ESG-Gewitterwolken über dem Einzelhandel: Wie Einzelhändler ihre Nachhaltigkeitsziele in den Griff bekommen

Ush Shukla, Distinguished Engineer bei Solace, erklärt, wie Einzelhändler große Mengen wichtiger Daten über ihr gesamtes Ökosystem hinweg verknüpfen können, um den mittlerweile unverzichtbaren Nachweis von Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien (ESG) zu erbringen. [...]

Ush Shukla, Distinguished Engineer bei Solace (c) Solace
Ush Shukla, Distinguished Engineer bei Solace (c) Solace

Daten aus der Deloitte-Studie „Global Powers of Retailing 2023“ zeigen, dass die Lieferkette des Einzelhandels derzeit bis zu 25 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verursacht. „Diese alarmierende Zahl unterstreicht die Notwendigkeit für Einzelhändler, Nachhaltigkeitsinitiativen in ihre Lieferkette zu integrieren“, heißt es in der Studie, die als weitere wichtige Priorität unter anderem die „Vermeidung von Abfall in der Wertschöpfungskette“ nennt.

Von Lebensmittelhändlern und Anbietern von schnelldrehenden Konsumgütern bis zu Modehäusern und Fachgeschäften aller Art haben Einzelhändler die Botschaft verstanden. Laut dem Deloitte 2023 CxO Sustainability Report haben 73 Prozent der CxOs in der Konsumgüterindustrie ihre Investitionen in Nachhaltigkeit im letzten Jahr erhöht. 

Der IT-Sektor hat lange sein Versprechen aufrecht erhalten, ESG zu fördern. Es gibt jedoch eine große Hürde, die Einzelhandelsunternehmen daran hindern können, ihre ESG-Ziele zu erreichen: Ihre Lieferketten, Produktions-, Filial- und Lieferprozesse sind hochkomplex und anfällig für Störungen. Und wie in so vielen Branchen führen Datensilos auch hier zu Produktivitätsverlusten, Ineffizienz und Mangel an verwertbaren Einblicken. 

Herkömmliche Systeme sind nicht dafür ausgelegt, einen offenen und transparenten Informationsfluss zu unterstützen, was dazu führt, dass Daten nicht im gesamten Unternehmen zugänglich sind. Der Einzelhandel muss seine Prozesse für das Sammeln und Bewegen von Daten deshalb neu ausrichten.

Die IT-Architektur im Backend kann ein Treiber für ESG im Einzelhandel sein

Einzelhändler benötigen eine IT-Architektur, die genauso ereignisgesteuert ist wie die externen Ereignisse, die ihr Geschäft beeinflussen, damit sie Daten in Echtzeit sammeln und analysieren und entsprechend handeln können.

Jede Transaktion im Einzelhandel erzeugt Daten – über das gekaufte Produkt, den Preis, den Namen des Kunden oder darüber, welche Artikel auf welchem Lkw zur Auslieferung anstehen. Softwareentwickler bezeichnen eine solche Transaktion als „Event“. Das Streaming dieser Ereignisse in Echtzeit ist ein wesentlicher Faktor für nachhaltigen Erfolg. So können Einzelhandelsunternehmen alle Stufen der Wertschöpfungskette vollständig überblicken, um Verschwendung zu reduzieren, nachhaltige Entscheidungen zu treffen und ihr Betriebsergebnis nicht zu gefährden.

Im Einzelhandel kann das Filialen, IoT-Anwendungen, E-Commerce-Plattformen, Warenlager und Unternehmenszentralen betreffen – unabhängig von den beteiligten Systemen, Clouds oder Protokollen. Das Ergebnis ist ein unternehmensweites Netzwerk von Event Brokern – ein „Event Mesh“, das dynamisch, offen, einfach, überall verfügbar und jederzeit bereit ist, Störungen zu bewältigen und sicherzustellen, dass ESG-Vorgaben nachverfolgt und eingehalten werden.

Durch eine stärkere Ereignisorientierung ihrer Abläufe und den Einsatz einer ereignisgesteuerten Architektur (Event-Driven Architecture, EDA) als Plattform können Einzelhändler einen großen Schritt nach vorne machen, indem sie ihre ESG-Auswirkungen proaktiv angehen, insbesondere in drei Schlüsselbereichen ihres Geschäfts.

