Was bringt das neue #RISEwithSAP Cloud-Angebot, wenn die Branche in hohem Tempo in die Zukunft läuft und SAP dieser nur hinterherschaut? Ein Kommentar von Ertan Özdil. [...]
Die SAP steht auf. Letzte Woche hat Christian Klein mit #RISEwithSAP das neue SAP-Cloud-Angebot vorgestellt. Im Zuge dessen wurde auch die Übernahme von Signavio für ca. eine Milliarde Euro verkündet.
Das passt erst einmal gut zusammen, da Signavio die Tools für Cloud-Prozessmanagement anbietet, die SAP braucht, um ihrem Versprechen des Rundum-Sorglos-Pakets näher zu kommen. Geschäftsprozesse abzubilden und diese zu optimieren ist aber eine Kerntätigkeit eines jeden ERP-Herstellers. Die Frage drängt sich auf warum die SAP diese Kompetenz durch einen Zukauf abdecken muss. Und das ja auch nicht zum ersten Mal. Letztes Jahr gab es auch schon Zukäufe, wie z.B. Emarsys, um Cloud-Know-How an Bord zu holen. Das heißt, dass man die Möglichkeiten der Cloud jahrelang nicht gesehen oder für relevant gehalten hat. Die Akquisitionen haben die SAP wieder auf die Beine gebracht. Aber was bringt das, wenn die Branche in hohem Tempo in die Zukunft läuft und SAP dieser nur hinterherschaut?
Ein cloud- und browserbasiertes ERP ermöglicht es, aus einzelnen Mitarbeitern ein Team und aus einem Geschäftsprozess einen Workflow zu machen. Doch es braucht eine smarte Software, die Kunden in den Fokus rückt und ihnen die Kontrolle lässt. SAP nimmt einem diese und kommt mit einem unzeitgemäßen Konzept daher. Es gibt keine Testphase. Es gibt kein Ausprobieren. Es gibt bei SAP nur einen vom Management initiierten Top-Down-Ansatz, der mit dem Einfall von Beratern ins eigene Haus einhergeht. Analyse und Datenmigration brauchen wertvolle Zeit, der Stillstand kostet Geduld und Ausdauer, die Wachstumsunternehmen nicht haben. Das hat sehr wenig mit selbstbestimmten Arbeiten zu tun und den Bedürfnissen von Teams heutzutage. Einzelne Mitarbeiter, viele Abteilungen und ganze Unternehmen möchten stattdessen agile Systeme und haben schlichtweg keine Lust, mit SAP zu arbeiten.
Kundenzufriedenheit ist messbar: Die SAP hat diese erhoben und die Ergebnisse öffentlich zugänglich gemacht. Der Net Promoter Score (NPS), der die Weiterempfehlungsbereitschaft der User ausdrückt, fiel bei SAP zwischen 2018 und 2019 von bereits -5 auf -6. Unternehmensziel war eine Steigerung auf plus 1. Zahlreiche Beispiele sind auf der Website der SAP-Anwendergesellschaft dsag.de öffentlich zu lesen.
Über große Beispiele, die bereits im Prozess der Einführung gescheitert sind, wie z.B. Otto, Deutsche Post, Lidl oder LiquiMoly berichtet hinreichend die Tages- und Wirtschaftspresse.
Ein Fokus der SAP liegt auf der Cloudfähigkeit: der Aktienkurs brach im Oktober 2020 allein einem Tag über 20 Prozent ein, nachdem der Vorstand eingeräumt hatte, dass die Cloudaktivitäten langsamer vorankämen und teurer würden als geplant. Generell war der Kursverlauf im letzten Jahr rückläufig, obwohl gerade Tech-Unternehmen in der Pandemie Zuwächse verbuchen konnten.
Arbeit 4.0 und ERP 4.0 müssen Hand in Hand gehen. Bei SAP sind es lediglich die Berater, die sich die Klinke in die Hand geben. Die neuen Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz und des Maschinellen Lernens werden die ERP-Welt stark verändern. Wenn wir unserem Anspruch gerecht werden möchten, dass unsere Software weiterhin smart bleibt und unseren Kunden hilft, immer effektiver und effizienter zu arbeiten, so ist nur logisch, dass wir uns intensiv damit auseinandersetzen und selbst in die Forschung gehen. Denn nur dann können wir Chancen und Risiken erkennen, die Zukunft aktiv gestalten und müssen kein fehlendes Wissen einkaufen.
