprozessen und -projekten führen.
Solange die Berater und ihre Klienten dies berücksichtigen, liegen in der digitalen Beratung große Optimierungs- und Einsparpotenziale (in zeitlicher und finanzieller Hinsicht) – für alle am Beratungsprozess beteiligten Stakeholder. Aber auch die Qualität der Beratung kann gesteigert werden – unter anderem weil die Berater bei einem akuten Bedarf nicht erst anreisen müssen, was aufgrund ihrer Terminpläne oft erst Wochen später möglich ist. Deshalb ermöglicht eine (partielle) Digitalisierung der Beratung auch eine bessere Betreuung der Kunden.
Robin Heisterhagen, Florian Weber
*Die Autoren Robin Heisterhagen und Florian Weber sind Experten bei der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner.
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