1. Leerfahrten vermeiden – Transportemissionen bei jeder Fahrt reduzieren

Beispielsweise gibt es im Bereich der Frischdienste zahlreiche Möglichkeiten, Echtzeitdaten besser zu nutzen, um Transportemissionen zu reduzieren und Routen effizienter zu gestalten. Man denke nur an die Kühltransporter, die den ganzen Kontinent durchqueren und nicht nur durch ihren Treibstoffverbrauch Emissionen verursachen, sondern auch durch die Klimaanlagen, mit denen die Lebensmittel frisch gehalten werden. Darüber hinaus ist schätzungsweise jeder dritte Lkw leer unterwegs – ein alarmierend hoher Anteil, der erhebliche finanzielle und ökologische Kosten verursacht.

Dabei leidet die Ökobilanz nicht nur bei Kühltransporten, sondern bei allen Lkw, die leer oder teilbeladen von der Auslieferung zurückfahren. Laut Daten der Europäischen Kommission wurden im Jahr 2020 rund 34 Milliarden Kilometer als Leerfahrten zurückgelegt. Nordamerikanische Daten von Uber Freight deuten darauf hin, dass bis zu 3,5 Milliarden Stunden des amerikanischen Lkw-Verkehrs unproduktiv sein könnten, wovon zwischen 20 Prozent und 35 Prozent auf Leerfahrten entfallen.

Unmittelbare Abhilfe können hier Sensoren an den Lkw schaffen, die überwachen, wie viel Emissionen durch Kraftstoffverbrauch und Klimaanlagen entstehen, und diese Daten in die Cloud hochladen. Über EDA angebundene Anwendungen überwachen und analysieren dann die Daten, um dem Fahrer in Echtzeit die „grünste Route“ anzuzeigen. Dadurch werden nicht nur die Emissionen reduziert, sondern auch die Notwendigkeit, die Klimaanlage auszuschalten, was zur Verschwendung von Lebensmitteln beiträgt. 

Ein flottenweiter Ansatz für die Lagerhaltung und Routenplanung – in Kombination mit einem isolierten Ansatz für das Datenstreaming – erschwert es den Einzelhändlern jedoch, einen ganzheitlichen Überblick über ihre Umweltauswirkungen in der gesamten Lieferkette zu erhalten.  

Anregung: Besseres Management von Tourenplanung und Lagerhaltung – für jede einzelne Fahrt

Das Alternativszenario sieht so aus: In einem durchgängig ereignisgesteuerten Lieferprozess kann der Einzelhändler jeden Lkw in Echtzeit sehen, die Verteilung in der globalen Lieferkette, wie z. B. die Verfügbarkeit von Beständen in anderen Regionen, verfolgen und alternative Szenarien modellieren, um Bestellungen über andere praktikable Routen oder Liefermechanismen auszuliefern.

Diese Fähigkeit zur spontanen Umplanung ist eine wichtige Voraussetzung für die Erfüllung der ESG-Vorgaben und der Kundenerwartungen. Mit anderen Worten: Mit einer ereignisgesteuerten Architektur, die den Betrieb unterstützt, können Einzelhändler aktuelle Daten nutzen, um fundierte Planungsentscheidungen zu treffen und viel schneller auf Veränderungen von Angebot und Nachfrage zu reagieren.

2. Kontrolle der Lebensmittelverschwendung – innerhalb und außerhalb der Filiale

Um Verschwendung zu vermeiden, müssen verderbliche Waren von dem Moment an, in dem sie in die Wertschöpfungskette des Einzelhandels gelangen, bis zum Verkauf überwacht werden. Die Einführung elektronischer Preisschilder hat dazu beigetragen, dass Lebensmittelhändler ihre Bestände besser überwachen und die Preise von Warenposten schnell anpassen können, um den Absatz zu optimieren und die Wahrscheinlichkeit zu verringern, dass Waren in den Regalen oder an der Ladentheke verderben.

