Digitalisierung braucht Unabhängigkeit

Kein Präsident hatte nach 100 Tagen im Amt so schlechte Umfragewerte wie Donald Trump in seiner zweiten Amtszeit. Seine politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen haben weltweit Turbulenzen gebracht – was noch auf uns zukommt, ist ungewiss. Dies wirkt sich natürlich auch auf die IT-Branche aus. Können wir Lösungen von US-Anbietern überhaupt noch vertrauen? Und was sind die Alternativen? [...]

Rico Barth ist CEO von KIX Service Software und Vorstandsmitglied der Open Source Business Alliance. (c) KIX

Es gibt Jahrzehnte, in denen nichts passiert. Und dann gibt es Wochen, in denen Jahrzehnte passieren. Woher dieses Zitat stammt, ist umstritten. Für die vergangenen Monate, seit Donald Trump seine zweite Amtszeit antrat, passt es aber sehr gut. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht eine neue Entscheidung irgendeinen Teil der Welt in Aufruhr versetzt. Dass die USA kein verlässlicher Partner mehr sind, daran müssen wir uns gewöhnen. Trumps erratische Wirtschaftspolitik könnte nur der Anfang sein.

Am schmerzhaftesten sind die Entwicklungen bisher wohl für die Ukraine. Kaum hatten die USA vorübergehend die Versorgung mit Aufklärungsdaten eingestellt, sollen russische Truppen größere Gebiete zurückgewonnen haben. Auch der von Trump ausgerufene Liberation Day ließ die Börsenkurse in den Keller rutschen. Das Umdenken, wie wir mit US-Produkten und -Projekten umgehen und ob wir uns davon emanzipieren können, hat längst eingesetzt – auch in der ITSM-Branche.

Durch die Cloud über den großen Teich

Auf den aktuellen Konferenzen und Branchenevents der letzten Wochen beschäftigte die Teilnehmer vor allem ein Thema: Wie geht es weiter mit den amerikanischen ITSM-Lösungen? Viele von ihnen setzen noch auf Anbieter wie ServiceNow, deren Fokus auf einem Cloud-Modell liegt. Dadurch landen Daten unweigerlich in den USA. Denn auch wenn die Unternehmen eine sichere Datenspeicherung auf Servern in Deutschland oder Europa versprechen, haben amerikanische Behörden durch Patriot Act und Cloud Act dennoch Zugriff darauf. Einschätzungen europäischer Behörden wie zum Beispiel des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags aus 2020 bestätigen das. Und auch bei anderen nicht-europäischen Lösungen ist Verunsicherung zu spüren. In Australien etwa, woher die Atlassian-Software stammt, sah es lange so aus, als würde eine Trump-ähnliche Regierung an die Macht kommen.

Doch sind der Datenschutz und der unbefugte, unkontrollierte Zugriff auf die Daten europäischer Anwender nicht die einzigen Probleme, die sich in der jetzigen Situation ergeben. Mehr noch müssen wir auch daran denken, dass die Cloud-Dienste unerwartet nicht mehr zur Verfügung stehen könnten. Das, was dem ukrainischen Militär mit der Einschränkung der US-amerikanischen Satellitenaufklärung geschah, kann direkt auf Cloud-Dienste adaptiert werden. Das Risiko, dass ein Cloud-Anbieter getrieben durch wirtschaftlichen oder politischen Druck seine Dienste einschränkt, ist ein reales Risikoszenario.

Risiko neu bewerten

In allen Bereichen der Kritischen Infrastruktur – Behörden, Krankenhäusern, Sicherheitsorganen oder den Banken – ist das Risiko neu zu bewerten, denn viele nutzen Service-Management-Lösungen aus den USA. Ein Großteil ist sowieso auf die Server von Google oder Amazon angewiesen. In den meisten Branchen ist eine neue Risikobetrachtung deshalb nicht nur dringend notwendig, sondern sogar gesetzlich vorgeschrieben. Einseitige Abhängigkeiten bedeuten ein sehr hohes Risiko, wesentliche Arbeitsprozesse müssen auch im Krisenfall weiterlaufen. Ein mahnendes Beispiel aus jüngster Zeit war die Debatte um die deutschlandweite Einführung der Datenanalyseplattform Palantir, hinter der der, milde ausgedrückt, dubiose Mitgründer Peter Thiel steht. Der Widerstand im Bundesrat war bisher glücklicherweise groß genug.