Der derzeitige ERP-Markt gliedert sich in verschiedene Evolutionsstufen, wie z.B. die allseits bekannten On-Premises-Lösungen, die dem ERP 2.0 zuzuweisen sind. ERP 3.0 dagegen meint cloudbasierte Anwendungen die flexible SaaS-Lösungen bieten und rudimentäre Ansätze von Maschine Learning beinhalten. ERP 4.0 meint die Verknüpfung von SaaS und AIaaS. Hier bietet eine ERP nicht mehr nur den abgebildeten Geschäftsprozess und dessen Abwicklung. Intuitive Software dominiert nicht, sondern dient Teams. Algorithmen lernen nicht nur Prozesse schneller abzuwickeln und zu managen, sondern auch zu analysieren, zu prognostizieren.
Dies geschieht durch die Verknüpfung von Machine Learning mit relevanten Daten aus der Vergangenheit. weclapp selbst treibt die dafür notwendige Forschung voran.
Noch einmal: ERP 4.0 bildet komplexe Geschäftsprozesse ab und automatisiert diese. Maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz werden zu einem Teil der Automatisierung des Bearbeitens von Geschäftsvorfällen. Die Algorithmen lernen nicht nur Prozesse schneller abzuwickeln und zu managen, sondern auch zu analysieren. Um aber die Digitalisierung wirklich nutzen zu können, bedarf es in erster Linie starke Teams. Teams, die miteinander Großes schaffen wollen. Und Teams und einzelne Menschen arbeiten selbstbestimmt, vernetzt und autonom. Software soll hier unterstützen und keine Bremse sein. New Work, also agile Arbeit 4.0 braucht nicht nur Enablement von den Unternehmen selbst, sondern vor allem auf der technischen Ebene, um realisierbar zu sein. Software von heute muss die Arbeitsgesellschaft von heute und morgen befähigen – das geht aber nur durch gezielten Einsatz von UI/UX für ein intuitives Verständnis, dass die analoge Welt der „Geschäftsführung“ nahtlos in eine digitale überführt“ Deshalb gehen ERP 4.0 und Arbeit 4.0 Hand in Hand. Möchte Software also smart und erfolgreich sein, so muss sie sich den Bedürfnissen der User anpassen oder – um im Sinne Charles Darwins und der Evolution zu bleiben – es überlebt die Software, die “most adaptable to change” ist. Michael Kroker von der Wirtschaftswoche drückt das so aus: “Das wahre Problem ist […], dass die Bestandskunden nicht so wollen, wie die SAP will.”
Die SAP steht also wieder. Oder sie möchte Unternehmen mit RISE genau das ermöglichen. Das Jetzt bewegt sich aber. Und das wissen nicht nur wir, sondern auch viele smarte und agile Unternehmen. Deshalb: MoveWithUs or #FAILwithSAP
Über den Autor:
Seit seinem neunten Lebensjahr programmiert Ertan Özdil. Bereits in seiner Schulzeit schrieb er die erste Software für ein Unternehmen und machte sich später selbstständig. Über IBM und weitere Stationen gründete er 2008 die heutige weclapp SE, Hersteller von cloud basierten ERP-Lösungen. Bis heute schreibt der dreifache Familienvater selbst am Code mit.
Vorab: Wenn man einen Artikel 6 Monate online lässt, sollte man ihn ab und an mal redaktionell aktualisieren.
Aber Eins nach dem Anderen: Der erwähnte Kurseinbruch war die Reaktion auf den Strategieschwenk bei SAP, den Klein und Mucic im Oktober im Investoren-Call ankündigten. Beschleunigung des Wandels zum holistischen Cloudanbieter unter Einsatz eines dreistelligen Millionenbetrages und der damit einhergehenden Senkung der Gewinnerwartung für die kommenden Jahre. Das dies nicht allen Shareholdern schmeckt, war wohl logisch. Was der Autor daraus macht, ist seine Sache und nur recht und billig. Im Zweifel eher Letzteres, für die Medien war das seinerzeit ja auch ein gefundenes Fressen. Aber, wenn schon, denn schon: Zum Datum der Veröffentlichung dieses Artikels lag der Kurs schon wieder deutlich über 100€ (109€), Mittlerweile (August) liegend die Walldorfer wieder da, wo sie letztes Jahr schon waren.