Die Überwachung der Bestände auf Chargenebene schränkt jedoch die Handlungsfähigkeit ein. Besser wäre es, die Bestände auf Artikelebene überwachen zu können. Die Radiofrequenz-Identifikation (RFID) hat sich in den letzten Jahren weiterentwickelt. Heute können die Chips detailliertere Daten über die Artikel liefern – wann sie bestellt und versandt wurden, wann sie angekommen sind, wann sie in die Regale geräumt wurden und so weiter. Diese Daten stellen für den Lebensmitteleinzelhandel eine wahre Fundgrube an Echtzeitinformationen dar, die bei richtiger Nutzung den Abfall durch Maßnahmen wie zeitlich abgestimmte Preissenkungen reduzieren können. Die permanente „Frische“ auf Artikelebene trägt nicht nur zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung bei, sondern auch zur Rentabilität des Geschäfts.

Anregung: Überbevorratung an der Quelle bekämpfen

Aus der Perspektive der Lieferkette und des Bestandsmanagements kann der Zugriff auf granulare Details in Echtzeit auch dabei helfen, Verkaufs- und Bestandsmuster zu analysieren, Bestellmengen und Lieferzeitpunkte zu optimieren und so sicherzustellen, dass die richtige Menge in der Filiale vorhanden ist, um den Bedarf der Verbraucher zu decken. Beispielsweise kann der Verkauf von Äpfeln im Herbst in die Höhe schnellen, während er zu Beginn des Winters wieder zurückgeht. Eine entsprechende Anpassung des Bestellverhaltens sorgt dafür, dass möglichst wenig Lebensmittel verschwendet werden. Die Erkenntnisse werden auch an die Lieferanten weitergegeben, damit sie die Produktion optimieren können. So können zum Beispiel Landwirte besser planen, wie viele Äpfel sie wann anbauen müssen, um ein Überangebot zu vermeiden.

3. Umweltfreundlichere Gebäude für den Einzelhandel – jetzt handeln

Angesichts ihrer großen Flächen bieten Filialen viel Potenzial zur Reduzierung von Emissionen. Um die Emissionen in den Läden und Gebäuden zu senken, könnten Einzelhändler laut McKinsey beispielsweise daran arbeiten, die Energieeffizienz durch LEDs, effizientere Motoren für Heizung, Lüftung und Klimaanlagen sowie durch Wärmepumpen und Solaranlagen vor Ort und durch Batteriespeicher zu verbessern.

Für den Lebensmitteleinzelhandel stellt die Kühlung in den Filialen ein besonderes Emissionsproblem dar. Es müssen Anstrengungen unternommen werden, um Kältemittelleckagen zu erkennen und zu beheben, und im Extremfall müssen die Kälteanlagen in den Filialen komplett erneuert werden. Für große Einzelhändler ist es daher von erhelbichem Nutzen, den Stromverbrauch von Kühlungen und Heizungen in den Filialen zu überwachen und entsprechend der optimalen Nutzung anzupassen.

Anregung: Die Zukunftsvision 

Heute können die Filialen jedoch meistens keine detaillierten vorausschauenden Anpassungen vornehmen. Für die Zukunft sehen wir eine Welt voraus, in der sie das „Klima“ einer Filiale auf der Grundlage des Wetters, der Kundenströme und anderer Faktoren präventiv anpassen können, um die Emissionen niedrig zu halten und ihren ökologischen Fußabdruck zu minimieren.

Langfristig werden Informationen helfen, den Gesamtzustand eines Gebäudes zu überwachen und Echtzeit-Emissionen gegen Ziele und Prognosen abzugleichen, sodass Einzelhändler auf der Grundlage datengestützter Erkenntnisse gezielt Anpassungen vornehmen und Maßnahmen ergreifen können. Ereignisgesteuerte Architekturen werden eine wichtige Rolle bei der Verknüpfung von Schlüsselereignissen spielen, um die für die granulare Überwachung der Performance erforderlichen Dateneinblicke zu liefern.

ESG im Einzelhandel bedeutet, in Echtzeit zu handeln

Die Bewältigung von ESG-Herausforderungen im Einzelhandel erfordert die Vernetzung von Anwendungen und Geräten über verschiedene Umgebungen und Regionen hinweg. 

Dabei ist eine IT-Infrastruktur, die auf einer ereignisgesteuerten Architektur basiert, von entscheidender Bedeutung, um Ereignisse in Echtzeit über alle Kanäle hinweg zu erfassen und zu streamen – von der Makro-Lieferkette bis zur Filiale.

*Ush Shukla ist Distinguished Engineer bei Solace.


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Markus Haller ist CEO & CTO von Asseco Solutions (c) Asseco Solutions
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