Dass wir uns in dieser Situation befinden, haben wir im Grunde selbst verschuldet. Schon Anfang des Jahrtausends gab es Kritiker an der allgegenwärtigen Dominanz von Microsoft. Schon damals lagen die Anzeichen einseitiger Abhängigkeiten klar auf dem Tisch. Wir wollten sie vielleicht aus Bequemlichkeit nicht wahrhaben. Jetzt, wo die Abhängigkeiten noch größer und durch cloudbasierte Softwaresysteme noch tiefgreifender sind, werden Alternativszenarien teurer. Aber sie sind möglich.

Mehr Resilienz made in Europe

Open-Source-Lösungen von europäischen Anbietern sind der perfekte Weg aus dieser Abhängigkeit, so wie ihn jetzt etwa das Land Schleswig-Holstein beschreitet. Eigentlich hatte sich auch die Ampelregierung der Förderung dieser Technologie verschrieben, der Fortschritt ist aber überschaubar. Zwar hat sie das Zentrum für digitale Souveränität und die Plattformen OpenCoDE und openDesk auf den Weg gebracht, gleichzeitig aber auch neue Rahmenverträge mit Oracle und Microsoft geschlossen.

Ein unschlagbarer Vorteil von Open Source ist bekanntlich, dass alle den Quellcode auf Hintertüren überprüfen können. So lässt sich nahezu ausschließen, dass Personen oder Staaten Zugriff auf Daten erhalten, die besser keinen haben sollten. Zudem können die Anwender die Lösung beispielsweise weiterverwenden, wenn Hersteller einseitig ihre Nutzungsbedingungen ändern – sie sind somit auch nicht Preisdiktaten ausgeliefert, wie es sie in den letzten Jahren bei den großen Entwicklern proprietärer Software gegeben hat. Und schlussendlich sind Open Source-Lösungen immer in Eigenverantwortung on-premise betreibbar, wenn dieser Bedarf in letzter Instanz besteht. Eine bessere Risikominimierung gibt es nicht.

Alternativen

Und was können die Nutzer einer ITSM-Software neben dem Umstieg auf eine Open-Source-Lösung noch unternehmen? Eine Möglichkeit wäre der Wechsel zu einem europäischen Cloud-Betreiber. Bei einem hybriden Modell könnten sie ihre Datenbanken und Geschäftsprozesse duplizieren und wären auf der sicheren Seite, um die durchgängige Lauffähigkeit der wichtigsten Workflows zu gewährleisten. Eine andere Idee wäre es, auf ein on-premise-Modell umzusteigen, also eine Installation und Datenspeicherung im eigenen Haus. Auch wir bei KIX haben uns schon vor einigen Jahren dafür entschieden, unseren Kunden und Partnern beide Möglichkeiten zu bieten. Und ja, auf dem Papier lassen sich diese Vorgänge schnell beschreiben, die Umsetzung ist jedoch etwas komplexer. Weit problematischer wird es aber, wenn sich die Beziehungen zu den USA weiter verschlechtern.

Denn auch wenn die Amtszeit von Trump irgendwann vorbei ist, müssen wir uns darauf einstellen, dass ein ähnlicher Präsident das Ruder übernehmen könnte. Der einstige transatlantische Bündnispartner ist Geschichte. Und die Menschen suchen nach Alternativen – sei es bei Automobilen, Kampfjets oder eben auch bei ITSM-Lösungen. Wenn auf den Bündnispartner kein Verlass mehr ist, müssen wir es als Chance sehen, uns auf unsere europäischen Grundwerte und Technologien zu berufen. Und ich bin überzeugt, dass dieser Umstieg gelingt. Wir haben es in der Hand!

* Rico Barth ist CEO von KIX Service Software und Vorstandsmitglied der Open Source Business Alliance.


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